KREBSENTSTEHUNG
Dieses Skriptum ist eine Lernhilfe zu meinen
Vorlesungen an der Medizinischen Universität Innsbruck im Modul
"Tumoren" sowie der Spezialvorlesung "Onkogene und Antionkogene".
Druckerfreundlich ist die pdf-Version.
Auf einer
früheren Version dieses Skripts basiert Kapitel 13, Maligne Neoplasien, im Lehrbuch "Pathophysiologie",
herausgegeben von S. Schwarz et al., Maudrich, Wien 2007.
Ich möchte alle Studierenden ermutigen, sich
eine gute Basis an medizinischem Englisch zu erarbeiten und stelle das
Skriptum daher auch in einer Englischen
Version zur Verfügung.
Version
5.3 ©Arno Helmberg 2000-2024
Der menschliche Organismus
stellt eine Gesellschaft von Zellen dar. Mitglieder haben Aufgaben,
wie in jeder funktionierenden Gesellschaft, und müssen sich an Regeln
halten. Die Erledigung von Aufgaben und das Befolgen von Regeln werden
durch Genexpression implementiert. Maligne Neoplasien entstehen durch
Verlust dieser Regeln durch genetische und epigenetische Veränderungen
in individuellen somatischen Zellen. Die typische maligne Zelle entsteht
schrittweise in einem "Mikroevolutionsprozess", der über Jahre
zu einer Akkumulation von 5 bis 10 kritischen Veränderungen in einer
spezifischen Zelle führt. Jede dieser Veränderungen, die hauptsächlich
Gene für Zellteilungsregulation, Apoptoseregulation und DNA-Reparatur
betreffen, führt zu einem Verlust weiterer Regeln und damit zu einem
weiteren Selektionsvorteil der betroffenen Zelle gegenüber den Nachbarzellen,
bis ein "gesetzloser" Klon aus "zellulären Anarchisten" entsteht, der den Gesamtorganismus
gefährdet.
Immunmechanismen eliminieren einen unbekannten Anteil dieser Zellanarchisten und können in manchen Fällen medizinisch so beeinflusst werden, dass sie eine bestehende Neoplasie effektiver bekämpfen.
1.
NORMALE WACHSTUMSREGULATION: PROTOONKOGENE
Unter welchen Bedingungen
proliferieren Zellen?
Betrachten wir zunächst einen einfachen, einzelligen
Organismus, z. B. eine Hefezelle, die wir in eine Umgebung mit optimalen
Umweltbedingungen setzen und mit reichlich Nährstoffen, Sauerstoff,
kurz allem, was die Zelle benötigt, versorgen. Was geschieht? Die Zelle
wird sich selbst so lange replizieren, wie die Umweltbedingungen das
zulassen.
Mit
der Evolution der Vielzeller ergab sich daher ein Dilemma: Einerseits
ist es für die Funktion des vielzelligen Organismus notwendig, dauernd
für die Zellen günstige Bedingungen
aufrecht zu erhalten; z. B. ein ausreichendes Zucker- und Sauerstoffangebot.
Andererseits müssen die Zellen jedoch daran gehindert werden, durch
unkontrollierte Proliferation die Organisation des Gesamtorganismus
zu sprengen. Die Vielzelligkeit bedingte daher völlig neue Mechanismen,
um die bis dahin im Wesentlichen von der Nährstoffsituation abhängige
Zellteilung zu regulieren. Ein aus Zellen mit begrenzter Lebenszeit
bestehendes Gewebe konstant zu erhalten, ist bereits eine komplexe Aufgabe.
Doch das statische Aufrechterhalten genügt noch nicht: die Gesamtmasse
der die Funktion erfüllenden Zellen muss zusätzlich den wechselnden
physiologischen Erfordernissen angepasst werden. Die Gesamtmenge der
Erythrozyten z. B. sollte unter gleich bleibenden Lebensumständen —berufliche
Tätigkeit in Mitteleuropa— konstant bleiben, bei einem Aufenthalt in
größeren Höhen aber gesteigert werden können.
Wie ist ein solches Problem zu lösen?
Während
analoge Fragen für die meisten Gewebe noch nicht beantwortbar sind,
sind für Erythrozyten die Grundzüge der Regulation erforscht. Die elegante
Lösung besteht in einem Regelkreis, in dem ein Absinken des Sauerstoffpartialdrucks
(pO2) in der Niere die Neubildung der Erythrozyten im Knochenmark
stimuliert. Nierenzellen exprimieren, wie die meisten Zellen, einen
Transkriptionsfaktor, HIF-1 (hypoxia inducible factor), der normalerweise
so rasch abgebaut wird, dass das Protein kaum nachweisbar ist. Voraussetzung
für diesen raschen Abbau durch den Ubiquitin-Proteasom-Weg (siehe unten)
ist die Hydroxylierung von HIF-1 durch eine Prolyl-Hydroxylase. Diese
Oxidierung benötigt Sauerstoff, und das Enzym ist so ausgelegt, dass
es bei normalem pO2 gerade noch funktioniert. Sobald der
pO2 in der außerordentlich stark durchbluteten Niere unter
den Normalwert sinkt, funktioniert die Prolyl-Hydroxylase nicht mehr.
HIF-1 wird nicht hydroxyliert und damit auch nicht mehr abgebaut; es
akkumuliert im Kern und bindet an seine Erkennungssequenz in den Promotoren
mehrerer Gene, darunter das Gen für Erythropoetin (EPO). Der Mechanismus setzt
also einen geringen Abfall der Sauerstoffkonzentration in die Ausschüttung
des Signalmoleküls Erythropoetin um.
Erythropoetin
erhöht die Proliferationsrate von erythropoetischen Vorläuferzellen
(colony
forming units CFUE und burst forming units BFUE)
der erythrozytären Entwicklungsreihe im Knochenmark. Damit das extrazelluläre
Signalmolekül den Prozess der Zellteilung beeinflussen kann, sind eine
Reihe von charakteristischen Schritten nötig, die zu einer Veränderung
der Genregulation und zu einer Veränderung der Zusammensetzung und der
Aktivität der Zellzyklus-regulierenden Proteine führen. Das Prinzip
dieser Signalumsetzung ist für alle proliferationsfördernden Signalproteine
(Wachstumsfaktoren) gleich; die daran beteiligten Proteine und Gene
sind kritisch für die Krebsentstehung.
Im
spezifischen Fall der erythrozytären Stammzellen führt die Bindung von
Erythropoetin zur Dimerisierung zweier Erythropoetinrezeptoren, deren
intrazelluläre Domäne jeweils mit einer Janus-Kinase, JAK2, assoziiert
ist. Die beiden JAK2-Moleküle phosphorylieren zunächst einander, dann
mehrere Tyrosin-Seitenketten des EPO-Rezeptors als auch neu hinzukommende
Proteine, die diese phosphorylierten Tyrosine binden. Eines dieser Proteine
ist ein Mitglied der STAT-Familie (signal transducer and activator of transcription),
STAT5. Phosphorylierte STAT5-Moleküle bilden ihrerseits Dimere und wandern
in den Kern, wo sie direkt an DNA binden und die Transkription von Genen
aktivieren, die die Proliferation fördern, z. b. die Gene für den Transkriptionsfaktor
c-Myc sowie ein Molekül namens "Cyclin D". Durch die Steigerung
der Erythrozytenproduktion steigt schließlich der Hämatokrit, bis der
pO2 wieder ausreicht, um HIF-1 effizient abzubauen. Der Regelkreis
ist damit geschlossen.
