Arno Helmberg's HOMEPAGE

SKRIPTEN:

-Herz-Kreislauf
-Pathophysiologie d. Niere
-Ernährung & Verdauung
-Leberfunktionsstörungen
-Krebsentstehung
-Knochenstoffwechsel
-Muskelfunktionsstörungen
-Gicht








INHALT DIESER SEITE:

1.Nicht-adaptive Abwehr
1.1. Komplementsystem
1.2. Gerinnung, Kinine
1.3. Zelluläre Aktivierung
-Neutrophile Granulozyten
-Mastzellen
-Endothel, Thrombozyten
-Makrophagen, PRRs:
--C-type lectins
--Toll-like receptors
--NOD-like receptors
--RIG-like helicases
--cGAS-STING-pathway
-Dendritische Zellen
-Innate lymphoid cells
1.4. Vasoaktive Amine
1.5. Lysosomale Enzyme
1.6. Prostaglandine
1.7. PAF
1.8. Sauerstoffderivate
1.9. NO
1.10. Zytokine, Chemokine
1.11. TNFα
Nicht-adaptive Abwehr
gegen Viren:
1.12. Interferon
-SARS-CoV-2 und IFN
1.13. NK-Zellen

2. Adaptive Immunantwort
2.1. Antikörper
2.2. Antikörper-Nutzen
2.3. Antikörperklassen
2.4. Serumdiagnostik
2.5. Entstehung der Vielfalt
2.6. Schädliche Antikörper
2.7. T-Zell-Hilfe
2.8. Organe des IS:
-Zentrale Organe
-Lymphknoten
-GALT
-BALT und MALT
-Milz
2.9. T-Zell-Rezeptor
2.10.MHC
2.11.Thymus-Selektion
2.12.Follik. T-Helferzellen
-Keimzentrumsreaktion
2.13.T-Helferzellen Typ 1
2.14.T-Helferzellen Typ 2
2.15.T-Helferzellen Typ 17
2.16.Zytotoxische T-Zellen
-imm. checkpoint blockers
-CAR-T-Zell-Therapie
2.17. Regulator. T-Zellen 2.18. γ:δ-T, NKT-Zellen
2.19. FACS-Diagnostik
2.20. Lokale Immunität
2.21. memory cells

3. Impfung
-Polio-Impfung
-Masern-Impfung
-Konjugat-Impfstoff -SARS-CoV-2-Impfstoffe

4. Versagen der Abwehr
4.1. Genetische Ursachen
-SCID
-Antikörper-Defizienz
-Phagozytose-, C-Defekte
4.2. HIV / AIDS
4.3. Grabenkämpfe
-Influenza
4.4. Immunsuppression

5. Schädigung durch das Immunsystem
5.1.Allergie-Autoimmunität
-Typ I
-Typ II
-Typ III
-Typ IV
-Typ V
5.2.Autoimmunkrankheiten
5.3.Transplantatabstoßung

 

 

IMMUNSYSTEM UND IMMUNOLOGIE


Dieses Skript ist eine Lernhilfe zu meiner Vorlesung im Modul "Infektion, Immunologie und Allergologie" an der Medizinischen Universität Innsbruck. Es steht auch in einer pdf-Version sowie in einer Englischen Version zur Verfügung.

Version 7.0      ©Arno Helmberg 2000-2024

Jeder Organismus, also auch der menschliche, ist eine an sich unwahrscheinliche Ansammlung energiereicher organischer Verbindungen und muss sich daher ständig gegen Versuche der Umwelt, ihn als "Futter" zu verwenden, zur Wehr setzen. Die Fähigkeit, solchen Versuchen etwas entgegenzusetzen, ergibt automatisch einen Selektionsvorteil. In der Evolution hat diese Auseinandersetzung seit der Entwicklung vielzelliger Organismen zu hochkomplexen Abwehrsystemen geführt.

Das Grundproblem: Was wehre ich ab?

Ein grundsätzliches Problem besteht darin, zu unterscheiden zwischen dem, was abgewehrt werden muss –im Idealfall alles, was eine Gefahr darstellt— und dem, was nicht abgewehrt zu werden braucht oder nicht abgewehrt werden darf –Zellen und Strukturen des eigenen Organismus. Dieses Problem ist nicht trivial, bestehen doch "gefährliche" Angreifer wie Viren, Bakterien oder Parasiten aus den selben Molekülarten wie der menschliche Organismus.

Schon früh in der Evolution entwickelten einfache mehrzellige Lebewesen ein Abwehrsystem, das durch die Erkennung von molekularen Mustern, die für Pathogene oder für untergehende Zellen typisch sind, aktiviert wird. Dieses Abwehrsystem benützt auch der Mensch. Es ist angeboren, bei jedem Individuum gleich, sofort verfügbar und damit in der Lage, eine Infektion im besten Fall im Keim zu ersticken oder im schlechtesten Fall zumindest einige Tage in Schach zu halten. Wir sind auf dieses "alte" System absolut angewiesen: mikrobielle Bedrohungen haben so hohe Fortpflanzungsraten, dass wir bereits tot wären, vor das zweite, evolutionär jüngere System, in Schwung kommt.

Die effizientesten Abwehrmaßnahmen des menschlichen Organismus –wir sprechen von einer adaptiven Immunantwort— bestehen aus einer maßgeschneiderten Antwort auf das jeweilige Pathogen. Maßschneidern braucht Zeit, daher steht dieses System in den ersten Tagen einer Infektion nicht zur Verfügung. Diese Immunmechanismen bekämpfen biologisches Material, das innerhalb des eigenen Organismus gefunden wird, aber "fremd" ist. "Fremd" ist meist, aber nicht immer gleichbedeutend mit "gefährlich", doch ist eine Unterscheidung "fremd-selbst" technisch einfacher zu treffen als eine Unterscheidung "gefährlich-ungefährlich". Das liegt daran, dass unser Immunsystem lernen kann, was "Selbst" ist; alles andere wird mit Misstrauen beäugt. Als Hilfskriterium zur Einschätzung der Gefährlichkeit wird die Aktivierung des ersten, angeborenen Systems herangezogen.


1.  DIE FRÜHE, NICHT-ADAPTIVE ABWEHRREAKTION

An den nicht-adaptiven Abwehrmechanismen sind zahlreiche Plasmaprotein- und zelluläre Systeme beteiligt:

Plasmaproteinsysteme:
·        Komplementsystem
·        Gerinnungs/Fibrinolysesystem
·        Kinin-System

Zelluläre Elemente:

·       Neutrophile Granulozyten

·       Mastzellen

·       Endothelzellen

·       Thrombozyten

·       Makrophagen

·       Dendritische Zellen

·       NK-Zellen und andere innate lymphoid cells


Die verschiedenen beteiligten Zellen verwenden ihrerseits wieder molekulare Systeme, um zur Abwehr beizutragen. Viele dieser Systeme werden von mehreren der erwähnten Zellarten verwendet. Viele der benützten Moleküle, werden als "Entzündungsmediatoren" bezeichnet. Das Endziel dieser Moleküle ist natürlich nicht die Entzündung, sondern die Abwehr. Entzündung ist nur ein Übergangszustand, der eine erfolgreiche Abwehr ermöglichen soll. Die Funktionen dieser Moleküle überlappen sehr stark. Organismen mit Backup-Systemen für Backup-Systeme für Backup-Systeme wurden in der Evolution offensichtlich bevorzugt. Für uns als MedizinerInnen bringt das manchmal das Problem, dass wir eine unerwünschte Entzündung zwar lindern, aber nicht vollständig unterdrücken können.

Zelluläre Abwehr-Teilsysteme / "Entzündungsmediatoren":

Präformierte Moleküle: gespeichert in Granula, bei Bedarf ausgeschüttet:
·        Vasoaktive Amine: Histamin, Serotonin
·        Lysosomale Enzyme

Neusynthetisierte Moleküle:
·        Prostaglandine und Leukotriene
·        Plättchenaktivierender Faktor
·        aktive Sauerstoffverbindungen
·        NO
·        Zytokine
·        Typ-I-Interferone


1.1  Komplementsystem

Das Komplementsystem ist ein Abwehrmechanismus gegen bakterielle Infektionen. Es trägt auf mehreren Wegen zu dieser Abwehr bei. Es hat eine rudimentäre "Erkennungsfunktion" für Bakterien, ruft chemotaktisch Phagozyten herbei, macht  Bakterien besser für Phagozyten erkennbar und verstärkt damit die Phagozytose und kann manchmal auch ohne zelluläre Hilfe Bakterien direkt lysieren.

Es gibt mindestens drei Wege, durch die Komplement aktiviert werden kann. Die entwicklungsgeschichtlich älteren Wege sind der "alternative" Weg und der Lektinweg. Beide werden direkt im Zusammenspiel mit bakteriellen Oberflächen aktiviert. Der entwicklungsgeschichtlich jüngste Weg wird durch Antigen-Antikörper-Komplexe in Gang gesetzt. Da er als erster entdeckt wurde, hat er ungerechterweise die Bezeichnung "klassischer Weg" erhalten.

Der alternative Weg der Komplementaktivierung beginnt mit einer spontanen Umwandlung des Plasmaproteins C3 zu C3(H2O) durch hydrolytische Spaltung einer internen Thioesterbindung. Die geänderte Konformation von C3(H2O) erlaubt die Anlagerung des Plasmaproteins Faktor B, der durch die Plasmaprotease Faktor D zu Ba und Bb gespalten wird. Ba diffundiert ab; der Komplex C3(H2O)Bb ist eine lösliche C3-Konvertase, die nun eine Reihe von C3-Molekülen  zum kleinen, diffusiblen C3a und zum größeren C3b spaltet. Entsteht dieses C3b weit weg von der nächsten Zellmembran, wird es rasch inaktiviert. Entsteht es in der Nähe der Oberfläche einer bakteriellen oder zellulären Membran, heftet es sich kovalent an diese an. Der vorher beschriebene Prozess wiederholt sich nun auf der Membran: Anlagerung von B, Spaltung durch Faktor D. Die weitere Entwicklung hängt davon ab, ob es sich um eine eigene Zellmembran oder eine bakterielle Oberfläche handelt. Auf menschlichen Zellmembranen verhindern mehrere hemmend wirkende Moleküle (Komplementrezeptor 1/CR1, decay acceleratung factor = DAF/CD55, Faktor H, membrane cofactor of proteolysis = MCP/CD46), dass der Aktivierungsprozess fortschreitet. In Zusammenarbeit mit den Hemmern spaltet eine Protease namens Faktor I (Buchstabe I, wie in "Ida") C3b zu enzymatisch inaktiven Produkten (iC3b). Auf einer bakteriellen Membran jedoch läuft das Programm ungehindert ab. Faktor P (Properdin) stabilisiert die aus C3bBb bestehende C3-Konvertase des alternativen Wegs, die nun als Verstärker wirkt, indem sie viele C3-Moleküle spaltet. Das abgelagerte C3b hat zwei Funktionen: es wirkt opsonisierend (macht das Partikel zu einem "Leckerbissen" für Phagozyten) und es leitet die Konstruktion einer Membranpore durch Aktivierung der Faktoren C5 bis C9 ein. Solche Poren in bakteriellen oder zellulären Membranen können zur Lyse führen. C3b und die von C3b abgeleiteten Spaltprodukte C3d, C3dg und C3bi, werden von Komplementrezeptoren (CR1 bis CR4) auf Phagozyten erkannt und führen zu einer beschleunigten Phagozytose der Erreger.

Fehlt einer der Hemmer des alternativen Weges auf genetischer Basis, führt das zu schweren Krankheitsbildern durch die ungewollte Komplementaktivierung. Ein Beispiel ist die Defizienz von DAF/CD55, die zur paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie führt. Dabei kommt es zu Schüben von intravasaler Hämolyse, resultierend in eine hämolytische Anämie. Nur ein Teil der Patient*innen zeigt die namensgebende Rotfärbung des Urins durch Verlust von Hämoglobin. Ursache der Erkrankung sind somatische Mutationen im Gen eines Enzyms in hämatopoetischen Stammzellen, die dazu führen, dass die Glycosylphosphatidylinositol-Anker, mit der eine Reihe von Proteinen – darunter DAF/CD55 – in der Zellmembran verankert sind, nicht mehr gebildet werden.

Die kleineren Spaltprodukte des Komplementsystems haben ebenfalls wichtige Funktionen: C3a, C4a und C5a  ("Anaphylatoxine") erhöhen die Gefäßpermeabilität, führen zur Mastzellausschüttung von Histamin und locken Phagozyten  an. Sie leiten damit eine Entzündung ein und sorgen für raschen Nachschub an Komplementfaktoren und Entzündungszellen im interstitiellen Raum.

Der Lektinweg der Komplementaktivierung beruht auf der Tatsache, dass Mannose häufig der letzte Zucker der Kohlehydratketten auf Bakterien ist. Ein Plasmaprotein, MBL (mannanbindendes Lektin; Lektine sind Zucker-bindende Proteine), bindet an Mannose, gefolgt von der Aktivierung der Proteasen MASP-1 und MASP-2 (MASP= MBL associated serine protease; die beiden Moleküle ähneln C1r und C1s). Diese spalten die Komplementkomponenten C4 und C2 und generieren damit einen zweiten Typ der C3-Konvertase, der aus C4b und C2b besteht. Der weitere Ablauf ist ident mit dem des alternativen Weges.

(Das große Spaltprodukt von C2 wurde ursprünglich C2a genannt. Um alle großen Fragmente auf "b" zu vereinheitlichen, wurde es später als C2b bezeichnet. Seither ist die Bezeichnung leider uneinheitlich.)

Der klassische Weg der Komplementaktivierung beginnt in der Regel mit der Bindung der Komponente C1q durch Antikörper vom Typ IgM oder IgG in Immunkomplexen. Eine Konformationsänderung führt zur sequentiellen Anlagerung und Spaltung der Serinproteasen C1r und C1s. C1s spaltet C4 und C2; C4b und C2b bilden die C3-Konvertase des klassischen Weges. Der klassische Weg kann allerdings auch ohne Antikörper durch das Plasmaprotein CRP (C-reaktives Protein) gestartet werden, das an bakterielle Oberfächen bindet und in der Lage ist, C1q zu aktivieren. Bestimmte IgA-Antikörper können Komplement auf einem anderen als dem klassischen – also auf dem Lektin- oder dem alternativen – Weg aktivieren. Diese Besonderheit spielt eine Rolle bei der Entstehung der so genannten IgA-Nephritis.

Hereditäres Angioödem: Geringe Mengen von spontan aktiviertem C1 werden durch den Proteasehemmer C1-Inhibitor (auch: "C1-Esterase-Inhibitor") abgefangen. Das Gen für C1-Inhibitor ist CG-reich, enthält eine Alu-Sequenz und liegt nahe dem Zentromer von Chromosom 11; alles Gründe dafür, dass es darin häufiger als in anderen Genen zu Spontanmutationen kommt. Das C in der Sequenz CG neigt zur spontanen Deaminierung, was wieder Veränderungen im Methylierungsmuster mit verminderter Expression führt (hereditäres Angioödem Typ1, 85%. Bei Typ2 verändert die Mutation die Struktur des Proteins, Typ3 betrifft andere Gene wie den Gerinnungsfaktor XII – Hageman-Faktor). C1-Inhibitor hemmt aber nicht nur die Proteasen C1r und C1s, sondern viele andere Proteasen, darunter die MASPs des Lektinswegs und auch Kallikrein, sodass bei Wegfall des Inhibitors auch vermehrt Bradykinin entsteht. Sowohl die Anaphylatoxine als auch Bradykinin steigern also die Ödemneigung. Heterozygot veränderter oder fehlender C1-Inhibitor führt daher zu Anfällen von Angioödem (auch: "Quincke-Ödem"), einer Schwellung von Haut und Schleimhäuten durch eine plötzliche Erhöhung der Gefäßpermeabilität. Es tritt vorwiegend im weichen Gewebe des Gesichts- und Rachenbereichs auf, mit Gefahr der Verlegung der Atemwege durch Schwellung der Epiglottis. Das hereditäre Angioödem ist selten. Andere, häufigere Auslöser von Angioödem sind Allergien und Medikamente wie ACE-Hemmer (siehe unten).

Pharmakologische Querverstrebung:
Der humanisierte monoklonale Antikörper Eculizumab inaktiviert Komplementkomponente C5 und hemmt damit die lytische Endstrecke der Komplementaktivierung. Dies ist vor allem nützlich, wenn eine ungewollte Komplementaktivierung zur Hämolyse führt, wie bei der nächtlichen paroxysmalen Hämoglobinurie oder bei manchen Formen des hämolytisch-urämischen Syndroms. Da Komplementlyse wichtig für die Bekämpfung von Meningokokken ist, ist das Risiko für solche Infektionen unter Eculizumab erhöht. Patienten sollten daher so bald wie möglich geimpft werden.

Ein weiterer Hemmer des Komplementsystems, Pegcetacoplan, greift bereits auf der Ebene von C3 ein. Es ist bisher ein Reservemedikament, das zur Anwendung kommt, wenn paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie auf Eculizumab nicht ausreichend anspricht. Die Hemmung eines so zentralen Abwehrmoleküls hat ihren Preis: vermehrte Infektionen, besonders solche mit kapseltragenden Bakterien, wie Pneumokokken, Hämophilus, Neisseria meningitidis. Weitere Indikationen sind zu erwarten: so ist das Medikament in den USA bereits zugelassen, um das Fortschreiten der altersbedingten trockenen Maculadegeneration zu verlangsamen.
Iptacopan, zugelassen FDA Dez. 2023 gegen paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie, ist ein oral verabreichter Hemmer von Faktor B. Als unerwünschte Wirkung steigert es  wiederum das Risiko für Infektionen mit Eiterbildnern wie Pneumokokken, Meningokokken und Hämophilus.

1.2  Gerinnungs/Fibrinolysesystem und Kininsystem

Gerinnungssystem (mehr dazu beim Thema Herz-Kreislauf) und und Kininsystem werden oft gleichzeitig in Gang gebracht durch den Mechanismus der Kontaktaktivierung. Kontaktaktivierung erfolgt, wenn ein Komplex aus drei Startmolekülen dieser Systeme mit negativ geladenen Oberflächen in Kontakt kommen. Das können bei einer Verletzung Kollagen, Basalmembran, oder aktivierte Plättchen sein, oder bei einer Infektion Bestandteile der Bakterienoberfläche.

Die drei Startmoleküle sind Hageman-Faktor (Faktor XII), HMW-(high molecular weight-)-Kininogen und Präkallikrein. Hageman-Faktor wird aktiviert, gefolgt von der gesamten Gerinnungskaskade. Hageman-Faktor spaltet zusätzlich Präkallikrein zur aktiven Protease Kallikrein, die aus HMW-Kininogen das kleine Peptid Bradykinin herausschneidet. Bradykinin erhöht die Gefäßpermeabilität, dilatiert Blutgefäße indirekt über Endothelwirkung aber kontrahiert nicht-vaskuläre glatte Muskulatur und ist die am stärksten Schmerz auslösende Substanz. Bradykinin und andere Kinine sind kurzlebig und werden durch Peptidasen, darunter angiotensin converting enzyme (ACE), gespalten und damit wieder inaktiviert.

Pharmakologische Querverstrebung: zur Blutdrucksenkung eingesetzte ACE-Hemmer haben durch erhöhte Bradykininaktivität häufig heftige spastische Hustenanfälle als Nebenwirkung, manchmal sogar ein Angioödem. Icatibant ist ein synthetisches Peptid, das Bradykinin ähnelt und dessen Rezeptor blockiert. Es wird zur Behandlung des akuten Angioödems subcutan gespritzt und ist sehr teuer.

Der Summeneffekt ist also die Auslösung einer Entzündung, und die Verlegung von Blutgefäßen. Das ist auch bei einer Infektion sinnvoll, um die Verschleppung von Erregern mit dem Blut zu vermeiden. Der Flüssigkeitsstrom wird durch diese Maßnahmen ins Gewebe und von dort durch die Lymphknoten geleitet. Das hilft, die Infektion lokal zu begrenzen und erleichtert die Einleitung einer effizienten adaptiven Immunreaktion.

Die Aktivierung der Plasmaproteinsysteme ist in vieler Hinsicht eine Voraussetzung für den nächsten Schritt, das Aktivieren der zellulären Abwehrsysteme. Wie erkennen an der Entzündung beteiligte Zellen, dass sie aktiv werden sollen?

1.3  Aktivierung von zellen des nicht-adaptiven abwehrsystems, pattern recognition receptors

Neutrophile Granulozyten

Neutrophile Granulozyten können viele harmlose Bakterien direkt erkennen und phagozytieren, nicht jedoch die meisten Pathogene, die von einer Polysaccharidhülle umgeben sind, welche als "Tarnkappe" fungiert. Diese Erreger können nur nach Opsonisierung durch Komplement, oder später, nach einer adaptiven Immunantwort, durch die Kombination von Antikörpern und Komplement, erkannt und phagozytiert werden.

Wie kommen neutrophile Granulozyten, die sich ja zunächst im Blut befinden, ins Infektionsgebiet? Chemotaktisch wirkende Moleküle, z. B. C5a, Leukotrien B4, Makrophagen-Signalmoleküle wie Chemokin IL-8 oder TNFα sowie Bakterienbestandteile wie LPS (Lipopolysaccharide) gelangen zu den Endothelzellen der nächstliegenden Venolen und bewirken dort in einem größeren Gebiet die Neuexpression von Selektinen, Zell-Zell-Kontaktproteinen mit Affinität für Kohlehydrat-Einheiten. Schwache Interaktionen zwischen Selektinen und der Sialyl-Lewis-x-Einheit auf der Oberfläche der Neutrophilen führen zu einem dynamischen "Klettverschluss", der den Granulozyten der Gefäßwand entlangrollen lässt. Näher dem Kern des Infektionsgebietes exprimieren die Endothelzellen noch zusätzlich Zell-Zellkontaktmoleküle aus der Immunglobulin-Superfamilie, wie ICAM-1 und -2 (intercellular adhesion molecule). Diese werden durch Integrine auf der Zellmembran des neutrophilen Granulozyten gebunden, der dadurch zu rollen aufhört, fest anheftet und beginnt, sich zwischen den Endothelzellen durchzuquetschen. Nach der Extravasation wandert der Neutrophile, dem Gradienten der verschiedenen chemotaktisch wirkenden Moleküle folgend, ins Zentrum des Infektionsgebiets.

Neutrophile Granulozyten können nicht nur phagozytieren, sondern Pathogene auch außerhalb der Zelle bekämpfen, indem sie Teile ihres Inhalts in der Form von Enzym-beladenen DNA- bzw. Chromatin-Netzen (neutrophil extracellular traps, NET) nach außen werfen. Entweder die Zellen gehen dabei sofort zugrunde, oder sie werfen ihren Enzym-angereicherten Kern in einem Vesikel nach außen und phagozytieren noch eine Weile weiter. Nach der Ausübung ihrer Funktion gehen neutrophile Granulozyten, durch die Aggressivität ihrer antibakteriellen Mechanismen ohnehin irreversibel geschädigt, rasch in Apoptose und werden von Makrophagen  beseitigt.

Mastzellen

Mastzelldegranulation erfolgt durch physikalische Reize, wie Kratzen, Verletzung, Hitze, Kälte und mittelbar nach Komplementaktivierung über C5a. Später, im Rahmen einer adaptiven Abwehrreaktion, wird Histaminausschüttung durch Quervernetzung von IgE ausgelöst. Dieser Mechanismus ist die Grundlage der  allergischen Reaktionen vom Soforttyp.

Endothelzellen und Thrombozyten

Die Aktivierung von Endothelzellen und Thrombozyten sehen wir uns im Herz-Kreislauf-Zusammenhang näher an, um nicht allzu redundant zu werden.

Aktivierung von Makrophagen und dendritischen Zellen über pattern recognition receptors

Makrophagen und dendritische Zellen exprimieren mehrere Familien von pattern recognition receptors (PRRs), die Erreger-typische Strukturen, sogenannte pathogen-associated molecular patterns (PAMPs) direkt erkennen können. Viele dieser Rezeptoren befinden sich auf der Zellmembran:

·      Dazu gehören Rezeptoren der C-type lectin–Gruppe, die endständige Zuckereinheiten erkennen, die für Erregeroberflächen typisch sind. Dazu gehören der Mannoserezeptor sowie die für dendritische Zellen typischen Rezeptoren DC-SIGN und Langerin. Der "Mannoserezeptor" bindet, analog dem mannanbindenden Lektin, endständige Mannose, N-Acetylglucosamin und Fucose.

·      Die Gruppe der sogenannten Toll-like receptors(TLRs, Toll ist der erste beschriebene Rezeptor dieser Familie, ein Membranrezeptor der Fruchtfliege Drosophila) umfasst Rezeptoren für sehr verschiedene PAMPs. TLR4 oder LPS-Rezeptor bindet bakterielles Lipopolysaccharid, TLR1/TLR2 und TLR2/TLR6 bakterielle Lipopeptide oder Peptidoglykan, TLR5 bakterielles Flagellin. Eine Gruppe von Polynukleotid-erkennenden TLRs überprüft den Inhalt von Endosomen: TLR9 erkennt bakterielle DNA ohne die für humane DNA typischen CpG-Methylierungen, TLR3 virus-typische doppelsträngige RNA, TLR7 und -8 einzelsträngige RNA.

Drei weitere Familien von Rezeptoren erkennen PAMPS intrazellulär, im Zytoplasma. Sie werden nicht nur von Makrophagen und dendritischen Zellen, sondern auch von vielen anderen Zellarten exprimiert:

·      NOD-like receptors (NLRs): NOD1 und NOD2 erkennen z. B. Peptidoglykan-Bestandteile aus der bakteriellen Zellwand. Andere NLRs formen bei Aktivierung einen großen zytoplasmatischen Signal-Proteinkomplex, das Inflammasom, das dazu beiträgt, die Zelle zu aktivieren und mit Hilfe von Caspasen z. B. IL‑1β aus seinem inaktiven Vorläuferprotein herauszuschneiden. Gleichzeitig spalten die Caspasen auch Gasdermin D, ein zytosolisches Protein, das nach Spaltung Poren in der Membran bildet. Dadurch wird IL‑1β ausgeschleust, das stark entzündungsfördernd wirkt. Enstehen noch mehr Gasderminporen, kommt es durch Wassereintritt zum Aufschwellen der Zellen und einer entzündungsfördernden Form des programmierten Zelltodes, die wir Pyroptose nennen. Dieser Prozess ist wichtig, um Bakterien zu bekämpfen, die es sich im Zytosol gemütlich machen wollen. Ihre ökologische Nische wird aufgesprengt, die Bakterien dem Unbill von Komplement und Antikörpern sowie durch IL‑1β herbeigerufenen Phagozyten ausgesetzt. Manche NLRs erkennen nicht nur PAMPs, sondern auch DAMPS (danger associated molecular patterns), Muster, die für geschädigte oder sterbende körpereigene Zellen charakteristisch sind. Dazu gehören ein Abfall der intrazellulären K+-Konzentration oder das Auftreten von Harnsäurekristallen als Abbauprodukt von Purinbasen aus DNA. Sie stellen damit auch unspezifische Rezeptoren für die Situation "Gefahr für Zellen" dar.

·      RIG-like receptors (RLRs): Die zytoplasmatische RNA-Helicase RIG-I (retinoic acid inducible gene I) und ihre Verwandten wie MDA‑5 sind hingegen "Virusrezeptoren". RIG‑I erkennt einzelsträngige virale RNA an einem freien Triphosphat am 5'‑Ende –also ohne die für unsere mRNA typische cap-Struktur. MDA‑5 erkennt doppelsträngige RNA, die im Replikationszyklus vieler Viren auftritt, aber in unseren Zellen normalerweise nicht vorkommt. MDA-5 ist der Haupt-PRR zur Erkennung von SARS-CoV-2 in den Atemwegen und wird bei Kindern stärker exprimiert als bei Erwachsenen. So erfolgt bei Kindern eine raschere und intensivere Interferonantwort, die der Virusvermehrung entgegenwirkt. Das könnte der Grund dafür sein, dass Kinder nur selten manifest an COVID‑19 erkranken.

·      Cyclic GMP-AMP synthase (cGAS): Doppelsträngige DNA "gehört" in den Zellkern und in Mitochondrien. Sobald DNA im Zytosol auftaucht, ist irgendetwas schiefgegangen. Entweder ein Virus ist hereingekommen, oder die Zellorganisation ist grob durcheinandergeraten. Das Enzym cGAS erkennt zytosolische DNA und produziert aus GTP und ATP das zyklische Dinukleotid cGAMP. Dieses aktiviert das Protein STING (stimulator of interferon genes). Über den cGAS-STING pathway werden Interferongene und weitere Notfallprogramme aktiviert.

Wie wir gesehen haben, erkennen manche dieser Rezeptoren nicht nur PAMPs, sondern auch Veränderungsmuster, die entstehen, wenn in der Zelle gröbere Probleme auftauchen. Wird eine Zelle geschädigt, rinnt K+ aus. Zerfallen Zellkern oder Mitochondrien, taucht DNA im Zytosol auf. In Analogie zu PAMPS werden solche Muster DAMPs genannt (danger associated molecular patterns).

[Die PRRs sind entwicklungsgeschichtlich sehr alt. Sie waren offensichtlich ein Hauptwerkzeug in der Auseinandersetzung zwischen Vielzellern mit Bakterien. So enthält das Genom des Seeigels jeweils mehr als 200 Gene für Toll-like receptors und NOD-like receptors.]

Zusätzlich zu diesen "direkten" pattern recognition receptors wirken Komplementrezeptoren, die opsonisierte Bakterien erkennen, z. B. CR3 (CD11b/CD18) und CR4 (CD11c/CD18).

Die Bindung über diese Rezeptoren führt in Makrophagen zur Phagozytose und in der Regel zum intrazellulären Abbau der Bakterien. Damit verbunden ist eine fundamentale Änderung der Palette exprimierter Gene. Dies führt zur Differenzierung zu so genannten M1-Makrophagen und zur Aussschüttung von Zytokinen wie IL‑1β, TNFα , IL-6, IL‑8 und IL‑12/IL‑23, die andere Abwehrzellen herbeirufen und aktivieren sowie eine weitere Ebene der nichtadaptiven Abwehrreaktion, die Akutphasenreaktion, induzieren. Auch neue Membranproteine werden exprimiert, wie z. B. die B7-Moleküle (CD80 und CD86), die für die Einleitung einer adaptiven Immunreaktion benötigt werden.

Gegen Ende der Entzündung und in bestimmten anderen Situationen differenzieren Makrophagen zu M2-Makrophagen, die mit Faktoren wie IL‑10 zur Beruhigung beitragen und mit TGFβ Fibroblasten stimulieren und Reparatur fördern. Schießt diese Reaktion übers Ziel hinaus, kann dadurch eine Fibrose entstehen.

Dendritische Zellen

Was ist der Unterschied zwischen Makrophagen und dendritischen Zellen? Makrophagen stehen weiter auf der nicht-adaptiven Seite der Abwehr. Sie sind Schaufelbagger, die, wie ihr Name schon sagt, in der Lage sind, große Mengen von Bakterien oder Bruchstücken aus dem Weg zu räumen. Dendritische Zellen stehen weiter auf der Seite der adaptiven Immunantwort: ihre Hauptaufgabe ist es, antigenes Material zu sammeln, in den Lymphknoten zu bringen und dort T-Zellen zu präsentieren. Sie sind fähig, zu phagozytieren, erledigen aber nicht den Hauptteil dieser Arbeit. Viele Antigene nehmen sie durch Makropinozytose ("viel trinken") auf, einen Mechanismus, der die Aufnahme großer "Schlucke" gelösten Materials bedeutet. Virusinfektion dendritischer Zellen stellt eine dritte Art dar, Antigene "aufzunehmen". Dies ist notwendig, um eine effiziente adaptive antivirale Immunantwort einzuleiten, wie wir später sehen werden. Viele unserer dendritischen Zellen sind sehr langlebig und stammen aus frühen vorgeburtlichen Entwicklungsstadien: aus hämatopoetischen Zellen aus der Wand des Dottersacks oder der fetalen Leber. Später werden dendritische Zellen auch im Knochenmark produziert. Dendritische Zellen haben zwei sehr verschiedene Lebensabschnitte. Solange sie funktionell jung und unreif sind, wandern sie in die Peripherie des Organismus und sammeln "Zeug", doch fehlt ihnen die Fähigkeit, mit T-Zellen zu interagieren. Ihre Wanderung wird durch Chemokinrezeptoren bestimmt, mit denen sie Chemokinspuren in periphere Gewebe hinein verfolgen. Wenn es keine Herausforderungen gibt, sitzen manche (Langerhanszellen) sehr lange, manche nur wenige Tage in ihrem Zielgewebe; eine "traumatische" Infektion mit intensiver TLR-Aktivierung löst jedoch in jedem Fall einen plötzlichen Entwicklungsschub aus. Ausgereifte dendritische Zellen werden durch frisch exprimierten Chemokin-Rezeptor 7 (CCR7) in Lymphgefäße geführt, und in kurzer Zeit kommen sie im Lymphknoten an. Die gereiften dendritischen Zellen haben nun die Fähigkeit verloren, Antigene aufzunehmen; dafür exprimieren sie nun alle Oberflächenproteine, die für eine produktive Beziehung zu T-Lymphozyten notwendig sind, insbesondere MHC- und B7-Moleküle. Die Sekretion des Chemokins CCL18 macht die reifen dendritischen Zellen speziell attraktiv für junge, naive T-Zellen. Die Folgen dieser Beziehung hängen von der Chemie zwischen den beiden ab und sind ein eigenes Kapitel (2.12).

Wir beschäftigen uns hier nur mit conventional dendritic cells. Plasmacytoid dendritic cells sind speziell ausgestattet für Viruserkennung und sezernieren im Aktivierungsfall große Mengen an Interferon.

Innate lymphoid cells

Unser Abwehrsystem enthält Zellen, die im Mikroskop ununterscheidbar von B- und T‑Lymphozyten sind, aber weder B- noch T‑Zellrezeptor exprimieren. Wir nennen sie innate lymphoid cells. Diese Zellen reagieren z. B. auf Zytokine, die von Makrophagen und dendritischen Zellen sezerniert werden, und verstärken nicht-adaptive Abwehrmechanismen. Unser Bild dieser Zellen ist noch inkomplett; wir werden aus dieser Gruppe nur die natural killer cells näher besprechen.

1.4  Vasoaktive Amine

Histamin wird aus den Granula von Mastzellen ausgeschüttet.  Es entsteht durch Decarboxylierung der Aminosäure Histidin. Für Histamin gibt es vier Typen von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren der 7-TM-Rezeptorfamilie. Die Wirkungen im Rahmen der Entzündung, Gefäßerweiterung und Permeabilitätssteigerung, werden von H1-Rezeptoren vermittelt. Für die Permeabilitätssteigerung ist eine höhere Histaminkonzentration nötig als für die Gefäßerweiterung: um einen Herd mit aktivierten Mastzellen bildet sich also ein geröteter Hof mit einem ödematösen Zentrum, auf der Haut spricht man von einer "Quaddel". Über H4-Rezeptoren werden eosinophile Granulozyten und andere Abwehrzellen chemotaktisch angelockt.

Pharmakologische Querverstrebung: Blockade der H1-Rezeptoren ist ein häufig verwendetes Mittel zur Bekämpfung von unerwünschten Histaminwirkungen im Rahmen von Allergien und Reisekrankheit (spezifische H2-Rezeptorenblocker werden zur Verminderung der Säureproduktion von Belegzellen des Magens verwendet). Antihistaminika der ersten Generation haben die oft unerwünschte, manchmal auch erwünschte ZNS-Nebenwirkung, müde zu machen. Neuere Antihistaminika können die Bluthirnschranke kaum mehr passieren und haben diese Wirkung daher weniger oder nicht mehr.

Serotonin wird aus Thrombozyten ausgeschüttet, sobald diese aggregieren, und fördert wiederum die Aktivierung weiterer Plättchen sowie deren Fähigkeit, Gerinnungsfaktoren an ihre Oberfläche zu binden. Serotonin (5‑Hydroxytryptamin, 5‑HT) entsteht durch Decarboxylierung und Hydroxylierung aus der Aminosäure Tryptophan. Serotonin hat, je nach addressierten Rezeptoren, komplexe Wirkungen in Herz-Kreislaufsystem, im Magen-Darm-Trakt und im ZNS. Es wirkt über sieben Familien von Rezeptoren, von denen sechs G-Protein-gekoppelte Rezeptoren der 7-TM-Rezeptorfamilie sind.

Pharmakologische Querverstrebung: Triptane wie Eletriptan wirken als Agonisten an 5‑HT1B und 5‑HT1D –Rezeptoren. Sie werden zur Coupierung von Migräneanfällen eingesetzt. Sie wirken vasokonstriktiv und hemmen die Freisetzung von Neuropeptiden wie Substanz P und Calcitonin Gene-Related-Peptide (CGRP).


1.5  Lysosomale Enzyme

Proteasen (saure Hydrolasen, Kollagenase, Kathepsine, etc.) und bakterizide Proteine (Lysozym, Defensin, Myeloperoxidase zur Erzeugung von aktiven Sauerstoffverbindungen) dienen in erster Linie dazu, phagozytierte Erreger abzutöten und abzubauen. Da Parasiten etc aber auch zu groß sein können, um phagozytiert zu werden, werden diese aggressiven Enzyme auch nach außen freigesetzt und können so eigenes Gewebe schädigen.

1.6  Prostaglandine und Leukotriene

Prostaglandine und Leukotriene werden von vielen Zellarten aus Arachidonsäure synthetisiert, die als Fettsäure in Membran-Phospholipiden vorkommt. Bei Bedarf setzen Phospholipasen Arachidonsäure aus der Membran frei, die dann in zwei Richtungen weiter verstoffwechselt werden kann: durch Cyclooxygenasen in Richtung Prostaglandine, oder durch Lipoxygenase in Richtung Leukotriene. Zwei Cyclooxygenase-Isoenzyme werden unterschiedlich exprimiert und reguliert. COX1 wird in vielen Geweben konstitutiv exprimiert. Sie ist z. B. für den Schleimhautschutz des Gastrointestinaltrakts und für die Durchblutung der Nierenrinde und damit für die glomeruläre Filtrationsrate wichtig. COX2 wird bei Aktivierung der unspezifischen Abwehr induziert.

Prostaglandine haben eine kurze Halbwertszeit und beeinflussen damit hauptsächlich ihre direkte Umgebung. Sie haben in verschiedenen Geweben sehr verschiedene Funktionen: ihre Wirkungen als Entzündungsmediatoren sind nur ein Ausschnitt des Gesamtwirkungsspektrums. Ihre Wirkung kann daher nicht sinnvoll generalisiert beschrieben werden: sie hängt vom Gewebe, der Funktionssituation und den vorherrschenden unter den vielen möglichen Metaboliten ab.

Im Rahmen der Entzündung fördern Prostaglandine PGE2 und PGD2 die Vasodilatation  (die Zahl –2-- gibt lediglich die Anzahl der Doppelbindungen an). PGE2 trägt zur Schmerzempfindung bei, indem es die durch andere Schmerzauslöser (Bradykinin, Kalium) erzeugten Schmerzsignale potenziert. Gegensätzliche Wirkung auf die Blutgerinnung haben zwei weitere Prostaglandine: Thromboxan (in Thrombozyten) fördert Plättchenaggregation, Prostacyclin (im Gefäßendothel) hemmt sie.