An diesem Beispiel wird
ein allgemein gültiges Prinzip klar: Proliferation erfolgt nicht einfach
aufs Geratewohl, sondern genau geregelt und erst, wenn Bedarf nach neuen
Zellen besteht. Dieser Bedarf wird meist von anderen Zellen gemessen
und durch ein Signalmolekül denjenigen Zellen mitgeteilt, die durch
Proliferation den Bedarf decken können.
Teilung
versus Differenzierung
Am Beispiel der Erythropoese ist die Aufteilung der
Zellen eines Gewebes in zur Proliferation befähigte Zellen –Stamm- und
Vorläuferzellen im Knochenmark-- und nicht mehr zur Proliferation befähigte
"Arbeitszellen" –Erythrozyten-- leicht ersichtlich. Dasselbe
Prinzip gilt für die meisten Gewebe des Körpers. Im Darmepithel sitzen
die Stammzellen beispielsweise am Boden der Krypten; die transit amplifying cells schließen nach
oben hin an. Nur ein geringer Anteil an Zellen eines Gewebe sind zur
Proliferation fähig: die Stammzellen und wenige nachfolgende Zellgenerationen.
Wird Proliferationsbedarf durch entsprechende Signalmoleküle angezeigt,
teilen sich Stammzellen "asymmetrisch": eine der beiden Tochterzellen
ist ein wenig differenzierter, während die andere Tochterzelle ein genaues
Abbild der Mutterzelle ist. Damit bleibt der Stammzellpool erhalten.
Stammzellen teilen sich so selten wie möglich; die nachfolgenden Zellgenerationen,
als transit amplifying cells bezeichnet, teilen
sich wesentlich rascher.
Im
Knochenmark bilden sich aus diesen differenzierteren Tochterzellen unter
Einfluss des Musters an vorhandenen Signalmolekülen determinierte colony
forming units, die sich nur mehr in eine der hämatologischen Zellarten
entwickeln können. Auch die Teilungsaktivität dieser Vorläuferzellen
wird wesentlich von Wachstumsfaktoren beeinflusst. Erythropoetin beispielsweise
entfaltet seine Wirkungen auf dieser Ebene. Von der Gesamtheit der teilungsfähigen
Zellen spricht man als Proliferationsspeicher. Nach mehreren, doch strikt
limitierten (10-15) Generationen von expandierenden Vorläuferzellen
zunehmender Differenzierung erreichen die Zellen das Stadium der "terminalen
Differenzierung" und verlieren die Fähigkeit, zu proliferieren.
Die Zellen reifen von da an nur mehr aus und werden in ihrer Gesamtheit
als Reifungsspeicher bezeichnet. Aus einer durch die Teilung einer Stammzelle
hervorgegangenen transit amplifying
cell entsteht also ein großer, aber kurzlebiger Zellklon, der zur
Ausbildung von teilungsunfähigen "Arbeiterzellen" führt. In
diesem Zellklon neu auftretende Mutationen haben geringe Bedeutung,
da diese Zellen nur beschränktes Teilungspotential und beschränkte Überlebenszeit
haben. Erythrozyten überleben etwa drei Monate, Darmepithelzellen nur
wenige Tage.
(Krebs-) Stammzellen
Aufgrund der Notwendigkeit
der Akkumulation von mehreren Mutationen zur Ausbildung einer malignen
Zelle, ein Prozess, für den eine lange Reihe von Zellteilungen notwendig
erscheint, nimmt man an, dass das initiale Mutationsereignis für die meisten, wenn nicht für alle
Neoplasien auf Stammzellniveau zu suchen sein muss. Das Tumorgewebe
behält dabei meist durchaus die Aufgabenteilung in Stammzellen, transit amplifying cells und mehr oder weniger differenzierte Zellen
bei.
Mehrere Mechanismen schützen
Stammzellen so gut es geht, sodass sie so wenig wie möglich Mutationen ansammeln:
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Stammzellen teilen sich so selten wie möglich. Es werden also so wenige DNA-Replikationen wie möglich in Serie geschaltet, da DNA-Replikation unweigerlich Kopierfehler mit sich bringt. Viele Stammzellen verbringen den Großteil ihrer Zeit daher in einem Ruhezustand, einem Dornröschenschlaf, aus dem sie nur geweckt werden, wenn Bedarf nach neuen Zellen gemeldet wird. Das macht es außerordentlich schwierig, Tumorstammzellen zu vernichten, da schlafende Zellen schwer angreifbar sind. So wikrt z. B. die klassische Chemotherapie nur in aktiv proliferierenden Zellen gut. Außerdem ist eine Stammzelle nach außen hin eine "Zelle ohne Eigenschaften": sämtliche Transmembranproteine oder Signaltransduktionswege, die mit irgendeiner Differenzierung verbunden wären, bleiben durch epigenetische Mechanismen stillgelegt. Daher bleiben auch unsere neueren, gezielten Therapiemöglichkeiten, wie Antikörper oder Kinasehemmer, wirkungslos.
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Um den Kontakt mit Mutagenen zu minimieren, sitzen Stammzellen in anatomisch geschützten Nischen: hämatopoetische Stammzellen im Knochen, wo ionisierende Strahlung am schwersten hingelangt; Stammzellen der Haut am Schaft des Haarfollikels, so weit wie möglich vom Hauptmutagen der Haut, den UV-Strahlen, geschützt; Darmepithel-Stammzellen am Boden von Krypten, so weit wie möglich und durch ein gegenläufiges "Schleimförderband" von Mutagenen im Darmlumen geschützt.
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Stammzellen verfügen auch über eine erhöhte Pumpleistung, um fragwürdige Alkaloide, potentielle Mutagene, besonders effizient wieder aus der Zelle hinauszupumpen: das MDR1 (multi-drug-resistance)-Gen, das die Membranpumpe P-Glykoprotein kodiert, wird in Stammzellen besonders stark exprimiert. Während dieser Mechanismus in gesunden Stammzellen außerordentlich nützlich ist, macht er Tumorstammzellen beinahe unverwundbar: viele Chemotherapeutika werden ebenfalls durch diese Pumpe gepumpt und erreichen dadurch keine ausreichenden intrazellulären Konzentrationen.
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Manche Stammzellen, z. B. jene des Darmepithels, haben eine gesenkte Apoptoseschwelle. Eine DNA-Schädigung in einer Darm-Stammzelle führt dazu, dass diese sofort in Apoptose geht. Die Logik ist offenbar: lieber eine Stammzelle weniger, als das Risiko einer mutierten Stammzelle einzugehen. Diese Besonderheit führt zu Problemen bei einer Strahlentherapie: wird eine Darmschlinge bestrahlt, gehen alle Stammzellen in diesem Bereich gleichzeitig in Apoptose, und wenige Tage später entsteht eine Nekrose mit Durchwanderungsperitonitis.
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Schließlich gibt es Hinweise, dass in manchen Stammzelllinien (nicht in hämatopoetischen Stammzellen) über einen noch unverstandenen Mechanismus der Original-DNA-Strang wie ein Erbstück in der Stammzelllinie weitergegeben wird. Die Semikonservative Replikation der DNA bedeutet, dass Mutationen eher im neuen Strang durch Fehleinbauten auftreten. Wenn die neuen Stränge systematisch an die transit amplifying Töchter weitergegeben werden und die Originalstränge systematisch an die Stammzell-Töchter, bedeutet das eine Minimierung des Mutationsrisikos in der Stammzellinie.
Um zusammenzufassen: Trotz all dieser Sicherheitsmaßnahmen, um Stammzellen vor Mutationen zu schützen, kommen Mutationen auch in Stammzellen vor und können zur Bildung von
Tumorstammzellen führen. Versuchen wir, einen Krebspatienten zu therapieren, mag es uns gelingen, 99,9% aller Krebszellen zu töten, aber in vielen Fällen werden einige Krebsstammzellen überleben. Ausgehend von diesen wenigen Zellen, welche die Therapie überlebt haben, kann der Tumor wieder nachwachsen ("Rezidiv").
Zellteilung
ist ein Programm, das das An- und Abschalten vieler Gene beinhaltet
Wenn sich eine zur Proliferation fähige Zelle dazu "entschlossen"
hat, sich zu teilen, bedeutet das, dass der innere Zustand der Zelle
ziemlich umgekrempelt wird. Viele Gene, die in der G0/G1-Phase aktiv
waren, müssen abgeschaltet, andere dafür angeschaltet werden.
Beispiele für Gene, die angeschaltet werden müssen, sind alle
jene, die speziell für DNA-Replikation und Mitose gebraucht werden.
Vom
Signalmolekül zur Änderung der Genexpression: Protoonkogen-Klassen
Die Information, die in Form eines Signalmoleküls von außen kommt, kann
nur über mehrere Molekül-Stationen in eine geänderte Genexpression und
Entscheidungen über Proliferationsverhalten umgesetzt werden. Moleküle,
die diese Funktionen wahrnehmen, sind anfällig dafür, durch Mutationen
zu aktiven Onkogenen verändert zu werden. In ihrem normalen, physiologischen
Zustand werden sie als Protoonkogene ("Vor-Onkogene") bezeichnet
und funktionieren als:
Klasse I: Wachstumsfaktoren
Klasse II: Rezeptoren für Wachstumsfaktoren
Klasse III: Signaltransduktionsmoleküle
Klasse IV: Transkriptionsfaktoren
Klasse V: Bestandteile der Zellzykluskontrollmaschinerie
Prinzip der Protoonkogen-Aktivierung:
eine Mutation täuscht das Vorhandensein eines Wachstumssignals vor
An einer Signal-Transduktionskette für einen Wachstumsfaktor kann das
Prinzip der Onkogenaktivierung durch eine Mutation besonders gut demonstriert
werden. Physiologischerweise werden die Moleküle dieser Kette an- oder
abgeschaltet: in Abwesenheit des Wachstumsfaktors bleiben sie inaktiv;
erst durch den Wachstumsfaktor werden sie aktiviert. Das Wesen der Onkogenaktivierung
liegt darin, dass eine Mutation eines dieser Moleküle so verändert,
dass es immer im angeschalteten Zustand vorliegt, also nicht mehr abgeschaltet
werden kann. Für die Zelle wird durch die Mutation das Vorhandensein
eines Wachstumssignals vorgetäuscht. Die Zelle reagiert auf die einzige
Art, wie sie reagieren kann: sie proliferiert.
Für die Erythropoetin-Signaltransduktionskette gibt es ein reales Beispiel:
die Mutation Val617Phe im JAK2-Molekül führt zu einer Daueraktivierung
dieser Rezeptor-assoziierten Janus-Kinase. Diese Mutation findet man
häufig bei Polycythaemia vera.
Pharmakologische Querverstrebung: Januskinaseinhibitoren wie
Ruxolitinib werden in der Therapie von Polycythaemia vera eingesetzt.
Bei weitem nicht alle Mutationen in einem Protoonkogen haben diesen Effekt:
die meisten Mutationen führen dazu, dass das kodierte Protein nicht
mehr funktioniert (loss of function).
Loss of function-Mutationen
in Protoonkogenen haben für die Krebsentstehung keine Bedeutung. Das einzige Resultat
ist, dass die betroffene Zelle nicht mehr auf ein Wachstumssignal reagieren
kann. Für den Gesamtorganismus ist das ohne Bedeutung, da wir genügend andere
Zellen haben. Für
die Aktivierung eines Protoonkogens zu einem Onkogen sind nur die selteneren
aktivierenden Mutationen (gain
of function) relevant.
Man könnte versuchen, eine automobile Parallele zu konstruieren: die meisten
Defekte werden zur Folge haben, dass das Auto nicht mehr fährt (loss of function). Das ist bedauerlich, aber nicht unmittelbar gefährlich.
Ein aktivierender Effekt wird wesentlich seltener auftreten und könnte
zum Beispiel ein festgeklemmtes Gaspedal darstellen (gain of function; schon vorgekommen!): diese Situation ist wesentlich
kritischer.
2.
MUTATIONEN
Karzinogene
Im 18.
Jahrhundert erkannte der Londoner Chirurg Percivall Pott den Zusammenhang
zwischen Russ und Skrotalkarzinom bei Schornsteinfegern. Heute wissen wir, dass
der zugrunde liegende Mechanismus derselbe ist, der bei Rauchern Lungen- und
Kehlkropfkrebs verursacht.
Am Beginn des 20. Jahrhunderts wurde klar, dass spezifische Stoffe
aus der Umwelt in Zusammenhang mit Krebs gebracht werden können. Zum
Beispiel bekamen Männer, die mit der Destillation der bi-zyklischen
aromatischen Substanz 2-Naphthylamin befasst waren, gehäuft Blasenkrebs.
Diese Verbindung ist also krebsverursachend, oder ein "Karzinogen".
Die
Befürchtung vieler Menschen, dass karzinogene "Chemie" der
wesentlichste Auslöser von malignen Neoplasien beim Menschen ist, trifft
jedoch nicht zu. Eines der weltweit relevantesten Karzinogene ist ein
reines Naturprodukt: Aflatoxin B1. Es wird vom Pilz Aspergillus
flavus gebildet, der gute Wachstumsbedingungen vorfindet, wenn Erdnüsse,
Mais, Getreide oder Pistazien warm und feucht gelagert werden, wie das
in vielen tropischen und subtropischen Regionen der Welt unvermeidbar
ist. Aflatoxin ist primär nicht mutagen. Nach seiner Aufnahme über den
Darm gelangt es in die Leber, wo es durch das Cytochrom
P450-System,
das Teil der Biotransformation ist, in ein hochreaktives Zwischenprodukt
übergeführt wird, das sich dann an Stickstoff- oder Sauerstoffatome
in Makromolekülen der Zelle bindet. Ein typisches Akzeptor-Atom in der
DNA ist das N7-Atom von Guanin. Den entstehenden Komplex nennt man ein
"DNA-Addukt". Wird es nicht rechtzeitig repariert, kann das
Guanosin-Aflatoxin-Addukt während der folgenden Replikation Wasserstoffbrücken
sowohl mit dem korrekten C als auch mit A ausbilden; die Replikationsgabel
scheint aber bei einer Paarung mit C hängenzubleiben, während sie die
Paarung mit A passieren kann. Dadurch ist der Einbau von A am Gegenstrang
bevorzugt. Die folgende Reparatur des Addukts führt gegenüber des fälschlich
eingebauten Adenins schließlich zum Einbau eines Thymins an der Stelle
des ursprünglichen Guanins. Dieser Mechanismus wird als Ursache für
die in Aflatoxin-belasteten Gebieten häufig beobachtete G->T Mutation
an der dritten Position des Codons 249 von p53 in hepatozellulären Karzinomen
angesehen, die zum Austausch des für DNA-Bindung und Konformation wichtigen
Arg249 (AGG) gegen Serin (AGT) führt. Man nimmt an, dass dieser Prozess
zum häufigeren Auftreten des Leberzellkarzinoms in den Tropen beiträgt.