Durch Wirkung im Hypothalamus trägt PGE2 auch zur Entstehung von Fieber bei. PGE2 entsteht dabei nach Fernwirkung von IL‑1β, IL-6 und TNFα lokal in den Endothelzellen des organum vasculosum laminae terminalis in der Vorderwand des dritten Ventrikels. Dadurch wird die Einstellung des Sollwerts im Hypothalamus erhöht. Fieber begünstigt die Infektionsbekämpfung, da bakterielle und virale Vermehrung verlangsamt werden, die Antigenverarbeitung dagegen beschleunigt. Fieber ist ein entwicklungsgeschichtlich alter Trick gegen Infektionen: bereits wechselwarme Fische schwimmen, wenn möglich, auf eine experimentelle Klebsiella-Infektion in wärmere Gewässer und haben so eine bessere Chance, die Infektion zu überleben. Es ist daher nicht gerechtfertigt, Fieber routinemäßig medikamentös zu senken.

Leukotriene C4, D4, E4 bewirken Bronchokonstriktion und erhöhte Gefäßpermeabilität. Sie tragen bei Asthma bronchiale wesentlich zur Entstehung des Krankheitsbildes bei. Leukotrien B4 wirkt chemotaktisch und aktivierend auf neutrophile Granulozyten.

Pharmakologische Querverstrebung: Im Bereich der Prostaglandine und Leukotriene gibt es vielfache pharmakologische Eingriffsmöglichkeiten:

Cortisol und andere Glucocorticoide hemmen bereits die Freisetzung von Arachidonsäure aus den Phospholipiden und damit sowohl Prostaglandin- als auch Leukotrienproduktion. Sie wirken damit stark entzündungshemmend.

Acetylsalicylsäure (Aspirin) und andere NSAIDs (non-steroidal anti-inflammatory drugs) hemmen Cyclooxygenasen und wirken damit entzündungshemmend, schmerzlindernd und fiebersenkend.  Da die klassischen COX-Hemmer unspezifisch beide Isoenzyme hemmen, ist ihre Anwendung mit typischen Nebenwirkungen verbunden. Dies betrifft einerseits Schleimhautschäden im Magen-Darm-Trakt, andererseits, besonders bei chronischer Anwendung, eine Nierenschädigung. Aus diesem Grund wurde versucht, möglichst spezifische COX2-Hemmer wie Celecoxib zu entwickeln, bei denen diese unerwünschten Wirkungen zuückgedrängt werden. Allerdings wurde der COX-2-Hemmer Rofecoxib vom Markt genommen, als sich herausstellte, dass seine Langzeiteinnahme das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall vergrößert.

Niedrige Dosen von Acetylsalicylsäure werden präventiv zur Vermeidung thromboembolischer Ereignisse eingesetzt. Den Mechanismus der Plättchenhemmung sehen wir uns in "Herz und Kreislauf" näher an.

Hemmung der Cyclooxygenase kann jedoch auch bewirken, dass Arachidonsäure eher in Richtung Leukotriene verstoffwechselt wird. Acetylsalicylsäure und andere COX-Hemmer können auf diese Art bei, wahrscheinlich auf genetischer Basis, empfindlichen Personen sogar einen Asthma-Anfall auslösen (NERD – NSAID exacerbated respiratory disease). Da Salicylate auch in Nahrungsmitteln vorkommen (z. B. in Rosinen, Orangen, Curry, Paprika) können bei empfindlichen Personen auch auf diese Weise Symptome ausgelöst werden (Salicylatintoleranz oder –pseudoallergie; Samter-Trias: ASS-Unverträglichkeit, Asthma, nasale/ethmoidale Polypen).

Auf der Leukotrien-Seite gibt es Rezeptorblocker (z. B. Montelukast) und Lipoxygenasehemmer (in Österreich, Deutschland, Schweiz nicht zugelassen), die vor allem in der Asthmatherapie Anwendung finden.

1.7  Plättchenaktivierender Faktor (PAF)

PAF ist ein Phospholipid, das von Thrombozyten, basophilen Granulozyten/Mastzellen, neutrophilen Granulozyten, Monozyten/Makrophagen und Endothelzellen synthetisiert werden kann. Es hat zahlreiche proinflammatorische Wirkungen, wie Plättchenaggregation, Gefäß-Permeabilitätssteigerung, Bronchokonstriktion und chemotaktische wie aktivierende Wirkung auf neutrophile Granulozyten.

1.8  Aktive Sauerstoffverbindungen

Werden neutrophile Granulozyten oder Makrophagen durch Phagozytose oder durch Entzündungsmediatoren wie PAF aktiviert, setzt sich das NADPH-Oxidase-Enzymsystem in Gang, das äußerst aggressive, kurzlebige Sauerstoffverbindungen produziert, wie z. B. das Superoxid-Anion-Radikal ( . O2), Wasserstoffperoxid (H2O2), Singulett-Sauerstoff (1O2), oder das Hydroxylradikal ( . OH). Mit Hilfe dieser Verbindungen wird durch ein weiteres Enzym, Myeloperoxidase, das Hypochlorit-Anion (OCl) generiert. Dieser explosionsartig ablaufende Vorgang wird als respiratory burst (oxidative burst) bezeichnet. Die entstehenden Verbindungen gehen chemische Reaktionen mit den umliegenden organischen Molekülen ein und wirken damit hochtoxisch. Der Mechanismus ist wesentlich zur Abtötung von Pathogenen, schädigt aber natürlich auch das eigene Gewebe. Über diesen Weg führt chronische Entzündung auch zu oxidativen Veränderungen von Nukleotiden und damit zur DNA-Schädigung, die ein gesteigertes Risiko für maligne Entartung mit sich bringt.

1.9  NO

Stickstoffmonoxid (NO) hat zwei Funktionen: es dilatiert Gefäße und es trägt zum Abtöten von Mikroben in Makrophagen bei. NO wird einerseits von Endothelzellen, andererseits von Makrophagen produziert.

Werden Endothelzellen  im Lauf der Entzündungsreaktion aktiviert, produziert die endotheliale NO-Synthase (eNOS) große Mengen NO, das auf die daneben liegenden glatten Muskelzellen wirkt und diese zur Relaxation bringt.

Makrophagen exprimieren normalerweise keine NO-Synthase. Werden sie aber durch Zytokine wie TNF-α oder γIFN aktiviert, induzieren diese iNOS (cytokine inducible NO-synthase), sodass antimikrobiell wirkendes NO produziert wird.

1.10  Zytokine und Chemokine

"Zytokin" ist ein etwas schwammig definierter Begriff. Es handelt sich um Polypeptid-Signalmoleküle, die besonders, aber nicht nur, von Zellen des Immunsystems produziert werden und die Funktion anderer Zellen beeinflussen. Ihre Funktion liegt in der Koordinierung von Abwehrmaßnahmen, ist aber von Molekül zu Molekül sehr heterogen, was sich auch in einer verwirrend unintuitiven Namensgebung niederschlägt: Hinter allen folgenden Bezeichnungen verbergen sich Zytokine: Interleukine, TNF–α (Tumor Necrosis Factor-α), Lymphotoxin, IFNγ (Interferon-γ), G-CSF (Granulocyte-Colony Stimulating Factor), GM-CSF (Granulocyte/Macrophage-Colony Stimulating Factor), c-kit-Ligand, TGF-β (Transforming Growth Factor-β).

Chemotaktisch wirkende Zytokine werden Chemokine genannt. Dies sind kleine (8-10 kDa) Proteine mit einer konservierten Struktur aus drei β-Faltblättern und einer C-terminalen α-Helix. Nach der Anordnung der für die Tertiärstruktur verantwortlichen Cysteine werden sie in vier Unterfamilien eingeteilt: CC, CXC, CXXXC und C. Um die Übersicht über die vielen im Lauf der Zeit charakterisierten chemotaktisch wirkenden Moleküle unterschiedlichster Bezeichnungen und ihre Rezeptoren zu bewahren, wurden folgende Konventionen eingeführt. Die Chemokine selbst werden nach ihrer Familienzugehörigkeit benannt, z. B. CCL2, CXCLn. L steht für Ligand, die Rezeptoren bekommen dafür ein R in ihre Kurzbezeichnung: z. B. CCR5, CXCRn. Auch die Rezeptoren haben untereinander ähnliche Struktur: es sind 7-Transmembran-Helix-(7-TM-)-Rezeptoren, die G-Protein-gekoppelt sind. Das Leitsystem von Chemokin-Gradientenfeldern und Chemokinrezeptoren ermöglicht, dass die richtigen Zellen des Immunsystems zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort eintreffen.

Betrachten wir als Beispiel den Zytokin-Cocktail, den Makrophagen als Reaktion auf ihre Aktivierung über pattern recognition receptors und die Aufnahme von Pathogenen sezernieren : TNFα, IL‑1β, IL-6, IL-8 und IL-12/IL-23.

IL-12 und das nahe verwandte IL‑23 aktivieren NK und ILC1 (natural killer und innate lymphoid cells-1)-Zellen und unterstützen die Differenzierung einer bestimmten Unterart von T-Lymphozyten (jeweils später erklärt in den Abschnitten 1.13 und 2.13).

IL-8 ist ein Chemokin mit dem systematischen Namen CXCL8, das über die Rezeptoren CXCR1 und -2 chemotaktisch auf z. B. neutrophile Granulozyten wirkt.

TNFα, IL‑1β und IL-6 arbeiten nicht allein, sondern im Team. Sie haben sowohl lokale, als auch Fernwirkungen. Um die Komplexität der Wirkungen von Signalmolekülen im Immunsystem einmal an einem Beispiel zu illustrieren, soll im nächsten Abschnitt stellvertretend für das Team TNF-α näher beschrieben werden, und zwar zuerst die Strategie hinter den Wirkungen des Moleküls, dann die praktische Umsetzung.

Pharmakologische Querverstrebung:

Einige Zytokine werden, gentechnisch hergestellt, als Medikamente eingesetzt, z. B. G-CSF zur Stimulation der Produktion von neutrophilen Granulozyten.

Etwas gegen Zytokine zu unternehmen ist eine Möglichkeit, unerwünschten Immunreaktionen entgegenzuwirken. Solche unerwünschten Immunreaktionen finden sich z. B. bei rheumatoider Arthritis, Psoriasis-Arthritis, Mb. Bechterew, bei Colitis ulcerosa und Mb. Crohn, bei atopischer Dermatitis und bei Alopecia areata. Cortisol und andere Glucocorticoide wirken stark immunsuppressiv. Ein Teil dieser Wirkung beruht darauf, dass Glucocorticoide die Expression zahlreicher Cytokine hemmen, z. B. TNFα, IL‑1β, IL-2, IL-8,... Auch rekombinante Proteine werden eingesetzt, um Zytokine zu inaktivieren und damit Teilaspekte einer Immunreaktion zu bremsen, ohne den Patienten der Gefahr einer vollständigen Immunsuppression auszusetzen. So wird anti‑TNFα-Therapie gegen Rheumatoide Arthritis, fistelbildenden Mb. Crohn und schwere Formen von Psoriasis eingesetzt. Viele Zytokine wirken über Rezeptoren, die mit Januskinasen gekoppelt sind. Januskinase-Inhibitoren wie Tofacitinib oder Ruxolitinib werden daher bei vielen entzündlichen Erkrankungen eingesetzt. Tocilizumab ist ein Antikörper, der den IL‑6-Rezeptor bindet und blockiert. Er wird gegen Rheumatoide Arthritis, weitere Arthritiden und Riesenzellarteriitis eingesetzt.

1.11  TNFα  und die Akutphasenreaktion

TNFα ist ein Zytokin, das von vielen Zellarten, aber besonders von Makrophagen und aktivierten T-helfer Typ1-Zellen (später erklärt) produziert wird. Praktisch alle Zellen scheinen Rezeptoren dafür zu haben. Eine Rezeptoraktivierung der Zielzelle führt schließlich zur Induktion von Genen, die zur Entzündungsreaktion oder Akutphasenreaktion beitragen.

Sinn des Moleküls:
Koordination der angeborenen, nichtadaptiven Immunreaktion.

Strategie:

 

Lokal:

Örtliche Begrenzung einer Infektion, Verstärkung der nicht-adaptiven Abwehrreaktion und Vorbereitung der adaptiven Immunreaktion. Der Flüssigkeitsstrom wird vom Gefäß ins Gewebe Richtung Lymphknoten umgeleitet. Die lokalen Blutgefäße werden durch Gerinnung verschlossen, sodass die Keime nicht mit dem Blutstrom verschleppt werden. Das verhindert die Entstehung einer Sepsis.

(Injiziert man ein Kaninchen lokal mit einem Bakterium, bleibt die Infektion auf den Bereich der Infektion beschränkt. Injiziert man jedoch zusätzlich anti-TNF-Antikörper, breitet sich die Infektion über das Blut in andere Organe aus.)

Misslingt die örtliche Begrenzung, hat dieselbe Wirkung von TNFα katastrophale Folgen: sie führt von einer Sepsis zum septischen Schock. Makrophagen  in Leber, Milz, Lunge und anderen Organen setzen so viel TNFα frei, dass im ganzen Körper die Gefäße permeabilisiert werden, das Plasmavolumen im Gewebe versackt und zusätzlich eine DIC (disseminierte intravasale Koagulation) ausgelöst wird.

(Bei Mäusen ohne funktionellen  TNFα-Rezeptor kommt es nie zu einem septischen Schock. Allerdings sind solche Mäuse auch nicht in der Lage, eine Infektion lokal zu kontrollieren.)

Systemisch:

Bei physiologischen Konzentrationen (nicht Freisetzung im ganzen Körper, sondern Ausschwemmung aus einem lokalen Entzündungsgebiet), und immer im Zusammenspiel mit IL‑1β und IL-6: Funktionsveränderungen in entfernten Organen, die die Infektionsbekämpfung fördern: Fieber, Akutphasenreaktion, Mobilisierung von Granulozyten, Bereitstellung der notwendigen  Aminosäuren und Energie, Krankheitsverhalten ("Rückzugsreaktion") zur Energieeinsparung: Schlaf, Appetitlosigkeit.

Praktische Umsetzung- Wirkungen:

 

Lokal:

·        aktiviert das Gefäßendothel (Induktion von Oberflächenproteinen auf Endothelzellen →Adhäsion von Leukozyten) und erhöht die Permeabilität der Gefäßwand

·        induziert lokale Thrombozytenaggregation und den Verschluss der Entzündungsgefäße durch Gerinnung. Die beiden Effekte erleichtern den Ausstrom von Komplement, IgG  ins Gewebe, erleichtern das Auswandern von Zellen und bewirken einen verstärkten Lymphstrom zu den Lymphknoten—das  Einschwemmen von Erregern in oder außerhalb von Phagozyten in die Lymphknoten kurbelt eine adaptive Immunreaktion an.

·        induziert gemeinsam mit IFNγ iNOS (induzierbare NO-Synthetase) in Makrophagen; NO wirkt stark antimikrobiell und gefäßerweiternd durch Relaxation  der glatten Muskelzellen

·        induziert Cylooxygenase und Lipoxygenase (Prostaglandine und Leukotriene)

·       induziert Proteasen ­ Matrix-Metalloproteasen wie Kollagenase und Stromelysin ­, die Schneisen in die extrazelluläre Matrix schlagen, damit Abwehr-Zellen schneller durchkommen. Unausweichlich führt das aber auch oft zu starker Gewebsschädigung.

·        stimuliert Fibroblastenproliferation zur anschließenden Reparatur dieser Schäden

Systemisch:

·        ZNS: Schlafbedürfnis, Appetitlosigkeit; Hypothalamus: Fieber.

·        Leber: Akutphasenreaktion: Steigert die Produktion von Akutphasenproteinen wie Fibrinogen (das durch Gerinnung verbraucht wird), CRP und MBL. In Summe lassen sich diese Veränderungen der Plasmaproteinzusammensetzung in einem einfachen Test abschätzen: als erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG). CRP (C-reaktives Protein) bindet den Phosphorylcholin-Anteil bestimmter Lipopolysaccharide in der Zellwand von Bakterien und Pilzen und aktiviert Komplement auf dem klassischen Weg durch Bindung von C1q. MBL (mannanbindendes Lektin) bindet an Mannosereste auf der Oberfläche vieler Bakterien und ähnelt in seiner dreidimensionalen Struktur C1q, ohne eine Sequenzhomologie mit diesem Molekül zu haben. Es aktiviert MASP1- und -2, die C4 und C2 spalten. Beide Moleküle, CRP und MBL, verhalten sich damit wie "Universalantikörper", die Komplement aktivieren und zu einer Opsonisierung der Erreger führen. Das ist schon ein oder zwei Tage nach einer Infektion möglich, während die dieselbe Aufgabe erfüllenden Antikörper erst später erscheinen. Das Akutphasen-Peptid Hepcidin blockiert den Eisenexporter Ferroportin auf der Membran von Makrophagen. Eisen ist ein limitierender Faktor für viele Pathogene (z. B. Staphylokokken, Streptokokken, Pilze), sodass durch das "Wegsperren" von Eisen in Makrophagen ein Abwehrvorteil erreicht werden kann. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass TNFα, IFNγ und direkte TLR4-Aktivierung die Expression von Ferroportin in Makrophagen herunterregeln. Während der akuten Infektion hat der so ausgelöste "innere Eisenmangel" keine negativen Effekte auf den Organismus; eine chronische Infektion kann jedoch über eine anhaltende innere Eisenfehlverteilung zu einer Anämie führen, da das Eisen so nicht nur den Pathogenen, sondern auch der eigenen Erythropoese fehlt.

·        Knochenmark: Mobilisierung von neutrophilen Granulozyten

·        Fett, Muskeln: Mobilisierung von Energie

·        Suppression der Lipoproteinlipase (LPL): keine neue Speicherung von Energie

All diese Effekte vergrößern die Chance, die Infektion erfolgreich abzuwehren, und bringen Zeitgewinn, um die adaptive Immunreaktion auf Touren zu bringen. Es gibt aber Erkrankungen, bei denen das potente TNF-α mehr Schaden als Nutzen verursacht. Die Induktion von Proteasen in Entzündungszellen  kann z. B. zur lokalen Gewebsdestruktion führen, wie bei Rheumatoider Arthritis oder bei Mb. Crohn mit Fistelbildung. Es gibt mehrere gentechnisch hergestellte Moleküle, die TNF-α binden und inaktivieren und erfolgreich zur Behandlung dieser Erkrankungen angewendet werden (siehe Abschnitt 4.4).

Ein Spezialfall: nicht-adaptive Abwehr gegen Viren

Viren sind von  der menschlichen Abwehr offensichtlich schwerer zu erkennen als Bakterien. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass sie meist in menschlichen Zellen entstehen und ihre Oberfläche damit weniger fremd wirkt als die von Bakterien, Pilzen oder Parasiten.

1.12  Typ-I-Interferone

Interferone erhielten ihren Namen für ihre Fähigkeit, mit der Virusvermehrung zu interferieren. Abhängig von der für ihre Charakterisierung verwendeten Zellart wurden ursprünglich drei Typen von Interferonen benannt: α, β und γ. Bei IFNγ handelt es sich aus heutiger Sicht eher um eine Fehlbenennung, da die meisten Funktionen dieses wichtigen Zytokins nicht direkt mit Viren zu tun haben; es wird später erklärt. IFNα und –β, sowie später entdeckte ähnliche Signalproteine wie IFN-w, sind dagegen nahe verwandt und binden an denselben heterodimeren Rezeptor. Sie wurden daher unter dem Namen Typ-I-Interferone  zusammengefasst. Ebenfalls später wurden Interferone gefunden, die hauptsächlich von dendritischen Zellen in Schleimhäuten gebildet werden, ähnlich wirken wie Typ‑I-Interferone, aber an einen anderen Rezeptor binden. Diese, Varianten von IFN-l, werden als Typ‑III-Interferone zusammengefasst.

Typ-I-Interferone sind Signalmoleküle, die von einer virusbefallenen Zelle sezerniert werden und das Ziel haben, die weitere Verbreitung des Virus in Nachbarzellen einzudämmen. Damit wird wieder Zeit gewonnen, um eine noch effektivere, adaptive Immunantwort gegen das Virus hochzufahren.

Bei der Vermehrung vieler Virusarten kommt es zu einem Stadium, in dem längere doppelsträngige RNA auftritt. Dieser Typ RNA existiert sonst nicht in menschlichen Zellen, wo nur kurze doppelsträngige Abschnitte zwischen Schleifen der einzelsträngigen RNA vorkommen. Das Auftreten längerer doppelsträngiger RNA-Abschnitte ist damit ein für eine Virusinfektion typisches pathogen-associated molecular pattern, das die Expression und Sekretion von Typ-I-Interferonen zur Folge hat. Doppelsträngige RNA in Endosomen wird durch TLR3 erkannt, doppelsträngige RNA im Zytosol durch das RIG-like receptor-Protein MDA‑5. In der Folge werden interferon regulatory factors wie IRF3 und IRF7 phosphoryliert und in den Kern transloziert, wo sie als Transkriptionsfaktoren die Expression der Interferongene hochfahren.

Auch einzelsträngige virale RNA kann eine Interferonantwort auslösen. RNA mit freien 5'-Triphosphat-Enden im Zytosol –also ohne die für unsere mRNA typische cap-Struktur-- wird durch den Namensgeber der  RIG-like receptors, RIG-I erkannt. RIG-like receptors werden von praktisch allen Zellen exprimiert.

Ein anderes Alarmsignal für möglichen Virusbefall ist das Auftauchen von DNA im Zytosol. Cyclic GMP AMP synthase (cGAS) ist ein zytosolisches Enzym, das erst durch Bindung von DNA aktiv wird und aus einem GTP und einem ATP das zyklische Doppelnukleotid cGAMP herstellt. Dieses aktiviert das Adaptorprotein STING (STimulator of INterferon Genes), das einen Proteinkomplex koordiniert, der schließlich zur Aktivierung von Transkriptionsfaktoren wie IRF3 führt, welche die Interferongene anschalten.

Typ I-Interferone nützen der virusbefallenen Zelle wenig. Sie warnen jedoch die Nachbarzellen, sodass eine Umgebung eintsteht, welche die Virusvermehrung behindert. Aktivierung des Typ-I-Interferonrezeptors der umliegenden Zellen führt über einen Jak/STAT (signal transducer and activator of transcription)-Signaltransduktionsweg zur Expression bestimmter Gene, die eine Virusvermehrung in diesen Zellen behindern.

Eines der induzierten Proteine ist eine Kinase (PKR), die durch doppelsträngige RNA stimuliert wird und ein für den Vorgang der Translation am Ribosom benötigtes Protein, Initiationsfaktor eIF2, durch Phosphorylierung deaktiviert. (Zu kompliziert? Egal- das Wesentliche steht im nächsten Satz:) Die Proteinsynthese der Zelle, und damit auch die Virusproteinsynthese, wird dadurch gehemmt.

Ein anderer antiviraler Mechanismus wird durch die Induktion des Enzyms Oligoadenylatsynthase (OAS) aktiviert. Dieses Enzym wird durch doppelsträngige RNA als Cofaktor aktiviert und polymerisiert ATP zu ungewöhnlichen,  2´-5´-verbundenen Oligomeren (Nukleinsäuren polymerisieren sonst ja mit 3´-5´-Querverstrebungen). Diese 2´-5´A-Oligomere aktivieren RNase L, die virale RNA, aber auch zelluläre RNA, darunter auch mRNA für Zytokine, abbaut.

IFN-α induziert zudem eine Reihe weiterer antiviral wirksamer Proteine, aber auch Proteine, die wichtig für die später folgende adaptive Immunreaktion gegen das Virus sind. Dazu gehören MHC Klasse I-Moleküle (siehe Abschnitt 2.10) und Bestandteile des Antigen-prozessierenden Proteasoms. Die erhöhte MHC-I-Expression schützt gleichzeitig nichtinfizierte Zellen vor aktivierten NK-Zellen.

Typ-I-Interferone aktivieren, wie IL-12, NK-Zellen.

Zusammenhang Oligoadenylatsynthase/RNAse L und MIS-C: Multisystem inflammatory sydrome in children (MIS-C) ist eine seltene, aber schwere Reaktionsform von Kindern auf eine SARS-CoV‑2-Infektion. Zwei bis vier Wochen nach der Infektion entwickeln die Kinder persistierendes hohes Fieber, häufig akute Bauchschmerzen mit Diarrhoe und Erbrechen, Gliederschmerzen, Ausschlag, generalisierte Lymphknotenschwellung, Schwäche, Blutdruckabfall, manchmal bis zu Schock und Multiorganversagen. Genetisch bedingte Minderfunktion von OAS oder RNase L kann zu diesem Syndrom beitragen. Der Mechanismus: wenn das System auf Infektion hin nicht anspringt, wird in den Entzündungszellen — Makrophagen — auch die mRNA für Zytokine langsamer als im Normalfall abgebaut. Durch überschießende Zytokinproduktion im ganzen Körper entsteht eine Multisystementzündung.

Pharmakologische Querverstrebung: Auch Interferone werden therapeutisch angewendet. Ein Einsatz gegen Viruserkrankungen erscheint zunächst logisch, doch Interferone sind sehr teuer und haben beträchtliche unerwünschte Wirkungen, z. B. grippeartige Symptome nach der Injektion oder nach längerer Anwendung Anämie oder Depression. Die Anwendung von IFN-α war daher auf lebensbedrohliche Viruserkrankungen, speziell Hepatitis C beschränkt. Inzwischen ist Hepatitis C durch den Einsatz von spezifischen Virusreplikationshemmern mit viel geringeren Nebenwirkungen heilbar, sodass IFN‑α kaum mehr eingesetzt wird.

Andere Anwendungen haben nichts mit Viren zu tun, lassen sich aber durch die beschriebenen Effekte erklären. Hemmung der Proteinsynthese und Abbau der zellulären RNA ergeben in der Summe einen immunbremsenden Effekt. IFN-β wird bei der schubförmig-remittierenden Verlaufsform der Multiplen Sklerose zur Verminderung der Schübe angewendet.

Auf Messers Schneide: Das Kräftemessen zwischen SARS CoV‑2 und Typ‑I-Interferonen

Warum erkranken viele Menschen gar nicht oder nur leicht an COVID‑19, andere lebensbedrohlich? In einem Teil der Fälle liegt die Ursache in der Interferonantwort. Menschen mit angeborenen Fehlern in der Interferonantwort (z. B. weniger aktive Varianten von TLR3, IRF7 oder einer Kette des Interferonrezeptors) erkranken oft schwer an COVID. Dasselbe gilt für Menschen, die das Pech haben, ihr Interferon mit Autoantikörpern zu neutralisieren – das sind ganz überwiegend ältere Männer. Wenn also das Interferonsystem rasch und stark anspringt, wie bei den allermeisten Kindern, hat das Virus keine Chance. Wenn die Interferonantwort allerdings schwächer oder langsamer ausfällt, schlägt das Virus zurück: Es bringt nämlich eine Reihe von Werkzeugen mit, um die Interferonantwort zu unterdrücken. So hemmt nsp6 (non-structural protein 6) die Phosphorylierung von IRF3, und ORF6 (open reading frame 6) hemmt den Import von IRF3 in den Zellkern. Auch die Interferon-Signaltransduktion durch STAT-Proteine wird durch eine Reihe von Virusproteinen unterdrückt. Gelingt es also SARS CoV‑2, anfangs rasch zu replizieren, hat umgekehrt das Interferonsystem keine Chance mehr.

Auch andere genetische Faktoren beeinflussen die Empfänglichkeit gegenüber SARS CoV-2. Menschen mit dem HLA-Allel B*15:01 zeigen häufig asymptomatische Verläufe, Menschen mit Varianten im Transkriptionsfaktor FOXP4 entwickeln häufiger Long-COVID-Symptome.

 

1.13  NK-Zellen

Natural killer- (NK-)-Zellen ähneln morphologisch und in der Funktion zytotoxischen T-Lymphozyten, exprimieren jedoch nicht den Rezeptor (T-Zell-Rezeptor, siehe unten), mit dem zytotoxische T-Zellen Zielzellen identifizieren. Sie zählen daher zu den innate lymphoid cells. Wie erkennen sie also zu killende Zellen? Eine der Zelleigenschaften, die NK-Zellen aktivieren, bezeichnen wir mit dem Schlagwort missing self oder altered self .

NK-Zellen sind von Bedeutung für die Abwehr bestimmter Viren, z. B. Herpesviren, in der Frühphase der Infektion, aber auch für die Abwehr anderer infektiöser Agentien sowie für die Elimination entarteter Zellen in der Tumorabwehr. Sie haben zwei Arten von Rezeptoren: aktivierende und hemmende. Die hemmenden Rezeptoren erkennen MHC-I-Moleküle (siehe Abschnitt 2.10). Erkennt die NK-Zelle also einen normalen MHC-I-Besatz auf der von ihr "kontrollierten" Zelle, lässt sie diese in Ruhe. Fehlt jedoch MHC-I, oder ist dieses verändert (gleichbedeutend mit missing oder altered self; MHC-I=self), erkennt die NK-Zelle ihr Gegenüber nur durch die aktivierenden Rezeptoren und löst in der Zielzelle Apoptose aus.

Viele Viren hemmen die MHC-I-Expression der von ihnen befallenen Zellen. Das ist für sie insoweit ein Selektionsvorteil, als damit während der adaptiven Immunantwort die Erkennung durch zytotoxische T-Zellen behindert wird. Mit dieser Strategie machen sie sich jedoch durch NK-Zellen angreifbar.

NK-Zellen können aber auch über andere Mechanismen aktiviert werden. Viele Zellen exprimieren in bestimmten Stress-Situationen Liganden wie MICA  (MHC I-chain-related A) für einen aktivierenden Rezeptor der NK-Zellen, NKG2D (natural killer group 2, member D). In manchen Fällen löst onkogene Transformation eine solche intrazelluläre Stress-Situation aus. Eine sehr starke Expression aktivierender Liganden kann NK-Zellen dazu bringen, solche "zweifelhaften" Zellen aus dem Verkehr zu ziehen.

Außer durch direkten Kontakt mit der Zielzelle können NK-Zellen auch durch Zytokine, vor allem IL‑12, aktiviert werden. Umgekehrt kann die Wirkung von NK-Zellen auf Zielzellen ebenfalls durch ein von ihnen sezerniertes Zytokin, Interferon‑γ (IFNγ), vermittelt werden. Adressaten von IFNγ sind hauptsächlich Makrophagen, die dadurch nicht getötet, sondern zu besonderer Aktivität angespornt werden. Dieser Mechanismus ist z. B. in der frühen Abwehrphase gegen das von der Sandmücke übertragene, sich intrazellulär in Makrophagen vermehrende Protozoon Leishmania von Bedeutung: dendritische Zellen aktivieren NK-Zellen über IL‑12. NK-Zellen versuchen, über IFNγ die Makrophagen wachzurütteln, damit diese die Leishmanien abtöten. Zuvor werden die Makrophagen nämlich durch Tricks der Leishmanien in eine Art "Halbschlaf" gelullt.

Obwohl NK-Zellen primär Teil des nicht-adaptiven Immunsystems sind, können sie auch durch Antikörper zu Zielstrukturen geführt werden. Dieser Mechanismus wird als antibody-dependent cytotoxicity (ADCC) bezeichnet.


2.  DIE ADAPTIVE IMMUNANTWORT

Ein Hauptproblem der Abwehr besteht darin, dass verschiedene Erregertypen in unterschiedlichen Lokalisationen auftreten:

extrazellulär:     im Gewebe: Bakterien, Viren

                        auf Epitheloberflächen: Candida, Darmpathogene

intrazellulär:      im Zytoplasma: replizierende Viren, manche Bakterien

                        in Vesikeln: manche Bakterien, z. B. Mycobakterien

Für all diese unterschiedlichen Lokalisationen musste die Evolution funktionierende Abwehrmechanismen entwickeln.

Zur Bekämpfung extrazellulär auftretender Erreger dienen in erster Linie Antikörper.

2.1  Antikörper

Ein Antikörper (=Immunglobulin) besteht aus zwei leichten (vom Typ κ oder λ, kodiert auf Chromosom 2 bzw. 22) und zwei schweren Polypeptidketten (vom Typ μ, γ, δ, α oder ε, kodiert auf Chromosom 14), die durch Disulfidbrücken verbunden sind. Je nach Typ der schweren Kette spricht man von IgM, IgG, IgD, IgA oder IgE. Bei IgM sind zusätzlich fünf solcher Grundeinheiten zu einem sehr großen Molekül zusammengefaßt.

Einige notwendige Begriffe:

Funktionell besteht ein Antikörper aus einer variablen und einer konstanten Region. Während die konstante Region unveränderbar im Genom verankert ist, wird die variable Region durch einen einzigartigen Prozess, der als Rearrangement bezeichnet wird, neu gebildet. Die variable Region dient der Bindung des Antigens.

Als Antigen wird alles bezeichnet, was eine adaptive Immunreaktion auslösen kann. Die chemische Zusammensetzung ist von geringer Bedeutung. Antigene können Polypeptide, Kohlenhydrate, Fette, Nucleinsäuren, und (seltener, als man annimmt!) Kunststoffe sein.  Sie müssen aber eine gewisse Größe haben. Sehr kleine Moleküle wirken nur antigen, wenn sie an ein größeres Trägermolekül gekoppelt sind. Man nennt sie in diesem Fall Haptene. Antikörper erkennen größere, dreidimensionale Oberfächenstrukturen. Oft hat ein Makromolekül mehrere solcher Strukturen, sogenannte antigene Determinanten oder Epitope, die unabhängig voneinander Antikörperbildung auslösen. Umgekehrt können zwei in der Primärstruktur ganz unterschiedliche Moleküle trotzdem vom selben Antikörper erkannt werden, wenn ihre Oberflächenstruktur zufällig sehr ähnlich ist. In diesem Fall spricht man von einer Kreuzreaktion des Antikörpers. T-Lymphozyten erkennen eine andere Art von Epitopen: lineare Peptide von 8 bis 20 Aminosäuren.

Entsteht ein Antikörper mit einer nennenswerten Affinität gegen ein Makromolekül des eigenen Organismus, sprechen wir von einem Antoantikörper; das entsprechende Makromolekül bezeichnen wir als Autoantigen.

Jene Antigene, die im Gefolge einer Organtransplantation zu einer Abstoßungsreaktion führen, bezeichnen wir als Histokompatibilitätsantigene. Deren wichtigste Gruppe wird auf einem relativ kleinen Abschnitt des kurzen Arms des Chromosoms 6 kodiert. Dieser Abschnitt wird deshalb als major histocompatibility complex (MHC) bezeichnet. Alle übrigen Gene, deren Varianten zu einer Abstoßung beitragen können, fallen in die Gruppe der minor histocompatibility genes.

Spaltet man Antikörper mit einer bestimmten Protease, kann man Bruchstücke erzeugen, die das jeweilige Antigen binden (die sogenannten Fab-Fragmente, Fraction antigen binding) und Bruchstücke, die das entgegengesetzte Ende des Antikörpers repräsentieren. Da diese Fraktion leicht zu kristallisieren war, wurden die Fragmente Fc-Fragmente genannt (Fraction crytallizable). Viele Zellen des Immunsystems haben Rezeptoren, die diesen "Rückteil" des Antikörpers binden: sogenannte Fc-Rezeptoren. Individuell werden sie nach der schweren Kette benannt, die sie binden: Fcγ-R (für IgG), Fcα-R (IgA), Fcα/µ-R (IgA und IgM), Fcε-R (IgE). Mit Fc-Rezeptoren erkennen und binden diese Zellen Antigen-Antikörperkomplexe nach dem Klettverschlussprinzip. Freie Antikörper werden von den Fc-Rezeptoren nicht gebunden. Eine Ausnahme sind Mastzellen, die über ihren hochaffinen Fc-ε-Rezeptor auch freie (nicht an ein Antigen gebundene) IgE an ihre Oberfläche binden.

2.2  Wie tragen Antikörper zur Abwehr bei?

Bakterien, Viren und Parasiten sind generell antigen. Nach einer Verzögerung von mindestens fünf Tagen, die wir mit Hilfe der unspezifischen Abwehrmechanismen überstehen müssen, produzieren wir spezifische Antikörper. Diese binden die Pathogene. Aber was nützt uns das?

Abhängig von der Natur des Pathogens können Antikörper auf mindesten fünf Arten nützen:

·        Neutralisierende Antikörper bei Viren

·        Neutralisierung von Toxinen

·        Komplement-Lyse von Bakterien über den klassischen Weg

·        Opsonisierung ("zu einem Leckerbissen machen") von Bakterien

·        ADCC (antibody-dependent cellular cytotoxicity) NK-Zellen erkennen über ihren Fc-Rezeptor Zellen, die Antikörper gebunden haben, und töten diese ab. Das können Virus-befallene Zellen sein, die Virus-Hüllproteine auf ihrer Oberfläche tragen.

Neutralisierung bedeutet, das Virus oder das Toxin so mit Antikörpern zu spicken, dass es nicht mehr an seinen Rezeptor binden kann. Impfungen, die neutralisierende Antikörper induzieren, gewähren meist sehr effektiven Schutz.

Um eine Zelle zu "betreten", dockt ein Virus an einem spezifischen Oberflächenprotein an, das wir seinen Rezeptor nennen. Natürlich ist es nicht die eigentliche Aufgabe dieses Proteins, einem Virus Einlass zu gewähren; seine physiologische Aufgabe ist eine ganz andere. So missbraucht z. B. HIV (human immunodeficiency virus) das Lymphozyten-Transmembranprotein CD4 als Rezeptor. CD4, das wir im Abschnitt 2.9 näher kennenlernen werden, ist wichtig für die Funktion von Lymphozyten. Für manche Viren (leider nicht für HIV) ist es möglich, neutralisierende Antikörper zu erzeugen: entweder durch die Infektion selbst, oder durch Impfung. Dieser Mechanismus liegt der sehr effektiven Impfung gegen Hepatitis B zugrunde. Der Impfstoff besteht aus dem gentechnisch hergestellten Hüllprotein des Virus, dem HBs-Antigen, und induziert neutralisierende Antikörper dagegen. Wenn später ein Hepatitis B-Virus in den Körper gelangt, wird es sofort mit den herumschwimmenden Antikörpern gespickt. Unfähig, an seinen Rezeptor zu binden und in die Leberzelle zu gelangen, bleibt es vollkommen harmlos und wird bald phagozytiert und abgebaut.

Manche bakterielle Erkrankungen wie Tetanus oder Diphtherie werden nicht so sehr durch die Bakterien selbst, sondern durch deren Toxine ausgelöst. Auch diese Toxine missbrauchen zelluläre Oberflächenproteine als Rezeptor und verändern dadurch die Zellfunktion zu ihren Gunsten. Säuglinge, die mit inaktivierten Versionen dieser Toxine geimpft werden, bilden dagegen neutralisierende Antikörper. Infiziert sich das Kind später mit einem solchen Bakterium, merkt es das nicht einmal, denn die Krankheits-auslösende Toxinmoleküle werden sofort durch Antikörper gebunden, sodass sie nicht mehr an ihre Rezeptoren binden können: sie werden neutralisiert.

Komplementaktivierung über den klassischen Weg:

IgM und zwei Subklassen  von IgG aktivieren Komplement, indem sie mit ihrer Fc-Domäne C1q binden. Diese Bindung ist nur möglich, nachdem die betroffenen Antikörper an ihr Antigen gebunden  haben— sich also ein "Immunkomplex" gebildet hat; freie Antikörper in Lösung können Komplement nicht aktivieren. Mit Hilfe der C1-Komponenten C1r und C1s sowie den Faktoren C4 und C2 wird die aktive C3-Konvertase des klassischen Wegs gebildet, die aus den Spaltprodukten C4b und C2b besteht. Ab der C3-Konvertase läuft die Komplementaktivierung immer gleich ab, unabhängig davon, über welchen Weg sie in Gang gebracht wurde.

Komplementrezeptoren, die im Fall des alternativen Wegs hauptsächlich zur Phagozytose opsonisierter Bakterien dienten, sind im Fall des klassischen Wegs auch für die Beseitigung von Immunkomplexen wesentlich. CR1 kommt auch auf Erythrozyten vor und bindet dort Immunkomplexe via C3b. In Milz und Leber entfernen Phagozyten diese Immunkomplexe, ohne die Erythrozyten dabei zu beeinträchtigen. Ist das System überlastet, lagern sich Immunkomplexe in Basalmembranen von Gefäßen ab und können so zu Krankheitserscheinungen führen.

2.3  Immunglobulinklassen (Isotypen)

IgM, ein Pentamer aus fünf Standardantikörpereinheiten, wird im Zug einer akuten Infektion als erstes gebildet. Es kann daher zum Nachweis einer erst kürzlich erfolgten Infektion herangezogen werden. IgM wirkt sehr stark komplementaktivierend: während bereits ein einziges IgM-Molekül den Start der Komplementkaskade bewirken kann, sind im Fall von IgG mehrere Moleküle im richtigen Abstand notwendig, was die Wahrscheinlichkeit der Aktivierung wesentlich herabsetzt. Durch seine Größe gelangt IgM nur schlecht  aus den Gefäßen in den interstitiellen Raum.

IgG ist das "Standardmodell" des Antikörpers. Es erscheint im Verlauf einer Immunantwort später als IgM und tritt in vier Subklassen auf (IgG1-IgG4), von denen IgG1 und IgG3 Komplement binden. IgG wird als einzige Antikörperklasse aktiv über die Plazentabarriere transportiert; die auf das Kind übertragenen IgG stellen nachgeburtlich für 2-3 Monate einen wichtigen Schutz für das Neugeborene dar. IgG erreichen hohe molare Konzentrationen im Serum-- eine Voraussetzung für effektive Neutralisation von Viren oder Toxinen. Die Halbwertszeit von IgG beträgt im Blut etwa 21 Tage, die von IgM nur etwa die Hälfte.

IgA, von dem es zwei Subklassen gibt (IgA1 und IgA2), kommt im Blut als Monomer vor; seine Hauptfunktion ist aber der Schutz "äußerer" Oberflächen des Organismus. Plasmazellen in der Submucosa, z. B. des Dünndarms oder in Speicheldrüsen, sezernieren dazu zwei durch eine J (joining)-Kette verbundene IgA-Moleküle. Dieses Dimer wird mittels des Poly-Ig-Rezeptors der Epithelzelle gebunden und in einem Vesikel transzytotisch duch die Zelle ins Lumen geschleust. Ein Teil des Rezeptors wird beim Ausschleusevorgang abgeschnitten und bleibt als secretory component (SC) am IgA-Dimer. SC schützt das sekretorische IgA (sIgA) vor Proteasen im Darm und ist stark glykosyliert. Das führt dazu, dass sIgA in der dünnen Schleimschicht über dem Epithel konzentriert bleibt. Dort verhindert es, dass Viren, Bakterien und Toxine an ihre Rezeptoren binden können, ein Mechanismus, der immune exclusion genannt wird und der Neutralisierung ähnelt. Secretory component schützt auch das in der Muttermilch enthaltene sIgA vor dem sauren Milieu im Babymagen, das sonst Immunglobuline rasch degradiert.

IgE wurde von der Evolution zur Bekämpfung von Parasiten (Würmern und Protozoen) entwickelt. Seine Fc-Domäne bindet schon im freien Zustand an den Fc-ε-Rezeptor von Mastzellen. Gerät z. B. ein Wurm an eine so bestückte Mastzelle, bewirkt die Quervernetzung von benachbarten IgE-Molekülen die Ausschüttung von präformierten Granula, die unter anderem Histamin und weitere für eosinophile Granulozyten chemotaktisch wirkende Moleküle enthalten. Die über H1-Rezeptoren eingeleitetete Entzündung  erleichtert das Herankommen von über H4-Rezeptoren chemotaktisch angelockten eosinophilen Granulozyten, die wiederum über ihren Fc-ε-Rezeptor an den mit IgE gespickten Wurm binden und den toxischen Inhalt ihrer Granula darüber ausschütten. In den westlichen Industriestaaten ist die Prävalenz von Parasiteninfektionen relativ niedrig. Das an und für sich nützliche IgE wird häufig dadurch zum Problem, dass das Immunsystem z. B. harmlose eingeatmete Gräserpollen mit einem gefährlichen, zu bekämpfenden Parasiten verwechselt. Heuschnupfen oder Asthma bronchiale sind die Folge.

Pharmakologische Querverstrebung: Omalizumab bindet den Fc-Teil von IgE und verhindert damit, dass IgE sich auf Mastzellen setzen kann.

IgD tritt gemeinsam mit IgM intermediär auf der Oberfläche von B-Lymphozyten im Lauf der Reifung zu Plasmazellen auf, und wird in geringen Konzentrationen auch im Serum gefunden. Eine Abwehrfunktion für das Molekül ist heute nicht bekannt.

2.4  Antikörper-Diagnostik:

Es ist sowohl möglich, die Konzentration einer gesamten Klasse von Immunglobulinen zu messen (z. B. Gesamt-IgE im Serum) als auch spezifisch die Konzentration von Antikörpern gegen ein bestimmtes Antigen. In diesem Fall wird die Konzentration häufig noch mit der alten Bezeichnung "Titer" angegeben. Der Titer eines Antikörpers ist diejenige Verdünnung eines Serums, in der der Antikörper mit der jeweiligen Testmethode gerade noch nachgewiesen werden kann. Der Ursprung dieses vielleicht eigenartig erscheinenden Systems liegt in Testmethoden, die keine quantitativen, sondern nur ja/nein-Antworten zulassen, wie die Komplement-Bindungsreaktion, die nur eines der beiden Resultate "Lyse" oder "Nichtlyse" von Erythrozyten ergeben kann. Zur Veranschaulichung: man stelle sich eine Verdünnungsreihe eines Serums vor: 1:10 – 1:20 – 1:40 –1:80 – 1:160 – 1:320. Wenn der Antikörper in den Verdünnungen 1:10 bis 1:160 jeweils nachweisbar ist, nicht aber in der Verdünnung 1:320, wäre der Titer dieses Antiköpers 1:160. Oft wird der Titer als reziproker Wert ausgedrückt: man spricht also von einem "Titer von 160".

Von den zahlreichen Techniken, die es erlauben, Antikörperkonzentrationen zu messen, sollen nur drei kurz skizziert werden: ELISA, Western Blot und Immunfluoreszenz. Für alle drei benötigt man als Werkzeug sogenannte monoklonale Antikörper.

Um biologische Moleküle nachzuweisen, wurden anfänglich Antisera verwendet. Man immunisierte zunächst ein Versuchstier, z. B. ein Kaninchen, mit dem nachzuweisenden Molekül und verwendete dann das Serum dieses Versuchstiers, das nun Antikörper gegen das nachzuweisende Molekül enthielt, als Werkzeug in immunologischen Tests. Ein solches Antiserum, im Laborjargon auch als "polyklonaler Antikörper" bezeichnet, ist allerdings kein Präzisionswerkzeug: es enthält ein Sammelsurium an Antikörpern gegen alle Antigene, mit denen das Versuchstier vorher in Berührung gekommen war. Diese Nebenspezifitäten können das Testergebnis völlig verfälschen.

Monoklonale Antikörper

Ein monoklonaler Antikörper vermeidet diese Probleme, da er eine Vervielfältigung des Produkts einer einzigen B-Zelle darstellt. Seine Herstellung ist allerdings sehr aufwendig. Zunächst wird eine Maus mehrfach mit dem nachzuweisenden Molekül, z. B. humanem IgM, immunisiert. Dann wird ihr die Milz entnommen, die nun zahlreiche B-Zellen enthalten sollte, die Antikörper gegen humanes IgM produzieren. Nähme man diese Zellen in Kultur, würden sie bald sterben. Um sie unbeschränkt teilungsfähig zu machen, werden sie mit einer Mäusetumorzellinie fusioniert. Durch die Fusion der beiden Zellarten in einer Gewebekulturflasche entstehen verschiedene Produkte: die gewünschten B-Zell-Tumorzell-Fusionen, aber auch B-Zell-B-Zell-Fusionen sowie Tumor-Tumor-Zellfusionen; nebenbei bleiben viele Zellen unfusioniert. Ziel des nächsten Schrittes ist, nur die "richtig" fusionierten Zellen, also B-Zell-Tumorzellfusionen, weiter zu kultivieren. Untereinander fusionierte oder unfusionierte Zellen aus der Milz stellen kein Problem dar: sie sind ohnehin nur begrenzt teilungsfähig und sterben dann ab. Tumor-Tumorzellfusionen oder unfusionierte Zellen werden mit einem Trick beseitigt: die gewählte Mäusetumorzellinie hat einen Defekt im Gen für das Enzym Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltranferase (HGPRT), das dazu benötigt wird, Purinbasen wiederzuverwerten. Diese Tumorzellen sind daher auf ständige Neusynthese von Purinen angewiesen, für die sie Tetrahydrofolsäure benötigen. Der Trick besteht nun darin, die Regeneration von Tetrahydrofolsäure durch den Folsäureantagonisten Aminopterin zu blockieren.  Nach der Fusion werden alle Zellen in einem Medium kultiviert, das Hypoxanthin (als Ausgangsmaterial für das Recycling), Aminopterin und Thymidin (für dessen Produktion auch Tetrahydrofolsäure notwenig wäre) enthält: dem HAT-Medium. Tumorzellen und Tumor-Tumor-Zellfusionen sterben nun durch Purinmangel ab; B-Zell-Tumorzell-Fusionen benützen die aus der B-Zelle stammende intakte Kopie des HGPRT-Gens, um aus Hypoxanthin wieder Purinnukleotide herzustellen und können so proliferieren. Auf diese Weise besteht die Zellkultur nach einiger Zeit nur mehr aus den gewünschten B-Zell-Tumorzell-Fusionen, die nun über unbegrenztes Teilungspotential verfügen. Allerdings werden nur wenige dieser Zellen den gewünschten Antikörper herstellen.

Um diese einzelnen Zellen zu finden und von den anderen abzutrennen wird nun eine sogenannte limiting dilution durchgeführt: die Zellen werden mit viel Medium verdünnt und so auf Mikrotiterplatten aufgeteilt, dass in jedem einzelnen Mikrozellkulturgefäß höchstens eine Zelle sitzt. Wenn diese Zelle proliferiert, sitzen in jedem Gefäß nur die identischen Nachkommen dieser ersten Zelle: die Zellen in jedem Gefäß sind monoklonal. Um aus den zu diesem Zeitpunkt bestehenden hunderten Zellklonen jene zu finden, die den richtigen Antikörper produzieren, wird das Medium jedes Zellklons auf Bindung des ursprünglichen Antigens, in unserem Beispiel humanes IgM, getestet. Der positive Zellklon wird anschließend in großem Maßstab kultiviert. Da er den gewünschten Antikörper kontiuierlich ins Medium abgibt, kann man nun beliebige Mengen dieses monoklonalen Antikörpers herstellen. Damit ist es theoretisch nur einmal nötig, durch den aufwendigen Herstellungsprozess zu gehen. Monoklonale Antikörper für die meisten diagnostisch wichtigen Makromoleküle sind heute kommerziell erhältlich. Monoklonale Antikörper werden auch therapeutisch eingesetzt. Da sie jedoch meist aus der Maus stammen, würden sie eine Immunreaktion im Menschen auslösen. Aus diesem Grund müssen die für die Antigen-Bindung nicht benötigten Regionen eines solchen Antikörpers mit gentechnischen Methoden durch die entsprechenden menschlichen Sequenzen ersetzt werden. Man spricht in diesem Fall von einem humanisierten monoklonalen Antikörper.

ELISA

Antikörperkonzentrationen können mit vielen Methoden gemessen werden; die gebräuchlichste ist heute die Messung mittels ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay). Ein Test zur Bestimmung von IgM gegen ein bestimmtes Virus zum Nachweis/Ausschluß einer rezenten Infektion würde folgendermaßen ablaufen: Zunächst werden die Reagenzröhrchen einer Mikrotiterplatte mit dem nachzuweisenden Antigen, in unserem Beispiel dem Virusprotein, beschichtet; das Virusprotein bindet sich dabei an das Plastik des Röhrchens. Dann werden mehrere Serumverdünnungen des zu untersuchenden Patienten in einzelne beschichtete Röhrchen gegeben. Sind Antikörper gegen das Virusprotein in diesem Serum enthalten, binden sie daran. Ungebundene Serumbestandteile werden anschließend weggewaschen. Schließlich wird ein Enzym-markierter (enzyme-linked) monoklonaler Antikörper gegen humanes IgM zugegeben. Ist IgM aus dem Patientenserum an das Virusprotein gebunden, bindet nun auch der monoklonale Antikörper mit dem daran hängenden Enzym. Ist kein IgM gebunden, wird auch der monoklonale Antikörper im anschließenden Waschprozess wieder weggewaschen. Der Nachweis von IgM erfolgt durch Zugabe eines farblosen Substrats, das durch das Enzym in einen Farbstoff umgesetzt wird; die Färbungsintensität wird photometrisch gemessen. Ist die Flüssigkeit in den Röhrchen des Patienten gefärbt, enthält sein Serum IgM gegen das Virus; bleibt sie farblos, ist kein virusspezifisches IgM in seinem Serum vorhanden.

Western Blot (Immunoblot)

Manchmal, z. B. in der HIV-Diagnostik, wird zum Nachweis von Antikörpern auch die Western Blot-Technik eingesetzt. HIV-Proteine werden durch die Seife SDS in Lösung gebracht und denaturiert, über ein Gel elektrophoretisch aufgetrennt und anschließend auf eine Membran übertragen (blot=Löschpapier). Die Membran mit gebundenen Virusproteinen wird dann gleich behandelt wie die Virusprotein-beschichtete Mikrotiterplatte im vorher beschriebenen ELISA: die Membran wird zunächst mit Patientenserum, dann mit einem Enzym-markierten monoklonalen Antikörper inkubiert. Sind Antikörper gegen das HIV-Virus im Patientenserum vorhanden, ergeben sich farbige Banden auf der Membran.

Immunfluoreszenz

Möchte man wissen, ob sich Patienten-Antikörper gegen bestimmte Zell- oder Gewebsstrukturen richten, eignet sich die Methode der Immunfluoreszenz. Zum Nachweis von anti-nukleären Antikörpern (ANA), die bei manchen Autoimmunerkrankungen eine Rolle spielen, kann man Zellen oder einen Gewebsschnitt auf einen Objektträger bringen und mit Patientenserum inkubieren. Binden sich Antikörper aus dem Patientenserum an die Zellkerne, werden sie wieder mit einem markierten monoklonalen Antikörper nachgewiesen. Die Markierung erfolgt in diesem Fall allerdings mit einem sogenannten Fluorochrom, einem Farbstoff, der nach Anregung mit einem kürzerwelligen Licht längerwelliges Fluoreszenzlicht emittiert. Im positiven Fall leuchten die Zellkerne im Fluoreszenzmikroskop also farbig auf; im negativen Fall –keine antinukleären Antikörper vorhanden— bleiben sie dunkel. Anti-nukleäre Autoantikörper binden in vivo natürlich nicht an Zellkerne und sollten eigentlich gar nicht entstehen. Sie können aber Autoantigene aus dem Zellkern, wie DNA oder Histone, binden, wenn diese aus nicht-apoptotisch untergehenden Zellen frei werden. Die entstehenden Immunkomplexe können dann Erkrankungen wie systemischen Lupus erythematodes auslösen.

Immunelektrophorese

Diese Untersuchung eignet sich besonders, um das globale Vorhandensein von Antikörpern zu überprüfen. Serum des Patienten wird zunächst in einem Gel normal elektrophoretisch aufgetrennt. In eine parallel zur Auftrennungsrichtung verlaufende Rinne wird anschließend Kaninchen-anti-Humanserum gefüllt. Die Kaninchen-Antikörper diffundieren von der Seite auf die aufgetrennten humanen Serumproteine zu und formen mit diesen am Äquivalenzpunkt sichtbare Präzipitate. Die Präzipitationslinien für IgG, IgM und IgA geben Auskunft über das Vorhandensein dieser Antikörperklassen im untersuchten Serum.

2.5  Die Entstehung der Vielfalt der Antikörper

Wie ist es möglich, dass ein Mensch gegen praktisch jedes in der Welt vorkommende Antigen Antikörper bilden kann?  Polypeptidketten sind genetisch kodiert, aber das menschliche Genom enthält nur ca. 25.000 Gene. Selbst wenn ein großer Teil davon Antikörperketten kodierte, würde diese Zahl bei weitem nicht ausreichen.

Die Antwort auf diese Frage: Die Vielfalt entsteht durch rearrangement (somatische Rekombination). Zur variablen Region eines Antikörpers steuert sowohl die schwere Kette, als auch die leichte bei. Nun ist der variable Anteil der Kette nicht einfach als Ganzes in der DNA kodiert, sondern in getrennt liegenden Teilsegmenten. Für die variable Region der schweren Kette gibt es drei getrennte Segmente: V, D und J (variable, diversity, joining). Jedes dieser Segmente ist nicht als Unikat vorhanden, sondern in 40 (V), 25 (D) und 6 (J) sehr ähnlichen, aber doch unterschiedlichen Variationen. Ein fertiger, für eine variable Region kodierender Genabschnitt wird dadurch "zusammengewürfelt", dass nach dem Zufallsprinzip ein V-Segment mit einem D-Segment und einem J–Segment rekombiniert wird. Ein Enzymkomplex, der die RAG-Proteine (Recombination Activating Gene) enthält, erkennt so genannte recombination signal sequences (RSS) und schneidet die dazwischenliegenden DNA-Stücke heraus. Normale DNA-Reparaturproteine fügen die Gensegmente zusammen. Rein durch das Zusammenfügen dieser Bausteine gibt es also 40x25x6=6000 verschiedene Möglichkeiten, eine schwere Kette zusammenzustellen. Aber das ist noch nicht alles. Bei der Rekombination kommt es, durch das Enzym terminale Desoxynucleotidyl-Transferase, zum Hinzufügen einiger Basen zwischen den drei Segmenten, was zu enormer zusätzlicher Variabilität führt (junktionale Variabilität oder imprecise joining).

Sinngemäß derselbe Vorgang läuft an den Genorten der leichten Kette ab, doch gibt es dort keine D-Segmente. Für κ und λ-Lokus zusammen existieren 320 Möglichkeiten, Gensegmente für eine leicht Kette zusammenzufügen. Die Kombination von schwerer mit leichter Kette im fertigen Antikörper stellt einen zusätzlichen Mechanismus zur Generierung von Variabilität dar. Allein, wenn man die möglichen Würfelergebnisse in der Rekombination von schweren und leichten Ketten berücksichtigt, also ohne imprecise joining, ergeben sich bereits 6000x320=1,9x106 verschiedene Antikörpermoleküle.

Diese Prozesse der somatischen Rekombination erfolgen in unreifen B-Zellen im Knochenmark. Durch das imprecise joining kommt es selbstverständlich regelmäßig (statistisch in 2 von 3 Fällen) vor, dass der korrekte offene Leseraster im neu zusammengesetzten Gen verloren geht. Dadurch sind zusätzliche Qualitätskontrollmechanismen notwendig. Das erfogreiche rearrangement eines produktiven Schwerkettengens wird z. B. durch eine spezielle Kinase, BTK (Bruton's tyrosine kinase), signalisiert. Ein fehlendes Signal über die BTK impliziert Leserasterverschiebungen auf beiden Schwerketten-Loci. Da eine B-Zelle in diesem Moment nutzlos wird, ist sie darauf programmiert, automatisch in Apoptose zu gehen; nur B-Zellen mit BTK-Signal können sich weiter entwickeln. So wird eine B-Zelle mit einem funktionierenden Antikörper fertiggestellt. Solange dieser Antikörper in der Zellmembran verankert ist, wird er als B-Zell-Rezeptor bezeichnet. Der Unterschied zwischen B-Zell-Rezeptor und sezerniertem Antikörper liegt in einer Transmembrandomäne am Ende der schweren Kette, die durch alternative splicing angefügt werden kann; ist sie vorhanden, bleibt der Antikörper in der Membran hängen, fehlt sie, wird er sezerniert.

Pharmakologische Querverstrebung: Ein Hemmer der Bruton-Tyrosinkinase, Ibrutinib, wird zur Behandlung von CLL und weiteren Non-Hodgkin-Lymphomen vom B-Zelltyp eingesetzt.

Im Lauf einer längerdauernden Immunantwort tritt ein weiterer Mechanismus auf, der die Variabilität noch steigert und erlaubt, besonders affine Antikörper zu entwickeln: somatische Hypermutation. In B-Zellen, die in den Keimzentren von Lymphfollikeln rasch proliferieren, treten somatische Mutationen an bestimmten Stellen mit dem Tausendfachen der normalen Rate auf. Dieser Vorgang führt zu Punktmutationen in den Kodons, die für die direkt mit dem Antigen interagierenden Proteinschleifen kodieren (complementarity determining regions oder hypervariable regions).

Welcher Mechanismus steckt hinter dieser lokal stark gesteigerten Mutationsrate in B-Zellen? Für alle Zellen gilt, dass die spontane Deaminierung von Cytosin zu Uracil durch Hydrolyse einen der häufigsten DNA-Schäden darstellt. Ausschließlich B-Zellen exprimieren ein Enzym, das diesen Prozess noch gezielt beschleunigt: activation-induced cytidine deaminase (AID). Das geschieht nur in intensiv transkribierten Regionen, da die DNA-Einzelstränge voneinander getrennt sein müssen, damit das Enzym zugreifen kann. Die Deaminierung entspricht einer Punktmutation: während Cytosin mit Guanin paart, bildet Uracil zwei Wasserstoffbrücken mit Adenin aus. Sekundäre Reparaturprozesse –Uracil ist in DNA ja nicht "erlaubt"— führen zu weiteren Austauschmöglichkeiten. Einzelne dieser Punktmutationen werden die Affinität des betroffenen Antikörpers steigern, und die entsprechende B-Zelle in die Lage versetzen, eher am Antigen festzuhalten und länger ein Proliferationssignal zu bekommen. Über einen längeren Zeitraum fördert der Mechanismus der somatischen Hypermutation daher die Entstehung affinerer Antikörper.

Zusammenfassend tragen also vier Mechanismen zur Generierung der Vielfalt der Antikörper bei:

·        die kombinatorische Vielfalt innerhalb der Ketten

·        die kombinatorische Vielfalt durch Kombination von schweren und leichten Ketten

·        die junktionale Variabilität (imprecise joining)

·        die somatische Hypermutation

[In eckiger Klammer- geistige Anregung, kein Prüfungsstoff:

Die Vielfalt der Antikörper entsteht also durch eine Art DNA-Zufallsgenerator. Eigentlich ist das ein Widerspruch in sich, da DNA ja dazu dient, genetische Information möglichst unverändert weiterzugeben. Wie kann in diesem System ein Zufallsgenerator entstehen?

Vergleicht man verschiedene Spezies, findet man, dass alle Wirbeltiere von den Fischen aufwärts eine Form dieses RAG-basierten Zufallsgenerators zur Unterstützung der Infektionsabwehr benützen. Alle Wirbeltiere? Nicht ganz! Einige wenige "primitive" kieferlose Fische, wie die Neunaugen oder Schleimaale, verfügen nicht darüber.

Betrachten wir unser Genom, ist das keine sparsam und elegant designte High-Tech-Maschine, sondern eher eine unübersichtliche Anhäufung uralter Sedimente. Es enthält, zwischen aktiven Genen und diese teilweise überlagernd, zahlreiche und meist durch Mutation inaktivierte Kopien von molekularen "Unsinnmaschinen" wie Retroviren und Transposons.

Was sind molekulare Unsinnmaschinen? Stellen Sie sich eine Maschine vor, die nichts anderes kann als Kopien von sich selbst herzustellen. Sind genügend Ressourcen vorhanden, führt das in kurzer Zeit zu einer Lawine von Maschinenkopien. Viren sind im Prinzip nichts anderes als das. Eine andere Form von Unsinnmaschine ist eine DNA-Einheit, die die genetische Information zur Herstellung von Enzymen enthält, die diese Einheit aus der umgebenden DNA herausschneiden und woanders wieder einpflanzen kann. Diese Form nennen wir Transposon.

Im Silur, also vor 440 bis 420 Millionen Jahren, passierte in einem Fisch folgender genetischer "Unfall": in das Gen für ein Transmembranprotein setzte sich ein aktives Transposon. Au weh! Das Gen wurde dadurch zerstört. Es konnte allerdings wieder "geheilt" werden, wenn das Transposon sich wieder herausschnitt.

Durch viele Verdoppelungen und Mutationen entstanden aus diesem Kern unsere Antikörper- und T-Zell-Rezeptorgenloci. B- oder T-Zellrezeptor entsprechen dabei dem ursprünglichen Transmembranprotein, die RAG-Proteine entsprechen den "Herausschneide-Enzymen" des Transposons. In den meisten Fällen ist nur die linke und rechte Begrenzung des Transposons übriggeblieben: kurze Basensequenzen, die wir nun als recombination signal sequences (RSS) bezeichnen. Nur mehr eine Transposonkopie im menschlichen Genom enthält noch aktive Nucleasen: die beiden kleinen RAG-Gene liegen eng nebeneinander auf Chromosom 11 und ihr kodierender Teil enthält, äußerst ungewöhnlich für menschliche Gene, keine Introns.

Dieser genetische "Unfall" ermöglichte also den Zufallsgenerator im adaptiven Immunsystem. Diese "Erfindung" ergab in der Evolution durch verbesserte Infektabwehr einen so ausgeprägten selektiven Vorteil, dass die Nachkommen dieses Fisches alle anderen Wirbeltiere, mit Ausnahme der Neunaugen und Schleimaale, verdrängten.]

 

Isotypenwechsel (class switch)

Durch Schneiden und Zusammenfügen von DNA geschieht auch der Wechsel von IgM, das ja in der Immunantwort zunächst gebildet wird, zu IgG oder einer anderen Immunglobulinklasse (Isotypenwechsel oder class switch). Die Genabschnitte für die konstanten Regionen der schweren Ketten liegen in einem großen Cluster auf Chromosom 14. Den VDJ-Genabschnitten am nächsten liegt das Gen für die konstante Region der µ-Kette, das zunächst exprimiert wird, gefolgt von denen für δ, γ, α und ε. Wenn im Verlauf der Immunantwort ein class switch eingeleitet wird, werden z. B. die Gene für die konstante Region von μ und δ herausgeschnitten, sodass die unveränderte VDJ-Kombination nun neben dem Gen für die konstante Region von γ zu liegen kommt. Das führt dazu, dass nun ein IgG gebildet wird, dessen variable Region, und damit Antigenspezifität, ident ist mit der des vorher gebildeten IgM. Analog können, wenn dies im Verlauf einer Immunantwort notwendig wird, IgA und IgE gebildet werden. Die Steuerung für den class switch erfolgt dabei durch Zytokine, die hauptsächlich von T-Zellen stammen.

Class switch erfolgt örtlich und zeitlich parallel zur Hypermutation, im Keimzentrum von Sekundärfollikeln, und beide Prozesse werden durch dasselbe Enzym, AID, initiiert. AID führt in den sogenannten switch regions der Schwerkettengene, die während der Transkription leicht einzelsträngige Schleifen bilden, zu einer Deaminierung von Cytosin zu Uracil. Uracil stellt in DNA eine "falsche Base" dar, die auch an anderen Stellen des Genoms manchmal durch spontane hydrolytische Deaminierung von Cytosin entsteht. Über den für diesen Fall vorgesehenen normalen Reparaturmechanismus wird die DNA an diesen Stellen geschnitten: Zuerst entfernt das Enzym UNG (Uracil-N-Glykosylase) das Uracil, dann die Endonuclease APE1 (apurinic/apyrimidinic endonuclease 1) auch noch die Desoxyribose, sodass ein "Loch" im Einzelstrang entsteht. Passiert dasselbe wenige Nucleotide weiter auch am Gegenstrang, resultiert ein DNA-Doppelstrangbruch. Zwei auf diese Weise gleichzeitig induzierte Doppelstrangbrüche können dazu führen, dass die Reparaturenzyme des NHEJ (non-homologous end-joining)-Systems die peripheren Fragmente unter Entfernung der  dazwischenliegenden Schwerkettengene µ und δ (und eventuell weitere) wieder aneinanderhängen. Das bestehende, rearrangierte VDJ-Exon wird damit neben Exons gesetzt, die die konstante Region einer schweren γ‑Kette (seltener α- oder ε‑Kette) kodieren.

2.6  Wie werden nützliche von nutzlosen oder sogar schädlichen Antikörpern unterschieden?

Die Mechanismen zur Erzeugung der Antikörpervielfalt stellen eine Art Zufallsgenerator dar. Zu erwarten ist, dass wenige nützliche (abhängig von unvorhersehbaren zukünftigen Infektionen), viele nutzlose und auch einige gefährliche Antikörper entstehen, die Strukturen des eigenen Körpers angreifen könnten.

Zellklone, die Antikörper produzieren, die ubiquitäre körpereigene Antigene erkennen, werden in einem frühen Entwicklungsstadium abgetötet (klonale Deletion), werden dazu gebracht, eine andere leichte Kette auszuprobieren (receptor editing) oder in ein Stadium gebracht, in dem sie zwar bestehen bleiben, aber nicht mehr reagieren können (zentrale Anergie). Stark quervernetzende Selbst-Moleküle führen zu klonaler Deletion oder zu receptor editing, schwach quervernetzende zu zentraler Anergie. Das Resultat dieser Mechanismen ist in jedem Fall, dass die betreffenden Zellen nicht in Funktion gesetzt werden; wir nennen es central tolerance. Diese Schutzmechanismen zur Autoimmunitätsverhinderung funktionieren allerdings nicht perfekt, sodass es trotzdem zur Ausbildung von Autoantikörpern kommen kann, besonders gegen nicht-quervernetzende Selbststrukturen. In der Regel ist das nicht so tragisch, da diese B-Zellen gewöhnlich keine T‑Zellhilfe bekommen.

Die Unterscheidung zwischen nützlichen und nutzlosen Antikörpern wird durch das Antigen getrieben. Tritt eine Infektion ein, treffen antigene Viren oder Bakterien auf eine große Population von B-Zellen mit jeweils verschiedenen Antikörpern, die als "B-Zellrezeptor" zunächst nur auf der Zelloberfläche sitzen. Hat der  B-Zellrezeptor von einer der Millionen B-Zellen zufällig die Eigenschaft, ein Antigen auf dem Erreger zu binden, wird diese B-Zelle zur raschen Proliferation angeregt, während alle anderen B-Zellen unbeeinflusst bleiben. Diesen Vorgang bezeichnet man als "klonale Selektion": das Antigen "sucht sich die B-Zelle mit dem passenden Antikörper aus" und regt diese zur Bildung eines Klons von Tochterzellen an, die alle denselben "nützlichen" Antikörper bilden.

Da unser Immunsystem dauernd mit der Abwehr unterschwelliger Infektionen beschäftigt ist, tragen wir insgesamt ziemlich viele Klone "nützlicher" B-Zellen mit uns, sodass, wenn wir die Gesamtheit der B-Zellen betrachten, der Anteil der "nützlichen" Zellen daran doch wesentlich höher ist, als nach dem Zufallsgeneratorprinzip der Antikörpergenerierung zu erwarten wäre.

2.7   T-Zell-Hilfe

Wegen der Gefahr der Bildung von Autoantikörpern und Gründen der Regulierbarkeit wäre es offensichtlich gefährlich, wenn der Kontakt des Antigens mit dem B-Zellrezeptor schon ausreichen würde, um die Produktion einer massiven Menge dieses Antikörpers auszulösen. Es bedarf deshalb, analog der Entsicherung einer Pistole, der Erfüllung weiterer Bedingungen, um die Antikörperproduktion in Gang zu setzen. Diese weiteren Bedingungen werden mit dem Kürzel "T-Zell-Hilfe" bezeichnet.

Ausnahmen sind die so genannten T-Zell-unabhängigen Antigene. Diese meist linearen Antigene mit repetitiven Epitopen sind in der Lage, mehrere B-Zell-Rezeptoren quer zu vernetzen oder zusätzlich pattern recognition receptors zu aktivieren. Durch diese Art der B‑Zell-Aktivierung kommt es aber nur zur Bildung von IgM, und diese Antikörper sind meist von geringer Affinität. Class switch und Affinitätsreifung sind ohne T-Zell-Hilfe nicht möglich.

Um die Funktion von T-Zellen und das Zusammenspiel von T-Zellen mit anderen Zellarten zu verstehen, ist es zunächst nötig, sich mit den Organen des Immunsystems, dem T-Zellrezeptor und dem MHC vertraut zu machen.

2.8  Organe des Immunsystems

Man bezeichnet Knochenmark und Thymus als zentrale Organe des Immunsystems, da hier aus hämatopoetischen Vorläuferzellen aus dem Knochenmark neue, "naive" B- und T-Zellen gebildet werden; die somatischen Rekombinationsprozesse zur Bildung der Antikörper- und T-Zellrezeptorvielfalt laufen hier ab, ebenso der Prozess der klonalen Deletion autoreaktiver Lymphozyten. T-Zellen haben ihren Namen vom Thymus; B-Zellen den ihren eigentlich von einem spezialisierten Organ im Huhn, der bursa fabricii. Dieses Organ existiert beim Menschen nicht; die entsprechenden Vorgänge laufen im Knochenmark ab. Praktischerweise passt der Name immer noch: B- wie bone marrow.

Der Thymus entsteht embryonal aus den 3. Schlundtaschen (ist also entodermalen Ursprungs), mit zwei Divertikeln, die sich in der Mitte vereinigen und nach kaudal wandern, bis das Organ auf dem Herzen aufsitzt.

Beim komplexen DiGeorge-Syndrom – 1:4000, autosomal dominant, doch sind >90% de novo-Mutationen – kann diese Entwicklung durch eine 30-50 Gene umfassende Deletion auf 22 q11 gestört sein. Durch meotisches misalignment zwischen zwei low copy number repeats gehen etwa 3 Millionen Basenpaare verloren. Außer dem Thymus fehlen dann manchmal auch die aus derselben Schlundtasche stammenden Epithelkörperchen, sodass es neben T-Zell-Defekten auch zu einer Hypokalzämieneigung kommen kann. Auch Herzfehler, Fehler der großen Gefäße und Lippen-Kiefer-Gaumenspalten treten auf. Haploinsuffizienz welcher der betroffenen Gene ist für diese Veränderungen verantwortlich? Zu den Kandiaten gehört TBX‑1; Die T-box –Familie von Transkriptionsfaktoren hat wichtige Funktionen in der Embryogenese.

Der Thymus ist bei Kindern und Jugendlichen sehr zellreich. Bei Erwachsenen werden immer größere Areale durch Fettgewebe ersetzt. Da Erwachsene bereits viele Infektionen durchgemacht haben und deshalb memory cells (später erklärt) gegen diese infektiösen Agentien parat halten, ist der Bedarf nach neuen T-Zellen geringer als bei jungen Leuten.

Fertige, naive B- und T-Zellen, sowie Vorstufen von APC (antigen presenting cells) aus dem Knochenmark wandern aus den zentralen Organen aus, durchwandern im Fall von T-Zellen und APC die Gewebe und treffen sich in den peripheren lymphatischen Organen wieder: Lymphknoten, GALT/Peyer-Plaques und Mandeln, BALT, Milz.

Lymphknoten haben einen Lymph-Zu- und -Abfluss. Der Zufluss der periphersten Lymphknoten besteht aus der interstitiellen Gewebsflüssigkeit, die aus den Kapillaren abfiltriert wurde. In diesem Strom werden dauernd "dendritische Zellen", spezialisierte APC, wie die Rücktransportform der Langerhans-Zellen der Haut, antigenbeladen in den Lymphknoten geschwemmt. Im regionalen Lymphknoten besteht damit zu jeder Zeit ein Abbild der antigenen Situation im Einstromgebiet. Im Fall einer entzündlichen Infektion werden auf diesem Weg außerdem Erreger direkt in den Lymphknoten geschwemmt und hier sowohl von B-Zellrezeptoren gebunden, als auch von  Makrophagen aufgenommen, abgebaut und präsentiert. Cortical finden sich B-Zellen in primären (ruhenden) und sekundären (proliferierenden) Follikeln. Sekundäre Follikel haben ein "Keimzentrum", in dem eine hochspezialisierte Zellart, "follikuläre dendritische Zellen", komplexe Antigene wie Viren mittels Antikörpern auf der Außenseite der Zelle fixiert, um die proliferierenden B-Zellen mit einem kontinuierlichen Antigenstimulus zu versorgen. Am Rand des Keimzentrums finden sich die benötigten T-Helferzellen. Paracortical schließt sich die T-Zell-Zone an. In diesem Areal gibt es "Venolen mit hohem Endothel", die darauf spezialisiert sind, T-Zellen aus dem Blut zum Adhärieren und Einwandern zu bewegen.  Noch weiter Richtung Sinus finden sich Markstränge mit Makrophagen und Plasmazellen.

(Achtung: "dendritische Zellen" und "follikuläre dendritische Zellen" sind völlig verschiedene Zellarten, die nur durch eine ähnliche Morphologie –ihre Verzweigungen— einen ähnlichen Namen bekommen haben. Dendritische Zellen sind spezialisierte APC, die Antigene in der Peripherie ins Zellinnere aufnehmen, verarbeiten und im Lymphknoten auf MHC-II präsentieren. Follikuläre dendritische Zellen sitzen in den Keimzentren von Sekundärfollikeln und halten komplexe Antigene auf der Außenseite ihrer Zellmembran mit Komplementrezeptoren und Fc-Rezeptoren über lange Zeit fest, sodass B-Zellen durch diese stimuliert werden können.)

GALT (gut-associated lymphoid tissue) umfasst die Peyer´schen Plaques des Dünndarms sowie über die gesamte Fläche des Darms verstreute Lymphfollikel, Gaumenmandeln, Rachenmandel, und Appendix, sowie funktionell auch die mesenterialen Lymphknoten. Die Funktionseinheit des Peyer-Plaques besteht aus einem spezialisierten Epithel mit M (microfold)-Zellen, die Antigene aus dem Darmlumen transzytotisch durch das Epithel schleusen, und darunterliegendem Lymphgewebe mit dendritischen Zellen, B-Zellfollikeln und peripheren T-Helfer-Arealen. Klonale Nachkommen von im GALT aktivierten Lymphozyten rezirkulieren nach ihrer Wanderung über Lymphgefäße und Blut wieder ins GALT oder andere Mucosa-assoziierte Lymphgewebe. Die so gebildeten Plasmazellen produzieren nach einem frühen class switch großteils IgA, das durch die Schleimhaut ins Lumen transportiert wird. Auf diese Weise werden nicht nur die eigenen Schleimhäute geschützt. So gelangen z. B. sekretorische IgA-Antikörper gegen von der Mutter erlebte gastrointestinale Pathogene auch in die Muttermilch und schützen ihren Säugling vor genau diesen Pathogenen. Die transzytotische Aufnahme von Material aus dem Darm ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits gibt es dem Immunsystem die Möglichkeit, spezifische IgA-Barrieren noch vor dem Darmepithel aufzubauen. Andererseits nützen manche Pathogene (Shigella flexneri, Salmonella typhimurium) diesen Transportweg als blinde Passagiere, um die Epithelbarriere zu überwinden.

BALT (bronchus-associated lymphoid tissue) oder MALT (mucosa-associated lymphoid tissue) stellen Lymphgewebsansammlungen im Bronchialbaum und in anderen Schleimhäuten dar, die weniger massiv und diffuser aufgebaut sind als Peyer-Plaques, aber ähnliche Funktionen haben.