Beim
Erhitzen proteinreicher Nahrungsmittel wird eine Vielzahl von chemischen
Reaktionen ausgelöst. So entstehen beim Braten von Fleisch oder Fisch
heterozyklische aromatische Amine, z. B. PhIP (2-Amino-1-methyl-6-phenylimidazo[4,5
b]pyridin), die mit der Speise aufgenommen werden. Oxidation der exozyklischen
Aminogruppe von PhIP durch eine Cytochrom P450-Oxidase generiert das
hochreaktive N-OH-PhIP, das wiederum mit Guanin ein DNA-Addukt bilden
kann.
In
unserer Gesellschaft ist die Angst vor der versteckten Belastung mit
exogenen Karzinogenen sehr ausgeprägt. Dabei ist ein großer Teil der
tatsächlichen Exposition nicht versteckt, sondern offensichtlich und
darüber hinaus freiwillig: gemeint sind z. B. die Karzinogene im Tabakrauch
und die mutagene Wirkung der UV-Strahlung.
Polyzyklische
Aromate wie Benzpyren sind Bestandteile des "Teer"-Gehalts
von Zigarettenrauch. Aus Konzentrationsgründen
betrifft ihre mutagene Wirkung am stärksten die Epithelzellen der Atemwege. Formal
verläuft die Schädigung analog dem schon bei Aflatoxin besprochenen Mechanismus
über Benzpyren-Adduktbildung an Guaninen. Bei starkem Zigarettenkonsum ist die
mutagene Wirkung dieser Rauchinhaltsstoffe quantitativ so ausgeprägt, dass sich
Raucher über die Wirkung "versteckter" Karzinogene aus anderen
Quellen eigentlich keine Gedanken mehr machen müssen. Derselbe Mechanismus war
für den von Percivall Pott beobachteten Schornsteigfegerkrebs verantwortlich. Neben
polyzyklischen Aromaten wurden zahlreiche weitere Karzinogene im Tabakrauch
nachgewiesen, z. B. Aldehyde, Nitrosamine und Schwermetalle, sogar das radioaktive Uran-Radium-Zerfallsprodukt
Polonium 210 (Uran ist eine Kontaminante des zur Tabakdüngung eingesetzten
Phosphats). Nikotin hat primär suchtmachende Wirkung; zwar gibt es
abgeleitete karzinogene Rauchinhaltsstoffe wie N'-Nitrosonornikotin,
doch ist dieser mutagene Effekt angesichts der übrigen Rauch-Mutagene
untergeordnet.
Zigarettenrauch ist die Nummer eins unter den vermeidbaren Verursachern von Krebstodesfällen. Weltweit ist das Bronchialkarzinom die Krebsart, welche die meisten Krebstoten bei Männern und die zweitmeisten (nach Brustkrebs) bei Frauen verursacht; in Europa überholt es das Mammakarzinom zurzeit auch bei Frauen. Betrachten wir die Entwicklung der Todesfälle von den häufigsten Krebsarten im 20. Jahrhundert, wird sofort klar, dass die allermeisten Fälle von Lungenkrebs vermeidbar wären: vor der Verbreitung des Zigarettenrauchens war das Bronchialkarzinom eine seltene Erkrankung. Die Mortalität an Lungenkrebs folgte mit einer Verzögerung von etwa 20 Jahren dem Anstieg des Zigarettenkonsums, zunächst bei Männern, später bei Frauen.
Löst nicht auch Luftverschmutzung Lungenkrebs aus? Leider ja, speziell Feinstaub: PM10 (particulate matter) mit einem Durchmesser unter 10 µm und PM2,5 mit einem Durchmesser unter 2,5 µm. Diese Partikel entstehen durch Verbrennungsprozesse in den Motoren unserer Autos sowie durch Hausbrand und Industrie. Sie enthalten wiederum polyzyklische Aromate. Außerdem fördern die Partikel einen Entzündungszustand mit einem
Tumorpromotor-Effekt auf Alveolarzellen Typ II. Auch in gesundem Lungengewebe
findet man bei älteren Menschen bereits in beträchtlichen Prozentsätzen – 18%
im EGFR-Gen, 53% im KRAS-Gen – tumorfördernde Mutationen, die aber klinisch
stumm bleiben, solange diese Zellen nicht zur Proliferation angeregt werden. Genau
das geschieht jedoch durch wiederholte PM2,5-Exposition. Es ist daher notwendig, Feinstaubpartikel zu reduzieren: die EU beschloss daher 2023 neue, niedrigere Grenzwerte, die ab 2030 eingehlaten werden sollen. Allerdings bleibt die Schädlichkeit immer eine Frage der Konzentration: Raucher inhalieren weit höhere Konzentrationen, sodass Rauchen eine weit höhere Zahl an Lungenkrebsfällen verursacht. Im Vergleich zum Rauchen ist die Krebsgefährdung durch Luftverschmutzung ein relativ geringes Problem.
Mutationen durch Strahlung
Die
im normalen Alltag bereits ohne willentliche Sonnenexposition absorbierte
UV-Strahlung führt zu zahlreichen DNA-Schädigungen in lichtexponierten
Arealen; in erster Linie über eine durch die Strahlungsenergie ermöglichte
kovalente Quervernetzung benachbarter Pyrimidin-Nukleotide (z. B. "Thymin-Dimere").
Die Intensität dieser mutagenen Aktivität wird bei Xeroderma
pigmentosum-Patienten klar, die solche Quervernetzungen nicht reparieren
können: sogar durch den äußersten praktisch möglichen Lichtschutz lässt
sich die Entstehung zahlreicher maligner Tumoren der Haut, häufig sogar
der vorderen Areale der Mundhöhle (!), nicht vermeiden. Es wäre daher
klug, die direkte Sonnenexposition in einem vernünftigen Rahmen zu halten
und den in Kauf genommenen Schaden durch Sonnenschutzmittel zu begrenzen.
Die Idee des Solariums erscheint aus dieser Sicht wenig glücklich.
Ionisierende
Strahlung führt zu DNA-Einzel- und Doppelstrangbrüchen. Jeder Mensch
ist einem gewissen Niveau ionisierender Strahlung ausgesetzt, das in
erster Linie durch medizinische bildgebende Verfahren, geologische Verhältnisse
des Wohnorts und verwendete Baumaterialien determiniert wird. Durch
berufliche Umstände (medizinische Berufe, häufige Langstreckenflüge)
kann die Exposition erhöht werden.
Test
auf Mutagenität: der Ames-Test
Um die Mutagenität einzelner Verbindungen zu testen, entwickelte der amerikanische
Forscher Bruce Ames ein Testverfahren, das eine Quantifizierung von
Mutationen in einem Bakterienstamm erlaubt. Der Test misst die Frequenz,
mit der Mutationen einem Bakterium ermöglichen, selbst Histidin zu synthetisieren,
sodass es auf einem Histidin-freien Medium eine Kolonie bilden kann.
Indem der Testsubstanz ausgesetzte Bakterien mit Kontrollbakterien verglichen
werden, kann die Zahl von Mutationen ermittelt werden, die auf die Testsubstanz
zurückgehen. Zur Testsubstanz kann homogenisierter Leberextrakt zugegeben
werden, um die Effekte der Biotransformation einzubeziehen.
Mutationen
entstehen auch ohne äußere Karzinogene
Mutationen sind nicht ausschließlich auf aus der Umwelt
stammende Mutagene, Strahlen etc. zurückzuführen. Bereits bei der normalen
Funktion von DNA in unbelasteten Zellen entstehen etwa 20.000 "spontane"
Veränderungen pro Zelle und Tag, die sekundär zu Mutationen führen können.
Zwar ist doppelsträngige DNA ein für biologische Verhältnisse außerordentlich
stabiles Molekül, wesentlich stabiler als Proteine oder RNA, doch befindet
sich dieses Molekül in einer chemisch sehr reaktiven Umgebung: Wärme,
Sauerstoffkonzentration, wässriges salzhaltiges Milieu (vergleiche Rostbildung!)
und eine Vielzahl reaktiver Gruppen umgebender Makromoleküle führen
dazu, dass die DNA unter dauerndem chemischen Beschuss liegt. Daraus
ergeben sich folgende häufigen Veränderungen:
Hydrolyse
Die
Kombination von wässrigem Milieu und Wärme führt zum Aufbrechen einer
kovalenten Bindung durch ein Wassermolekül. Nach der Lokalisation der
am häufigsten hydrolysierten Bindungen ergeben sich:
Depurinierung: die DNA jeder humanen Zelle verliert pro Tag etwa 5000
Purinbasen (Adenin oder Guanin) durch Hydrolyse ihrer N-glykosidischen
Bindung an Desoxy-Ribose (abasic
site).
Deaminierung: Verliert Cytosin durch Hydrolyse seine Aminogruppe,
bleibt Uracil zurück. Diese Veränderung betrifft etwa 100 Cytosin-Basen
pro Zelle und Tag. Während Cytosin Basenpaarung mit Guanin eingeht,
verhält sich Uracil wie Thymin und geht Basenpaarung mit Adenin ein.
Da Uracil aber nicht Bestandteil der DNA ist, wird Uracil durch ein
spezialisiertes Enzym (Uracil DNA Glykosylase) rasch aus der DNA entfernt. Danach
entfernt die Endonuclease APE1 (apurinic/apyrimidinic
endonuclease 1) auch noch die Desoxyribose, sodass ein "Loch" im
Einzelstrang entsteht: ein Einzelstrangbruch. Der Einzelstrangbruch wird
repariert, indem die entsprechende Stelle neu synthetisiert wird (base excision repair, BER). Erst bei
Defekten dieses Reparatursystems führt eine Cytosin-Deaminierung zu einer
G->A Punktmutation am Gegenstrang.
Oxidation
Die
hohe Reaktivität des Sauerstoffs, besonders in der Form des Hydroxylradikals,
führt zu mehr als 10.000 Basenveränderungen pro Zelle und Tag. Manche
dieser Veränderungen führen zu Mutationen: die Oxidierung von Guanin
zu 8-Oxo-Guanin führt zu einer Basenpaarung mit A statt mit C. Andere,
wie die Oxidation von Thymin zu Thyminglykol, führen zu einer Blockade
der DNA-Replikation. Während Basenoxidation bereits unter physiologischen
Bedingungen auftritt, ist dieser Effekt in Geweben mit chronischer Entzündung
noch wesentlich verstärkt: Makrophagen und neutrophile Granulozyten
produzieren dauernd große Mengen aktiver Sauerstoffverbindungen. Dazu
kommt noch, dass unter diesen Bedingungen viele Zellen untergehen. Die
verbliebenen Zellen versuchen, diese Verluste durch verstärkte Proliferation
auszugleichen. Die so erhöhte Frequenz der DNA-Replikation hat zur Folge,
dass oxidative DNA-Schäden häufiger durch Basenfehlinkorporation im
Gegenstrang fixiert werden.
Methylierung
Die
geregelte Methylierung des C5-Atoms von Cytosin in der Basenfolge CG
("CpG"-Konfiguration) ist ein wichtiger, zur Genregulation
beitragender Prozess. Jedoch kommen auch ungeregelte Übertragungen von
Methylgruppen vom Universal-Methylgruppendonor S-Adenosylmethionin auf
Basen vor. Häufig ist z. B. die relativ harmlose Methylierung von N7
in Guanin; die seltenere Methylierung des O6-Atoms von Guanin führt
jedoch zur fälschlichen Basenpaarung mit T statt C.
Wie für
Uracil in der DNA gibt es auch für oxidierte Basen und für methylierte Basen
jeweils spezifische DNA-Glykosylasen, welche die veränderte Base erkennen und
herausschneiden. Gefolgt wird das in jedem Fall durch das Entfernen der Desoxyribose,
wodurch ein Einzelstrangbruch entsteht. Einzelstrangbrüche treten also in jeder
Zelle täglich in großer Zahl auf. Das ist nicht weiter schlimm, da diese
Einzelstrangbrüche durch das Enzym PARP (Poly-ADP-Ribose-Polymerase) gebunden
und mit einer Poly-ADP-Ribose-Girlande markiert werden. Reparaturenzyme
erkennen diese Girlande und beheben den Strangbruch. Etwas kritischer wird es,
wenn eine DNA-Replikationsgabel auf einen solchen Einzelstrangbruch trifft, vor
dieser repariert werden konnte. In diesem Fall kommt es zu einem
Doppelstrangbruch und die Replikationsgabel zerfällt. Aber auch für dieses
Problem gibt es eine Lösung: das Reparatursystem der homologen Rekombination (siehe
Abschnitt über BRCA-Gene).
Replikationsfehler
Mehr noch als bei der bloßen
Erhaltung der DNA bestehen bei der Replikation Möglichkeiten für Mutationen.
Eine
Sonderform, bei der ein verspätetes Chromosom zur Bildung eines separaten
Mikronukleus, zur Verspätung der nächsten Replikation, zur Zerschlagung des
Einzelchromosoms (Chromosoms) und zur Neuzusammensetzung der Bruchstücke führt, besprechen
wir später. An dieser Stelle interessieren wir uns für die Fehlinkorporation
einzelner Basen. Einerseits können normale Nukleotide fehleingebaut werden, andererseits
bestehen in jeder Zelle aufgrund der Reaktionsgleichgewichte auch geringe
Mengen "falscher" Nukleotide, die sich z. B. in einer Seitengruppe
von den "richtigen" unterscheiden. Um die Rate der durch diese
Mechanismen entstehenden Mutationen möglichst niedrig zu halten, sind
mehrere Ebenen des "Korrekturlesens" eingebaut. Die erste
ist die tatsächlich proofreading
genannte Aktivität der DNA-Polymerasen. Mit Hilfe einer eingebauten
3'→5'-Exonukleaseaktivität wird ein fehlerhaft eingebautes Nukleotid
sofort durch einen Rückwärtsschritt des Enzyms wieder herausgeschnitten,
vor weiterpolymerisiert wird. Die nächste Korrekturebene erfolgt durch
das mismatch repair (MMR)-System.
Mismatch
repair (MMR)
Fehler
können den Einbau eines falschen Nukleotids an der richtigen Stelle,
aber auch den Einbau zusätzlicher (Insertionen) oder den Wegfall von
Nukleotiden (Deletionen) bedeuten, welche noch kritischer sind, da diese
zu Leserasterverschiebungen führen. Bei der großen Zahl an Nukleotiden,
die in einer DNA-Replikation polymerisiert werden, hat auch eine niedrige
Fehlerrate zahlreiche Fehlinkorporationen zur Folge. Das falsch oder
zusätzlich eingebaute Nukleotid passt nicht mit seinem Gegenüber zusammen
–mismatch— d. h., kann keine
Wasserstoffbrücken mit seinem Gegenüber ausbilden. Die DNA ist an dieser
Stelle in ihrer Geometrie gestört, sie bekommt einen "Buckel".
Eine solche Geometriestörung ist für die Zelle mit molekularen Mitteln nicht schwer
zu erkennen; das viel schwierigere Problem besteht darin, zu erkennen,
welches der beiden Nukleotide das richtige und welches das falsche ist.