Die MILZ überwacht Antigene im Blut: man könnte sie als einen großen Lymphknoten betrachten, der für das Blut zuständig ist. Außerdem sequestriert sie gealterte Erythrozyten und baut diese ab: die entsprechenden  Areale bezeichnet man als rote Pulpa. Sie entsorgt auch Antigen/Antikörperkomplexe, die über C3b und den CR1-Rezeptor an die Oberfläche der Erythrozyten gebunden in die Milz gespült werden. Inseln aus lymphatischem Gewebe, die sogenannte weiße Pulpa, finden sich um die Endstrecken von Arteriolen. Direkt um die Arteriole befindet sich eine T-Zell-Region (PALS- periarteriolar lymphoid sheath), umgeben von einer "B-Zell-Corona" mit Sekundärfollikeln.

Overwhelming post-splenectomy infection (OPSI). Muss die Milz aus medizinischen Gründen chirurgisch entfernt werden (z.B. bei Milzriss durch Trauma), besteht danach ein deutlich höheres Risiko für lebensbedrohliche septische Infektionen durch bekapselte Bakterien wie Pneumokokken, Hämophilus influenzae, Neisseria meningitidis. Fehlen die sessilen Phagozyten der Milz, ist das Clearing von ohnehin schlecht erkennbaren bekapselten Bakterien aus dem Blut deutlich verlangsamt. Bei den hohen Fortpflanzungsraten dieser Pathogene kann innerhalb von wenigen Stunden eine lebensbedrohliche Sepsis entstehen. Das Risiko dafür beträgt 0,2-0,4% pro Jahr, übers Leben gerechnet etwa 5%. Besonders wichtig ist es, bei solchen Patienten immer einen hohen Impfstatus gegen diese Erreger aufrecht zu erhalten.

Zusammengefasst sind die peripheren Organe des Immunsystems Orte, an denen
  • Antigen (Bakterien, Viren etc. oder deren Abbauprodukte)
  • B-Zellen
  • T-Zellen
  • APC
zusammengeführt werden, mit dem Ziel, eine Immunantwort zu orchestrieren.

Für diese Kooperation ist ein kombinierter Andock/Erkennungsmechanismus zwischen T-Zellen einerseits und APC bzw. B-Zellen andererseits wesentlich. Dieser Andock/Erkennungsmechanismus beruht auf direktem Kontakt zwischen T-Zell-Rezeptor, MHC-Molekül und Peptid-Antigen.

2.9   T-Zell-Rezeptor, T-zellen und innate lymphoid cells

T-Lymphozyten tragen an ihrer Oberfläche einen "T-Zell-Rezeptor", mit dem sie kurze Antigen-Peptide erkennen können, wenn diese ihnen auf MHC-Molekülen präsentiert werden. Für diese Erkennung werden weitere Oberflächenproteine, sogenannte Corezeptoren, benötigt: CD4 oder CD8. Da reife T-Lymphozyten nur entweder CD4 oder CD8 tragen, und dieser Unterschied funktionell bedeutend ist, werden die T-Lymphozyten grob in CD4-positive (CD4+)  und in CD8-positive (CD8+) unterteilt.

T-Zellen haben eine zentrale Position in der Immunologie. Laufend werden neue T-Zell-Subtypen postuliert und charakterisiert. Um ein handhabbares Modell zu bewahren, beschränken wir uns hier auf eine grobe Einteilung. Bei unseren Überlegungen zur Funktion von T-Zellen in den folgenden Abschnitten sollte uns immer bewusst bleiben, dass es sich dabei um stark vereinfachte Modelle handelt, die sich mit der Zeit mit Sicherheit wandeln werden.

Sogenannte zytotoxische T-Zellen sind CD8+. Sie sind unmittelbar gefährlich: sie können z. B. virusbefallene Zellen abtöten.

Sogenannte T-Helferzellen sind CD4+ und wirken auf Umwegen. Es gibt davon vier --drei plus eine-- Arten: T-Helferzellen Typ1 (TH1), Typ2 (TH2), Typ17 (TH17) und follikuläre Helferzellen (TFH). (Falls Sie den Eindruck haben sollten, diese Nomenklatur ignoriere die einfachsten Grundsätze der Logik: Sie haben recht!) TH1, TH2 und TH17-Zellen wandern nach ihrer Generierung an den Ort der Infektion; TFH -Zellen bleiben im sekundären lymphatischen Organ. Während TH1-Zellen ihre Hauptfunktion darin haben, Makrophagen beim Abtöten intrazellulärer Erreger zu helfen, leisten TH2-Zellen Hilfe in der Bekämpfung von Wurminfektionen. TH17-Zellen verstärken die Abwehr extrazellulärer Bakterien und Pilze. In der Regel steht bei jeder Infektion eine dieser drei Typen im Vordergrund. Gleichzeitig und parallel entstehen aber jeweils auch T-Helferzellen, die die Antikörperproduktion fördern. Weil das in Sekundärfollikeln peripherer lymphatischer Organe geschieht, nennen wir sie follikuläre T‑Helferzellen (TFH).

Interessanterweise finden wir diese Zelltypen in unserem Körper auch in einer Form ohne T-Zell-Rezeptor. Definitionsgemäß handelt es sich also nicht um T-Zellen, sodass man den Ausdruck innate lymphoid cells gewählt hat. Einen solchen Zelltyp haben wir bereits näher kennengelert: natural killer cells haben einen ähnlichen Wirkmechanismus wie zytotoxische T-zellen, exprimieren aber keinen T-Zell-Rezeptor und werden deshalb auf anderen Wegen aktiviert. Man kann die verwandten Zelltypen mit und ohne T-Zell-Rezeptor folgendermaßen gegenüberstellen:

T-Zelle

Innate lymphoid cell

Hauptwerkzeuge

zytotoxische T-Zelle

NK-Zelle

Perforin, Granzym, FasL

TH1-Zelle

ILC1

IFNγ

TH2-Zelle

ILC2

IL-4, IL-5, IL-13

TH17-Zelle

ILC3

IL-17, IL-22

TFH-Zelle

-

IL-21

 

Die innate lymphoid cells entwickeln sich aus der lymphozytären Reihe im Knochenmark; ein Repressor unterdrückt jedoch die Expression des Antigenrezeptors. Sie werden deshalb der nicht-adaptiven Abwehr zugerechnet, die sie verstärken. Unser Verständnis von innate lymphoid cells ist noch unvollständig; wir setzen uns mit ihnen hier nicht weiter auseinander.

Eine weitere T-Zell-Unterart stellen die sogenannten regulatorischen T-Zellen dar. Sie sind meist CD4+ und haben im Gegensatz zu den bisher erwähnten T-Zellarten eine die Immunantwort bremsende Funktion.

Der T-Zell-Rezeptor ähnelt grob dem Fab-Fragment eines Antikörpers: er besteht aus zwei Ketten (meist α:β, alternativ γ:δ), und hat an der "Spitze" eine variable Region.  Diese wird durch den selben Zufallsgenerator erzeugt, der für die Vielfalt der Antikörper verantwortlich zeichnet. Die somatische Rekombination von β-Ketten (Chromosom 7q) würfelt V-, D- und J-Segmente zusammen, analog der schweren Immunglobulinkette. Die α-Ketten enthalten nur V- und J-Segmente (Chromosom 14q), wie die leichten Ketten der Immunglobuline. Die T-Zellrezeptorvielfalt beruht also auf denselben Mechanismen wie die Antikörpervielfalt; allerdings gibt es keine somatische Hypermutation. Der T-Zellrezeptor erkennt aber keine großen, chemisch unterschiedlich aufgebauten Epitope, wie ein Antikörper, sondern lediglich kleine lineare Peptide (8 bis 20 Aminosäuren); und auch diese nur, wenn sie in den dafür vorgesehenen Spalt eines MHC-Moleküls eingebaut  sind.

Der intrazelluläre Anteil der α- und β-Ketten des T-Zell-Rezeptors ist winzig. Für die Signalübertragung ins Zellinnere benötigt es zusätzliche Proteinketten, γ, δ, 2x ε und 2x ζ (Zeta), die in ihrer Gesamtheit als "CD3" bezeichnet werden. Diese zusätzlichen Transmembranketten enthalten intrazellulär sogenannte ITAMs (Immunoreceptor Tyrosine-based Activation Motif), die durch Tyrosinkinasen wie Fyn und Lck phosphoryliert werden. Das Clustering von T-Zell-Rezeptoren und kostimulatorisch wirkenden Proteinen führt zu einer Aktivierung von Transkriptionsfaktoren wie NF-AT (nuclear factor of activated T cells), NFκB und AP-1, die zu einer Anpassung der Genexpression der T-Zelle führen.

Pharmakologische Querverstrebung: In Zellkultur werden anti-CD3-Antikörper als klassische T-Zell-Stimulatoren verwendet, da sie den T-Zell-Rezeptorkomplex direkt clustern. Allerdings ergab sich neulich auch eine medizinische Anwendung. Teplizumab, ebenfalls anti-CD3, aktiviert den T-Zell-Rezeptorkomplex nur sehr schwach. Das  drückt potentiell aggressive T-Zellen eher in Richtung Anergie und führt zu verstärkter Proliferation von regulatorischen T-Zellen. Zusätzlich wurde das Fc-Ende des Antikörpers verändert, sodass es nicht mehr von Fc-Rezeptoren erkannt wird. Damit entfallen ADCC durch natural killer cells oder die Aktivierung von Phagozyten. In der Hoffnung, er könne unerwünschte Immunreaktionen bremsen, wurde der Antikörper gegen alles mögliche ausprobiert, ohne zu überzeugen. Schließlich ergab sich aber eine Anwendung: Wird er früh nach Diagnose eines beginnenden Diabetes Typ I infundiert, kann er die klinische Manifestation der Erkrankung etwa 2 Jahre hinauszögern.

Ob die T-Zelle "anspringt", hängt also von der Intensität des Clustering ab. Für die Intensität des Clustering sind einerseits die Affinität des T-Zellrezeptors für die Peptid-MHC-Kombination sowie andererseits die Häufigkeit des MHC-Proteins mit "richtigem" Pepid auf der gegenüberstehenden Zielzelle auschlaggebend. Bleibt einer der beiden Werte unterhalb einer gewissen Schwelle, wird die T-Zelle nicht aktiviert. Ist beispielsweise die Affinität zu gering, geben zu jedem Zeitpunkt zwar einige T-Zell-Rezeptoren Signal, doch entsteht nicht ausreichend Clustering, um die T-Zelle zu aktivieren. Man kann sich das so vorstellen: Eine Basisaktivität an Tyrosinphosphatasen räumt die wenigen erfolgten Tyrosinphosphorylierungen bald wieder ab. Ein aktivierendes Signal entsteht erst, wenn lokal so viele Tyrosinphosphorylierungen gleichzeitig erfolgen, dass die Phosphatasen "nicht mehr nachkommen".

2.10   MHC

MHC steht für major histocompatibility complex. Dieser Begriff bezeichnet eigentlich einen Genlokus auf dem kurzen Arm von Chromosom 6, von dem man herausfand, dass er für die Gewebeverträglichkeit zwischen Spender und Empfänger von transplantiertem Material entscheidend ist. In diesem Genlokus werden zwei ähnliche Arten von Oberflächenmolekülen kodiert, MHC-Klasse-I- und MHC-Klasse-II-Moleküle, die eine Art "Ausweis" aller Zellen gegenüber den T-Zellen darstellen. Generell dienen MHC-I-Moleküle als Ausweis gegenüber zytotoxischen  (CD8+) T-Zellen; MHC-II-Moleküle als Ausweis gegenüber T-Helfer-(CD4+)-Zellen. Worauf es gegenüber den T-Zellen ankommt, ist nicht so sehr der Ausweis selbst, sondern das "Paßbild" im Ausweis, das Antigene im Inneren der Zellen abbildet. Das molekulare Paßbild sind kurze Peptide (8-20 Aminosäuren), die einfach Teile von im Inneren der Zelle kleingehackten Proteinen sind und im dazu vorgesehenen Spalt von MHC-Molekülen beider Klassen präsentiert werden. Die beiden Ausweistypen MHC-I und MHC-II haben unterschiedliche Bedeutung und werden daher auch auf unterschiedlichen Zellpopulationen exprimiert.

MHC-I präsentiert primär ein Abbild dessen, was in der Zelle synthetisiert wird. Ist eine Zelle von einem Virus befallen, tauchen neben normalen, zellulären Peptiden auch Viruspeptide in den MHC-I-Molekülen auf. Ist eine Zelle maligne entartet, ist es möglich, dass Proteine exprimiert werden, die sonst nur in der frühen Embryonalentwicklung exprimiert werden und dem Immunsystem daher nicht bekannt sind. CD8+ T-Zellen erkennen diese Abweichungen und töten die verdächtigen Zellen. Dieser Überwachungsmechanismus ist für alle Zellen sinnvoll und MHC-I-Moleküle werden damit auf allen gekernten Zellen exprimiert. Wie wird MHC-I mit Peptiden beladen? MHC-I wird direkt ins endoplasmatische Retikulum synthetisiert, zunächst durch Hilfsmoleküle gestützt und an einen Peptidtransporter, TAP (transporter associated with antigen processing), gekoppelt. Dieser transportiert Peptide, die durch den Abbau zytoplasmatischer Proteine im Proteasom entstehen, ins endoplasmatische Retikulum, wo sie, falls passend, in die daneben verankerten MHC-I-Moleküle eingebaut werden. Der Einbau löst das MHC-I-Molekül aus seinem Stützgerüst; das Peptid-beladene MHC-I wird in einem Vesikel an die Zellmembran transportiert.

Es gibt Ausnahmen zur Regel, dass MHC‑I Material präsentiert, das in der Zelle synthetisiert wurde. Manchmal wird, besonders durch dendritische Zellen, auf MHC‑I Material gezeigt, das von außen in die Zellen aufgenommen wurde; diesen Fall nennen wir cross-presentation. Ein gutes Beispiel sind die intraepidermalen dendritischen Langerhanszellen. Diese exprimieren einen pattern recognition receptor vom Lektintyp, Langerin (CD207), der z. B. Mannose bindet. Von außen über diesen Rezeptor in die Zelle aufgenommenes Material wird über einen speziellen endosomalen Weg transportiert, sodass Peptide daraus effizient auf MHC‑I kreuzpräsentiert werden. Auch auf diesem Weg können Langerhanszellen zytotoxische T-Zellen induzieren. Cross-presentation ist für Immunantworten gegen maligne Zellen von Bedeutung.

MHC-II präsentiert primär extrazelluläres Material, das von APC aufgenommen und kleingehackt wurde. Dadurch sollen CD4 exprimierende T-Lymphozyten, hauptsächlich T-Helfer-Zellen, aktiviert werden. MHC-II-Expression findet man daher gewöhnlich nur auf den so genannten "professionellen Antigen-präsentierenden Zellen": dendritischen Zellen, Makrophagen und B-Zellen. Dazu kommen noch einige Zellarten, die in Spezialsituationen ("aberrant") MHC-II exprimieren, wenn sie durch Zytokine (besonders Interferon-γ aus TH1-Zellen) dazu angeregt wurden, und Thymusepithelzellen, die zur Selektion nützlicher T-Zellen beide MHC-Klassen konstitutiv exprimieren müssen (Details im nächsten Abschnitt). MHC-II-Moleküle müssen nach der Synthese durch eine zusätzliche Protein-Untereinheit (invariant chain) davor geschützt werden, bereits im endoplasmatischen Retikulum mit Peptiden beladen zu werden. Erst nach Verschmelzung des MHC-II-tragenden Vesikels mit einem Endosom/Phagolysosom wird durch Ansäuerung und mit Hilfe des HLA-DM-Moleküls der Peptidbindungsspalt für ein exogenes Peptid freigemacht.

MHC-I-Moleküle bestehen aus einer im MHC kodierten Kette, die in der Zellmembran verankert ist und die drei Domänen inklusive des antigenbindenden Spalts ausbildet. Eine vierte Domäne wird durch ein zusätzliches kleines extrazelluläres Protein, β2-Mikroglobulin, gebildet, das nicht im MHC kodiert ist. Der Mensch  hat drei Typen von MHC-I-Molekülen: HLA-A, HLA-B und HLA-C. HLA ist eine alternative Bezeichnung für den menschlichen MHC und steht  für human leukocyte antigens.

MHC-II-Moleküle bestehen aus jeweils zwei Ketten, α und β, die beide in der Zellmembran verankert sind. Auch hier gibt es wieder drei Typen: DR, DQ und DP. Der Grund dafür, dass es jeweils drei Typen von Klasse-I und Klasse-II-Molekülen gibt, ist wahrscheinlich der, dass dadurch ein breiteres Spektrum von Antigen-Peptiden präsentiert werden kann.

MHC-Polymorphismus und codominante Expression

Zwar hat jeder Mensch nur zwei HLA-A-Gene --eines auf dem mütterlichen, eines auf dem väterlichen Chromosom 6-- doch gibt es mehr als 4700 verschiedene Allele für HLA-A –also Genvarianten mit geringfügigen Unterschieden, von denen die meisten (mehr als 3200) auch zu Unterschieden im kodierten Protein führen. Der Großteil dieser Veränderungen betrifft den Antigenbindungsspalt und hat damit Unterschiede in der Bindungsfähigkeit für spezifische Antigen-Peptide zur Folge. Der HLA-A-Locus ist damit polymorph. Es ist daher unwahrscheinlich, dass eine Person zwei identische HLA-A-Gene trägt. Dasselbe gilt sinngemäß für alle MHC-Gene mit Ausnahme von DRα, das bei fast allen Menschen identisch ist.

Die beiden Allele eines Individuums werden jeweils zugleich exprimiert-- da sich beide im Phänotyp bemerkbar machen und keines das andere überlagert, spricht man von codominanter Expression. Allele werden mit Locusbezeichnung-Stern-Zahlenkombination (z. B. A*01:01:01:01 und A*02:86:01:01) bezeichnet, wobei die erste Zifferngruppe eine Grobtypisierung mit versuchter Verbindung zur alten, serologischen Nomenklatur darstellt, die nächste Subtypen mit Aminosäureunterschieden, weitere Zifferngruppen Subtypen, die sich nur auf der DNA-, aber nicht auf der Proteinebene unterscheiden (stumme Polymorphismen und Intronpolymorphismen).

Die Kombination von Polygenie des Individuums (9 Genloci: A, B, C, DRα, DRβ, DQα, DQβ, DPα, DPβ) und Polymorphismus der Population (für 8 dieser 9 Loci) führt dazu, dass es extrem unwahrscheinlich ist, zwei Individuen mit identischem MHC zu finden.

Das führt zu Problemen bei der Organtransplantation, da gegen MHC-Moleküle, die dem eigenen Immunsystem unbekannt sind, eine heftige Immunantwort erfolgt— sowohl durch zytotoxische T-Zellen, als auch durch Antikörper. Aus dieser Sicht ist der Polymorphismus des MHC also sehr ungünstig.

Da die Evolution zu diesem extremen Polymorphismus des MHC geführt hat, ist aber anzunehmen, dass dieser insgesamt einen Selektionsvorteil für die menschliche Spezies mit sich bringt. Dieser besteht wahrscheinlich darin, dass es für jeden Erreger HLA-Kombinationen gibt, die es ermöglichen, diesen besonders effizient zu bekämpfen. Man denke an die Pestepidemien im Mittelalter (z. B. im Jahr 1350): wäre die Menschheit mit einem Einheits-MHC ausgestattet, wäre vielleicht niemand übriggeblieben.

2.11  Selektion nützlicher T-Zellen

Die Vorstufen fertiger T-Zellen im Thymus werden als Thymozyten bezeichnet.  Die Mechanismen, die während dieses Reifungsprozesses dafür sorgen, dass potentiell nützliche T-Zellen den Thymus verlassen, während unnütze oder autoreaktive eliminiert werden, sind in großen Zügen bekannt. Der Vorgang umfaßt zwei Stufen: positive und negative Selektion.

Positive Selektion: Durch den Zufallsgenerator der somatischen Rekombination entsteht eine große Zahl von Thymozyten mit jeweils einem einzigartigen T-Zellrezeptor. Entscheidend für die Brauchbarkeit des T-Zellrezeptors ist, ob er prinzipiell in der Lage ist, eigene MHC-Moleküle zu erkennen— zunächst einmal abgesehen vom spezifischen Peptid, das darin präsentiert wird. Alle jene T-Zellrezeptoren, die durch ihre Zufallsentstehung eine Form bekommen haben, die nicht mit den eigenen MHC-Molekülen zusammenpaßt, sind von vornherein nutzlos. Man muß sie also loswerden. Wie? Die Lösung ist verblüffend einfach: erfolgreiches Andocken des T-Zell-Rezeptors an das MHC-Molekül des Thymusepithels bedeutet ein Überlebenssignal für den Thymozyten: dieser wird positiv selektiert. Thymozyten, deren T-Zellrezeptor nicht "passt", bekommen dieses Überlebenssignal nicht und gehen nach einer gewissen Zeit der Vernachlässigung in Apoptose (non-selection; death by neglect). Die positive Selektion bewirkt damit eine Selbst-MHC-Restriktion: alle Zellen, die diesen Prozeß überstehen, erkennen den eigenen MHC.

 Negative Selektion: Unter all den Thymozyten, die T-Zellrezeptoren exprimieren, die mehr oder weniger gut mit dem eigenen MHC harmonieren, gibt es auch solche, die perfekt auf eine Kombination von eigenem MHC mit darauf präsentiertem Selbst-Peptid passen. Diese sind eigentlich unerwünscht, weil autoreaktiv und damit gefährlich. Die Lösung dieses Problems besteht darin, dass eine sehr starke Bindung zu einem qualitativ anderen Signal führt: es leitet im Thymozyten Apoptose ein. Autoreaktive Thymozytenklone werden damit "negativ selektiert", das heißt, eliminiert.

Das Ziel des gesamten Selektionsprozesses ist es also, solche T-Zellen reifen zu lassen, die einerseits den eigenen MHC "wackelig" erkennen, sodass es mit einem passenden Fremd-Peptid zu einem vollen Aktivierungssignal kommen kann, die jedoch andererseits nicht mit einem Selbst-Peptid aktiviert werden können.

Pharmakologische Querverstrebung: Manche Medikamente können die Peptidpräferenz bestimmter MHC-Moleküle ändern. Abacavir ist ein nukleosidischer Reverse-Transkriptase-Inhibitor zur Behandlung von HIV-Patienten. In ca. 5% der Patienten europäischer Abstammung entwickelte sich 1-5 Wochen nach Therapiebeginn ein Überempfindlichkeits-Syndrom mit Fieber, Abgeschlagenheit, Übelkeit, Diarrhoe und Exanthem. Das Syndrom trat nur in Patienten mit dem HLA-B-Allel B*57:01 auf. Schließlich wurde klar, dass Abacavir spezifisch an den Grund der B*57:01 Peptidbindungstasche bindet und dadurch die Auswahl an Selbst-Peptiden ändert, die durch das HLA-B-Protein präsentiert werden. Während alle T-Zellklone, die normalerweise durch B*57:01 präsentierte Selbst-Peptide erkennen, im Thymus durch negative Selektion eliminiert wurden, war das für T-Zellklone, die die neuen Peptide erkennen können, natürlich nicht der Fall. Diese lancierten eine generalisierte Autoimmunreaktion, sobald nach Abacavir-Therapiebeginn die neuen Peptide auf allen HLA‑B-exprimierenden Zellen des Körpers auftauchten.

2.12  Die Rolle von FOLLIKULÄREN T-Helfer-Zellen im humoralen Teil einer Immunreaktion

Der Name "T-Helferzellen" stammt aus der ursprünglichen Beobachtung, dass B-Zellen die Hilfe von T-Zellen benötigen, um hocheffiziente Antikörper zu produzieren. Nach der Kategorisierung TH1/ TH2 nannte man die Zellen mit dieser Funktion über viele Jahre TH2-Zellen. Mit besseren Charakterisierungsmöglichkeiten wurde klar, dass sich unter dieser Bezeichnung unterschiedliche Zellpopulationen, mit deutlich unterschiedlichen Expressionsmustern und Verhalten, verbargen. Für die T-Zellen, die in Sekundärfollikeln den B-Zellen Hilfe leisten, wurde deshalb eine neue Bezeichnung eingeführt: "follikuläre T-Helferzellen (TFH). Die Bezeichnung " TH2-Zellen" wurde nun für Zellen reserviert, die auf die Abwehr von Helminthen spezialisiert sind.

TFH-Zellen stellen also die T-Zell-Hilfe zur Verfügung, die Bedingung für die Produktion spezifischer Antikörper ist. Um diese Bedingung zu erfüllen, muß eine ganze Reihe von Schritten abgelaufen sein. Stellen wir uns eine bakterielle Infektion nach einer kleinen Verletzung der Mundschleimhaut  vor, und integrieren wir die bisher überlegten Einzelaspekte zu einem sinnvollen Modell einer Immunantwort.

Durch die Verletzung kann das Bakterium die Epithelbarriere leicht überwinden. Es dringt ins Bindegewebe unter der Schleimhautverletzung ein und vermehrt sich zunächst relativ rasch. Nichtadaptive Abwehrmaßnahmen laufen an: Komplement wird über den alternativen und/oder Lektinweg aktiviert und rekrutiert chemotaktisch die ersten neutrophilen Granulozyten und Makrophagen. Über pattern recognition receptors aktivieren bakterielle PAMPs Makrophagen und gewebsständige dendritische Zellen. Diese modifizieren ihre Genexpression: neue Transmembranproteine werden produziert, z. B. B7, und eine Palette von Zytokinen. Von den Phagozyten freigesetzte Mediatoren lösen zusammen mit den aktivierten Serumproteinsystemen eine Entzündungsreaktion aus. Bradykinin und PGE2 verursachen Schmerz. Von Makrophagen freigesetztes TNFα begrenzt die Entzündung lokal; ableitende Venolen werden durch Gerinnung verstopft. Zusammen mit der erhöhten Permeabilität verstärkt das die Filtration ins Gewebe und verursacht Schwellung. Mit dem verstärkten Lymphstrom werden sowohl freie Bakterien und -Bruchstücke als auch Makrophagen in die regionalen Lymphknoten geschwemmt. Auch diese – am Kieferwinkel oder um die Vena jugularis – schwellen schmerzhaft an.

Die im Lymphknoten ankommenden dendritischen Zellen und Makrophagen haben die Erreger bzw. deren Bruchstücke aufgenommen und "kleingehackt", d. h. die Antigene zu Peptiden prozessiert. In den Phagolysosomen der APC gelangen solche Peptide mit Hilfe von HLA-DM, das das CLIP-Peptid entfernt, in den Spalt von MHC-II –Molekülen. Diese Kombination wird anschließend an die Oberfläche der APC gebracht. Im Lymphknoten vorhandene und neue über Venolen mit hohem Endothel eintreffende naive CD4+T-Zellen schieben sich, angelockt durch Chemokin CCL18, an den APC vorbei. Die allermeisten naiven T-Zellen erkennen mit ihren zufallsgenerierten T-Zellrezeptoren die spezifische MHC-II-Bakterienpeptid-Kombination nicht. Ab und zu jedoch kommt eine T-Zelle vorbei, deren Rezeptor genau passt. Es entsteht ein mehrfacher Signalvorgang: ein Signal erreicht die T-Zelle über den T-Zell-Rezeptor. Weitere Signale kommen über das Transmembranprotein CD28 oder ähnliche Proteine, welche die kostimulatorischen B7-Moleküle auf der APC erkennen, sowie über weitere Oberflächenproteine und Zytokine. Abhängig von der Art des Pathogens und anderen Faktoren produzieren die dendritischen Zellen verschiedene Kombinationen von Zytokinen: IFNγ plus IL‑12 (fördert die Entstehung  von TH1-Zellen), hauptsächlich IL‑4 (TH2), oder IL‑6 plus TGFβ (TH17). Die Gesamtheit dieser Signale von T-Zellrezeptor, CD28 und Zytokinrezeptor(en) ist nötig, um die naive T-Zelle zu aktivieren: sie wird dadurch zu einer raschen Proliferation angeregt. Aktivierte T-Zellen teilen sich alle 4-5 Stunden, viel schneller als andere Zelltypen des Körpers. Es entsteht ein Zellklon: alle Nachkommen haben den identischen, "nützlichen" T-Zellrezeptor der ursprünglichen Zelle, der das bakterielle Peptid eingebettet in MHC-II, z. B. in einem der beiden HLA-DR-Moleküle erkennt. Die Zellen des Klons differenzieren sich auch: abhängig von der Art des Erregers und des Zytokinmilieus in der unmittelbaren Umgebung entstehen entweder TH1- oder TH2- oder TH17-Zellen. Im von uns gewählten Beispiel einer Infektion mit extrazellulären Bakterien fördert das momentane Vorhandensein von IL‑6 in Kombination mit TGFβ die Differenzierung Richtung TH17-Zellen. Diese sind nun nicht mehr "naiv", sondern können "Effektorfunktionen" ausüben. Diese Differenzierung drückt sich in einer veränderten Chemokinrezeptorexpression und der Fähigkeit zur Sekretion von Zytokinen aus: bei TH17-Zellen vorwiegend IL-17 und IL-22. Die TH17-Zellen wandern nun aus dem Lymphknoten aus und über das Blut ins Infektionsgebiet ein. Dort bewirken sie z. B., dass neutrophile Granulozyten gezielter und effizienter eingesetzt werden. Doch nun interessieren wir uns für die Antikörperproduktion.

Geichzeitig und parallel werden nämlich manche der aktivierten CD4+ T-Zellen dazu angeregt, sich in Richtung TFH-Zellen zu entwickeln. Es ist nicht ganz klar, wie die Entscheidung zwischen einem TH1-, TH2- oder TH17-Schicksal einerseits und einem TFH-Schicksal andererseits erfolgt. Einer der Faktoren ist wohl die Bindungsstärke zwischen T-Zell-Rezeptor und dem von der dendritischen Zelle auf MHC-II dargebotenen Peptid. Eine hohe Affinität fördert den ersten Schritt auf dem Weg zur TFH-Zelle. Ein weiterer, unbedingt notwendiger Schritt erfolgt erst später, in der Interaktion dieser TFH-Vorläuferzellen mit "gespannten" B-Zellen. Dazu muss ICOS (inducible T cell costimulator) auf der T-Zellmembran mit ICOS-Ligand (ICOSL) auf einer solchen B-Zelle interagieren.

Im Lymphknoten kommen auch die zahlreichen B-Zellen mit dem eingespülten Bakterienmaterial in Berührung. Tritt das seltene Ereignis ein, dass eine B-Zelle einen passenden B-Zellrezeptor für ein bakterielles Antigen besitzt, nimmt die B-Zelle den gesamten Komplex –B-Zell-Rezeptor plus Bakterienteil— in ein Vesikel auf, verarbeitet das Antigen, und präsentiert es ebenfalls auf MHC-II-Molekülen. Die B-Zelle ist "gespannt", wird aber noch nicht aktiviert: es fehlt noch die "Entsicherung".

Zu diesem Zeitpunkt befinden sich im Lymphknoten also mehrere TFH‑Vorläufer-Klone, von denen jeder nur ein spezifisches bakterielles Peptid erkennt, und eine geringe Anzahl von "gespannten" B-zellen, die Peptide aus dem Makromolekül, das sie erkennen, auf MHC-II präsentieren. Nun müssen sich die passenden Zellen treffen: erkennt eine der TFH‑Vorläufer-Zellen das von einer B-Zelle präsentierte Peptid? Mehrere Aspekte steigern diese Wahrscheinlichkeit. Das eindringende Bakterium hat in der Regel einige Hauptproteine, die in hoher Konzentration vorkommen. Wenn diese von einem B-Zell-Rezeptor erkannt werden, sind sie sicher auch von APC aufgenommen worden. Nachdem dieses Protein in beiden Zelltypen von denselben Proteasen kleingehackt wird, entstehen auch in beiden Zelltypen dieselben präsentierbaren Peptide. Außerdem ändern die teilaktivierten T- und B-Zellen ihre Chemokinrezeptorexpression: die T-Zellen beginnen, die T-Zell-Areale zu verlassen, die B-Zellen die B-Zell-Areale, sodass sie sich an der Grenze zwischen T- und B-Zell-Arealen treffen.

(Eigentlich wäre es um vieles einfacher, wenn eine B-Zelle, die ja zur Antigen-Präsentation befähigt ist, direkt eine naive T-Zelle aktivieren könnte. Das ist jedoch in der Regel nicht der Fall. Andererseits würde ein solcher linearer Mechanismus dem Entsicherungsprinzip widersprechen, das die unabhängige Aktivierung dendritischer Zellen über pattern recognition receptors als notwendige Bedingung integriert.)

Früher oder später wird eine der  TFH-Vorläuferzellen auf eine "gespannte" B-Zelle treffen, die gerade das richtige Peptid präsentiert. Die  TFH-Vorläuferzelle erkennt das auf dem B‑Zell-MHC-II präsentierte Antigen-Peptid, für das sie aktiviert ist. Sie "reicht ihr die ICOS- und die CD40-Ligand-Hand". Nun sind alle Bedingungen erfüllt, damit beide Zellen das nächste Stadium erreichen: die T-Zelle wird zur reifen TFH-Effektorzelle, die B-Zelle wird entsichert. Die B-Zelle beginnt zu proliferieren und wird zur Stamm-Mutter eines B-Zellklons. Einige der B-Zell-Töchter reifen rasch aus und beginnen in primären Foci, IgM zu produzieren, sind aber kurzlebig.

Keimzentrumsreaktion

Andere B-Zell-Töchter wandern ins B-Zell-Areal zurück und werden zum Keimzentrum eines Sekundärfollikels. Angefeuert werden sie von den zu ihnen passenden, ebenfalls proliferierenden  TFH-Zellen, die ihnen CD40L und, nach ihrer Ausreifung, IL-21 zeigen. Diese Signale sind unbedingt notwendig für die Keimzentrumsreaktion. B-Zellen exprimieren daraufhin AID. AID führt zur somatischen Hypermutation, sodass der bisher homogene Zellklon nun in Tochterzellen mit affineren und weniger affinen B-Zell-Rezeptoren auseinanderdriftet. Follikuläre dendritische Zellen fixieren bakterielles Antigen außen an ihrer Zelloberfäche, um den entstehenden B-Zellklon mit ausreichender Stimulation über den B-Zellrezeptor zu versorgen. Die B-Zell-Tochterzellen drängen um dieses Antigen wie die Gäste um ein etwas knapp bemessenes kaltes Buffet. Nur jene, deren B-Zell-Rezeptor affin genug ist, um den Kontakt zum Antigen halten zu können, bekommen weitere Proliferationsstimulation. In diesen Zellen werden sich also weitere somatische Hypermutation und class switch, in der Regel zu IgG, ereignen. Bei Schleimhautinfektionen erfolgt oft auch schon früh ein class switch zu IgA. Durch die Keimzentrumsreaktion entstehen also immer affinere Antikörper. B-Zellen mit einem weniger affinen Antikörper haben das Nachsehen: sie können kein Antigen mehr aufnehmen und haben damit den TFH-Zellen auch nichts mehr zu präsentieren: ohne T-Zell-Hilfe gehen sie in Apoptose. Die erfolgreichen Tochterzellen hingegen erreichen ein Stadium, in dem sie nicht mehr weiter auf T-Zell-Hilfe angewiesen sind. Manche von ihnen verlassen den Lymphknoten über das vas efferens, gelangen schließlich ins Blut und siedeln sich als Plasmazellen in anderen Organen des Immunsystems an, z. B. im Knochenmark. Dort werfen sie weiter große Mengen Antikörper aus.

Die entstehenden Antikörper tragen dazu bei, dass die schon laufenden nicht-adaptiven Abwehrmechanismen wesentlich effizienter eingesetzt werden: Komplementaktivierung, Opsonisierung und Phagozytose werden nun gezielt gegen den Eindringling gerichtet und massiv verstärkt.

Wenn die Infektion erfolgreich bekämpft wurde, produzieren ausgereifte Plasmazellen noch unterschiedlich lange Antikörper, sodass eine gewisse Zeit lang ein Schutz vor Reinfektion besteht. Außerdem differenzieren einige B-Zellen in der Keimzentrumsreaktion zu sogenannten Gedächtniszellen (memory cells), die sozusagen "eingemotteten" aktivierten Zellen entsprechen und die im Gegensatz zu anderen aktivierten Zellen über Jahre überleben können. Tritt der Erreger später wieder in Erscheinung, können diese wesentlich schneller reaktiviert werden, als bei einer Erstinfektion. Die humorale Immunreaktion bei einer Zweitinfektion ist daher schneller und stärker.

Man bezeichnet dieses Phänomen als "immunologisches Gedächtnis". Die Bildung von memory cells ist nicht auf B-Zellen beschränkt, auch aktivierte T-Zell-Klone bilden langlebige memory cells aus.

Zusammengefasst ist die Keimzentrumsreaktion notwendig für Affinitätsreifung, class switch und die Bildung von memory cells.

Pharmakologische Querverstrebung: Hemmung der Kostimulation durch den CD40L-bindenden Antikörper Frexalimab hemmte in einer Phase 2-Studie die Bildung von ZNS-Läsionen bei schubförmig verlaufender Multipler Sklerose.

2.13  Die Rolle von TH1-Zellen

Eine Reihe von Pathogenen, z. B. Mycobakterien und Leishmanien,  sind in der Lage, intrazellulär zu überleben. Mycobacterium tuberculosis ist das Musterbeispiel für Bakterien, die von (Alveolar-) Makrophagen zwar über TLR‑2 erkannt und phagozytiert, aber zunächst nicht abgetötet werden. Sie vermehren sich sogar in den Phagosomen, geschützt vor Antikörpern. Als Antwort auf diese Bedrohung hat die Evolution einen Mechanismus entwickelt, Makrophagen in einen qualitativ veränderten, "aktivierten" Zustand zu versetzen, in denen es ihnen doch gelingt, mit den Erregern fertig zu werden. TH1-Zellen erledigen diese Spezialaufgabe mit Hilfe des Signalmoleküls Interferon-γ (IFNγ).

Auch wenn Mycobakterien intrazellulär überleben und sich vermehren können, werden doch immer wieder Bakterien abgebaut. Mycobakterienpeptide werden dadurch von dendritischen Zellen und Makrophagen, z. B. in einem Hiluslymphknoten, gemeinsam mit kostimulatorischen B7-Molekülen in relativ hoher Dichte auf MHC-II präsentiert. Erkennt eine vorbeikommende naive (CD4+) T-Zelle diese Peptide, wird sie aktiviert. Durch die zusätzlich von der präsentierenden Zelle produzierten Zytokine IL‑12 und IFNγ entwickelt sie sich zu einer TH1-Zelle und geht in eine Phase der klonalen Expansion.  Die entstehenden TH1-Effektorzellen durchstreifen die Gewebe. Treffen sie auf Mycobakterienpeptid-präsentierende Makrophagen, was im typischen Fall natürlich im Lymphknoten selbst und im ersten Infektionsherd in der Lunge geschieht (zusammen "Primärkomplex" genannt) exprimieren sie IFNγ und ein Oberflächenmolekül, CD40-Ligand. Der präsentierende Makrophage erkennt IFNγ mit seinem entsprechenden Rezeptor und CD40-Ligand mit dem Partnermolekül CD40, und beide Zellen reagieren auf die Interaktion mit der Freisetzung von TNF-α. Diese Dreifachstimulation des Makrophagen  löst eine Reihe von Effekten aus:

·        bessere Verschmelzung der Phagosomen mit Lysosomen

·        Produktion des bakterizid wirkenden NO durch die induzierbare NO-Synthase (iNOS)

·        Bildung von zahlreichen reaktiven Sauerstoffverbindungen

·        Induktion antimikrobieller Peptide

TH1-Zellen koordinieren die Immunantwort durch weitere Zytokine. Sie beschleunigen ihre eigene Proliferation durch IL-2. Naive T-Zellen exprimieren nur die β und γ-Kette des IL‑2-Rezeptors, doch weder die α-Kette (CD25) noch IL‑2 selbst. Die Aktivierung leitet die Expression dieser beiden Proteine ein; mit Hilfe der α-Kette wird der hochaffine IL‑2-Rezeptor zusammengesetzt. IL-3 und GM-CSF treiben die Nachproduktion neuer Phagozyten im Knochenmark an. CCL2 (monocyte chemotactic protein) lockt neue Makrophagen an den Infektionsherd. Das sowohl aus Makrophagen wie aus TH1-Zellen stammende TNF-α verändert das Gefäßendothel, sodass Monozyten im Blutstrom die "Ausstiegsstelle" erkennen. Sollte das Abtöten der Bakterien nicht gelingen, lösen weitere Mechanismen, wie die Expression von Fas-Ligand, Apoptose aus. Ein Teil der Erreger wird im Abbau-Sturm untergehen, für den Rest bekommt der nächste Makrophage seine Chance.

Pharmakologische Querverstrebung: Ciclosporin A und Tacrolimus wirken immunsuppressiv hauptsächlich durch Interferenz mit der IL-2-Rückkoppelungsschleife. Sie verhindern die Expression von IL‑2 und damit die Proliferation einer aktivierten T-Zelle zu einem Effektorzellklon. Alle Effektor-T-Zelltypen sind in ihrer Proliferation von autokrinem IL-2 abhängig; Treg-Zellen benötigen zwar IL‑2, können es aber nicht selbst produzieren.

Auch TH1-Zellen bilden memory cells. Diese sind für das harte, rote Hautknötchen im Fall eines positiven Mendel-Mantoux-Test verantwortlich, wenn das Immunsystem vorher schon einmal in Kontakt mit Tuberkelbakterien war.

Manchmal gelingt es trotz aller Bemühungen nicht, die Infektionsquelle zu eliminieren. Leider ist das bei Tuberkelbakterien besonders oft der Fall. TH1-Zellen sind auch in diesem Fall noch von Nutzen, indem sie zur Granulombildung beitragen. In Granulomen werden die Erreger zumindest eingemauert. Sie sitzen dort "im Gefängnis" und können dem Organismus so nicht schaden. Dieser Zustand kann über Jahrzehnte anhalten: der Infizierte ist klinisch gesund. Allerdings: Werden die TH1-Zellen reduziert, z. B. durch eine fortgeschrittene AIDS-Infektion, bricht diese Mauer zusammen: Tuberkulose breitet sich rasch aus und führt zum Tod des Patienten.

2.14  Die Rolle von TH2-Zellen

TH2-Zellen haben ihre Hauptfunktion in der Abwehr von Parasiten, besonders von Würmern. In vielen Weltgegenden sind Wurminfektionen ein ständiger Begleiter der Menschen. Helminthen sind zu groß, um phagozytiert zu werden, es benötigt also eine andere Abwehrstrategie. Eine Wurminfektion, die häufig den Darm betrifft, führt dazu, dass dendritische Zellen, z. B. in GALT und mesenterialen Lymphknoten, Peptide aus Wurmproteinen auf MHC-II gemeinsam mit kostimulatorischen B7-Molekülen präsentieren. Wie dendritische Zellen in dieser Situation aktiviert werden, ist noch nicht ausreichend geklärt, doch spielen dabei sowohl Stoffwechsel- und andere Produkte der Helminthen, wie auch Zytokine des geschädigten Epithels –als DAMPS, danger associated molecular patterns-- eine Rolle.

Andere Zellen im betroffenen Infektionsgebiet, wie Mastzellen und basophile Granulozyten, reagieren mit der Sekretion von IL‑4. Eine naive CD4+ T-Zelle, deren Rezeptor auf das Wurmpeptid passt, wird in Gegenwart von IL‑4 dazu aktiviert, sich in Richtung TH2-Zelle zu entwickeln und in eine Phase der klonalen Expansion zu gehen. Die entstehenden TH2-Effektorzellen wandern in die Infektionsgebiete ein, sezernieren dort IL-4, IL-5, und IL-13  und rekrutieren und aktivieren damit Mastzellen und eosinophile Granulozyten, die, unterstützt von IgE, der Wurminfektion entgegen wirken.

Die in einer Wurminfektion parallel mit TH2-Zellen entstehenden, ebenfalls IL‑4-produzierenden TFH-Zellen bewirken in der Keimzentrumsreaktion eine effiziente Umschaltung zur Produktion von IgE. IgE wird von hochaffinen Fc-ε-Rezeptoren auf Mastzellen, basophilen und eosinophilen Granulozyten gebunden. Kontakt mit dem Wurm führt zur Quervernetzung des auf Mastzellen gebundenen IgE. Mastzellen schütten darauf ihre Granula aus, die Histamin und andere für eosinophile Granulozyten chemotaktisch wirkende Moleküle enthalten. IL‑5 aus TH2-Zellen verstärkt die Aktivierung und die Nachproduktion von Eosinophilen. Eosinophile Granulozyten umringen den Wurm in großer Zahl und binden über IgE an dessen Oberfläche. Diese Quervernetzung führt zur Ausschüttung der äußerst toxischen basischen Proteine (major basic protein), sodass es manchmal gelingt, den Wurm abzutöten.

IL-13 wirkt auf das benachbarte Epithel. Es stimuliert dessen Proliferation, sodass mehr alte Zellen pro Zeiteinheit abschilfern und manche infizierenden Helminthen damit ihren Halt verlieren. IL‑13 regt auch die Schleimbildung an, sodass Parasiten im Schleim-Gegenstrom eher vom Epithel abgehalten und weggespült werden. Das wird durch eine Verstärkung der Kontraktion glatter Muskulatur noch unterstützt. IL-13 und IL‑4 gemeinsam können Makrophagen "alternativ" aktivieren (im Gegensatz zur "klassischen" Aktivierung durch IFNγ). Die so entstehenden M2-Makrophagen fördern die Reparatur des geschädigten Gewebes.

Leider gelingt es durch diese Mechanismen in der Regel nicht, infizierende Helminthen ganz aus dem Organismus zu eliminieren, doch wird häufig zumindest ein einigermaßen stabiler Gleichgewichtszustand erreicht.

Menschen, die auf Bauernhöfen in Kontakt mit Nutztieren aufwachsen, entwickeln weniger Allergien. Die Hygienehypothese postuliert, dass die Menschen in den reichen Ländern unseres Planeten "zu wenig" den parasitären Erkrankungen ausgesetzt sind, für die unsere Abwehr vorbereitet ist. Das "unausgelastete" Parasitenbekämpfungssystem richtet sich unter diesen Umständen leichter gegen "Bedrohungsattrappen" wie z. B. Pollen. Bei allergischem Asthma tragen die starke Schleimbildung und die Kontraktion glatter Muskulatur im Sinne einer spastischen Bronchitis zur Symptomatik bei.

Pharmakologische Querverstrebung: Wenn andere therapeutische Ansätze keine ausreichende Besserung bringen, können monoklonale Antikörper versucht werden:

·      Omalizumab: bindet und beseitigt IgE, bei allergischem Asthma und chronischer Urtikaria.

·      Mepolizumab, Reslizumab: bindet und beseitigt IL‑5, bei eosinophilem Asthma.

·      Benralizumab: bindet an den IL‑5-Rezeptor auf Eosinophilen und verhindert dessen Aktivierung durch IL‑5. Zusätzlich killen NK-Zellen die eosinophilen Granulozyten via ADCC. Bei eosinophilem Asthma.

·      Dupilumab: bindet an die α-Kette des IL‑4-Rezeptors, sodass gleichzeitig die Wirkung von IL‑4 und IL‑13 blockiert ist. Bei schwerer Ausprägung von atopischer Dermatitis, Asthma und chronischer Rhinosinusitis mit Polypenbildung.


2.15  Die Rolle von TH17-Zellen

In der frühen Phase einer Infektion durch Bakterien oder Pilze kann eine Kombination von IL‑6 und TGFβ aus aktivierten dendritischen Zellen im Lymphknoten naive T-Zellen zur Differenzierung zu TH17-Zellen aktivieren. Ihr absurder Name rührt von der Tatsache her, dass sie weder IL‑4 noch IFNγ sezernieren, aber große Mengen von IL‑17 (der Name TH3 war bereits für eine Untergruppe der regulatorischen T-Zellen vergeben). Für die Expansion und Funktion von TH17-Zellen ist IL-23 notwendig, das den TH17-typischen Transkriptionsfaktor stabilisiert und damit die Produktion der TH17-Hauptwerkzeuge IL‑17 und IL‑22 treibt. Effektor-TH17-Zellen verlassen den Lymphknoten und migrieren zum Infektionsherd. Dort treffen sie wieder auf ihre spezifischen Antigen-Peptide, die ihnen von Makrophagen auf MHC-II präsentiert werden, und sezernieren daraufhin IL‑17 und IL‑22. Der Großteil aller Zellen exprimiert IL‑17-Rezeptoren. Epitheliale Zellen, z. B. Keratinozyten, und Fibroblasten im Infektionsgebiet reagieren darauf mit der Ausschüttung bestimmter Chemokine, die neutrophile Granulozyten anlocken, sowie der Ausschüttung von GM‑CSF und G‑CSF, die Produktion und Freisetzung von Neutrophilen im Knochenmark ankurbeln. Die Kombination von IL‑17 und IL‑22 bringt Keratinozyten dazu, Defensine zu produzieren, die Pathogene abtöten können. Außerdem beschleunigt sie die Proliferation und Abschilferung von Epithelzellen, sodass es Erregern schwerer gemacht wird, anzuheften. In Summe verstärken TH17-Zellen also nicht-adaptive Abwehrmechanismen, so wie Antikörper nicht-adaptive Abwehrmechanismen verstärken.

Das klingt im ersten Moment nicht besonders beeindruckend, doch sehen wir uns an, was passiert, wenn das System nicht funktioniert: TH17-Zellen spielen eine besondere Rolle dafür, den uns immer kolonisierenden Pilz Candida albicans unter Kontrolle zu halten. Defekte in IL-17 oder dem IL-17-Rezeptor führen zu mucocotaner Candidiasis mit schwersten Candida-Infektionen von Haut, Nägeln sowie oralen und genitalen Schleimhäuten.

Pharmakologische Querverstrebung: Keratinozyten können also durch IL‑17 zu Abwehrmaßnahmen inklusive verstärkter Proliferation motiviert werden. Umgekehrt hat sich gezeigt, dass hinter den Hauterscheinungen bei Psoriasis (Schuppenflechte) häufig eine IL‑17-Wirkung steht. Monoklonale Antikörper gegen IL‑17 wie Secukinumab sind sehr wirksam gegen Psoriasis, fördern aber durch ihren Wirkmechanismus das Angehen respiratorischer Infekte und die Neigung zu Candida-Infektionen. Auch Ustekinumab, das IL‑23 bindet und neutralisiert, wirkt sich auf diese Endstrecke aus und wird gegen Psoriasis eingesetzt.

2.16  Die Rolle von zytotoxischen T-Zellen

Zytotoxische T-Zellen können virusproduzierende Zellen und viele Tumorzellen zerstören.

Viren befallen oft nur spezifische Zellpopulationen. Im peripheren Gewebe  ist eine Virusinfektion für naive T-Zellen aber nicht erkennbar. Wie erreicht also die Information des Virusbefalls naive T-Zellen? Viele Gewebe enthalten dendritische Zellen ("professionelle APC"), die die Fähigkeit besitzen, nach Virusinfektion in den Lymphknoten zu wandern und dort Virusantigene zu präsentieren. Dort präsentiert die APC via MHC-I in der Zelle entstandenes Virusmaterial naiven CD8+T-Zellen. Kommt die "richtige" Zelle vorbei, wird sie aktiviert, beginnt zu proliferieren und bildet einen zytotoxischen T-Zellklon mit Spezifität für die Kombination von eigenem MHC-I mit Virusantigen. Die fertigen Effektorzellen zirkulieren durch alle Gewebe und kontrollieren alle Zellen, an denen sie vorbeikommen. Erkennen sie eine Zelle, die das Viruspeptid auf MHC-I präsentiert, leiten sie in der entsprechenden Zelle Apoptose ein. Dazu besitzen sie zwei Mechanismen.

Der erste besteht in der Sekretion von Perforin und Granzymen. Beide sind in Granula gepeichert und werden nach Antigenerkennung freigesetzt. Perforin schleust die Granzyme ins Zellinnere. Dort aktivieren sie Caspasen, spezifische Proteasen, die die Apoptosemaschinerie in Gang setzen.

Der zweite Mechanismus der Apoptoseeinleitung ist die Induktion des Oberflächenmoleküls Fas-Ligand. Wenn die virusbefallene Zielzelle das Partnermolekül Fas auf der Oberfläche exprimiert, genügt der Kontakt zwischen Fas-Ligand und Fas, um in der Zielzelle Caspasen zu aktivieren. Die zytotoxische T-Zelle selbst wird durch diese Vorgänge nicht berührt. Sie geht alsbald auf die Suche nach der nächsten befallenen Zelle.

Die Funktion von zytotoxischen T-Zellen ist nicht auf virusinfizierte Zellen beschränkt. Falls z. B. ein maligne entarteter Zellklon ein Peptid auf MHC-I präsentiert, das dem Immunsystem nicht bekannt ist, kann dieser Tumorzellklon eine zytotoxische T-Zell-Antwort auslösen unter der Voraussetzung, dass er auch ko-stimulatorische Moleküle exprimiert. Leider ist das nicht regelmäßig der Fall.

Da das Erkennen von Abweichungen in Zellen an die Funktion von MHC-I gebunden ist ("MHC-I-restringiert" ist), wird auch klar, dass es einen Mechanismus geben muss, der Zellen beseitigt, die nicht ausreichend MHC-I bilden, um ihren Inhalt zuverlässig überwachen zu können. Diesen Reservemechanismus stellen NK-Zellen dar (Kein Ausweis?— Rübe ab!).

Ziel der zytotoxischen Immunantwort ist es, durch Zerstören der befallenen Zellen die Vermehrung des Virus zu stoppen. Normalerweise können die so eintretenden Zellverluste leicht durch Proliferation nicht-befallener Zellen wieder ausgeglichen werden. Wenn Virusbefall und die zytotoxische Immunantwort aber massiv ausfallen, kann es zu schweren Schäden kommen, die eigentlich nicht durch das Virus, sondern erst durch die Abwehr bedingt sind. Ein Beispiel dafür ist eine akute gelbe Leberdystrophie bei Hepatitis-B-Infektion.

Virusbefallene dendritische Zellen können aber auch CD4+ Zellen aktivieren. Während in der Zelle produziertes Virusmaterial zunächst nur auf MHC-I präsentiert werden kann, gelangen die Hüllproteine des Virus in die Zellmembran, um das Knospen neuer Viren zu ermöglichen. Von dort können sie via Endozytose in Vesikel aufgenommen, prozessiert und auf MHC-II wieder an die Oberfläche gebracht werden. So werden TFH-Zellen aktiviert und mit deren Hilfe Antikörperantworten besonders gegen virale Hüllproteine induziert. Die Folge sind oft hochwirksame neutralisierende Antikörper.

Im Prinzip sind zytotoxische T-Zellen auch in der Lage, Tumorzellen zu zerstören. Die Haupteinschränkung dabei ist, dass Tumorzellen "Selbst"-Zellen sind und unsere T-Zellen im Thymus ja so selektiert wurden, dass sie "Selbst"-Zellen in Ruhe lassen. Zu diesem Punkt benötigen wir daher eine Menge Kleingedrucktes, mit dem wir uns erst später auseinandersetzen, wenn wir uns mit der Krebsentstehung beschäftigen. Hier beschränken wir uns auf die Feststellung, dass es Krebszellen oft gelingt, sich vor angreifenden T-Zellen zu schützen, indem sie den T-Zellen im letzten Moment "auf den Off-button hauen". Durch eine direkte Interaktion aktivieren sie einen Mechanismus, den wir immune checkpoint nennen und der die T-Zellen auf der Stelle stoppt.
Die Tumorzellen exprimieren z. B. das Transmembranprotein PD‑Ligand‑1 (PD-L1), das PD‑1 auf der angreifenden T-Zelle kontaktiert und damit die Aktivierung der T-Zelle über ihren T-Zell-Rezeptor verhindert.

Pharmakologische Querverstrebung:

Zu den neueren Pfeilen in unserem Krebstherapie-Köcher gehören monoklonale Antikörper, welche diese Inaktivierung von Antitumor-T-Zellen verhindern. Sie werden als immune checkpoint blockers bezeichnet. Beispiele sind:

·      Nivolumab (Antikörper blockiert PD‑1)

·      Pembrolizumab (Antikörper blockiert PD‑1)

·      Atezolizumab (Antikörper blockiert PD‑L1)

·      Ipilimumab (Antikörper blockiert CTLA‑4)

Allerdings schützen sich auf diese Weise nicht nur Tumorzellen; auch ganz normale Körperzellen schützen sich mit diesem Mechanismus vor ungerechtfertigten Angriffen durch grenzwertig autoimmun wirksame T-Zellen. Der Einsatz dieser Antikörper zur Krebstherapie führt damit oft zu autoimmunen Entzündungen der Haut, Gastroenteritis, Hepatitis, Pneumonitis, Diabetes, Uveitis oder sogar Myokarditis, die einen Therapieabbruch erzwingen.

 

CAR-T-Zell-Therapie. T-Zellen wären also eigentlich sehr geeignete Waffen, um maligne Zellen zu bekämpfen, doch wurden im Thymus gerade die "Selbst"-erkennenden T-Zell-Rezeptoren eliminiert. Die Idee ist nun, den T-Zell-Rezeptor durch einen künstlichen Rezeptor zu ersetzen, der einerseits ein "Selbst"-Protein auf der malignen Zelle erkennt, andererseits die Signaltransduktion des T-Zell-Rezeptors in Gang setzen kann. Dieses künstliche Protein nennen wir CAR (chimeric antigen receptor). Das gentechnisch hergestellte Transmembranprotein hat als extrazelluläre Domäne den variablen Anteil eines Antikörpers in single-chain-Form, in der intrazellulären Domäne einen Teil der CD3-ζ-Kette sowie Teile von kostimulatorischen Proteinen wie CD28. Man produziert also künstlich einen massiv autoreaktiven zytotoxischen T-Zell-Klon. Es ist natürlich notwendig, das erkannte Antigen klug auszuwählen: Im Idealfall ist dieses nur auf den malignen Zellen, nicht aber auf anderen Zellen exprimiert. Ein Beispiel wäre CD19. Dieses wird nur auf B-Zellen und damit auf den meisten Non-Hodgkin-Lymphomen inklusive B-Zell-Leukämien exprimiert. Die Therapie eines solchen Patienten beginnt, indem man am Blutzellseparator Lymphozyten abnimmt und zytotoxische T-Zellen durch einen retroviralen Vektor mit dem Gen für den anti-CD19-CAR ausstattet und vermehrt. Damit die CAR-T-Zellen nachher mit ihrem dem Immunsystem unbekannten Bestandteilen nicht gleich niedergemacht werden, ist es anschließend leider notwendig, die Lymphozyten des Patienten zu depletieren. Das ist durch die Gabe von Alemtuzumab gegen CD52 möglich, das von allen reifen Lymphozyten exprimiert wird. Nach 3-4 Wochen werden die anti-CD19-CAR-T-Zellen dem Patienten infundiert. Diese killen alle Zellen, die CD19 tragen; also Tumor- aber auch normale B-Zellen. Eine der Gefahren dabei ist ein "Zytokinsturm" aus den beteiligten Zellen. Bisher sind lediglich Verfahren gegen B-Zell-Neoplasien – gegen CD19 und einen zweiten B-Zellmarker –zugelassen. Gearbeitet wird an CAR-T-Zellen gegen solide Tumoren. Die Verfahren sind prohibitiv teuer – €250.000 bis €500.000 pro Patient –, vor allem durch die notwendigen klinischen Studien zur Sicherheit des verwendeten Retrovirus. An billigeren, einfacheren Verfahren zur Integration das CAR-Gens – ohne Retrovirus – wird gearbeitet. CRISPR/Cas plus homologe Rekombination wäre eine Variante, die auch erlauben würde, eine genomische Integrationsstelle gezielt anzusteuern.

2.17  Regulatorische  T-Zellen (Treg)

In manchen Tiermodellen für Autoimmun- oder Transplatatabstoßungsreaktionen kann man den Effekt einer Antigen-spezifischen T-Zellpopulation beobachten, die den gewebsschädigenden Effekt anderer T-Zellklone unterdrückt und damit der Autoimmunreaktion bzw. der Transplatatabstoßung entgegenwirkt.

So kann der Transfer eines bestimmten, Insulin-spezifischen T-Zellklons in die NOD-Maus (Non-Obese Diabetic mouse, ein Modell für Typ I Diabetes), die Zerstörung von β-Zellen durch autoreaktive T-Zellen verhindern. Diese sogenannten regulatorischen T-Zellen üben ihre Wirkung direkt in den Inseln aus, hauptsächlich durch Freisetzung von TGF-β und IL-10, die andere T-Zellen in ihrer Funktion hemmen. Regulatorische T-Zellen sind meist CD4+ und zeigen einen aktivierten Zustand, d. h. sie exprimieren die α-Kette des IL-2-Rezeptors, CD25. Viele sind charakterisiert durch die Expression des Transkriptionsfaktors forkhead box P3 (FOXP3). Mutationen im FOXP3-Gen führen zu einem schweren Krankheitsbild mit multiplen Autoimmunphänomenen, dem IPEX-Syndrom (Immunodysregulation, Polyendocrinopathy and Enteropathy, X-linked), das häufig in den ersten Lebensmonaten oder -Jahren zum Tod führt, wenn es nicht gelingt, früh eine Stammzelltransplantation durchzuführen.

Es gibt also neben immunstimulierenden T-Zell-Arten, wie T-Helfer-Zellen und zytotoxischen T-Zellen, noch weitere T-Zellpopulationen, die den gegenteiligen Effekt haben. Diese Zellen wurden daher einige Jahre als T-Suppressorzellen bezeichnet. Wie aus dem NOD-Beispiel ersichtlich, ist der Nachweis solcher Zellen nur in sehr komplexen Modellen möglich, die meist verschiedene Interpretationen zulassen. In einer Phase erheblicher Zweifel geriet der Name T-Suppressorzellen in Verruf; heute, mit aufgrund neuer Daten neu gestärkter Zuversicht, spricht man lieber von regulatorischen T-Zellen (Treg).

Manche regulatorischen T-Zellen differenzieren bereits im Thymus (natural Treg), andere erst in der Peripherie (induced Treg), ausgehend von naiven CD4+ T-Zellen. Wenn in der Peripherie alles ruhig ist, gelangen keine aufregenden Zytokine in den Lymphknoten: kein IL‑6, kein IL‑4, kein IL‑12 und kein IFNγ. In den Lymphknoten gelangen nur entspannte, unaufgeregte, dendritische Zellen mit wenig kostimulatorischen Molekülen, die lediglich etwas TGFβ und "langweilige" Selbst-Peptide präsentieren. In dieser Normalsituation scheinen naive T-Zellen dazu angeregt zu werden, regulatorische T-Zellen zu werden, die Immunantworten gegen Selbst verhindern: ein Wachdienst zur Aufrechterhaltung des Status quo.

Die Bedeutung dieser regulatorischen T-Zellen beim Menschen, die Bedingungen für ihre Entstehung –wann entstehen aktivierende T-Helferzellen, wann bremsende regulatorische T-Zellen?-- und die Mechanismen ihrer regulatorischen Funktion bleiben weiterhin unzureichend verstanden und Gegenstand intensiver Forschungsbemühungen.

2.18  γ:δ-T-Zellen UND NKT-ZELLEN

Die bisher besprochenen T-Zell-Unterarten exprimieren jeweils α:β-T-Zell-Rezeptoren. γ:δ-T-Zellen sind in ihrer Funktion noch nicht geklärt. Sie kommen vor allem in Epithelien der Körperoberfläche (Haut, Darm) vor und exprimieren einen TCR, der aus durch Rearrangement entstehenden γ- und δ-Ketten aufgebaut ist. Trotzdem ist die Vielfalt der so entstehenden  Rezeptoren gering, und die meisten Rezeptoren scheinen funktionell homogen zu reagieren. Diese Rezeptoren sind nicht auf präsentierenden MHC angewiesen und erkennen anscheinend größere Moleküle statt kleiner Peptide. Wahrscheinlich erkennen die Rezeptoren nicht das mikrobielle Antigen, sondern eine uniforme Veränderung des Epithels, die im Lauf verschiedener Infektionen auftritt. Viele γ:δ-T-Zellen erkennen z. B. heat shock- oder Stressproteine, die bei vielen exogenen Irritationen auf Epithelzellen auftreten.

Eine weitere ungewöhnliche T-Zell-Unterart stellen NKT-Zellen (Natural Killer T cells) dar. Sie exprimieren einen weitgehend invarianten α:β-T-Zell-Rezeptor, der nicht Peptide, sondern Lipide und Glykolipide erkennt. Diese Selbst- und Fremdlipide werden ihnen nicht auf den normalen MHC-Molekülen, sondern auf dem MHC‑I-ähnlichen Molekül CD‑1d präsentiert. Auf diese Stimulation reagieren NKT-Zellen mit der Freisetzung von Zytokinen.

2.19  Lymphozyten-Diagnostik

Durchflusszytometrie, FACS

Es gibt viele Situationen, in denen man aus diagnostischen Gründen mehr über die Zusammensetzung der Lymphozyten in Blut, Knochenmark oder einer anderen Körperflüssigkeit wissen möchte. Leider kann man die Transmembranproteine, die die funktionellen Unterschiede widerspiegeln, im Mikroskop nicht sehen. Trotzdem ist es möglich, diese Art von Informationen zu erhalten, wenn auch mit beträchtlichem technischen Aufwand. Das dazu benötigte Gerät heißt Durchflusszytometer oder englisch FACS (fluorescence-activated cell sorter). Es existieren zwei Ausbaustufen: die einfachere Version kann Zellen nur analysieren; die zweite Ausbaustufe, auf die sich die Bezeichnung FACS eigentlich bezieht, kann Zellen auch sortieren, das heißt, Zellen gezielt in verschiedene Röhrchen einfächern.

Eine praktisch häufig benötigte Untersuchung ist die Bestimmung der Zahl der CD4+ und CD8+ Lymphozyten, z. B. zur Beurteilung des Therapieerfolgs von HIV-Patienten. Man nimmt dem Patienten ein Röhrchen Blut ab und "färbt" die Zellen mit monoklonalen Antikörpern gegen CD4 und CD8, wovon der eine mit einem grün, der andere mit einem rot emittierenden Fluoreszenzfarbstoff gekoppelt ist. Die Erythrozyten werden lysiert, sodass nur die Leukozyten im FACS analysiert werden. Das Medium mit den Leukozyten wird durch eine dünne, vibrierende Düse senkrecht nach unten gespritzt. Unmittelbar unter der Düse scheint ein kurzwelliger Laser durch den Flüssigkeitsstrahl. Trifft eine Zelle auf das Laserlicht, wird dieses in verschiedene Richtungen gestreut; falls die Zelle Fluorochrom-markierte Antikörper gebunden hat, regt das Laserlicht auch die Emission von Fluoreszenzlicht an. Vier Aspekte dieses Ereignisses werden durch vier verschiedene Detektoren registriert:  

1.      Forward scatter, Streuung des Laserlichts in Lichtrichtung, korreliert mit der Größe der Zelle.

2.      Side scatter, Streuung zur Seite, korreliert mit der Granularität der Zelle.

3.      Grünes Fluoreszenzlicht.

4.      Rotes Fluoreszenzlicht.

Auf diese Weise werden in wenigen Sekunden 10.000 Zellen analysiert, wobei für jede dieser Zellen die beschriebenen vier Lichtintensitäten festgehalten werden. Mit diesen Daten ist es möglich, die Hauptleukozytenpopulationen anhand der Intensität von forward und side scatter in einem dot plot zu identifizieren: die neutrophilen Granulozyten sind relativ groß (hoher Wert im forward scatter) und sehr granulär (hoher Wert im side scatter); die Monozyten sind ebenfalls groß, aber weniger granulär; die Lymphozyten sind klein und homogen. In einem zweiten Analyseschritt überprüft man die so identifizierten Lymphozyten im Hinblick auf die mitregistrierten Fluoreszenzwerte: es stellt sich heraus, dass es unter diesen Lymphozyten grüne, rote sowie solche gibt, die weder grünes noch rotes Fluoreszenzlicht emittieren. Grün fluoreszierende Lymphozyten sind also CD4+ Lymphozyten, da sie den Antikörper gegen CD4 gebunden haben. Rote Lymphozyten sind CD8+ Lymphozyten. Lymphozyten, die weder grün noch rot fluoreszieren, haben keinen der beiden Antikörper gebunden und können B-Lymphozyten, γ:δ-Zellen oder NK-Zellen sein.

Das Sortieren von Zellen wird dadurch ermöglicht, dass der zellhaltige Flüssigkeitsstrahl durch das Vibrieren der Düse bald in einzelne Tröpfchen genau definierter Größe zerbricht. Nur jedes zehnte oder zwanzigste dieser Tröpfchen enthält eine Zelle. Durch den vorgeschalteten Laser mit Detektoren "weiß" die FACS-Elektronik, wann ein Tröpfchen mit einer Zelle mit bestimmten Charakteristiken abreißt. Unmittelbar vor es abreißt, kann sie der Düse –und damit dem Tröpfchen— noch eine elektrische Spannung anlegen. Reißt das Tröpfchen ab, nimmt es die zu diesem Zeitpunkt bestehende elektrische Ladung mit sich. Will man z. B. CD4+ und CD8+ Lymphozyten für weitere Untersuchungen von den anderen Leukozyten abtrennen, kann man Tröpfchen mit grün fluoreszierenden (CD4+) Zellen eine positive, rot fluoreszierenden (CD8+) eine negative Ladung mitgeben. Beidseits des weiteren Weges des Tröpfchenstrahls sind elektrisch geladene Ablenkplatten angeordnet, die die negativ geladenen Tröpfchen in die eine, die positiven in die andere Richtung ablenken. CD4+ Zellen fallen damit z. B. in das rechte Röhrchen, CD8+ Zellen in das linke, alle anderen Zellen –B-Lymphozyten, NK-Zellen, Granulozyten, Monozyten— erhalten keine Ladung, werden nicht abgelenkt und fallen ins mittlere Röhrchen. Diese Methodik ist selbstverständlich nicht auf CD4+/CD8+ Zellen oder Lymphozyten beschränkt; mit ihr kann man jede Zellpopulation sortieren, die mit Hilfe von monoklonalen Antikörpern definiert werden kann.

ELISPOT: Quantifizierung antigenspezifischer Lymphozyten

Wollen wir wissen, ob ein Patient TH1-Effektorzellen gegen, angenommen, Mycobacterium tuberculosis hat, können wir das mit einem enzyme-linked immunospot (ELISPOT)-Test herausbekommen (auch als IGRA, Interferon-γ release assay, oder T-spot bezeichnet). Der Test funktioniert wie ein ELISA mit eingestreuten Lymphozyten. Zunächst beschichten wir unsere Mikrotiterplatte mit einem Auffang-Antikörper gegen IFNγ. Wir stimulieren aus Patientenblut angereinigte mononucleäre Zellen mit definierten Proteinen von M. tuberculosis, sodass die antigenpräsentierenden Zellen Gelegenheit haben, diese Peptide den Lymphzyten auf ihrem MHC zu präsentieren. Anschließend verteilen wir die Zellen über die Mikrotiterplatte und inkubieren sie in Zellkultur. Falls TH1-Effektorzellen vorhanden sind, welche die M. tuberculosis-Peptide erkennen, wurden diese aktiviert und sezernieren nun IFNγ, das unmittelbar vom Antikörperrasen immobilisiert wird, auf dem die Zellen sitzen. Dann waschen wir die Zellen weg und färben mit dem üblichen Enzym-tragenden Sekundärantikörper und Substrat. Ist der Test positiv, wird ein kleiner Farbspot für jede M. tuberculosis-spezifische TH1-Zelle sichtbar. Die relative Häufigkeit antigenspezifischer Zellen wird mit Hilfe des Verhältnisses zwischen positiven Zellen und der Gesamtzahl ausgesäter Zellen geschätzt.

Der ELISPOT-Test kann auch dazu benützt werden, die Häufigkeit von B-Zellen zu bestimmen, die Antikörper gegen ein spezifisches Antigen sezernieren.

2.20  Lokale Immunität

Das lokale Immunsystem überwacht die riesigen inneren Grenzflächen des Organismus nach außen: die zarten Schleimhäute des Gastrointestinaltrakts, der Atmungswege und des Urogenitaltrakts. Besonders die Darmschleimhaut kommt mit ungeheuren Mengen von potentiell antigen wirksamem Fremdmaterial in Berührung, das überwiegend harmlos ist und toleriert werden muss, während es jederzeit auf das Auftauchen von Pathogenen überwacht werden muss. Analog der systemischen, besteht die lokale Immunität aus unspezifischen und adaptiven Komponenten.

Zur unspezifischen Abwehr des Darms tragen Paneth-Zellen bei, die am Grund der Krypten zwischen den epithelialen Stammzellen sitzen und diese schützen. Paneth-Zellen erkennen Pathogene über Toll-like receptors und reagieren mit Ausschüttung von Defensinen und Lysozym. Defensine sind kurze Peptide mit hydrophoben, positiv geladenen Enden, die sich in Erregermembranen einpflanzen und porenartige Strukturen bilden, welche die Funktion von Bakterien und Pilzen stören. Lysozym ist ein Enzym, das die Peptidoglykanschicht bakterieller Zellwände angreift. Es ist auch in vielen anderen Schleimhautsekreten enthalten, wie z. B. Tränenflüssigkeit, Speichel und Muttermilch.

Adaptive Mechanismen der lokalen Immunität sorgen für eine auf die Schleimhäute beschränkte und spezialisierte Immunantwort. Wie die systemischen Mechanismen beruhen sie auf den besprochenen Funktionen von dendritischen Zellen, T- und B-Zellen; der wesentlichen Unterschied liegt darin, dass im Schleimhautsystem aktivierte Lymphozyten nach ihrer klonalen Expansion und der Reise durch das Blut wieder in Schleimhautgebiete zurückkehren.

Peyer-Plaques und IgA wurden bereits besprochen. Peyer-Plaques stellen organisiertes lymphatisches Gewebe in der Wand des Dünndarms dar. Ihr spezialisiertes Epithel enthält zahlreiche M-Zellen, die komplexes Material aus dem Darm transzytotisch in die Lamina propria transportieren. M-Zellen haben eine stark gefältelte basolaterale Membran, die flächigen direkten Kontakt mit dendritschen Zellen und Lymphzyten ermöglicht. Manche dendritische Zellen drängen sogar einen Zellfortsatz zwischen die Enterozyten, um direkt Material aus dem Darmlumen aufzunehmen. Dendritische Zellen beladen sich also intensiv mit Antigenen des Darminhalts, die sie naiven T-Zellen entweder vor Ort, in der lamina propria, oder in mesenterialen Lymphknoten präsentieren. Während dieses Vorgangs werden die T-Zellen instruiert, spezielle Chemokinrezeptoren und Integrine zu exprimieren, die sie später, nach klonaler Expansion, in das Schleimhautsystem zurückleiten. Frisch aktivierte T-Zellen verlassen also den Peyer-Plaque oder den mesenterialen Lymphknoten, gelangen über Lymphgefäße und ductus thoracicus in das Blut, kehren aber, über den ganzen Körper verteilt, in verschiedene Schleimhautgebiete zurück, z. B. in jene der Atemwege, des Verdauungstrakts oder der aktiven Brustdrüse. In der Schleimhaut findet man T-Zellen in zwei Gebieten: direkt zwischen Epithelzellen (IEL, intraepithelial lymphocytes) und darunter, in der lamina propria.

IEL sind vorwiegend CD8+ T-Zellen. Ins Epithel werden sie durch ein spezielles Integrin mit Affinität zu E-Cadherin geleitet. E-Cadherin ist das wesentliche Adhäsionsprotein zur gegenseitigen Verankerung von Epithelzellen. Zusätzlich zu ihrem spezifischen T-Zell-Rezeptor exprimieren IEL den aktivierenden NK-Rezeptor NKG2D, der das Zellstress-induzierte MHC-I-verwandte Transmembranprotein MICA erkennt. IEL sind daher auch dazu befähigt, geschädigte Enterozyten über diesen unspezifischen Mechanismus zu erkennen und zu eliminieren.

Ein großer Anteil der T-Zellen in der lamina propria sind regulatorische T-Zellen (Treg), die besonders TGF‑β (transforming growth factor β) sezernieren. Diese Zellen sind wesentlich für die Aufrechterhaltung der immunologischen Toleranz gegenüber Lebensmittelantigenen und kommensalen Bakterien. Eine orale Aufnahme eines Proteinantigens macht eine systemische Immunreaktion gegen dieses Antigen wesentlich weniger wahrscheinlich. Diese "orale Tolerisierung" kann experimentell im Mausmodell durch Fütterung mit dem Hühnereiweiß Ovalbumin demonstriert werden: während eine Kontrollgruppe auf eine Ovalbumininjektion mit starker Antikörper-Produktion reagiert, reagieren die Ovalbumin-gefütterten Mäuse kaum. Beim Menschen ergab eine sorgfältig kontrollierte Studie, dass Kleinkinder, die frühzeitig Erdnussprodukte erhielten, im Alter von 5 Jahren seltener eine Erdnussallergie entwickelt hatten als eine Kontrollgruppe. Dieses Konzept der oralen Toleranz liegt Versuchen zugrunde, Pollenallergie durch sublinguale Verabreichung von Pollenantigen-Präparaten zu therapieren. Fehlfunktionen in der oralen Tolerisierung führen zu Erkrankungen wie inflammatory bowel disease und Zöliakie. TGF‑β aus Treg-Zellen der lamina propria stimuliert darüber hinaus B-Zellen in der Keimzentrumsreaktion zum class switch zu IgA.

Antigen-spezifische B-Zellen produzieren also nach ihrer Aktivierung und Expansion in Peyer-Plaques oder mesenterialen Lymphknoten für kurze Zeit IgM, wechseln aber rasch zu IgA, rezirkulieren und kehren ebenfalls in die lamina propria der Schleimhaut verschiedener Organsysteme zurück, um dort große Mengen von IgA-Dimeren zu sezernieren. Dieser Mechanismus erlaubt stillenden Müttern, schützendes IgA gegen selbst erlebte Darmpathogene an ihre Säuglinge weiterzugeben. Dimeres IgA wird von epithelialen Zellen, z. B. von Enterozyten oder Mammaepithelzellen, mit Hilfe des Poly-Ig-Rezeptors aufgenommen und transzytotisch ins Lumen transportiert. Dort wird es durch enzymatische Spaltung des Rezeptors freigesetzt. Ein Teil des Rezeptors verbleibt als secretory component  (SC) am IgA-Dimer, das in dieser Form als sekretorisches IgA (sIgA) bezeichnet wird. SC schützt sIgA im Verdauungstrakt vor dem proteolytischen Abbau. Seine starke Glykosylierung verankert und konzentriert das sIgA in der dünnen Schleimschicht über dem Epithel. sIgA verhindert den Kontakt von Bakterien, Viren und Toxinen mit deren Rezeptoren auf Enterozyten. Zusätzlich ermöglicht der Transzytoseprozess, bereits eingedrungene Erreger wieder hinter das Epithel zurückzuwerfen. Das sIgA-Repertoire im Darm umfasst auch Antikörper gegen kommensale Bakterien, Spezifitäten, die bei Gesunden im Serum nicht nachweisbar sind. Diese Antikörper sind Teil unserer kooperativen Beziehung mit den Kommensalen: "Leute, im Lumen könnt ihr treiben, was ihr wollt, aber die Enterozyten lasst ihr bitte in Ruhe!"