Die mismatch repair-Systeme
in verschiedenen Organismen haben die Fähigkeit, alten und neu synthetisierten
Strang mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit voneinander zu unterscheiden. Es ist noch nicht vollkommen geklärt, auf welchem
Weg das beim Menschen geschieht; in E. coli nützt das System die
Tatsache aus, dass der alte Strang an manchen Stellen methyliert ist.
Das
mismatch repair-System wurde zunächst in der einfacheren bakteriellen
Form aufgeklärt. In E. coli
besteht der Kern des Systems aus drei Proteinen: mutS, mutL und mutH. MutS ist das Protein, das die Geometriestörung in der DNA erkennt; ein
mutS-Dimer bindet an diese
Stelle und bewegt sich dann Energie-abhängig so vom Buckel weg, dass eine DNA-Schlaufe entsteht. Wenn eines der mutS-Proteine auf eine methylierte Base
trifft, treten jeweils mutL
und mutH-Dimere hinzu, damit im so entstandenen
Komplex die Endonuklease mutH
den der methylierten Base gegenüber liegenden DNA-Strang schneiden kann.
Damit ist das Strang-Erkennungsproblem gelöst: in der Umgebung eines
mismatch wurde jener Strang durch einen
Schnitt markiert, der nicht methyliert ist. Mit Hilfe anderer Proteine
wird in der Folge der nicht-methylierte Strang zwischen mismatch und Schnitt herausgeschnitten und neu synthetisiert.
Das
menschliche mismatch repair-System besteht aus den
selben Grundbausteinen, doch gibt es jeweils mehrere Homologe zu mutS und mutL, während kein Korrelat zur Endonuklease mutH identifiziert
werden konnte. Die mutS-Homologe
tragen die Bezeichnung MSH2 bis-6 (MSH steht für mutS-Homolog; MSH-1 wurde nur
in Hefe gefunden). Die vier identifizierten mutL-Homologe tragen die
Bezeichnungen MLH-1, MLH-3, PMS-1, PMS-2 (MLH steht für mutL-Homolog, PMS für postmeiotic
segregation, da diese Proteine auch eine Funktion beim crossing over der Meiose haben). Während in E. coli mutS und mutL als Homodimere auftreten,
funktionieren die menschlichen Homologe als Heterodimere. Ein typischer mismatch repair-Komplex wäre z. B.
MSH2/MSH6 mit MLH1/PMS1. Kleine einsträngige Insertionen/Deletionen werden
durch andere Kombinationen repariert. Unklar ist auch der Mechanismus der
Strangunterscheidung, der sich beim Menschen nicht auf Methylierung, sondern
wohl auf Diskontinuitäten im neuen Strang, wie z. B. in Okazaki-Fragmenten, stützt.
Die Summe der
Überwachungs- und Korrekturmaßnahmen beseitigt den Großteil der primär
gesetzten DNA-Veränderungen, so dass es zu keinen dauerhaften Mutationen
kommt. Die molekularen Maschinerien für DNA-Replikation und -Reparatur
arbeiten mit großer Präzision, können aber nicht perfekt sein. Nach
allen Sicherheitsmechanismen bleibt eine geringe Mutationsrate von 10−6 Mutationen pro Gen und Zellteilung. Obwohl diese Rate gering ist, reicht
sie aus, viele Mutationen zu verursachen, da der Mensch im Lauf seines
Lebens etwa 1016 Zellteilungen durchmacht: kumulativ, also
auf alle Zellen bezogen, die der Mensch im Lauf seines Lebens besitzt,
bedeutet das 1010Mutationen in jedem einzelnen unserer Gene. Die meisten dieser Mutationen
erfolgen in Zellen, die bald danach zu Grunde gehen. Kritisch wird es, wenn
diese Mutationen in der Stammzelllinie erfolgen.
Unsere Zellen stehen in einem anhaltenden Nieselregen von Mutationen
Die allermeisten DNA-Schäden oder
Einbaufehler werden durch unsere DNA-Reparatursysteme so rasch behoben, dass
keine Mutationen entstehen. Fassen wir also zusammen: Während unsere Zellen
einer Flut von DNA-Schäden durch exogene und endogene Ursachen ausgesetzt sind,
reduzieren unsere Reparatursysteme diese zu einem leichten Nieselregen. Da die
verbleibenden Mutationen in der Regel verschiedene Zellen treffen, stellt
dieser Regen kein Problem dar, solange nicht zu viele Zellteilungen in Serie
hintereinander geschaltet werden. Die Begrenzung der Zahl an Zellteilungen, die
eine somatische Zelle durchmachen kann —z. B. durch
Telomer-"Verbrauch"— stellt daher einen wichtigen Schutz vor der
Akkumulation zu vieler Mutationen dar. Die typische Zelle macht auf ihrem
Entwicklungsweg von der Stammzelle bis zur terminal differenzierten Zelle nur
etwa 10 bis 15 Zellteilungen durch.
Beitrag
von Umweltfaktoren zur Krebsentstehung
Eine für das Verhalten des Individuums bedeutsame Frage
ist, wie groß der relative Anteil
dieser zwei Mutationsursachen ist: "endogen" versus "durch
Umweltkarzinogene ausgelöst". Diese
Frage ist leider nicht exakt beantwortbar, und die Schätzungen zeigen eine
gewisse Streuung. Eine Gruppe von Epidemiologen (Trichopoulos et al.,
Scientific American 275 (Sept.): 50-57, 1996) schätzt, dass nur ein Viertel der
malignen Neoplasien endogen bedingt ist, während 75% durch exogene Ursachen
beigetragen werden, angeführt durch Tabakkonsum (30%) und falsche
Ernährungsgewohnheiten (30%). Obwohl diese Untersuchung ziemlich
"alt" ist, hat sich seither nichts Wesentliches geändert. Der
herausragende Effekt des Rauchens wird sehr klar, wenn man die Entwicklung
der Todesfälle durch maligne Neoplasien seit 1930 betrachtet. Der ungeheure
Anstieg von Todesfällen durch Lungen- und Bronchuskarzinom, zunächst
bei Männern, dann, mit 30-jähriger Verschiebung bei Frauen, spiegelt
den Verlauf der Verbreitung des Zigarettenkonsums wieder.
Eine
einzelne Mutation löst noch keinen Krebs aus
Für die meisten malignen Tumoren steigt die Inzidenz mit dem Lebensalter.
Trägt man z. B. die Inzidenz des Kolonkarzinoms gegen das Lebensalter
auf, erhält man eine typische, exponentiell ansteigende Kurve. Die Form
dieser Kurve ist nur durch das Zusammentreffen mehrerer unabhängiger
seltener Ereignisse in derselben Zelle erklärbar. So lässt sich beispielsweise
berechnen, dass zur Entstehung eines Kolonkarzinoms sechs unabhängige
Ereignisse zusammentreffen müssen. Ein solches Einzelereignis kann die
Aktivierung eines Protoonkogens oder die Inaktivierung eines Tumorsupressors
sein. Das Zusammentreffen von sechs seltenen, unabhängigen Ereignissen
in derselben Zelle ist am Beginn des Lebens sehr unwahrscheinlich, wird
aber mit zunehmendem Alter immer wahrscheinlicher. Die Grund für diese
Konstellation liegt darin, dass Proliferation und Verhalten unserer
Zellen durch mehrere Ebenen von Kontroll- und Sicherheitsmechanismen
gesteuert werden, von denen jede einzeln durch genetische oder epigenetische
Ereignisse verändert werden muss.