2.21  Immunologisches Gedächtnis

Bei jeder Immunreaktion werden nicht nur reife Effektorzellen gebildet, sondern einige der Zellen bleiben in einem zwar aktivierten, aber nicht ausgereiften Stadium stehen, in dem sie über sehr lange Zeit überleben können. Die Immunologie nennt diese Zellen memory cells (Gedächtniszellen). (Ausgereifte Effektorzellen haben nur eine sehr begrenzte Lebensdauer und sterben anschließend durch Apoptose).

Bei einer Reinfektion mit demselben Erreger werden keine neuen naiven B- oder T-Zellen aktiviert, sondern die Gedächtniszellen. Das hat zwei Vorteile. Erstens dauert diese Reaktivierung nur ein bis zwei, statt fünf oder mehr Tage. Zweitens haben die B-Gedächtniszellen bereits eine Phase der Hypermutation hinter sich, sodass einige von ihnen Antikörper mit höherer Affinität als die ursprünglichen produzieren können. Nur solche mit höherer Affinität werden durch das erneut auftretende Antigen selektiert, da die B-Zellrezeptoren der Gedächtniszellen in direkter Konkurrenz mit den noch bestehenden  löslichen Antikörpern der Primärantwort um das Antigen stehen.

Sekundär-, Tertiärantworten etc. zeichnen sich also dadurch aus, dass sie schneller erfolgen und immer höheraffine Antikörper hervorbringen.


3.  IMPFUNG

Impfungen sind die verbreitetste Anwendung der Immunologie. Impfungen zielen darauf ab, das immunologische Gedächtnis zum Schutz vor einer Ersterkrankung zu nutzen. Wie bei einer primären Immunreaktion ist es wichtig, dass die Art der induzierten Immunantwort der Lokalisation und den Pathogenitätsmechanismen des Erregers gerecht wird.

Die Krankheitserscheinungen von Diphtherie und Tetanus werden ausschließlich durch ihre stark wirksamen Toxine vermittelt. Bei diesen Krankheiten ist es daher gar nicht so wichtig, gegen den Erreger vorzugehen. Von größter Bedeutung ist es aber, dass von vornherein eine ausreichende Konzentration von neutralisierenden Antikörpern gegen die Toxine vorhanden ist, sodass diese unwirksam werden.

Bei Polio ist es wichtig, das Virus abzufangen, vor es die Zellen des Nervensystems befallen kann. Eine Bekämpfung dort durch CD8+ T-Zellen käme zu spät. Daher sind neutralisierende Antikörper noch im Darm oder im Serum unabdingbar. Gegen Polio wurden Mitte des letzten Jahrhunderts kurz hintereinander zwei Impfstoffe entwickelt: der inaktivierte Impfstoff nach Salk, der injiziert wird und die Bildung neutralisierender IgG im Blut bewirkt, und der Lebendimpfstoff nach Sabin, der in Form einer Schluckimpfung zu einer lokalen Immunität führt, bei denen das Virus bereits im Lumen das Darms durch sekretorisches IgA abgefangen wird. Der Lebendimpfstoff ist logistisch leichter anzuwenden (keine Nadeln, etc.), hatte aber auch einen Nachteil: Der am wenigsten Abgesicherte der drei Virustypen (Typ 2; 10 von 7429 Nucleotiden verändert) löste durch Rückmutation in 1 unter 1,000.000 Neugeimpften Lähmungen aus (VAPP: vaccine-associated paralytic polio. Dieser Virustyp wurde 2016 aus dem Impfstoff eliminiert, da der Wildtyp nicht mehr zirkulierte und als ausgerottet betrachtet wurde). Man erkannte erst mit der Zeit, dass Impfviren nicht nur bei den Geimpften, sondern auch bei deren ungeimpften Kontaktpersonen "Impfinfektionen" auslösten, also weiter gegeben wurden; ein zweischneidiges Schwert. Im Nachhinein erwies sich die Entscheidung zum switch von der 3-Typen- zur 2-Typen-Lebendimpfung als ungünstig, da das zirkulierende Typ 2-Impfvirus nun weniger Gegenwehr vorfand, sich effizienter ausbreiten konnte und wieder pathogenere Varianten entwickeln konnte, sodass 2024 im Nahen Osten wieder Typ 2-ausgelöstes Polio auftrat. In Österreich und vielen anderen Ländern wurde nach Zurückdrängen von Polio vom Lebendimpfstoff auf den inaktivierten Impfstoff umgestellt: In Ländern ohne lokale Polioerkrankungen, mit guter medizinischer Infrastruktur und hoher Impfrate wäre das Risiko mutierter attenuierter Impviren höher als jenes importierter Infektionen. In Ländern mit weniger entwickelter Infrastruktur (Kühlkette? Nadelmangel?), geringeren Impfraten und höherer Polio-Inzidenz verhindert der weitere Kreis an Impflingen, den man durch die vereinfachte Logistik der Schluckimpfung erreicht, wesentlich mehr echte Poliofälle als VAPP-Fälle verursacht werden; in diesen Ländern ist daher die Anwendung des Lebendimpfstoffes die sinnvollere Variante. Wenn es einmal gelungen sein wird, Polio vollständig zu eliminieren, ist es jedoch notwendig, die Impfung auch in diesen Ländern rasch umzustellen, um die Möglichkeit der Rückmutation eines attenuierten Virus zu einem pathogenen Virus zu unterbinden.

Impfungen bringen objektiv Risiken mit sich; die Diskussion darüber ist daher oft sehr emotional. Wesentlich ist es, die jeweiligen Risiken bei einer Entscheidung für bzw. gegen eine bestimmte Impfung zu quantifizieren und gegeneinander abzuwägen. Betrachten wir das Beispiel Masern. Manchmal wird von Eltern die Ansicht vertreten, Masern sei eine harmlose Kinderkrankheit, die man früher auch leicht ohne Impfung überstanden habe; eine Impfung sei ein unnötiges Risiko. Aus der Erfahrung des Einzelnen klingt das plausibel, doch ist das die ganze Wahrheit? Der Masernimpfstoff ist ein Lebendimpstoff, der zwei Ziele hat: die Induktion von zytotoxischen T-Zellen, sowie die Induktion von neutralisierenden IgG. Ein kleines Risiko besteht: viele Kinder bekommen Fieber, manche bekommen Impfmasern, eine stark abgeschwächte Form der Erkrankung mit erkennbarem Hautausschlag. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass durch eine Masernimpfung extrem selten eine Masern-Encephalitis ausgelöst wird, doch tritt ein mögliches solches Ereignis jedenfalls seltener als einmal in einer Million Geimpften auf (bei so seltenen Ereignissen ist es sehr schwer möglich, die Kausalität zu ermitteln). Wesentlich höher sind die Risiken im Fall einer Masernerkrankung eines Nichtgeimpften. Die häufigste Komplikation ist eine sehr schmerzhafte Otitis. Mit einer Häufigkeit von 1:200 tritt eine Pneumonie auf, für die wir im Gegensatz zu bakteriellen Lungenentzündungen keine wirksamen Behandlungmöglichkeiten haben. Eine Masern-Encephalitis tritt mit einer Häufigkeit zwischen 1:1000 und 1:5000 auf; diese Komplikation hat eine Mortalität von etwa 15%, und auch im Fall einer Heilung bleiben leider häufig Defekte zurück. Zusätzlich radiert eine Maserninfektion einen großen Teil aller memory cells aus, sodass die Kinder im Jahr danach leichter an anderen Infektionen erkranken. Als schwerste Komplikation tritt sehr selten viele Jahre später die tödliche subakut sklerosierende Panencephalitis auf. Als konkrete Illustration des Risikos, das durch nicht-Impfung entsteht, sei eine im Jahr 1999 in den Niederlanden dokumentierte Masern-Epidemie erwähnt:  Etwa 2300 erkrankte Personen (logischerweise fast ausschließlich Kinder von Impfgegnern) wurden gemeldet. Drei Kinder starben, 53 mussten stationär aufgenommen werden, davon 30 mit Pneumonie, 4 mit Encephalitis und 19 mit anderen Komplikationen. 130 Personen wurden zu Hause wegen Lungenentzündung behandelt, 152 mit Otitis media.

Solange es nur einzelne Personen sind, die sich aus Angst vor dem Risiko einer Impfung nicht impfen lassen, profitieren diese, ethisch nicht unproblematisch, doppelt: sie tragen selbst kein Risiko, sind jedoch durch die Herdenimmunität der überwiegenden Mehrheit der Geimpften geschützt. Wird der Anteil der Impfgegner allerdings zu hoch, schlägt die Risikolage ins Gegenteil um, wie im Beispiel der niederländischen Masernepidemie ersichtlich.

Zurück zu Impfmechanismen. Auch die für medizinisches Personal äußerst wichtige Hepatitis-B-Impfung beruht auf der Induktion neutralisierender Antikörper, sodass eventuell infizierende Viren die Leberzellen gar nicht erreichen. Der Impfstoff besteht in diesem Fall aus gentechnisch hergestelltem HBs-Antigen, das sich zu leeren Virushüllen zusammenlagert. Die Entstehung eines pathogenen Virus durch Mutation, wie bei Lebendimpfstoffen prinzipiell –und äußerst selten—möglich, ist auf diese Weise völlig ausgeschlossen.

Die meisten gegen virale Erkrankungen eingesetzten Impfstoffe enthalten allerdings attenuierte Lebendviren. Will man beispielsweise gegen das Masernvirus auch CD8+ T-Gedächtniszellen induzieren, ist das mit "totem Material" nicht möglich: um eine CD8+ T-Zellantwort zu induzieren, muss ja in der Zelle synthetisiertes Virusmaterial auf MHC-I präsentiert werden. Dazu muss das Virus vermehrungsfähig, aber harmlos sein. Diesen Zustand kann man durch Passagen des Virus über tierische Zellen erreichen: das Virus passt sich durch Mutation und Selektion der anderen Spezies an und funktioniert dann in menschlichen Zellen nicht mehr so gut. Mit der modernen Gentechnologie können solche das Virus abschwächenden Mutationen aber auch direkt, ohne den Umweg über Tierpassagen, eingebracht werden.

Anders verhält es sich bei Impfstoffen gegen bakteriell ausgelöste Erkrankungen. Während man in den Anfangszeiten der Impfpraxis notwendigerweise mit einfach herzustellenden, aber biologisch sehr komplexen Impfstoffen wie abgetöteten Bakterien arbeitete, versucht man heute, wenn immer möglich, mit wenigen, definierten Antigenen zu immunisieren, um die Rate an Nebenwirkungen möglichst gering zu halten.

Manche dieser Impfmoleküle wirken auf den ersten Blick eigenartig. Erinnern wir uns an die T-Zell-Hilfe, die zur Entsicherung von B-Zellen benötigt wird, um die Enststehung von unnötigen oder gefährlichen Antikörpern zu vermeiden. Viele pathogene Bakterien, z. B. Haemophilus influenzae und Streptococcus pneumoniae, tragen eine Polysaccharid-Kapsel, die sie für Neutrophile unsichtbar macht. Eine Impfung, die Antikörper gegen diese Polysaccharide induziert, löst dieses Problem, da solche Antikörper effizient opsonisierend wirken. Benützt man allerdings isolierte Kapselpolysaccharide als Impfstoff, werden, besonders bei Kindern, ungenügende Antikörper-Antworten erzielt. Warum? Die T-Zell-Hilfe fehlt! Eine T-Zelle kann nur helfen, wenn ihr die B-Zelle einen Peptid-Teil des Antigens auf MHC-II präsentiert. Im Fall eines reinen Polysaccharid-Antigens hat die B-Zelle nichts zu präsentieren: Polysaccharide passen nicht in den Spalt von MHC-Molekülen. Die Lösung besteht in einem Trick: wir koppeln ein kleines Protein an das Polysaccharid. Dieses Protein muss nicht einmal von H. influenzae stammen; im Gegenteil, der Trick funktioniert noch besser, wenn wir ein Protein benützen, gegen das die Kinder aus früheren Impfungen mit Sicherheit schon TFH-Zellen besitzen, z. B. Tetanustoxoid. Der "Konjugat-Impfstoff" gegen H. influenzae besteht also aus Polysacchariden von H. influenzae, die an das Toxoid von Clostridium tetani gekoppelt sind. Eine B-Zelle mit einem auf das Polysaccharid passenden Rezeptor/Antikörper erkennt das Molekül, internalisiert das gesamte "absurde" Molekül über den endosomalen Weg und präsentiert Peptide aus dem Toxoid auf MHC-II. Massenhaft Tetanustoxoid-Peptid-spezifische  TFH-Zellen stehen bereit, da das betroffene Kind in den erste Lebensmonaten wiederholt mit Tetanustoxoid als Bestandteil des polyvalenten Impfstoffes gegen Diphtherie, Pertussis, Tetanus etc. immunisiert wurde. Die Message der TFH-Zelle an die B-Zelle: "Passt! Mach' viel von deinem Antikörper!". Der Netto-Effekt: die anti-Tetanus- TFH-Zelle entsichert die anti-Hämophilus B-Zelle. Eigenartig? Es funktioniert!

Auch ein so optimiertes Impfmolekül löst alleine oft noch keine befriedigende Immunantwort aus. Dendritische Zellen können T-Zellen nur aktivieren, wenn sie kostimulatorische Moleküle wie B7 exprimieren. Dies wiederum bedingt die Aktivierung von pattern recognition receptors (PRRs) durch bakterielle pathogen-associated molecular patterns (PAMPs). Alte, empirisch entwickelte Immunisierungsprotokolle benützten bestimmte Zusätze, sogenannte Adjuvantien, die bakterielle PAMPs enthielten. Das klassische Adjuvans zur Gewinnung von Tiersera war das "komplette Freund'sche Adjuvans", das aus in Mineralöl aufgeschwemmtem, Hitze-inaktiviertem Mycobacterium tuberculosis bestand. Die älteren humanen Impfstoffe, die aus groben Präparationen abgetöteter Bakterien bestanden, enthielten dadurch die den Bakterien eigenen PAMPs als Adjuvantien. Moderne humane Impstoffe enthalten ebenfalls Adjuvantien, die Kostimulation fördern sollen, aber weniger Nebenwirkungen auslösen. Das verbreitetste Adjuvans in Humanimpfstoffen sind Partikel aus Aluminiumsalzen (alum). Diese führen zur Aktivierung von NOD-like receptors und des Inflammasoms und damit zur Expression der benötigten kostimularischen Moleküle. Was ist also ein Adjuvans in einer Impfung? Ein Zusatz zum eigentlichen Impfantigen, der den Zweck hat, pattern recognition receptors zu aktivieren. Nur so gelingt es, antigen-presenting cells zur Expression der kostimulatorisch wirkenden B7 (CD80 und CD86)-Proteine zu bringen, die nötig sind, um naive T-Zellen zu stimulieren.

Impfungen, die reine T-Zell-Antworten zum Ziel haben, sind im Allgemeinen weniger wirksam als solche, die neutralisierende Antikörper auslösen. Ein Beispiel ist die Impfung gegen Tuberkulose, die eine frühe und verstärkte TH1-Antwort bewirken soll. Die französischen Impfpioniere A. Calmette und C. Guérin züchteten einen Stamm von Mycobacterium bovis über Jahre in einem Medium aus Kartoffel, Galle und Glyzerin. Das so attenuierte Bakterium, Bacille Calmette Guérin (BCG) konnte dann als Lebendimpstoff gegen Tuberkulose eingesetzt werden. Es induzierte Mycobakterien-spezifische TH1 memory cells. Allerdings war der Impfschutz nur relativ, nur in 60-80% der Geimpften nachweisbar, hielt nur wenige Jahre an und hatte den Nachteil, dass der Mendel-Mantoux-Test positiv wurde, sodass dieses einfache diagnostische Mittel nicht mehr eingesetzt werden konnte. Die BCG-Impfung wurde daher in den meisten Ländern wieder abgeschafft.

Seit langem wird die Idee verfolgt, nur die genetische Information in Form von DNA oder RNA als Impfstoff zu verwenden und den Körper das eigentliche Impfprotein selbst herstellen zu lassen. Diese Art der Impfstoffe wurde vor der SARS-CoV‑2-Pandemie nur für einige Spezialanwendungen erprobt. Die Technik war aber weit genug fortgeschritten, dass sie sehr rasch auf die neue Herausforderung umgelegt werden konnte. Im Vergleich zu den herkömmlichen Impfstoffen hatte dieser Ansatz zwei Vorteile: kürzere Entwicklungszeit und bessere Skalierbarkeit. Eine Schwierigkeit dabei ist, die genetische Information zunächst im Extrazkellulärraum vor enzymatischem Abbau zu schützen und dann durch die Zellmembran ins Zellinnere zu schleusen. Techniken, die dabei verwendet werden, sind in Lipidhüllen verpackte mRNA und nicht-replizierende virale Vektoren.

SARS-CoV-2 Impfstoffe

Angesichts der Gefährlichkeit der COVID-19 Pandemie wurden die Impfstoffe unter hohem Zeitdruck entwickelt. Sie lösen stärkere Impfreaktionen aus als die bisher gewohnten Impfstoffe. Besonders junge Leute reagieren häufig heftig, mit hohem Fieber, Gelenk- und Muskelschmerzen und ausgeprägtem Krankheitsgefühl und sind oft ein oder mehrere Tage bettlägerig.

Die Impfstoffe von BioNTech-Pfizer und Moderna bestehen aus Nanopartikeln aus mRNA, die für das Spike-Protein (S) von SARS-CoV-2 codiert, umgeben von einer Lipidhülle. Die Lipidhülle schützt die mRNA vor dem Abbau durch RNAsen und ermöglicht das Einschleusen der mRNA in Zellen durch Fusion mit der Zellmembran. Der Impfstoff wird intramuskulär injiziert. Er benötigt kein Adjuvans, da RNA selbst als Adjuvans wirkt. Es entsteht eine oft schmerzhafte lokale Entzündung, einzelne Muskelzellen gehen unter. Dabei wird bereits von Muskelzellen synthetisiertes Spike-Protein durch dendritische Zellen und Makrophagen aufgenommen. Für die Wirkung am wichtigsten sind wahrscheinlich selbst transfizierte dendritische Zellen im Muskelgewebe, die in die lokalen Lymphknoten einwandern, das Virusprotein synthetisieren und Peptide daraus sowohl auf MHC-I als auch auf MHC-II präsentieren. Dadurch entstehen sowohl CD8+ cytotoxische T-Zellen als auch CD4+ T-Helferzellen, die sich zu TFH-Zellen weiterentwickeln und Hilfe zur Antikörperproduktion leisten.

Diese Art des Impfstoffs kann rasch und leicht an Virusvarianten angepasst werden, indem einfach die mRNA des varianten Spike-Proteins verwendet wird. So wird eine bivalente Vakzine angewendet, die die ursprüngliche Variante und eine Omikron-Variante enthält.

In sehr seltenen Fällen wird durch eine mRNA-Impfung, speziell nach der 2. Dosis, eine Myokarditis ausgelöst. Dies betrifft am ehesten jugendliche und junge Männer. Dies ist aber seltener der Fall, als eine Myokarditis im Rahmen einer SARS-CoV-2-Infektion.

Vektorimpfstoffe, der zweite Impfstofftyp, der zur breiten Anwendung kam, führen ebenfalls dazu, dass das S-Protein erst im Körper synthetisiert wird, doch wird die Nukleinsäureinformation in Form von DNA mit einem Adenovirusvektor in die Zellen gebracht. Auch diese Impfungen kommen ohne Adjuvantien aus, da Vektorvirusbestandteile selbst von pattern recognition receptors erkannt werden. Diese adenoviralen Vektoren sind nicht replikationsfähig, weil dafür notwendige Gene entfernt wurden, während das Gen für das SARS-CoV-2 S-Protein eingebaut wurde. Ein Problem, das sich aus diesem Ansatz ergibt: Wir alle haben bereits Infektionen mit Adenoviren durchgemacht, sodass unsere neutralisierenden Antikörper einen großen Teil der Impfvehikel abfangen würden, vor sich diese in die Zellen einschleusen können. Abgesehen davon führt die Erstimpfung auf jeden Fall zu einer Immunisierung nicht nur gegen SARS-CoV-2 S, sondern auch gegen die adenoviralen Kapsidproteine. Diese Sachlage ist wahrscheinlich verantwortlich dafür, dass die Vektorimpfstoffe zu einem etwas geringeren Prozentsatz schützen als die mRNA-Impfstoffe.

Auf diese Herausforderung haben die Impfstoffhersteller unterschiedliche Antworten gefunden. AstraZeneca/Oxford verwendete ein Adenovirus, das Schimpansen befällt und unserem Immunsystem damit noch unbekannt ist. Bei der zweiten Impfung wurde allerdings schon ein Teil des Impfstoffs neutralisiert. Es hat sich gezeigt, dass eine Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff zu einer besseren Impfantwort führt. Johnson & Johnson umging das Problem, indem es das selten vorkommende menschliche Adenovirus Typ 26 verwendete und überhaupt nur einmal impfte. Damit wurde in Kauf genommen, dass die Impfung nicht ganz so effizient ist wie bei zweimaliger Impfung. Der in Russland entwickelte Impfstoff "Sputnik-V" verwendete zwei unterschiedliche seltene Adenovirustypen für Erst- (Typ 26) und Zweitimpfung (Typ 5).

Nach Infektion der Zellen wird die virale DNA im Zellkern transkribiert, sodass mRNA für das S-Protein entsteht. Zwar haben Adenoviren keine Werkzeuge, sich ins Wirtsgenom zu integrieren, doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass in seltenen Fällen durch Chromosomenbrüche und Fehlreparaturen DNA-Fragmente des Impfvehikels in menschliche DNA integriert wird. Das ist allerdings bei den häufigen natürlichen Adenovirusinfektionen nicht anders; dabei wurden bisher keine größeren Probleme bekannt. Auch die Vektorimpfstoffe werden intramuskulär injiziert, die Immunantwort entwickelt sich wie bereits bei den mRNA-Impfstoffen besprochen. Auch hier entwickelt sich eine Antikörper- und eine T-Zell-Antwort.

In sehr seltenen Fällen wurden bei Adenovirus-Vektorimpfstoffen Sinusvenenthrombosen im Rahmen eines Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndroms beobachtet. Plättchenaktivierung wurde durch Autoantikörper gegen Plättchenfaktor 4 (CXCL4) verursacht (Mechanismus im Herz-Kreislauf-Skript). Dies betraf vor allem Frauen unter 50 Jahren, sodass vorzuziehen ist, diese mit mRNA-Impfstoffen zu immunisieren. Einige Länder verwenden diesen Impfstoff nur mehr für Personen über 65 Jahren. Ebenfalls sehr selten wurde Fälle von capillary leak syndrome und Guillain-Barré-Syndrom beobachtet.

Der erst später auf den Markt gekommene Impfstoff der Firma Novavax enthält gereinigtes SARS-CoV-2 Spike-Protein mit Adjuvans Durch spontane Zusammenlagerung der rekombinant hergestellte S-Proteineinheiten entstehen virus like particles, ähnlich wie beim Hepatitis B-Impfstoff, die keine genetische Information in Form von RNA oder DNA enthalten.

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Der Impferfolg lässt sich auf Antikörperebene leicht überprüfen; auf der T-Zell-Ebene ist eine Überprüfung (am ehesten durch ELISpot) zu aufwändig für die Routine.

Wie gut schützen die Impfstoffe vor Virusvarianten, die durch Mutationen entstehen? In einer geimpften Population setzen sich solche Mutanten durch, die den Immunmechanismen entkommen können ("Fluchtmutanten"). SARS-CoV-2 hat mehrere Spike-Proteinmutanten entwickelt, die von impfinduzierten neutralisierenden Antikörpern schlechter gebunden werden. Vor Infektion mit diesen Mutanten schützen die Impfungen zu einem verringerten Prozentsatz. Allerdings ist der Schutz vor schweren Erkrankungen nach bisherigen Daten weiterhin gegeben. Dies ist möglicherweise auf den Schutz durch T-Zellen zurückzuführen. Während das Virus die Bindung neutralisierender Antikörper durch Änderung einer Spike-Protein-Aminosäure wesentlich abschwächen kann, hat die Änderung einer Aminosäure geringe Folgen auf T-Zellebene: Eine Reihe von Peptiden des Spike-Proteins werden auf MHC präsentiert und von T-Zellen erkannt, sodass die Änderung einer Aminosäure (so diese überhaupt in einem präsentierbaren Peptid liegt) wenig ausmacht. Das Virus ist in der Entwicklung von Fluchtmutanten nicht frei: das S-Protein muss ja weiterhin an den Rezeptor, ACE2, binden.

Bei allen bisher eingesetzten Impfstoffen wird SARS-CoV-2 an der Vermehrung gehindert, wenn es einmal in den Körper eingedrungen ist. Damit wird eine schwere Erkrankung vermieden. Was nicht erreicht wird, ist, die primäre Vermehrung im Epithel des oberen Respirationstrakts zu verhindern. Deswegen können so Geimpfte noch infiziert werden und das Virus auch weitergeben, wenn auch in einem geringeren Ausmaß.

Um ein Angehen der Infektion ganz zu verhindern, muss ein attenuierter Lebendimpfstoff (analog der Polioimpfung nach Sabin) verwendet werden, der eine Schleimhautinfektion mit nachfolgender Bildung von sekretorischem IgA bewirkt. Solche Impfstoffe benötigen wesentlich mehr Entwicklungszeit und sind bei der Niederschrift dieses Textes noch nicht zugelassen.


4.  VERSAGEN DER ABWEHR


"Stärken Sie Ihr Immunsystem!"

...klingt definitiv besser als "Füllen Sie meine Geldtasche!", doch ist meist eigentlich Letzteres gemeint. Solange wir uns gut ernähren und unseren Organismus gut behandeln – Schlaf, Bewegung, nicht zu viel Stress – ist unser Immunsystem so stark wie es eben sein kann. Selbstverständlich schwächt Mangelernährung das Immunsystem. Rasche Produktion von Antikörpern, Nachschub von neutrophilen Granulozyten und Makrophagen, klonale Expansion von Lymphozyten benötigen Material, z.B. Aminosäuren in der richtigen Zusammensetzung. Wir werden uns damit in "Ernährung und Verdauung" noch auseinandersetzen. Doch all die zur Stärkung des Immunsystems angepriesenen Nahrungsergänzungsmittel sind bei normaler gesunder Ernährung nicht notwendig.

Für das Versagen der Abwehr bei guter Ernährung gibt es genetische Gründe, erworbene (acquired immunodeficiency syndrome –AIDS— durch HIV) sowie solche, die sich aus der Koevolution von mikrobiellen Erregern mit dem Menschen herleiten.

4.1  Genetisch bedingte Immundefizienzsyndrome

Genetisch bedingte Immundefizienzen sind in der Mehrzahl außerordentlich seltene Erkrankungen, die jedoch instruktiv für die Bedeutung einzelner Komponenten des menschlichen Abwehrsystems sind. Je nach betroffenem Gen sind folgende Systeme defekt:

·        T- und B-Zell-Funktion: severe combined immunodeficiency (SCID)

·        die globale Antikörperantwort oder Teile davon

·        Phagozytose

·        Komplementfunktion

Dazu kommen einige Syndrome, bei denen Defekte des Immunsystems lediglich Teil eines komplexeren Krankheitsbildes sind. Hier sollen nur wenige Beispiele kurz angerissen werden.

SCID

Mehrere genetische Defekte führen zu SCID, z. B. solche, die RAG-Proteine betreffen und zur Folge haben, dass weder Antikörper-Gene noch T-Zell-Rezeptorgene rearrangiert werden können. Die häufigeren Ursachen für SCID sind jedoch Gendefekte, die primär die T-Zell-Entwicklung verhindern. Die Bedeutung der T-Zell-Hilfe für Antikörperantworten zeigt sich darin, dass Patienten mit diesen Gendefekten auch keine effiziente Antikörperantwort ausbilden.

Die autosomal rezessiven Defizienzen zweier Enzyme des Purinstoffwechsels, ADA- und PNP, beeinträchtigen besonders die Entwicklung von T-Lymphozyten. Adenosin-Deaminase  (ADA) deaminiert (Desoxy‑) Adenosin zu (Desoxy‑) Inosin. Purin-Nukleosid-Phosphorylase (PNP) spaltet (Desoxy‑) Inosin und (Desoxy‑) Guanosin in Base und Ribose-1-Phosphat. Beide Defekte führen zu einer Akkumulation von dAMP/dATP. Hohe dATP-Konzentrationen führen zu einer Produkthemmung der Ribonukleotid-Reduktase, die aus Ribonukleotiden Desoxyribonukleotide macht, und hemmen so durch einen Mangel an dGTP, dCTP und dTTP die DNA-Synthese. Der Grund, warum T-Lymphozyten durch diesen toxischen Effekt stärker betroffen sind als andere Zellen, könnte darin liegen, dass im Thymus, wo mehr als 95% der Thymozyten in Apoptose gehen, durch DNA-Abbau lokal besonders hohe Konzentrationen von dAMP/dATP entstehen. ADA-Defizienz kann durch Infusion von Polyethylenglykol-gekoppelter ADA (PEG-ADA) behandelt werden, die natürlich nur extrazellulär wirkt; doch werden intrazelluläre Konzentrationen rasch über einen Nukleosid-Transporter äquilibriert. ADA-Defizienz war die erste Krankheit, die man durch somatische Gentherapie zu heilen versuchte, indem man eine funktionierende Version des Gens zuerst in T‑Zellen, später in hämatopoetische Stammzellen einbrachte. Zwar gelang es, das fehlende Enzym in einem Teil der T-Zellen zu ersetzen, doch war dieser Anteil bei den meisten bisher dokumentierten Kindern zu gering, um die Immundefizienz zu heilen.

Am erfolgreichsten waren Gentherapie-Versuche bisher bei einer weiteren Form der Erkrankung, X-linked SCID. X-linked SCID wurde erstmals weithin bekannt durch den "bubble boy", einen kleinen Jungen, den man versuchte, in einer keimfreien Plastikblase am Leben zu erhalten; er starb 1984 im Alter von 12 Jahren nach einer versuchten Knochenmarktransplantation. Bei dieser häufigsten Form von SCID entwickeln sich keine T-Zellen, bedingt durch einen X-chromosomalen Defekt in der gemeinsamen γ-Kette mehrerer Interleukinrezeptoren, darunter IL-2, IL-4, IL-7, IL-9 und IL-15. Eine gesunde Kopie dieser γ-Kette wurde beim Gentherapie-Versuch durch ein Retrovirus in hämatopoetische Stammzellen der betroffenen Kinder eingeführt. Die Kinder entwickelten daraufhin T-Zellen und waren imstande, auf typische Impfungen wie Diphtherie, Tetanus und Polio mit normalen Immunantworten zu reagieren. Der Euphorie folgte allerdings die Ernüchterung sowie der Abbruch dieser Versuche, nachdem zwei von fünfzehn Buben eine T-Zell-Leukämie entwickelten. Nachforschungen ergaben, dass das als Vektor eingesetzte Retrovirus sich jeweils in der Nähe eines Protoonkogens, LMO2, inseriert hatte. Die Überexpression dieses durch sogenannte insertionale Mutagenese aktivierten Onkogens hatte die T-Zell-Leukämie ausgelöst.

Antikörper-Defizienzsyndrome

Auch auf Ebene der B-Zellen gibt es ein X-chromosomal vererbtes Immundefizienzsyndrom, X-chromosomale Agammaglobulinämie oder Bruton- Agammaglobulinämie. Bei dieser Krankheit fehlt die Tyrosinkinase Btk (Bruton´s tyrosine kinase), die für die Signalübertragung einer Vorstufe des B-Zellrezeptors nach rearrangement der schweren Kette in Prä-B-Zellen notwendig ist. Ohne dieses Signal entwickeln sich in den betroffenen männlichen Kindern keine reifen B-Zellen und damit keine Antikörper. Die Kinder werden durch rezidivierende Infektionen mit Eiter-bildenden Bakterien wie Pneumokokken auffällig.

Beim X-chromosomal rezessiven hyper IgM-Syndrom findet man normale T- und B-Zellen sowie einen hohen Serumspiegel von T-Zell-unabhängigem IgM, jedoch keine anderen Immunglobulinklassen. Das defekte Molekül ist CD40-Ligand, mit dem TFH-Zellen den B-Zellen, sowie TH1-Zellen den Makrophagen Hilfe geben. Ohne T-Zell-Hilfe gibt es keinen Immunglobulin class switch. Die Kinder leiden unter häufigen Infektionen mit extrazellulären Bakterien sowie durch Pneumocystis jirovecii, der sonst problemlos durch aktivierte Makrophagen bekämpft wird.

Es gibt weitere Ursachen von class switch-Problemen, z. B. das durch AID-Defekte verursachte hyper IgM-Syndrome Type 2. Isotypenwechsel (class switch recombination) und somatische Hypermutation werden durch dasselbe Enzym eingeleitet: AID (activation-induced cytidine deaminase), das Cytosin zu Uracil umwandelt. Uracil wird dann durch UNG (Uracil-DNA-Glycosylase) aus dem DNA-Strang entfernt, gefolgt von weiteren Schritten, die zu Schnitten des DNA-Doppelstrangs in den sogenannten switch regions führen (siehe Abschnitt 2.5). Dieser Prozess ist notwendig, um die Zelle von IgM zu IgG oder IgA umschwenken zu lassen. Defekte der AID und UNG führen damit ebenfalls zu einem Fehlen von IgG und IgA bei normalem oder erhöhtem IgM.

Die häufigste Form der Immunglobulindefizienz ist mit 1:800 ein selektiver IgA-Mangel. Da die meisten betroffenen Kinder nur milde Symptome zeigen (alle Kinder sind manchmal krank...), wird die Diagnose nur selten gestellt. Stärker betroffene Kinder leiden unter rezidivierenden Schleimhautinfektionen wie Mittelohrentzündung, Nasennebenhöhlen-Entzündungen und Bronchitis, jeweils mit Neigung zur Chronifizierung, sowie Pneumonie und Darminfektionen. Auch Allergien und Autoimmunphänomene treten häufiger auf. Kritisch wird nach wiederholter Transfusion von Blutprodukten die Neigung, Anti-IgA-Antikörper zu bilden. Die genetische Basis des selektiven IgA-Mangels ist noch unzureichend geklärt.

Selektiver IgA-Mangel könnte eine schwach ausgeprägte Form eines anderen Krankheitsbildes sein, das als common variable immunodeficiency (CVID) bezeichnet wird, da die beiden Erkrankungen manchmal in ein und derselben Familie vorkommen. CVID ist mit ca. 1:25000 seltener und genetisch heterogen. CVID ist durch rezidivierende Infektionen des Atmungs- und/oder Gastrointestinaltrakts gekennzeichnet, die nicht vor dem 3. Lebensjahr, meist jedoch erst im zweiten oder dritten Lebensjahrzehnt auffallen. Typisch sind schlechte oder fehlende Impftiter. Ursache ist eine Hypogammaglobulinämie mit erniedrigten IgG- und IgA-, aber häufig normalen IgM-Spiegeln. Einige CVID-auslösende Gendefekte sind geklärt, die aber jeweils nur für wenige Prozent aller Patienten verantwortlich zeichnen. Betroffen sind Transmembranproteine, die (zusätzlich zum unbedingt notwendigen CD40L-CD40-Kontakt) für die Keimzentrums-lokalisierten Funktionen Isotypenwechsel (class switch) und somatische Hypermutation notwendig sind, die ihrerseits wieder Voraussetzung für die Ausbildung von funktionstüchtigen B-memory cells sind. Zu diesen Molekülen gehören ICOS,  TACI und CD19. In einzelnen Familien mit TACI-Defekten zeigten homozygote Mitglieder CVID, während Heterozygote nur unter selektivem IgA-Mangel litten. TACI ist ein Mitglied der TNF-Rezeptorsuperfamilie (TNFRSF13B) und wird durch Trimerisierung aktiviert. Heterozygote TACI-Defizienz würde also eine starken Reduktion funktioneller Trimere zur Folge haben, homozygote ein vollständiges Fehlen.

Phagozytose- und Komplementdefekte

Das Zusammenspiel von Antikörperantwort, Komplementsystem und Phagozyten ist essentiell für die Bekämpfung Eiter-bildender Bakterien, die durch ihre Polysaccharidhülle nicht direkt von neutrophilen Granulozyten erkannt werden können. Die Bedeutung dieser Kooperation wird durch den Befund unterstrichen, dass der Ausfall jeder dieser drei Komponenten in heftigen Infektionen mit diesen Erregern resultiert.

Mehrere Aspekte des komplexen Chemotaxis- und Phagozytosevorgangs können durch genetische Defekte gestört sein. Fehlen Oberflächenmoleküle wie Integrine oder der Kohlehydratligand der Selektine, gelingt es den Phagozyten nicht, an der Gefäßwand des Infektionsgebietes zu adhärieren. Fehlen Enzyme, die zur Produktion der reaktiven Sauerstoffverbindungen notwendig sind, können Erreger zwar phagozytiert, aber intrazellulär nicht abgetötet werden. Beispiele dafür sind chronische Granulomatose (Defekt der NADPH-Oxidase) oder Myeloperoxidasemangel. Beim Chediak-Higashi-Syndrom betrifft der Defekt ein Vesikeltransportprotein, sodass Phagosomen nicht mit Lysosomen verschmelzen.

Defekte im Komplementsystem haben je nach funktioneller Lokalisation unterschiedliche Folgen. Defekte im alternativen- oder Lektinweg sowie im C3-Molekül prädisponieren für Infektionen mit Eiterbildnern. Defekte in C1, C2 oder C4 führen über einen gestörten Abtransport von Immunkomplexen zu Typ-III-Erkrankungen (siehe Abschnitt 5.1). Defekte in den Membran-attackierenden Komponenten C5 bis C9 prädisponieren zu Infektionen mit Neisseria meningitidis.

4.2  HIV und AIDS

Durch die Verbreitung des Human Immunodeficiency Virus (HIV) ist AIDS eine häufige Erkrankung geworden. Zwei Virustypen existieren: HIV-1 ist weltweit verbreitet, das weniger infektiöse HIV-2 zur Zeit hauptsächlich in Westafrika. Beide wurden wahrscheinlich im Lauf des 20. Jahrhunderts in Afrika mehrfach von nicht-humanen Primaten auf den Menschen übertragen.

Die besondere Problematik dieser Erkrankung liegt darin, dass sie eine für die adaptive Abwehr zentrale Zelle, nämlich die CD4+ T-Zelle, befällt. Auch Makrophagen und dendritische Zellen exprimieren geringe Mengen von CD4 und werden damit ebenfalls infiziert. Das CD4-Molekül selbst stellt den Rezeptor für das Virus dar; zusätzlich wird für die Infektion einer von zwei Chemokinrezeptoren benötigt, CCR5 oder CXCR4. Dies spielt insofern eine Rolle, als es für CCR5 einen Defekthaplotyp gibt, CCR5-32 der bei homozygotem Vorkommen vor einer Übertragung der häufigsten HIV-Varianten schützt. Dieser CCR5-Haplotyp ist ethnisch ungleich verteilt: während ca. 1 % der kaukasischen Population homozygot für den Defekt ist, tritt dieser in afrikanischen und asiatischen Populationen weit seltener auf.