Zu dieser Regel gibt es Ausnahmen. So tritt der Netzhauttumor Retinoblastom
beinahe ausschließlich bei kleinen Kindern auf. Einige der erwähnten
Kontrollmechanismen sind in Retinazellen offenbar nicht "eingeschaltet".
Der Verlust des Tumorsupressors Rb in der Gegenwart von Wachstumssignalen
in Zusammenhang mit dem Wachstum des Augapfels genügt, um diesen malignen
Tumor auszulösen.
Das
Multi-Step-Modell: Mutation und Selektion
Das gegenwärtig vorherrschende Denkmodell für die Entwicklung der meisten
malignen Tumoren wurde von Vogelstein und Kinzler am Beispiel des Kolonkarzinoms
entwickelt. Es sieht Krebsentstehung als einen sich über viele Jahre
hinziehenden Mutations- und Selektionsprozess. Ein erstes Ereignis führt
beispielsweise zur Inaktivierung des Tumorsupressors APC in einer Kolonstammzelle.
Der Phänotyp der betroffenen Zelle ändert sich nur minimal: Die Zelle
hat eine geringfügig erhöhte Tendenz, zu proliferieren. Möglicherweise
gibt es auch ein Problem mit der asymmetrischen Stammzellteilung, sodass
mehr Stammzelltöchter entstehen (siehe Abschnitt "Kolonkarzinom")
So bildet sich, beispielsweise über den Zeitraum von zwei Jahren, eine
kleine "Epithelinsel" aus Nachkommen dieser ersten Zelle,
denen natürlich alle das APC fehlt. Mutationen treten im Darmepithel
mit einer charakteristischen Frequenz auf. Je größer die APC-lose Zellinsel
wird, desto wahrscheinlicher wird es, dass im Nieselregen der Mutationen eine weitere Mutation
eine APC-lose Zelle trifft. Dieses zweite relevante Mutationsereignis
könnte beispielsweise die Aktivierung von ras durch eine Punktmutation sein. Der
entstehende Zellklon hat damit einen weiteren Selektionsvorteil: die
verstärkte Proliferationstendenz bewirkt, dass aus den Nachkommen dieser
Zelle langsam eine Insel von Zellen mit zwei genetischen Problemen innerhalb
der ursprünglichen Insel mit einem Problem entsteht. Die Zellen sind
immer noch gut differenziert, doch erhebt sich nun langsam ein Adenom
aus der Ebene des Epithels. Weitere eineinhalb Jahre später geht in
einer Tochterzelle dieses Klons die Funktion eines weiteren Tumorsuppressorgens
verloren, z. B. p53, und so weiter....
Mit jedem Mutationsereignis vergrößert sich der Selektionsvorteil und
verkleinert sich der Differenzierungsgrad des driftenden Zellklons.
Nach 10 Jahren entsteht durch ein sechstes unabhängiges Mutationsereignis
auf diese Weise die erste maligne Tumorzelle.
Die "Tumor-Evolution" bleibt damit nicht stehen: im Lauf der
weiteren Entwicklung sammelt der Tumor noch weitere Mutationsereignisse,
die z. B. für Metastasierungsorte oder –Geschwindigkeit oder für das
Verhalten des Tumors unter Therapie von Bedeutung sein können. Dabei
spaltet sich die Neoplasie in genetisch unterschiedliche Subklone auf,
die sich auch biologisch oft unterschiedlich verhalten.
Neoplasien
desselben Grundtyps können sich auf Grund ihrer genetischen Heterogenität
biologisch unterschiedlich verhalten.
In der Klinik beobachtet man durchaus unterschiedliche Verläufe der Krankengeschichten
von Patienten mit Tumoren desselben Grundtyps. Während ein Patient mit
Kolonkarzinom auf die Therapie gut anspricht und danach jahrelang beschwerdefrei
ist, bekommt der nächste mit identischem staging und grading rasch ein Rezidiv und verstirbt wenige Monate
später. Was zunächst unverständlich wirkt, wird durch die unterschiedliche
Ausstattung der Tumorzellen der beiden Patienten mit "genetischen
Problemen" begreiflich.
Eine gegenwärtige Stoßrichtung der Therapieentwicklung ist, auf Basis
einer Bestimmung des individuellen "Tumormutationsprofils"
eine rational begründete, individuell sinnvolle Therapie zu verabreichen
(personalized medicine).
Mutationen
sind nicht alles: das Initiator-Promotor-Konzept
Karzinogene sind nicht ausschließlich Mutagene. Dies wurde schon früh
klar, als man erkannte, dass es zwei Gruppen von Neoplasie-fördernden
Substanzen gibt, die auf Grund ihrer Wirkung als "Tumorinitiatoren"
und "Tumorpromotoren" bezeichnet wurden. Behandelte man beispielsweise
die Haut einer Maus zunächst mit einer Substanz aus der Initiatorgruppe,
dann wiederholt mit einer aus der Promotorgruppe, entwickelte sich ein
maligner Tumor. In der umgekehrten Reihenfolge –zuerst Promotor, dann
Initiator— entwickelte sich keiner.
Die Erklärung für dieses Verhalten liegt darin, dass nur der Tumorinitiator
mutagen wirkt. Ein Tumorpromotor dagegen wirkt proliferationsfördernd,
ohne selbst Mutationen zu verursachen. Wirkt nur der Tumorpromotor ein,
ohne dass vorher Mutationen gesetzt wurden, bewirkt das keine Progression
zur Malignität. Wurden jedoch vorher durch den Tumorinitiator Mutationen
ausgelöst, werden die betroffenen Zellen mitsamt deren genetischen Defekten
durch den Proliferationsreiz vervielfacht. Mit dieser Vervielfachung
steigt die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Mutationen auf Zellen treffen,
die bereits mit einigen Defekten belastet sind. Tumorpromotoren vergrößern
also die Basis an Zellen mit präexistenten Problemen, ohne selbst mutagen
zu sein.
Beispiele für Tumorpromotorwirkung wären etwa Östrogene in bezug auf das
Mammakarzinom oder der von einem Magengeschwür ausgehende Proliferationsreiz
für die Entstehung eines Magenkarzinoms.
3. TUMORSUPPRESSOREN
Zellteilung bedeutet, dass die Zelle mitsamt ihrer Funktionsanleitung,
der DNA, verdoppelt wird. Bei Bakterien ist das eine einfache und geradlinige
Angelegenheit. Die Verdoppelung der DNA geht Hand in Hand mit der eigentlichen
Zellteilung. Im zirkulär geschlossenen Genom beginnen zwei Replikationsgabeln
vom origin of replication aus zu
laufen, bis sie sich am anderen Ende wieder treffen. Jede Tochterzelle bekommt
eine Kopie. Aufgabe sauber gelöst.
Im Lauf der Evolution wurde das Genom jedoch immer größer. Bei den
Eukaryoten wurde es schließlich so groß, dass es mit diesem einfachen System
nicht mehr repliziert werden konnte. Es benötigte mehr origins of replication und das Genom wurde in mehrere, leichter
handhabbare Stücke, die Chromosomen, zerteilt. Dadurch entstanden jedoch
zahlreiche neue Probleme:
- Trat im bakteriellen Genom ein freies Doppelstrang-Ende auf, war die Sache klar: Es muss sich um einen Unfall, einen DNA-Doppelstrangbruch handeln, der wieder zusammengefügt werden muss. Doch im neuen System war unklar: ist das nun ein zu reparierender Doppelstrangbruch oder ein erlaubtes Chromosomenende?