HIV wird durch Körperflüssigkeiten übertragen; am häufigsten über sexuellen Verkehr, kontaminierte Nadeln sowie von einer infizierten Mutter auf ihr Kind während der Geburt oder über die Muttermilch. Das Viruspartikel dockt über sein Hüllprotein gp120 an CD4 und den Chemokinrezeptor an, fusioniert seine Hülle mit der Zellmembran und bringt damit sein RNA-Genom mit Enzymausstattung, darunter reverser Transkriptase, in das Zytoplasma. Eine mit Hilfe dieses Enzyms hergestellte cDNA-Kopie wird dann durch die virale Integrase in das Genom der Zelle inseriert. Die integrierte cDNA-Kopie nennt man Provirus. In diesem Zustand kann das Virus, z. B. in memory cells, über lange Zeiten unangreifbar latent bleiben. Das Genom des Virus besteht aus den für Retroviren typischen  long terminal repeats (LTRs), die gag-, pol- und env-Gene flankieren, zu denen noch sechs kleinere Gene hinzukommen. Eine Aktivierung des Virus erfolgt parallel mit der Aktivierung der CD4+ T-Zelle durch den für diesen Prozess zuständigen Transkriptionsfaktor NFκB. Ausgehend von den entstehenden Transkripten, die teilweise durch splicing bearbeitet werden, entstehen die einzelnen Bestandteile des Virus. Manche der Proteine werden als Polyprotein-Vorstufen synthetisiert und anschließend durch die virale Protease zu den endgültigen Proteinen gespalten. Sind alle Komponenten vorhanden, werden sie verpackt und neue Viren tropfen von der Zelloberfläche ab.

Drei Mechanismen tragen zur Zerstörung der befallenen CD4+ T-Zellen bei:

·        zytotoxische CD8+ T-Zellen im Rahmen einer normalen antiviralen Immunantwort

·        direkt zytopathische Effekte des replizierenden Virus

·        eine verstärkte Apoptoseneigung der befallenen aktivierten Zelle

Im Lauf der Immunreaktion werden auch Antikörper gebildet, die viele der zahlreichen neugebildeten Viren eliminieren helfen.

Unbehandelt verläuft die Erkrankung in drei Phasen:

1. Akute HIV-Infektion in den Wochen nach der Infektion, charakterisiert durch Fieber, generalisiertes Exanthem, Lymphadenopathie, Pharyngitis, Aphthen (keine Rhinitis). Differentialdiagnostisch kommen für diese unspezifischen Symptome natürlich viele Ursachen in Frage, z. B. eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (infektiöse Mononukleose oder Pfeiffersches Drüsenfieber). Eine Diagnose kann in dieser Phase nur mit PCR (Polymerasekettenreaktion) gestellt werden. ELISAs der "4. Generation" kombinieren p24-Antigen- und Antikörpernachweis in derselben Testreaktion; sie werden frühestens 14 Tage nach Infektion positiv. Bei Schwangerschaft, Transfusionen, Autoimmunerkrankungen etc. können falsch positive Ergebnisse auftreten, deshalb ist für eine Diagnose immer ein Bestätigungstest – in der Regel ein Western Blot – notwendig. Antikörper gegen das Virus treten erst im Lauf der ersten Monate auf: nach 6 Monaten sind 99% der Infizierten Antikörper-positiv. Eine Diagnose der akuten Infektion ist essentiell, um das Verbreiten der Erkrankung in der folgenden asymptomatischen Phase zu verhindern.

2. Asymptomatische Infektion. Die Dauer dieser Phase hängt von mehreren Faktoren, z. B. dem Alter zur Zeit der Infektion ab, und kann bei jungen Menschen, die in stabilen Verhältissen leben, 10 und mehr Jahre dauern. Die Diagnose wird in dieser Zeit mit dem Nachweis von Antikörpern gegen das Virus in einem Western blot, meist nach einem ELISA-Suchtest, gestellt. Gegen Ende dieser Phase mehren sich Infektionen.

3. AIDS-Stadium. Der Ausbruch des Vollbildes der Immunschwäche hängt direkt von der Zahl der "übriggebliebenen" CD4+ T-Zellen ab. Während ein mm3 Blut normalerweise 500-1000 CD4+ T-Zellen enthält, sinkt dieser Wert in dieser Phase unter die kritische Schwelle von 200. Damit treten zunehmend schwere opportunistische Infektionen auf, z. B. mit Candida albicans (Soor-Ösophagitis), Pneumocystis jirovecii (früher: carinii; Pneumonie), Cytomegalievirus, Herpes Zoster, etc. Falls eine frühere Tuberkulose-Infektion nicht ganz eliminiert werden konnte, bricht der TH1-abhängige Granulom-Abwehrwall nun zusammen und führt zu einem akuten Aufflammen der Tuberkulose. Ebenfalls auftreten können das HIV-Auszehrungssyndrom und das sonst äußerst seltene Kaposi-Sarkom. Das Kaposi-Sarkom ist ein maligner Endothelzelltumor, der eigentlich durch das humane Herpesvirus Typ 8 (HHV8) ausgelöst wird, das sich nur bei ausgeprägter Abwehrschwäche durchsetzen kann. Der Patient erliegt schließlich einer dieser schweren Infektionen.

Pharmakologische Querverstrebung:

Trotz intensiver Bemühungen gibt es bisher weder eine Impfung noch eine breiter zugängliche Möglichkeit, die HIV-Infektion endgültig zu heilen, doch wurde eine effiziente Therapie, HAART (highly active antiretroviral therapy) entwickelt. Der Angriffspunkt liegt in der Hemmung viruseigener Enzymaktivitäten: der reversen Transkriptase (RTI), der Integrase (INSTI, integrase nuclear strand transfer inhibitors) sowie der Protease (PI), die für die Endfertigung essentieller viraler Proteine notwendig ist. Zusätzlich gibt es Entry-Inhibitoren, die das Andocken des Virus an der Zelle behindern. Unter den RT-Hemmern unterscheidet man sogenannte nukleosidische RT-Inhibitoren (NRTI), die dazu führen, dass "falsche" Nukleotide eingebaut werden, wodurch die reverse Transkriptase blockiert wird, sowie nicht-nukleosidische RT-Inhibitoren (NNRTI).

Unter optimalen Bedingungen ist HAART in der Lage, das Virus unter die Nachweisgrenze zurückzudrängen, jedoch nicht, es gänzlich zu eliminieren. Wenn die Viruskopienzahl unterhalb der Nachweisgrenze liegt, ist der Patient nicht mehr infektiös – das gilt auch für die Geburt des Kindes einer infizierten Mutter. Die Therapie muss damit lebenslang angewendet werden. Für ihren Erfolg ist die Einhaltung des Therapieprotokolls von essentieller Bedeutung. Bei Einhaltung des Protokolls wird die Virusvermehrung effizient unterdrückt. Erfolgt die Einnahme der Medikamente unzuverlässig, kann sich das Virus zwischendurch immer wieder trotzdem vermehren. Da die reverse Transkriptase, verglichen mit DNA-abhängigen DNA-Polymerasen, relativ viele Einbaufehler macht (ihr fehlt die sogenannte proofreading-Korrekturfunktion), treten unter dem Selektionsdruck der Therapie relativ rasch Resistenzen auf. Punktmutationen führen dazu, dass die veränderten Enzyme durch die Medikamente nicht mehr gehemmt werden; die Therapie wird wirkungslos. Quantifizierung von Viruskopien – mittels PCR – und CD4+ T-Zellen sind sensitive Parameter für den Therapieerfolg. Sequenzanalysen der entsprechenden Virusgene sind ein Mittel, die Therapie rational anzupassen.

Eine neuere Entwicklung stellen Kapsidbildungshemmer (capsid inhibitors) dar. Lenacapavir ist ein oral resorbierbares, kleines Molekül mit langer Halbwertszeit, das sich an das Kapsidprotein p24 anlagert und dessen Hexamerbildung verhindert. Das Medikament hat sich nicht nur für die Behandlung von mit multiresistenten HIV-Stämmen Infizierten bewährt. In einer zweimal jährlich injizierten Form erwies es sich auch als außerordentlich effektiv, im Sinne einer Prä-Expositionsprophylaxe HIV-Infektionen bei jungen Frauen in Südafrika (PURPOSE trial) zu verhindern.

Die anti-HIV Therapie ist außerordentlich teuer, da die mit großem Aufwand entwickelten Medikamente neu sind und damit noch unter Patentschutz stehen. Der größte Bedarf für diese Medikamente besteht jedoch in bitter armen Ländern, z. B. im Afrika südlich der Sahara. Trotz einiger Programme, diese Länder mit verbilligten Medikamenten zu versorgen, ist diese Diskrepanz ungelöst.


4.3  Vermeidungsstrategien von Pathogenen

Pathogene und potentielle Wirte liefern einander seit Millionen von Jahren einen zähen Grabenkampf. In dieser Auseinandersetzung, die man als "Ko-Evolution" bezeichnet, haben viele mikrobielle Pathogene Strategien entwickelt, sich der Abwehr des Wirts zu entziehen. Zu den erfolgreichen Strategien gehören "Verkleiden", "Verstecken" und "Fehlleiten der Abwehr".

Viele Pathogene entziehen sich der Abwehr, indem sie häufig ihre antigene "Verkleidung" wechseln. Dazu einige Beispiele.

Pneumokokken kommen in mehr als 80 verschiedenen Serotypen vor. Das Bakterium versteckt sich hinter einer Polysaccharidkapsel, deren Zuckerabfolgen und -Verzweigungen für die Antigenität des jeweiligen Typs bestimmend sind. Die gegen diese Polysaccharid-Antigene gebildeten Antikörper nützen jedoch nichts gegen den nächsten Pneumokokken-Typ, der den Körper infiziert.

Das Influenzavirus kommt dem Bild der wechselnden "Verkleidung" noch näher. Das Virus trägt zwei Arten von Transmembranproteinen, die als spikes weit über die Oberfläche des Virus hervorragen. Über das eine, Hämagglutinin (H), bindet es an menschliche Zellen; das zweite, Neuraminidase (N), benötigt es zum Ablösen neuer Viren von der Zelle und wahrscheinlich auch zum Einschleusen in die Zelle. Von den drei Influenzavirustypen A, B, und C verursacht Typ A die meisten Erkrankungen. Es existiert wieder in verschiedenen Hüllproteinvarianten. Es gibt mindestens 18 H- und 9 N-Varianten, nach denen die Influenza-A-Isolate, in Kombination mit Ort und Zeit der Isolierung, benannt werden. Influenza-A-Subtypen, die große Infektionswellen hervorgerufen haben, sind z B.:

1918: A/H1N1

1957: A/Japan/57/H2N2

1968: A/Hong Kong/68/H3N2

1977: A/USSR/77/H1N1

2009: A/Mexico/2009/H1N1

Antikörper gegen diese Oberflächenproteine wirken neutralisierend. Allerdings treten durch Punktmutationen laufend leichte Veränderungen in diesen Hüllproteinen auf. Sobald diese Veränderungen dazu führen, dass die bestehenden Antikörper eine Infektion nicht mehr ganz verhindern können, breitet sich diese neue Virusvariante in der vorher geschützten Population aus. Dieser sogenannte "Antigendrift" führt also zu einer neuen Erkrankungswelle. Der HN-Typ wird dabei beibehalten: es wird z. B. aus dem Isolat A/Sydney/1997/H3N2 eine Variante A/Moscow/1999/H3N2.

In der humanen Population insgesamt sind daher immer gleichzeitig mehrere Subtypen ("Verkleidungsformen") von Influenza A unterwegs, die sich zudem dauernd verändern. Die jeweils gerade erfolgreichste Verkleidungsform setzt sich in Form einer Epidemie durch. Aus diesen Gründen muß eine Impfung gegen Influenza jedes Jahr erneuert werden. Sie besteht aus den drei Virusvarianten, denen aus dem weltweiten Influenza-Überwachungssystem der WHO das größte Epidemiepotential zugeschrieben wird.

Der rasche Verkleidungswechsel bringt noch ein eigenartiges Phänomen mit sich: bei der ersten Influenza-Infektion eines Kindes bildet dieses Antikörper gegen alle Antigene des Virus. Bei den nächsten Infektionen mit anderen Virusvarianten bildet das Individuum effiziente Antikörper-Antworten nur mehr gegen jene Antigene, die es im ersten Virus bereits gesehen hat. Aus diesem Grund sind diese Immunantworten nur partiell. Die wahrscheinliche Ursache für dieses Verhalten liegt in der raschen Aktivierung von memory cells gegen bereits gesehene Antigene, sodass das Immunsystem gar nicht die nötige Zeit bekommt, eine effiziente Antwort gegen die neuen Antigene auszubilden.

Es gibt jedoch in längeren Zeitabständen noch eine wesentlich ausgeprägtere Veränderung des Influenza A-Virus, den sogenannten "Antigenshift". Dieser wird durch zwei Tatsachen begünstigt: Das Genom der Influenzaviren besteht nicht aus einer zusammenhängenden Nukleinsäurekette, sondern aus acht physisch getrennten Segmenten. Weiters kommen Influenza-A-Viren  auch in anderen Spezies, wie Hühnern, Enten oder Schweinen vor, die besonders in dichtbesiedelten Gebieten Asiens mit dem Menschen auf engstem Raum leben. Den Großteil der H- und N-Varianten kennen wir nicht aus menschlichen Isolaten, sondern aus Enten und Hühnern. Trifft ein auf den Menschen adaptierter Influenza-A-Subtyp in einer Mischinfektion auf einen Tier-adaptierten Subtyp, kann es selten zu einem Austausch von Gensegmenten kommen. Auf diese Weise kann ein vollkommen "neuer" humanpathogener Influenzavirenstamm entstehen, der in der Folge zu einer der gefürchteten Pandemien führt, da niemand wirksame Antikörper dagegen hat. Eine solche Pandemie kostete in den Jahren 1918-1920 ca. 30 Millionen Menschen das Leben (bei einer Weltbevölkerung von etwa 1,5 bis 2 Milliarden). Es wird geschätzt, dass das virulente H1N1-Pandemie-Virus von 1918 unter den damaligen geringen medizinischen Möglichkeiten etwa bei jedem 50. Erkrankten zum Tod führte. Todesopfer waren im Gegensatz zu den üblichen Grippewellen auch junge Erwachsene, die eine besonders starke frühe Immunreaktion gegen das Virus produzierten. Ihre Lungenbläschen füllten sich dadurch mit entzündlichem Exsudat; der Tod war eine Folge respiratorischen Versagens.

Sorgen bereitet zurzeit ein Vogel-adaptierter Influenza-A-Subtyp, H5N1, der erstmals 1997 in Hong Kong und seither immer wieder einzelne Menschen infizierte (die "Vogelgrippe"). Eine H5N1-Epidemie unter Hühnern und Wasservögeln breitete sich langsam immer weiter aus und erreichte 2005 Westeuropa, schließlich auch den amerikanischen Kontinent. Dadurch kamen immer mehr Menschen mit diesem Virus in Kontakt. Etwa die Hälfte der bisher durch direkten Kontakt mit infizierten Vögeln erkrankten Menschen starben. Allerdings kam eine weitere Übertragung von Mensch zu Mensch bisher nur in ein oder zwei Fällen vor, da das Vogelgrippen-Virus noch unzulänglich an den Menschen adaptiert war. Im Jahr 2024 allerdings wurde beobachtet, dass H5N1 den Sprung zu Mammalia in Robben und Rindern geschafft hatte, was die Wahrscheinlichkeit für das Überspringen auf den Menschen weiter erhöht. In Mexiko und im Süden der USA sind zahlreiche Rinderherden infiziert. Immer wieder erkranken Menschen, doch eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung wurde bisher nicht berichtet.

Viren der Herpesgruppe wenden die Strategie des "Versteckens" an. Herpes simplex-Virus befällt beispielsweise zunächst die Epithelzellen der Mundschleimhaut, anschließend jedoch die sensiblen Fasern des die Schleimhaut innervierenden N. trigeminus. Während zytotoxische T-Zellen die befallenen Schleimhautzellen in einer schmerzhaften Reaktion rasch beseitigen, zieht sich das Virus in die Zellkörper der sensiblen Neurone im Trigeminalganglion zurück und stellt seine Vermehrung ein. Man bezeichnet diese Phase als Latenz. Bestimmte Änderungen der äußeren Bedingungen wie starke Sonnenexposition, andere Infektionen oder hormonelle Veränderungen reaktivieren auf grundsätzlich nicht verstandene Weise das Virus, das von den Nervenzellen aus wieder das Epithel infiziert: "Fieberblasen" entstehen. Das Varicella-Virus, ein anderes Virus der Herpesgruppe, kann nach Jahren einer Latenz in Spinalganglien auf analoge Weise Herpes Zoster auslösen. Neuronen eignen sich in besonderer Weise für Viruslatenz, da sie sehr wenig MHC-I exprimieren. Es ist vorstellbar, dass dies einen evolutionären Kompromiss darstellt, da eine Attacke zytotoxischer T-Zellen auf Nervenzellen für den Gesamtorganismus noch negativere Folgen hätte.

Viren der Herpesgruppe wenden noch weitere Tricks an, um sich besser zu verstecken: sie exprimieren  Proteine, die die Wirtszelle daran hinderen, ihre Peptide effizient auf MHC zu präsentieren. So blockiert das Herpes simplex -Protein ICP47 den TAP-Transporter, der Peptide in das endoplasmatische Reticulum transferiert. Damit gelangen nicht nur die Viruspeptide nicht mehr zum MHC-Molekül; MHC‑I-Moleküle ohne Peptide im Bindungsspalt bleiben instabil, sodass die Zelle nur mehr wenig MHC-I an die Oberfläche bringt. Eine ähnliche Funktion hat das US6-Molekül des Cytomegalievirus (HHV5). Ein weiteres Protein des Cytomegalievirus, US11, bindet im endoplasmatischen Retikulum naszente MHC-I-Ketten und schleust sie mit Hilfe des zellulären Proteins Derlin gleich wieder ins Zytoplasma zurück, wo sie instabil sind und abgebaut werden. Solche Proteine, die Viren helfen, dem Immunsystem auszuweichen, nennen wir allgemein Immunevasine.

Auch manche Bakterien sind gut im Verstecken. Intrazellulär lebende Listerien z. B. lassen sich durch einen "Raketenantrieb" von polymerisierendem Actin in eine andere Zelle "hineinschießen", ohne sich jemals extrazellulär der Gefahr von Antikörpern auszusetzen. Treponemen tarnen sich in aller Öffentlichkeit durch eine unauffällige Oberfläche, indem sie im Vergleich zu E. coli nur etwa ein Hundertstel "sichtbare" Proteine in ihrer äußeren Membran tragen. Zwar werden Antikörper gebildet, doch haben diese zu wenig Angriffspunkte, um wirksam zu sein. Obwohl gram-negativ, bilden Treponemen auch kein LPS; Makrophagen werden durch intakte Treponemen so gut wie nicht aktiviert (Gauner an Polizei: "Weitergehen! Weitergehen! Hier gibt es nichts zu sehen!"). Gelangen Treponemen also einmal in den Körper, wird man sie in der Regel nie mehr los (außer durch effektive und billige Antibiotikumbehandlung).

Eine dritte Strategie, der Immunabwehr zu entkommen, stellt schließlich deren Fehlsteuerung dar. Besonders erfolgreich auf diesem Gebiet sind Mycobakterien. Mycobacterium tuberculosis beispielsweise hat einen Mechanismus entwickelt, die Fusion von Phagosomen und Lysosomen zu verhindern, sodass es nach der Phagozytose nicht der toxischen Wirkung des lysosomalen Inhalts ausgesetzt ist. Mycobacterium leprae nützt die häufig binäre Entscheidung des Organismus zwischen einer TH1- oder TH2-Antwort, um sich zu vermehren. Entscheidet sich der Organismus (nach noch nicht ganz verstandenen Kriterien) für eine TH1-Antwort, hat das Bakterium "Pech" gehabt: es entsteht die sogenannte tuberkuloide Form der Lepra, bei der es effizient in Granulomen isoliert wird. Reagiert der Organismus jedoch mit einer TH2-Antwort, hat das Bakterium "gewonnen": zwar produziert der Organismus massenhaft Antikörper; diese können dem sich progredient intrazellulär vermehrenden Bakterium jedoch nichts anhaben. Auf diese Art entsteht die infektiösere lepromatöse Form der Lepra.

4.4  Medikamentöse Immunsuppression

In manchen Situationen, z. B. um die Abstoßung eines Transplantats zu verhindern, ist es nötig, Immunantworten künstlich zu hemmen. Dies ist natürlich eine Gratwanderung, da die Patienten damit einer großen Infektionsgefahr ausgesetzt werden. Fortschritte in der Immunologie haben in den letzten Jahren zur Entwicklung neuer Proteinmedikamente beigetragen, die selektiv nur bestimmte Teilfunktionen des Immunsystems hemmen. Folgende Medikamentengruppen werden eingesetzt:

Glucocorticoide

Glucocorticoide sind lebensnotwendige Hormone des menschlichen Körpers, die in der Nebenniere hauptsächlich in der Form von Cortisol synthetisiert werden. In physiologischen Dosen wirken sie nicht immunsuppressiv. Häufige starke Stresssituationen bewirken jedoch eine verstärkte Produktion, die bereits für erhöhte Infektanfälligkeit verantwortlich gemacht wird. Pharmakologische Dosen von Glucocorticoiden wirken stark immunsuppressiv. Dies beruht hauptsächlich darauf, dass sie die Expression zahlreicher Zytokine bremsen. Glucocortcoide haben zudem komplexe, in wenigen Worten nicht beschreibbare Effekte auf die Apoptose von Lymphozyten. Sie werden bei manchen lymphatischen Leukämien und Lymphomen eingesetzt, das sie Apoptose dieser Zellen auslösen können.  In welchen normalen Lymphozyten sie möglicherweise ebenfalls Apoptose auslösen, ist nicht hinreichend geklärt. Glucocorticoide verstellen auch die Apoptoseschwelle in den Prozessen der positiven und negativen Selektion im Thymus. Längerdauernde Anwendung führt zu einer breiten Palette an Nebenwirkungen: Hyperglykämie, Hypertonie, gastrointestinale Ulcera und Blutungen, Fettumverteilung mit Mondgesicht und Stammfettsucht.

Ciclosporin
Tacrolimus (FK506)

Diese beiden Medikamente hemmen vor allem die klonale Expansion der T-Zellen, die von der autokrinen IL-2-Schleife abhängig ist. Sie entkoppeln die Signaltransduktion, die vom aktivierten T-Zell-Rezeptor zum Anschalten des IL‑2-Gens führt. Der Mechanismus ist im Detail kompliziert. Beide Medikamente binden an verschiedene Immunophiline und hemmen damit die Phosphatase Calcineurin. Diese wäre aber notwendig, um einen Teil eines Transkriptionsfaktors, nuclear factor of activated T cells (NFAT), zu dephosphorylieren und vom Zytoplasma in den Kern zu transferieren. Ohne komplettierten NFAT kann das IL‑2-Gen nicht aktiviert werden. Hauptnebenwirkung ist Nephrotoxizität.

Sirolimus/Rapamycin

Sirolimus hemmt die Zytokin-aktivierte Kinase mTOR (mammalian target of rapamycin). Wenn T-Zellen durch IL‑2 und andere Wachstumssignale stimuliert werden, führt das zur Aktivierung von mTOR. mTOR ist Teil eines regulatorischen Komplexes, der die Proteinsynthese der Zelle in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit von Energie und Aminosäuren steuert. Sirolimus hemmt also die Proteinsynthese, ohne die rasche Zellproliferation nicht möglich ist. Da diese Wirkung nicht auf Lymphozyten beschränkt ist, ergeben sich als Nebenwirkungen Anämie, Leukopenie, Thrombopenie, gastrointestinale und Wundheilungsstörungen.

 

Mycophenolat
Methotrexat
Azathioprin

Bei diesen Molekülen handelt es sich um Antimetaboliten, die im Endeffekt die DNA-Synthese und damit die Zellteilung behindern. Obwohl niedriger dosiert, handelt es sich hier um Chemotherapeutika mit den charakteristischen Nebenwirkungen auf rasch proliferierende Gewebe (Knochenmarkdepression, gastrointestinale Störungen).

Alemtuzumab

ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen CD52, ein glycosylphosphatidylinositol-(GPI)-verankertes Glycoprotein, das auf der Zellmembran aller reifen Lymphozyten exprimiert wird, aber nicht auf Stammzellen. Nach Bindung werden die Lymphozyten über Complement oder ADCC getötet. Der Antikörper wird vor allem in der Tumortherapie gegen Lymphome eingesetzt, seltener in der Immunsuppression. Wir haben bereits gesehen, dass er auch zur Lymphozytendepletion vor der Infusion von CAR-T-Zellen verwendet wird.

Rituximab

Ocrelizumab

Diese beiden Antikörper binden jeweils CD20, das auf allen B-Zellen exprimiert wird. Rituximab wird hauptsächlich zur Behandlung von B-Zelllymphomen verwendet, selten zur Immunsuppression, während Ocrelizumab bei Multipler Sklerose eingesetzt wird.

Natalizumab

ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen Integrin α4:β1. Dieser Antikörper wirkt nicht allgemein immunsuppressiv, sondern wurde für eine Spezialsituation entwickelt: er soll bei PatientInnen mit Multipler Sklerose das Einwandern von Lymphozyten in das Gehirn verhindern. T-Lymphozyten binden mit ihrem Integrin α4:β1 an VCAM-1 (vascular cellular adhesion molecule) der Endothelzellen im ZNS. Dieser Kontakt wird durch den Antikörper verhindert, sodass bei behandelten PatientInnen wesentlich weniger demyelinisierte Läsionen entstehen. Allerdings haben einzelne Behandelte unter dieser Therapie eine schwere zentralnervöse Erkrankung erlitten, progressive multifokale Leukoencephalopathie, die durch das sonst harmlose JC-Virus, gegen das 86% aller Menschen Antikörper haben, ausgelöst wird. Offensichtlich wird dieses verbreitetete Virus sonst leicht durch das Immunsystem in Schach gehalten, es kann sich aber unter Natalizumab-Therapie dieser Kontrolle im Einzelfall entziehen.

Etanercept
Infliximab
Adalimumab

Auch diese Proteinmedikamente wirken nicht im vollen Sinn immunsuppressiv; sie wirken spezifisch TNFα entgegen, indem sie dieses binden und aus entzündetem Gewebe entfernen (Details über TNFα finden sich in Abschnitt 1.11). Anti-TNFα-Therapie wird gegen Rheumatoide Arthritis, Psoriasis-Arthritis, Morbus Crohn und schwere Ausprägungen von Psoriasis eingesetzt. Die Therapie muss im Fall von Infektionen unterbrochen werden und trägt möglicherweise zur fallweise beobachteten Reaktivierung von Tuberkulose aus Granulomen bei.

Abatacept

ist ein Proteinmedikament, das kostimulierende B7-Moleküle bindet und damit neutralisiert. Damit wird die Aktivierung von T-Zellen durch Antigen-präsentierende Zellen gebremst. Das Medikament wird gegen Rheumatoide Arthritis eingesetzt. Weitere Indikationen zeichnen sich ab: so konnte das Fortschreiten von Diabetes mellitus Typ 1 verlangsamt werden.


5.  DURCH IMMUNREAKTIONEN AUSGELÖSTE KRANKHEITS-ERSCHEINUNGEN

Das Immunsystem hält außerordentlich wirksame Mechanismen bereit, mikrobielle Invasoren zu zerstören. Das wesentliche biologische Problem dabei ist, zu verhindern, dass sich dieses Zerstörungspotential gegen das eigene Gewebe richtet. Sicherheitsvorkehrungen, wie die frühzeitige Deletion autoreaktiver Klone, die Notwendigkeit mehrerer gleichzeitiger, koordinierter Signale zur Aktivierung des nächsten Schritts ("Entsicherung"), der Eintritt des Zustands von peripherer Anergie, wenn eine Antigenerkennung ohne die  Entsicherungs-signale erfolgt, verhindern unnötige Gewebsschädigung in den allermeisten Fällen.

Trotz dieser Sicherungssysteme kommt es manchmal vor, dass das Immunsystem den eigenen Organismus schädigt. Von dieser Fehlfunktion des Immunsystems abzugrenzen ist die Transplantatabstoßung, die, obwohl krankmachend, eine "normale" Reaktion des Immunsystems darstellt.

5.1  Überempfindlichkeitsreaktionen: Allergie und Autoimmunität

Ein sehr häufig auftretendes Problem ist das der Allergie. Der Begriff "Allergie" wurde ursprünglich (1906) durch den Wiener Ordinarius für Kinderheilkunde Clemens von Pirquet geprägt, um eine veränderte Reaktionsbereitschaft des Körpers auf eine exogene Substanz auszudrücken. Er wählte diesen Ausdruck als Gegensatz zur "Normergie", der normalen Reaktionsbereitschaft des Immunsystems. Heute versteht man unter Allergie Krankheitserscheinungen, die durch eine (zu starke) Immunreaktion gegen harmlose exogene Antigene ausgelöst werden. Das Problem dabei ist meist, dass dieses Antigen durch die Immunreaktion nicht zum Verschwinden gebracht wird, sondern von außen immer wieder nachgeliefert wird.

Leider verstehen wir die Faktoren, die dazu führen, dass manche Menschen an Allergien oder Autoimmunphänomenen erkranken, nur sehr unzureichend. Meist jedoch ist ein Zusammentreffen von mehreren genetischen und Umwelt- Faktoren notwendig, um diese Erkrankungen auszulösen.

Die Bedeutung genetischer Komponenten beruht darauf, dass viele Bestandteile des Immunsystems nicht bei allen Menschen gleich sind, sondern in verschiedenen allelischen Varianten vorkommen. Manche dieser Varianten senken die Schwelle zur Auslösung einer bestimmten Immunreaktionsform. "Atopie" ist ein alter klinischer Begriff für eine genetisch bedingte Neigung, Typ I-Allergien (besonders Inhalationsallergien) und atopische Dermatitis (Neurodermitis) zu entwickeln. Während man die chromosomalen Regionen, manchmal sogar die einzelnen verantwortlichen Gene durch die Häufung bestimmter Varianten bei Allergie-Patienten kennt, versteht man den genauen molekularen Mechanismus, der für diese Schwellensenkung verantwortlich ist, meist noch nicht. Viele verschiedenen Genloci können dazu beitragen, zum Beispiel:

·        auf 11q: bestimmte Polymorphismen der β–Einheit des Fc-Rezeptors für IgE.

·        auf 5q, wobei noch nicht klar ist welche Gene dafür verantwortlich sind. Polymorphe Kandidatengene dieser Region kodieren einerseits für Zytokine (IL-3, IL-4, IL-5, IL-9, IL-13, GM-CSF), andererseits für den adrenergen β–Rezeptor.

·        auf 6p: der HLA-Locus.

Umweltfaktoren können einen graduell sehr verschieden starken Beitrag zur Auslösung einer Allergie leisten. Am einen Ende des Intensitätsspektrums steht eine in Nordamerika verbreitete Pflanze, die ein Hapten enthält, das bei praktisch jeder Person, die mit der Pflanze in Berührung kommt, unabhängig von ihrer genetischen Konstitution heftige Hautreaktionen auslöst. Die Pflanze hat dadurch den Namen poison ivy bekommen. In anderen Fällen steht der beobachtete Umweltfaktor weit im Hintergrund. Als Beispiel kann die Beobachtung dienen, dass Populationen, die seltener bestimmten Infektionskrankheiten, wie Hepatits A, Tuberkulose oder Masern, ausgesetzt sind, häufiger an Allergien leiden. Die sogenannte Hygienehypothese postuliert hier einen ursächlichen Zusammenhang.

Gell und Coombs haben versucht, die sehr verschiedenartigen Krankheitsbilder, die durch Schädigungswirkung des eigenen Immunsystems auftreten, nach ihrem Entstehungsmechanismus in vier Typen einzuteilen. Als Spezialfall wird manchmal noch ein fünfter Typ unterschieden. Diese Schädigungstypen werden auch als "Überempfindlichkeitsreaktionen" bezeichnet.

Diese Einteilung beruht auf dem Schädigungsmechanismus, nicht auf der Ursache der Immunreaktion. Ursache dieser Krankheitsbilder können also Allergien (bei exogenen Antigenen), Autoimmunität (bei endogenen Antigenen) oder unerwünschte Kollateralschäden von im Prinzip sinnvollen Abwehrreaktionen sein. Diese Ursachen sind nicht gleichmäßig über die Überempfindlichkeitsreaktionen verteilt. Typ-I Reaktionen sind meist Allergien; Typ-II und III-Reaktionen meist autoimmuner Natur. Zu Typ IV-Reaktionen tragen alle Ursachen bei.

Typ I:  Schädigung durch irrtümliche Bekämpfung harmloser "Bedrohungsattrappen" mit IgE und nachgeschaltetem Arsenal

Das Prinzip dieses als "Soforttyp" oder "anaphylaktischer Typ" bezeichneten Schädigungsmusters wurde bereits im Abschnitt "Immunglobulinklassen"  unter "IgE" besprochen. IgE binden an den Fcε-Rezeptor auf Mastzellen und werden dort durch ein Allergen quervernetzt, was zur Ausschüttung von Histamin und chemotaktischen Molekülen führt. Dadurch entsteht eine anfangs Histamin-, später Zell-betonte Entzündungsreaktion. TH2-Zellen sezernieren IL‑4, IL‑5 und IL‑13, wobei IL‑5 besonders Eosinophile rekrutiert und aktiviert. Auf die Dauer führt das Eosinophilen-betonte Infiltrat zu Umbauvorgängen und irreversiblen Schäden, z. B. in den kleinen Luftwegen, sodass ein rechtzeitiges therapeutisches Eingreifen mit Allergenkarenz, Glucocortioiden oder Biologika zentral ist.

Mastzellen sitzen vorwiegend unter Epithelien, die als Eintrittspforten für Parasiten in Frage kommen, also in der Haut und in den Schleimhäuten von Atemwegen und Magen-Darm-Trakt. In diesem Fall richten sich die eigentlich zur Bekämpfung von Parasiten entwickelten Mechanismen gegen harmlose exogene Antigene, die meist entweder inhaliert oder mit der Nahrung aufgenommen werden. Werden die spezifischen Antigene, meist Proteine, identifiziert, bekommen sie eine Benennung nach dem sie enthaltenden Organismus. Beispiele: Birke (Betula verrucosa), Hauptantigen: Bet v 1. Haselnuss (Corylus avellana): Cor a 1 und für Nahrungsmittelallergien zusätzlich relevante Antigene Cor a 8, Cor a 9 und Cor a 14. Bet v 1 und Cor a 1 sind sehr ähnlich – Birke und Haselstrauch sind nahe verwandt –, sodass es häufig zu Kreuzallergien gegen die Pollen beider Gewächse kommt.

Einige Beispiele für häufige Typ I-Auslöser:

Inhalationsantigene:

·        Pollen von
-Gräsern: Lieschgras, Knäuelgras, aber auch von Kulturpflanzen wie Roggen
-Kräutern: Beifuß, Spitzwegerich
-Bäumen und Sträuchern: Hasel (Cor a 1), Erle, Birke (Bet v 1)

·        Pilzsporen von Schimmel: Aspergillus, Alternaria, Cladosporum

·        Tierantigene: Katzenepithelien, Hundeepithelien, Wellensittichkot- oder Serumprotein, Vogelfedern

·        Hausstaubmilbenantigen (Der p 1)

Das Antigen Der p 1 aus dem Kot der Hausstaubmilbe (Dermatophagoides pteronyssinus) ist einer der häufigsten Auslöser von "Heuschnupfen" oder allergischem Asthma. Die Hausstaubmilbe ernährt sich von Hautschuppen des Menschen und vermehrt sich am besten in feuchter, warmer Umgebung. In modernen Wohnhäusern kommt sie durch Wärmedämmung und geringen Luftaustausch daher in viel höherer Konzentration vor als in früheren Zeiten; die höchsten Zahlen von Milben pro Volumseinheit finden sich in den Matratzen. Der entscheidende Faktor für die Antigenität des Proteins Der p 1ist seine enzymatische Aktivität: eigentlich adaptiert als Protease-Verdauungsenzym für Hautschuppen, spaltet es – eingeatmet – einen Bestandteil der tight junctions zwischen den Atemwegsepithelzellen und kann damit die Epithelbarriere besonders effizient überwinden.

Nahrungsmittelallergene (*bezeichnet Pollenallergie-assoziierte Nahrungsmittelallergene):

·        Nüsse: Erdnuss (eigentlich eine Hülsenfrucht), Mandel*, Haselnuss* (*Birke, Speicherproteine, Lipidtransferproteine)

·        Früchte: Kiwi*, Apfel* , Steinobst* (*Birke, Lipidtransferproteine)

·        Gemüse: Fenchel, Sellerie* (*Birke, *Beifuß)

·        Milch: α-Lactalbumin, β-Lactoglobulin, Kasein

·        Getreide: Weizenmehl

·        Eier:  Hühnereiweiß (Ovalbumin)

·        Fisch: Barsche, Lachs

·        Meeresfrüchte

Wie ist die Pollenallergie-Assoziation zu erklären? In den erwähnten Fällen enthalten Nahrungsmittel und Pollen dieselben oder sehr ähnliche Proteine, sodass das Immunsystem auf beides reagiert. Unmittelbar einsichtig ist dies z. B. bei der Haselnuss, bei der das Cor a 1-Protein sowohl in den Haselpollen als auch in der gegessenen Nuss enthalten ist.

Auch oral aufgenommene Medikamente wie Penicillin können Typ I-Reaktionen auslösen.

Nahrungsmittelallergien können sich nicht nur im Magen-Darm-Trakt mit Durchfall und Erbrechen manifestieren, sondern auch in anderen Organen Symptome auslösen: in den Atemwegen mit Husten, Asthmaanfall, in der Haut mit Urticaria oder systemisch mit allgemeiner Gefäßerweiterung, die zu Blutdruckabfall, Synkope, im Extremfall zum anaphylaktischen Schock führen kann. Wie ist das möglich? Erinnern wir uns daran, dass winzige Mengen von Makromolekülen die Darmwand via M‑Zellen passieren und dann mit dem Blut verteilt werden können. Ist die Affinität von auf Mastzellen sitzendem IgE hoch genug, kann das verteilte Antigen IgE auch auf Mastzellen in der Lunge, der Haut oder sonstwo im Körper quervernetzen.

Bei Nahrungsmittelallergien ist es wichtig, immunologisch bedingte Erkrankungen von anderen Schädigungsmechanismen zu unterscheiden, die vielfach häufiger sind. Wenn ein Patient berichtet, "gegen Milch allergisch" zu sein, ist das häufig nicht auf IgE gegen Milcheiweiße, sondern auf  Laktoseintoleranz zurückzuführen. Der mit dem Lebensalter zunehmende Mangel des Enzyms Laktase, das den Milchzucker in seine Einfachzucker spaltet, betrifft in Mitteleuropa ca. 15% der Erwachsenen und führt zu Durchfällen, die osmotisch sowie durch bakterielle Fehlbesiedlung bedingt sind. Andere Beispiele für Pseudoallergien sind Fructoseintoleranz bei Obst oder Scombroid-Fischvergiftung durch Histaminbildung aus Histidin auf unzureichend gekühlten Fischoberflächen.

Typ I-Allergien werden zwar häufig durch inhalative oder orale Aufnahme ausgelöst, doch sind auch andere Wege möglich: Latexpartikel können z. B. direkt auf der Haut Quaddelbildung und Juckreiz auslösen. Besonders effizient kann die Epithelbarriere natürlich durch Injektion überwunden werden: das gilt nicht nur für die Auslösung von Medikamentenallergien wie jene gegen Penicillin, sondern auch für die gegen Bienen- oder andere Insektengifte.

Die wichtigste Komponente der Therapie einer Typ-I-Allergie, speziell bei allergischem Asthma, ist die Allergenkarenz: der Kontakt des Patienten mit dem auslösenden Allergen muß so weit wie möglich vermieden werden. Falls dies nicht geschieht, führt folgender Pathomechanismus allmählich zu einer Ausweitung der Allergenpalette: Mastzellen, die durch Quervernetzung ihrer IgE aktiviert werden, schütten nicht nur ihre Granula aus, sondern verfügen auch über Mechanismen, die in der Nähe befindliche B-Zellen zum class switch zu IgE bewegen können. Das geschieht z. B. über Expression von CD40-Ligand auf der Mastzelloberfläche und durch Freisetzung von IL-4. Das bedeutet, dass der Patient gegen Antigene, gegen die er früher IgM oder IgG gebildet hat, nun auch IgE produziert. Damit wird er allmählich gegen immer mehr Antigene allergisch.

Pharmakologische Querverstrebung: Mehrere monoklonale Antikörper werden eingesetzt, z. B. bei allergischem Asthma:

  • Omalizumab: bindet Fc-Teil von IgE und damit auch Immunkomplexe, ev. gebundene Autoantigene
  • Mepolizumab, Reslizumab: binden IL‑5
  • Benralizumab: bindet IL‑5-Rezeptor, bewirkt auch ADCC gegen Eosinophile
  • Dupilumab: bindet die gemeinsame α‑Kette von IL‑4‑ und IL‑13-Rezeptor und blockiert damit beide Rezeptoren


Typ II:  Antikörpervermittelte Zytotoxizität

Bei diesem Typ entsteht Gewebsschädigung durch Antikörper, die direkt gegen körpereigene Zielstrukturen gerichtet sind. Meist, aber nicht immer, gehen dabei Zellen zugrunde. Das ist über zwei Mechanismen möglich: Komplementlyse bei Komplement-bindenden Antikörpern oder ADCC (antibody-dependent cellular cytotoxicity). Einige Beispiele von Erkrankungen mit auslösenden Antigenen:

·        Pemphigus vulgaris: Desmoglein (3 und 1) in Desmosomen zwischen Keratinozyten: die Blasen in der Haut entstehen intraepithelial.

·        Bullöses Pemphigoid: Strukturkomponenten der Hemidesmosomen (BP180 = Kollagen XVII und BP230, benannt nach der Erkrankung), mit der die Keratinozyten der Haut an der Basalmembran verankert sind: die Blasen entstehen subepithelial.

·        Myasthenia gravis: Acetylcholinrezeptor der motorischen Endplatten.

·        Goodpasture-Syndrom: α3-Kette von Typ IV-Kollagen in der Basalmembran von Lungenalveolen und Glomerula.

·        Immun-hämolytische Anämie: Einerseits kommen Autoantikörper gegen Bestandteile der Erythrozytenmembran vor, z.B. IgG gegen Rhesuskomponenten ("Wärmeantikörper"), oder IgM gegen I/i-Antigene ("Kälteagglutinine"). Letztere treten häufig 2-3 Wochen nach einer Mycoplasmen-Pneumonie auf und binden erst bei niedrigeren Temperaturen, wie sie z.B. in Fingern und Zehen herrschen. Andererseits können sich Medikamente wie Penicilline oder Cephalosporine an Erythrozytenmembranproteine binden und als Hapten Antikörperbildung induzieren. Erythrozytenzerstörung erfolgt jeweils durch Komplement und/oder Monozyten.

·        Immun-thrombozytopenische Purpura: Glycoprotein IIb-IIIa auf Thrombozyten.

Ein Sonderfall ist die Erythroblastosis fetalis bei Rhesusinkompatibilität, bei der die Antikörper der in einer früheren Schwangerschaft sensibilisierten Rhesus-negativen Mutter über die Plazenta in den Kreislauf des Rhesus-positiven Fetus gelangen. Auch AB0-Transfusionszwischenfälle laufen nach einem Typ-II-Schädigungsmuster ab, wenn sich auch in diesen beiden Fällen das Immunsystem natürlich nicht gegen Zellen desselben Individuums richtet.

Typ III:  Schädigung durch Ablagerung von Immunkomplexen

Immunkomplexe sind ein normales Phänomen bei Abwehrreaktionen. Mechanismen wie der Abtransport über CR1 auf Erythrozyten oder die Phagozytose durch Gewebsmakrophagen dienen ihrer Entsorgung. Erst, wenn die Entsorgungssysteme überlastet werden, treten Krankheitserscheinungen auf. Bestimmend für die Lokalisation von Gewebsschäden ist die Größe der Immunkomplexe. Die "Heidelberger-Kurve" beschreibt die Größe der entstehenden Immunkomplexe in Abhängigkeit von der molaren Relation zwischen Antigen und Antikörper. Sind etwa gleich viele Moleküle von Antigen und Antikörper vorhanden, entstehen große, dreidimensional vernetzte Strukturen, die Präzipitate bilden und vor Ort liegenbleiben. Sind Antigen oder Antikörper in starkem Überschuß vorhanden, entstehen kleine, lösliche Immunkomplexe, die mit dem Blut im Organismus verteilt werden und erst an Filtrationsstellen liegenbleiben. So unterscheidet man zwei Untertypen:

Bei der Arthus-Reaktion bilden sich relativ große Komplexe, die lokal liegenbleiben und über Komplementaktivierung und Phagozytenrekrutierung eine lokale Entzündungsreaktion auslösen. Wichtige Erkrankungen dieses Typs sind die verschiedenen Formen der exogen-allergischen Alveolitis. Wenn Inhalationsallergene in hohen Konzentrationen auftreten, reagiert das Immunsystem oft nicht mit der Produktion von IgE, sondern IgG. Das führt zur Ablagerung von Immunkomplexen in der Alveolarwand, gefolgt von einer Entzündung. Beispiele und beteiligte Antigene sind:

·        Farmerlunge: Actinomyceten im Heu

·        Vogelzüchterlunge: Protein im Kot der Tiere

·        Käsewäscherlunge: Schimmelpilze auf der Käserinde

·        Weinhauerlunge: Schimmelpilze auf Spätlesetrauben

Auch die Rheumatoide Arthritis hat eine Arthus-Komponente, da sich im Gelenk Antigen-Antikörperkomplexe aus Rheumafaktor (= Antikörper gegen den Fc-Teil von IgG; meistens vom IgM-, aber auch vom IgG-Typ) und IgG bilden.

Vom Typ der Serumkrankheit spricht man, wenn kleine Immunkomplexe mit dem Blut verschleppt werden und sich an allen Filtrationsstellen ablagern: Glomerula, seröse Häute, Gelenke, Arteriolen. Durch Komplementbindung und Rekrutierung von Phagozyten kommt es im umliegenden Gewebe zu Entzündung und Zerstörungen. Beispiele:

·        Systemischer Lupus Erythematodes: viele Autoantigene (aus dem Zellkern)

·        Poststreptokokken-Glomerulonephrits: Streptokokkenantigene

·        Malaria-Nephritis: Plasmodien-Immunkomplexe

Eine Penicillinallergie kann auch als Typ-III-Reaktion ablaufen.

Typ IV: Schädigung durch eine zelluläre Immunreaktion

Dieser Typ wird als Spätreaktion oder als Reaktion vom verzögerten Typ bezeichnet. Dies rührt daher, dass die meisten "klassischen" Allergien entweder dem Typ I oder dem Typ IV zuzurechnen sind. Bei Typ I folgen die Krankheitserscheinungen der Allergenexposition sofort (daher "Sofortreaktion"), bei Typ IV dauert das Intervall etwa 48 Stunden. Das ist die erforderliche Zeit, bis T-Zellen und Makrophagen sich am Ort der Auseinandersetzung akkumuliert haben. Die zelluläre Immunreaktion kann entweder den Charakter der Makrophagenaktivierung mit TH1-Zellen, oder den einer zytotoxischen (CD8+) T-Zellantwort haben. Manchmal wird auch eine chronifizierte Spätphase einer Typ-I-Reaktion, das Eosinophilen-betonte zelluläre Infiltrat, als Sonderform einer Typ-IV-Reaktion bezeichnet.

Ein positiver Mendel-Mantoux-Test zeigt eine klassische Spätreaktion. Dabei wird antigenes Material aus Tuberkelbakterien intrakutan injiziert. Ein zwei Tage später auftretendes, rotes, hartes, trockenes Knötchen zeigt, dass sich das Immunsystem des Getesteten bereits mit Tuberkelbakterien auseinandergesetzt hat; entweder durch eine Infektion oder durch eine BCG-Impfung. Das harte Knötchen stellt das zelluläre Infiltrat von TH1-Zellen und Makrophagen dar.

Die Kontaktdermatitis ist das typische Beispiel einer Typ IV-Erkrankung. Sie beruht meist darauf, dass körpereigene Proteine durch an sie bindende Metalle oder Haptene verändert werden. Langerhanszellen nehmen die veränderten Proteine auf, wechseln in den Lymphknoten und präsentieren sie dort auf MHC-II-Molekülen. Dadurch entstehen spezifische TH1-Effektorzellen, die wieder in die Haut zurückwandern und dort eine Makrophagenaktivierung einleiten. Typische Auslöser sind:

·        Metalle:           Nickel-            aus Uhren, Modeschmuck, Jeansknöpfen, Scheren                              Chromat-               im Zement- bei Bauarbeitern, auch in Lederwaren
                        Kobalt-            Farben, Zement

·        Inhaltsstoffe von Kosmetika

·        berufsspezifische Stoffe (z. B. Haarfärbemittel bei Friseuren)

·        Pflanzenhaptene: aus poison ivy, sowie aus vielen verschiedenen, auch Heilpflanzen: Salben mit Kamillen-, Ringelblumen, Arnikazusätzen lösen oft starke Kontaktallergien aus.

Klinisch erscheint eine Kontaktallergie ca. 48 h nach Antigenkontakt als rote, indurierte konfluierende Papeln, trocken und schuppend.

Typ IV-Reaktionen vom zytotoxischen Typ findet man naturgemäß im Zusammenhang mit Viruserkrankungen: Exantheme bei Röteln, Masern etc., ebenso wie die Leberfunktionseinschränkung bei Hepatitis B. Diabetes mellitus Typ 1 geht ebenfalls auf eine zelluläre Autoimmunreaktion zurück, die zur langsamen Ausrottung der Insulin-produzierenden Zellen in den Inseln des des Pankreas führt.

Auch hier gibt es – nicht-IgE-vermittelte – Nahrungsmittelallergien. Besonders betroffen sind Säuglinge, die nicht oder nicht lange genug gestillt werden: das auslösende Agens sind häufig Alternativen zur Muttermilch auf Kuhmilch- oder Soja-Basis. Es gibt zwei Intensitätsstufen:

1.    Nahrungsproteininduzierte allergische Proktokolitis (food protein-induced allergic proctocolitis (FPIAP) mit blutigen oder schleimigen Stühlen.

2.    Food protein-induced enterocolitis syndrome (FPIES): Akut kommt es oft 2-4 Stunden nach der Nahrungsaufnahme zu rezidivierendem Erbrechen. Chronisch kommen schwere Durchfälle und Gedeihstörungen dazu.

Bei allen Altersstufen kann Zöliakie (Gluten-Enteropathie) auftreten, die wir bei "Ernährung und Verdauung" genauer in Augenschein nehmen werden.


"Typ V":  Rezeptorstimulierende Antikörper

Da Antikörper praktisch gegen jedes Antigen gebildet werden können, ist es nicht erstaunlich, dass die Antigenbindungsregion auch eine Form annehmen kann, die einem Peptidhormon ähnelt. Das ist beim Mb. Basedow --englisch Graves´ disease-- der Fall, bei der ein spezifischer Antikörper den TSH-Rezeptor auf Schilddrüsenzellen so bindet, dass er diesen auch aktiviert. Es resultiert eine Schilddrüsenüberfunktion.

5.2  Autoimmunerkrankungen

Die Auslösung von Autoimmunerkrankungen verstehen wir nur äußerst unzureichend, doch ist dazu in der Regel, wie bei der Allergie, das Zusammentreffen mehrerer genetischer und Umweltfaktoren nötig.

Unter den genetisch prädisponierenden Faktoren finden sich in erster Linie bestimmte HLA-Allele, weiters allelische Varianten von Immunglobulingenen, T-Zell-Rezeptorgenen, Komplementgenen, Genen für Komponenten des Antigen-processing und der Apoptose-Maschinerie. Ein weiterer Faktor ist das weibliche Geschlecht: Autoimmunerkrankungen treten bei Frauen häufiger auf als bei Männern.

Betrachten wir ein konkretes Beispiel. Diabetes mellitus Typ 1 (DM1) entsteht durch eine T-Zell-Autoimmunreaktion, die zur Zerstörung der β-Zellen in den Pankreasinseln führt. Seit langem ist bekannt, dass HLA-DR3 und –DR4 das Risiko für die Entwicklung eines DM1 erhöhen, während DR2 es erniedrigt. Diese Assoziationen sind jedoch wahrscheinlich nur ein Ausdruck des Kopplungsungleichgewichts, in dem diese Loci mit der entscheidenden Position 57 der β-Kette von HLA-DQ stehen. Ein Aspartat an dieser Position schützt vor DM1 durch eine Ionenbindung mit einem Arginin der α-Kette, die als Querverstrebung zwischen α und β-Kette die Form des Peptidbindungsspalts beeinflusst. Dadurch kann entweder das kritische, die Autoimmunreaktion auslösende Peptid in diesem Bindungsspalt nicht präsentiert werden, oder aber ein für die Tolerisierung notwendiges Peptid kann besonders gut präsentiert werden— welches dieser beiden Denkmodelle zutrifft, ist noch unklar. In anderen Allelen an dieser Position vorkommende Aminosäuren wie Alanin, Valin oder Serin sind zu dieser Querverstrebung jeweils nicht fähig; die entsprechenden Allele bringen eine Suszeptibilität gegenüber DM1 mit sich. Diese HLA-Peptidspalt-abhängige Form der genetischen Suszeptibilität trifft wahrscheinlich auf viele Autoimmunerkrankungen zu. Eine sehr ähnliche Konfiguration kennen wir bezüglich der Positionen 67-74 der HLA-DR β-Kette und Rheumatoider Arthritis: die Sequenz Leu-Leu-Glu-Gln-Lys/Arg-Arg-Ala-Ala an dieser Stelle macht das Individuum empfänglicher für diese Erkrankung.

Bei der Erforschung der Entstehung von Autoimmunerkrankungen sind wir stark auf Tiermodelle angewiesen, die auf genetischer Basis spontan bestimmte Autoimmunerkrankungen entwickeln und leichter untersucht werden können als menschliche Patienten. Ein Modell für DM1 stellt die non-obese diabetic (NOD) mouse dar. Bei der NOD-Maus sind die Insel-invadierenden T-Lymphozyten hauptsächlich TH1-Zellen, und die für die Entwicklung der Erkrankung entscheidenden Peptide stammen aus der B-Kette des Insulins mit den Aminosäurepositionen 9-23. NOD-Mäuse, die durch entsprechenden knockout ohne normales Insulingen aufwachsen (aber zugleich –sorry, kompliziert!-- durch ein verändertes, trotzdem funktionelles, aber nicht-autoimmunogen wirkendes Insulin-Transgen vor der Entwicklung eines Diabetes bewahrt werden) entwickeln keine Insel-Infiltration und keinen autoimmun bedingten Diabetes mellitus. Wenn Teile des Insulins selbst entscheidend für die Auslösung der Autoimmunreaktion sind, wird auch verständlich, dass nur die β-Zellen, nicht aber die anderen Inselzellen durch die Erkrankung zerstört werden. Ob die Präsentation von Insulinpeptiden auch beim Menschen entscheidend ist, muss erst geklärt werden. Zwei weitere Eigenschaften des NOD-Mausmodells sind bemerkenswert. Weibliche Mäuse erkranken früher als männliche Mäuse, und trotz genetischer Homogenität erkranken nicht alle Mäuse, was auf nicht-genetische Zusatzbedingungen für die Auslösung der Erkrankung schließen lässt.

Autoimmunerkrankungen werden häufig in organspezifische und systemische unterteilt. Zu den organspezifischen Autoimmunerkrankungen gehören:

         Diabetes mellitus Typ I

         M. Basedow

         Hashimoto-Thyreoiditis

         Multiple Sklerose

Beispiele für systemische Autoimmunerkrankungen sind:

         Rheumatoide Arthritis

         Systemischer Lupus Erythematodes (SLE)

         Systemische Sklerose (Sklerodermie)

         Sjögren-Syndrom

         Polymyositis und Dermatomyositis

Es ist fraglich, ob diese Einteilung mehr bedeutet, als einfach die Verbreitung der jeweiligen Autoantigene widerzuspiegeln.

Wie wird Autoimmunität vermieden?

Wie am Beginn dieses Skriptums erwähnt, besteht das Grundproblem der Abwehr darin, zu erkennen, was abgewehrt werden muss. Moleküle eines Eindringlings sehen per se nicht anders aus als die eigenen Moleküle. Ideal wäre es, alles abzuwehren, was für den eigenen Organismus gefährlich ist, und alles andere zu ignorieren. Leider gibt es kein Molekül, das das abstrakte Konzept "Gefahr" erkennen kann, und die Evolution musste Ersatzlösungen entwickeln, die diesem Ideal möglichst nahe kommen.

Strategie 1: Zu tolerierende Antigene definieren

Problem: Diese Antigene können nur unscharf definiert werden

Die wichtigste Komponente dieser Lösung ist eine Unterscheidung "fremd-selbst". Diese ist in einem großen Ausmaß möglich, denn Selbst ist physisch vorhanden, Selbst kann vom Immunsystem betrachtet werden und mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten kann das Immunsystem einen Großteil dessen "lernen", was Selbst darstellt.

Wahrscheinlichkeit in den zentralen Organen: Wenn der neu rearrangierte Antigenrezeptor eines jungen, unreifen Lymphozyts noch im Knochenmark oder Thymus reichlich Kontakt  mit der Außenwelt meldet, erkennt dieser Antigenrezeptor wahrscheinlich Selbst, da Selbst sofort und reichlich vorhanden ist. Ein solcher Lymphozyt wird durch sein eingebautes Steuerungssystem in Apoptose oder Anergie geführt, da er autoreaktiv wäre.

Das Aussortieren selbstreaktiver Zellen muss auf der T-Zell-Seite wahrscheinlich stringenter erfolgen als auf der B-Zell-Seite, da B-Zellen in der Regel ja noch T-Zell-Hilfe benötigen. Damit Selbst-reaktive Thymozyten eliminiert werden können, ist es theoretisch notwendig, möglichst viele Selbst-Antigene, die sonst nur in einem peripheren Organ exprimiert werden, auch im Thymus zu Demonstrationszwecken zu exprimieren. Dies geschieht tatsächlich; und ein Ausfall eines solchen Mechanismus führt zu Autoimmunerkrankungen. Der Transkriptionsfaktor AIRE (Auto-Immune REgulator) bewirkt im Thymus die ektopische Expression von Proteinen, die sonst nur spezifisch in spezialisierten Geweben vorkommen, wie Parathormon, Retina- oder ovarielle Proteine. Menschen, bei denen dieser Transkriptionsfaktor defekt ist, entwickeln ein Autoimmunsyndrom, das zur Zerstörung vieler Gewebe, z. B. der Epithelkörperchen, führt (autoimmune polyglandular syndrome type 1 oder APECED: Autoimmune Poly-Endocrinopathy -Candidiasis-Ectodermal Dystrophy).

Unter den Lymphozyten, die in die Peripherie entlassen wurden, sind manche notwendigerweise grenzwertig autoreaktiv. Das gilt besonders für T-Zellen, die ja gerade aufgrund einer Reaktionsfähigkeit mit dem eigenen MHC positiv selektioniert wurden.

Wahrscheinlichkeit in der Peripherie: Treffen reife naive T-Lymphozyten in der Peripherie auf ein Peptid, das ohne kostimulatorische Signale präsentiert wird, handelt es sich wahrscheinlich um Selbst. Die entsprechenden Lymphozyten werden tolerisiert, d. h., in einen Zustand peripherer Anergie geführt oder, seltener, in Apoptose. Manche dieser T-Zellen werden auch zu aktiven regulatorischen T-Zellen gemacht, einem Selbst-Peptid-spezifischen Wachdienst, der potentielle Selbst-Revolutionäre unter Kontrolle hält.

Umgekehrt macht es eine gleichzeitige Aktivierung der nicht-adaptiven Abwehr für T-Zellen wahrscheinlich, dass es sich bei einem ihnen präsentierten Peptid um "fremd/gefährlich" handelt. Dies wird der T-Zelle durch B7-Moleküle auf über pattern recognition receptors aktivierten dendritischen Zellen und Makrophagen gezeigt.

In dendritischen Zellen gibt es anscheinend sogar einen speziellen Mechanismus, der dafür sorgt, dass PAMP-assoziiertes Material in einen eigenen endosomalen Verarbeitungsweg geschleust wird, der sich vom endosomalen Verarbeitungsweg harmlosen Materials unterscheidet. Nur das PAMP-assoziierte Material wird von TLR zu einem Fließband in Richtung MHC-II-tragende Vesikel gesteuert. Material ohne PAMPs, das vermutlich Material von Selbst darstellt, wird dagegen nur abgebaut, ohne irgendwo präsentiert zu werden.

Bei Impfungen nützen wir diese Kostimulator-abhängige Dichotomie zwischen Immunisierung und Tolerisierung zu unserem Vorteil, indem wir durch Adjuvantien die Expression von B7-Molekülen und inflammatorischen Zytokinen in Makrophagen und dendritischen Zellen induzieren. Ohne die Aktivierung von Antigen-präsentierenden Zellen entstünde keine kräftige Immunantwort.

Die Zuhilfenahme dieser beiden Wahrscheinlichkeiten, welche die Evolution in unser Lymphozytensteuerungssystem eingebaut hat, ist nur ein Teil des "Regelwerks" zur Aufrechterhaltung von Selbsttoleranz. Zwei weitere Mechanismen haben wir zumindest berührt:

·      Regulatorische T-Zellen spielen eine große, aber noch zu wenig verstandene Rolle in der Aufrechterhaltung der Selbsttoleranz.

·      Auch wenn sich bereits Effektor-T-Zellen gegen körpereigene Strukturen gebildet haben, verfügen normale Körperzellen über Mechanismen, um solche potentiell autoaggressiven T-Zellen noch zu beruhigen. Wie wir gesehen haben, ist das z. B. durch Expression von PD‑1L möglich.

 

Strategie 2: ausblenden statt tolerieren

Nicht alles "Selbst" wird dem Immunsystem gezeigt. In sogenannten immunologisch privilegierten Zonen wird ein anderer Weg beschritten: einerseits werden die dort exprimierten Antigene dem Immunsystem nicht zur Kenntnis gebracht, andererseits wird es in diese Gebiete kaum hineingelassen. Zu diesen Zonen gehören Auge, ZNS, Testis und in gewisser Weise der Fetus. Ein Grund für die Existenz solcher Zonen könnte sein, dass eine Immunreaktion in diesen Geweben mehr Schaden als Nutzen zur Folge hätte.

Die "Privilegierung" des Auges erlaubt es, Hornhauttransplantationen durchzuführen, ohne auf HLA-idente Spender angewiesen zu sein. Andererseits können schwerwiegende Folgen eintreten, wenn die Barriere der privilegierten Zone einmal durchbrochen wurde. Eine Verletzung eines Auges bringt Antigene mit dem Immunsystem in Kontakt, die vorher "unsichtbar" waren. Die dadurch angeworfene Immunreaktion kann nicht nur das verletzte Auge weiter schädigen, sondern in einer als "sympathische Ophthalmie" bezeichneten Reaktion auf das gesunde Auge übergreifen.

Ähnlich funktioniert ein Maus-Modell für Multiple Sklerose, die Experimentelle Autoimmune Encephalomyelitis (EAE). Das Durchbrechen der Barriere wird hier mit einer Immunisierung simuliert. Eine Maus wird mit dem ZNS-Myelinscheidenprotein myelin basic protein (MBP) immunisiert. Einige Zeit danach erfolgt eine Invasion des Hirngewebes durch MBP-spezifische CD4+ T-Zellen, die Lähmungserscheinungen der Maus zur Folge hat. Die ursächliche Rolle der T-Zellen läßt sich dadurch demonstrieren, dass ein Transfer dieser Effektorzellen in eine gesunde, MHC-idente Maus wieder zur Paralyse führt.

Modell für die Entstehung einer Autoimmunerkrankung

Ein Modell für die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen sieht als Ausgangspunkt eine  Unvollkommenheit in der Entwicklung der Selbst-Toleranz oder Ausblendung. Dieser Fehler kann durch genetische Faktoren erleichtert werden: durch die Form des Peptid-Bindungsspalts eines bestimmten MHC-Moleküls kann beim einen Individuum ein bestimmtes Peptid gebunden werden, während das bei einem anderen Individuum eben nicht der Fall ist. Unvollkommenheiten oder Fehler entstehen notwendigerweise dadurch, dass durch Umwelteinflüsse die Wahrscheinlichkeiten, die der Toleranzentwicklung zu Grunde liegen, nicht in jeder Situation zutreffen. So kann eine durch eine Infektion ausgelöste Aktivierung kostimulatorischer Signale in einem Entzündungsgebiet dazu führen, dass nicht nur Antigene des infektiösen Agens, sondern auch Selbst-Antigene des entzündeten Areals plötzlich als gefährlich interpretiert werden: eine Art Adjuvanswirkung der Infektion zur Immunisierung gegen "Selbst". Von vielen Patienten mit Autoimmunerkrankungen wird eine Infektion als Ausgangspunkt ihrer Erkrankung beschrieben.

Da wir auch bei Impfungen darauf angewiesen sind, kostimulatorisch wirkende Moleküle einzusetzen — sonst funktioniert die Impfung nicht — , ist es leider grundsätzlich möglich, dass auf diese Weise auch eine Autoimmunreaktion angestoßen wird. In der Impstoff-Entwicklung wird besonders darauf geachtet, dass eine solche unerwünschte Wirkung extrem selten bleibt.

Ein Beispiel, wie die gewöhnlich tolerisierende Wirkung eines Selbst-Moleküls, z. B. in Herz oder Synovia, durch einen Umwelteinfluss durchbrochen werden kann, ist das Akute Rheumatische Fieber. Eine Infektion mit β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A , z. B. eine Streptokokken-Angina, aktiviert dendritische Zellen und Makrophagen, die ihrerseits T-Zellen aktivieren. B-Zellen mit grenzwertig autoreaktiven B-Zellrezeptoren, die sonst in der Peripherie ohne T-Zell-Hilfe inaktiv bleiben, bekommen nun T-Zell-Hilfe, speziell bei Patienten mit gewissen HLA-Allelelen, z. B. HLA-DR7 (alte Nomenklatur). Von den Antikörpern, die nun durch die Infektion produziert werden, binden manche das M-Protein der Streptokokkenzellwand, andere das N-acetylglucosamin-Epitop des Gruppe-A Kohlehydrat-Antigens. Jedoch sind diese Antikörper gleichzeitig autoreaktiv: sie binden Antigene auf Herzklappenendothel und Synoviozyten, cardiales Myosin und andere α-helicale Proteine wie Laminin. Mit anderen Worten, diese Antikörper sind kreuzreaktiv; die von ihnen gebundenen Antigene zeigen molecular mimicry (ähnliche 3-D-Strukturen). In einer Typ II-Überempfindlichkeitsreaktion werden Endothelzellen auf Herzklappen, Herzmyozyten und Synoviozyten angegriffen; das führt zu kardialen Symptomen und Gelenksentzündungen.

Eine Epstein-Barr-Virus-Infektion ist Voraussetzung dafür, Multiple Sklerose zu entwickeln. Zahlreiche Beispiele für molekulares Mimikry zwischen EBV-Proteinen und Proteinen der weißen Substanz des ZNS, darunter MBP, sind beschrieben. Die Infektion kann auf diese Weise die vorher ausgeblendeten Autoantigene sichtbar machen, indem sie diese "vortäuscht". Der Effekt ist analog zu jenem der Augenverletzung, die zur sympathischen Ophthalmie führt. Zwar sind 95% von uns EBV-infiziert, aber zum Glück entwickeln nur sehr wenige MS. Eine EBV-Infektion ist also notwendig, aber nicht hinreichend. Eine MS entwickelt sich nur, wenn weitere Bedingungen erfüllt sind. So muss das Individuum z. B. über MHC-Proteine verfügen, welche die Mimikry-Peptide auch präsentieren können. Leider gibt es noch keine Impfung, die eine EBV-Infektion verhindern könnte. Gäbe es sie, könnte man MS wohl sehr stark zurückdrängen.

Während eine Immunantwort gegen eine Infektion durch die Elimination des infektiösen Agens begrenzt ist, sind Autoantigene natürlich nicht eliminierbar. Autoimmunphänomene zeigen daher oft das Bild einer chronischen Entzündung, bei der Gewebszerstörung zur verstärkten Freisetzung des auslösenden Antigens und damit zur Perpetuierung der Erkrankung führt. Ungeordnete Zellzerstörung führt auch zu damage-associated molecular patterns (DAMPs). Die damit in dendritischen Zellen und Makrophagen induzierten kostimulatorischen B7-Proteine und proinflammatorischen Zytokine erhöhen die Chance einer Ausweitung der Autoimmunreaktionen gegen weiterer Epitope (epitope spreading).

 

5.3  Transplantatabstoßung

Die Transplantation von Organen oder Gewebe von einem Individuum auf das andere ist von der Natur nicht vorgesehen. In diesem Fall erweist sich der Polymorphismus des MHC, der in der Evolution offensichtlich von Vorteil war, als äußerst hinderlich. Außer bei einer Transplantation zwischen Geschwistern ist es praktisch unmöglich, ein Spenderorgan mit identischem MHC zu finden. Stehen Organe zur Verfügung, sucht man in den Wartelisten die Empfänger mit der besten MHC-Übereinstimmung; doch diese ist eben nur partiell.

Unser Repertoir von T-Zellen ist im Thymus durch Selektion auf unseren individuellen MHC abgestimmt worden. Nur T-Zellen, die unseren eigenen MHC prinzipiell erkennen können, sind uns von Nutzen. Was aber geschieht, wenn plötzlich ein Organ mit fremdem MHC in unserem Organismus auftaucht? Intuitiv würde man vielleicht annehmen, dass dieser fremde MHC von unseren T-Zellen nicht erkannt werden kann. Das trifft auch für den Großteil, etwa 90%, unserer T-Zellen zu, doch eben nicht für die restlichen 10%. In der Evolution hat dauernder Selektionsdruck bewirkt, dass die humanen T-Zell-Rezeptor-Gensegmente prinzipiell geeignete Bausteine darstellen, um humanen MHC zu erkennen. Natürlich erkennt ein fertiger T-Zell-Rezeptor nicht alle allelischen MHC-Varianten, aber auch nicht nur eine einzige, sondern eine Zahl, die zwischen diesen beiden Extremen liegt. Etwa 10% unserer T-Zellen verhalten sich daher gegenüber einem beliebigen fremden MHC jeweils alloreaktiv, d. h., sie erkennen diesen fremden MHC so, dass die betroffenen T-Zellen zur klonalen Expansion und zur Effektorzellbildung aktiviert werden. Diese Aktivierung kann abhängig vom präsentierten Peptid sein; meist reicht aber das fremde MHC-Molekül für sich bereits hin, um den T-Zell-Rezeptor zu stimulieren: in diesem Fall ist es egal, welches Peptid sich darin befindet.

Jedes transplantierte Organ enthält professionelle Antigen-präsentierende Zellen, dendritische Zellen, die das Transplantat verlassen und in die lokalen Lymphknoten auswandern. Dort stimulieren sie durch ihren "falschen MHC" einen Teil der durch den Lymphknoten durchwandernden T-Lymphozyten des Empfängers. Die Folgen dieser T-Zell-Stimulierung entsprechen den normalen, bereits besprochenen Immunreaktionsformen, die durch die drei hauptsächlichen T-Zell-Typen bestimmt werden:

·        CD8+ T-Zellen werden nach klonaler Expansion zu zytotoxischen Effektorzellen, die ins Transplantat einwandern und beginnen, die Parenchymzellen systematisch abzutöten. Dieser Mechanismus steht bei der sogenannten akuten Abstoßungsreaktion innerhalb der ersten Wochen im Vordergrund.

·        Die chronische Abstoßungreaktion ist gefäßzentriert; man schreibt sie eher den CD4+ T-Zellen zu. CD4+ T-Effektorzellen vom TH1-Typ wandern in die Gefäßwände ein und stimulieren dort Makrophagen und Endothel. Weitere Monozyten wandern ein und differenzieren zu Makrophagen, die TNF-α und IL-1β sezernieren. Es entsteht eine chronische Entzündung der Gefäßwand, die durch Fibrosierung und Vernarbung allmählich zu einer Verengung führt.

·        Dazu tragen auch CD4+ T-Zellen bei, die zu TFH-Zellen stimuliert werden. Sie leisten die benötigte T-Zell-Hilfe für die Produktion von Antikörpern gegen Transplantatantigene. Diese Antikörper richten sich beispielsweise wieder gegen die fremden MHC-Moleküle, da die entsprechenden B-Zellen ja nicht durch klonale Deletion im Knochenmark des Empfängers entfernt werden konnten. Da diese Antikörper mit dem Blut ins Transplantat gelangen, binden sie in erster Linie ans Endothel des Transplantats. Die Summe dieser Mechanismen erscheint als beschleunigte Arteriosklerose der Transplantatgefäße. Durch die Zerstörung der Blutgefäße wird das Transplantat langsam "erdrosselt".

Heute kaum mehr vorkommen sollte die sogenannte perakute Transplantatabstoßung, die auf Antikörper zurückzuführen ist, die zum Zeitpunkt der Transplantation bereits vorhanden sind. Das können zum Beispiel Antikörper gegen Antigene des AB0-Systems sein, da diese nicht nur auf roten Blutkörperchen, sondern auch auf Endothelzellen und anderen Zellen exprimiert werden. Es können auch Antikörper gegen MHC-Moleküle (hauptsächlich Klasse I, also HLA-A, -B, C) vorhanden sein, wenn der Empfänger diese MHC-Typen, z. B. durch frühere Bluttransfusionen, bereits "gesehen" hat.  Falls solche präformierten Antikörper vorhanden sind, reagieren sie sofort massiv mit dem Endothel der Transplantatgefäße und aktivieren Komplementsystem und Blutgerinnung. Die Gefäße werden verstopft, rascher am venösen Schenkel, und das transplantierte Organ stirbt innerhalb von Minuten durch hämorrhagische Infarzierung. Durch AB0-Abgleichung und Kreuzprobe zwischen Empfängerserum und Spenderleukozyten sind perakute Abstoßungsreaktionen meist vermeidbar.

Doch die Immunologie der Transplantation ist noch komplexer. Neben dem MHC (major histocompatibility complex) tragen auch in anderen Loci des Genoms kodierte Polymorphismen zur Transplantatabstoßung bei: man nennt diese minor histocompatibility genes. Nur eine Minderheit von ihnen ist im Detail bekannt. In großen Familien kommt es regelmäßig vor, dass HLA-idente Geschwister vorhanden sind, da Geschwister eine 1:4-Chance haben, dieselben MHC-Allele von Mutter und Vater zu erben. Auch bei einer Organspende zwischen solchen Geschwistern treten Abstoßungsreaktionen auf. Die Polymorphismen der minor histocompatibility-Gene (auf vielen anderen Genloci als dem MHC haben die beiden Geschwister ja unterschiedliches Genmaterial geerbt) führen dazu, dass die Transplantatzellen Proteine mit geringfügigen Unterschieden zu denen des Empfängers synthetisieren. Dadurch werden auch veränderte Peptide in den sonst identischen MHC-Molekülen präsentiert. Gegen diese Peptide reaktive T-Zellen sind im Thymus des Empfängers natürlich nicht durch negative Selektion eliminiert worden. Die Immunreaktion gleicht damit der einer Virusabwehr, mit dem Unterschied, dass im Rahmen der Virusabwehr nur infizierte Zellen abgetötet werden, während im Transplantat natürlich alle Zellen die veränderten Peptide präsentieren, wenn auch wahrscheinlich meist in weit geringeren Konzentrationen.

Bei den häufigen Organtransplantationen mit nur teilweise übereinstimmendem MHC überlagern sich Immunantworten gegen MHC mit solchen, die gegen minor histocompatibility gene-kodierten Unterschieden gerichtet sind.

Aus diesen Gründen ist es unerläßlich, das Immunsystem von Transplantatempfängern dauerhaft zu supprimieren. Das geschieht in erster Linie mit T-Zell-hemmenden Pharmaka wie Ciclosporin A oder Tacrolimus, häufig in Kombination mit Proliferationshemmern wie Azathioprin oder Glukokortikoiden wie Prednison. Das bedingt selbstverständlich eine hohe Gefährdung durch Infektionen, am ausgeprägtesten in der ersten Phase nach der Transplantation, in der diese Immunsuppressiva am höchsten dosiert werden müssen. Weitere Nebenwirkungen der Medikamente erschweren die Behandlung: Ciclosporin A hat eine gewisse Toxizität für viele Zelltypen, besonders für die Niere. Für den Arzt ergibt sich also bei Funktionseinschränkungen der transplantierten Niere das Dilemma: Abstoßungsreaktion oder Ciclosporin A-Toxizität? Im einen Fall muß die Zyklosporin A-Dosis erhöht, im anderen Fall gesenkt werden. Transplantate sind also leider keine Lösung "für immer": die mediane Überlebenszeit einer transplantierten Niere beträgt etwa acht Jahre.

Spezielle Bedingungen herrschen im Fall der Knochenmarktransplantation. Eine solche wird zur Behandlung mancher Leukämien, Lymphome und zunehmend weiterer Neoplasien angewendet, sowie zur Behandlung mancher genetisch bedingter Stammzellerkrankungen wie schwerer Formen der Thalassämie. Man unterscheidet autologe Stammzelltransplantationen, bei denen einem  Individuum zunächst Stammzellen entnommen und nach einer intensiven Tumortherapie zur Wiederbesiedlung des Knochenmarks zurückgegeben werden, von einer allogenen Knochenmarktransplantation, bei der die Stammzellen von einem gesunden Spender auf den Patienten übertragen werden. Diese Form der Transplantation bedeutet, dass das Immunsystem mit all seinen Zelltypen auf ein anderes Individuum verplanzt wird. Wenn alles gut geht, werden die neu aus den Stammzellen entstehenden Zellen über die normalen Mechanismen in Knochenmark und Thymus an die neue genetische Umgebung abgestimmt und damit tolerisiert. Manchmal ergibt sich allerdings eine generalisierte Immunreaktion gegen das Gewebe des Empfängers, die als graft-versus-host disease bezeichnet wird. Diese lebensbedrohliche Erkrankung manifestiert sich in erster Linie in Haut, Magen-Darm-Trakt und Leber.

Die Reaktivität eines transplantierten Immunsystems gegen Empfängerzellen hat manchmal auch positive Auswirkungen. Ein Teil des therapeutischen Effekts einer allogenen Knochenmarktransplantation bei Leukämien beruht darauf, dass Zellen des transplantierten Immunsystems Leukämiezellen an exprimierten minor histocompatibility- oder Tumor-spezifischen Antigenen erkennen und abtöten. Dies wird als graft-versus-leukemia-Effekt bezeichnet.

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QUELLEN UND WEITERFÜHRENDE LITERATUR:

Murphy, K. et al.:
Janeway's Immunobiology, 10th Ed. (English), Norton 2022

Murphy, K. und Weaver, C.: Janeway Immunologie, 9. Auflage (Deutsch), Springer Spektrum Akademischer Verlag, 2018

Abbas A. K. et al., Cellular and Molecular Immunology, 9th Ed., Saunders, Philadelphia, 2017

Kumar V. et al. (eds.): Robbins and Cotran Pathologic Basis of Disease, 10th Edition, Elsevier, 2020