- Wie kann man in einem in Teile zerlegten Genom sicherstellen, dass jedes Stück einmal, aber nur einmal verdoppelt wird?
- Wie kann man sicherstellen, dass jede Tochterzelle eine, und nur eine Kopie jedes der zahlreichen Genomteile erhält?
Die Lösung dieser Probleme erforderte beträchtliche Veränderungen. Die
Verdoppelung der DNA wurde zeitlich von der Zellteilung getrennt und
vorverlegt. Auf jedem Chromosom wurden zahlreiche origins of replication eingeführt. Neue "Manager" und
Organisationssysteme, wie Cdk/Cyclin-Komplexe und die Teilungsspindel wurden
eingeführt.
3. 1. ZELLZYKLUS-REGULATION
Zellzyklusphasen
Die Beschreibung von Phasen des eukaryoten Zellzyklus konzentrierte sich in der lichtmikroskopischen
Ära auf die Mitose: nur dann war etwas Besonderes zu sehen: Entstehung,
Anordnung und Auseinanderwandern der Chromosomen. Der Rest wurde einfach
"Interphase" genannt: das langweilige Intervall zwischen zwei
Mitosen.
Später wurde klar, dass in einem Abschnitt der Interphase die Replikation
der DNA abläuft. Diese Zellzyklusphase wurde mit "S" für Synthese
bezeichnet.
Damit kommt man zu folgendem einfachen Modell für den Zellzyklus:
M- Mitose
G1- steht, je nach Temperament,
für gap ("nichts"
geschieht) oder growth
S- DNA-Replikation (Synthese)
G2- nach Abschluss der DNA-Synthese
bis zur nächsten Mitose
Cdk/Cyclin-Komplexe
Die Entscheidung, den nächsten Schritt im Zellteilungszyklus einzuleiten,
bedeutet jeweils die Aktivierung eines "Hauptschalters" in
der Form eines Cdk/Cyclin-Komplexes.
Die einfachste Form dieses Zellzykluskontrollsystems findet sich in der
Hefe, die über eine einzige, ständig vorhandene Kinase verfügt. Diese
ist inaktiv, bis ein weiteres Protein, ein sogenanntes Cyclin, exprimiert
wird und an sie bindet: daher der Name Cyclin-dependent
kinase, abgekürzt Cdk. Die Cdk wird durch unterschiedliche Cycline
aktiviert: ein G1/S-Cyclin wird exprimiert, wenn die Zelle in die S-Phase
eintreten soll; ein S-Cyclin, um die DNA-Synthese durchzuführen; ein
mitotisches Cyclin trägt zum Eintritt in die eigentliche Teilungsphase
bei. Während eines dieser Cycline vorhanden ist, ist der Cdk/Cyclin-Komplex
aktiv; wenn der dadurch eingeleitete Schritt im Zellzyklus absolviert
ist, wird das Cyclin durch Proteolyse rasch wieder abgebaut und die
Kinase dadurch inaktiviert. Die verschiedenen Cdk/Cyclin-Komplexe haben
unterschiedliche Substrate (Zielproteine, die durch den Komplex phosphoryliert
werden).
Der menschliche Zellzyklus
Die entsprechenden menschlichen Hauptschalter zur Koordinierung des Zellzyklus
funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Der Hauptunterschied zum Hefesystem
ist, dass es mehrere Cdks gibt. Die Cdks werden durchnumeriert; die
Cycline mit Großbuchstaben bezeichnet. Folgende Cdk/Cyclin-Komplexe
haben Bedeutung für das Fortschreiten in den Phasen des menschlichen
Zellzyklus (andere Cdk/Cyclin-Komplexe sind in der Evolution abgedriftet und haben andere
Aufgaben übernommen):
G1-Phase: Cdk6/D
Cdk4/D
–beide Komplexe phosphorylieren pRb
Übergang G1-S: Cdk2/E –Komplex phosphoryliert pRb
S-Phase: Cdk2/A
Übergang G2-M: Cdk1/A
M –Phase: Cdk1/B
Ebenen der Cdk-Regulation, Checkpoints
Der Hauptschalter Cdk wird auf mehreren Ebenen reguliert. Zusätzlich zur
Bedingung für ein Cyclin erfolgt Regulation durch hemmende und aktivierende
Phosphorylierungen, sowie durch Proteinregulatoren wie p21CIP1/WAF1,
p27Kip1 oder p16INK4A. Eine Cdk stellt also ein komplexes Schaltelement
dar, das erst aktiv wird, wenn mehrere unabhängige Bedingungen erfüllt
sind. Mit Hilfe dieser Schaltelemente kann der Zellzyklus an sogenannten
Checkpoints angehalten werden, falls noch nicht alle Bedingungen der
Checkliste für den nächsten Schritt erfüllt sind. Dabei spielen Faktoren
wie Masse der Zelle, Versorgungssituation und Energieniveau eine Rolle,
aber auch potentielle Schäden der DNA sowie die vollständige
Anheftung aller Chromatiden an der Teilungsspindel während der Mitosephase.
Die letzten beiden Punkte führten zur Benennung folgender Checkpoints:
·
G1
DNA damage checkpoint
(Arrest bei DNA-Schäden)
·
DNA
replication checkpoint
(Arrest bei hängengebliebenen Replikationsgabeln)
·
G2/M
DNA damage checkpoint
(Arrest bei DNA-Schäden nach der Replikation)
·
Spindle
checkpoint (Arrest,
bis alle Chromatiden angeheftet und unter Spannung sind)
Durch Anhalten des Zellzyklus in diesen Situationen werden größere Probleme,
wie die Replikation geschädigter DNA, die Aufteilung noch unvollständig
replizierter DNA oder die Fehlverteilung von Chromatiden, vermieden.
Es entsteht Gelegenheit zur Korrektur: DNA-Schäden werden repariert,
die Replikation wird abgeschlossen, die letzten Chromatiden werden korrekt
angeheftet. Falls ein Problem über längere Zeit nicht gelöst werden
kann, wird über den Checkpoint-Mechanismus häufig Apoptose der betroffenen
Zelle ausgelöst– das schützt den Gesamtorganismus vor Zellen mit defektem
Genom.
Für jeden Checkpoint ist eine Reihe von Proteinen notwendig. Sind solche
Checkpoint-Proteine selbst von Mutationen betroffen, kann der Zellzyklus
im Fall eines Problems nicht mehr angehalten werden. Die trotz Problem
fortschreitende DNA-Replikation oder Mitose führt zu weiteren Mutationen
oder Aneuploidien.
Wir werden im Abschnitt über p53 den G1 DNA damage checkpoint näher betrachten.
3. 2. RETINOBLASTOMA-PROTEIN
(pRb)
Wir setzen uns nur mit einem einzigen der zahlreichen Proteine
auseinander, die durch die verschiedenen Cdk/Cyclin-Komplexe phosphoryliert
werden. Ein Substrat der Cdk/Cyclin-Komplexe, die in der G1-Phase aktiv sind,
ist das Retinoblastoma-Protein (pRb), das seinen Namen vom Netzhauttumor
Retinoblastom erhalten hat. Solange pRb
nicht phosphoryliert ist, maskiert es den Transkriptionsfaktor E2F, sodass
dieser seine Zielgene nicht anschalten kann. Mehren sich die äußeren und
inneren Signale, die für die Einleitung eines Zellverdoppelungszyklus sprechen,
werden die entsprechenden Cycline (D und ein wenig E) exprimiert, Phosphorylierungen adjustiert und
Proteinhemmer abgebaut. Damit werden die G1-Cdk/Cyclin-Komplexe aktiv: pRb wird an
vielen Stellen phosphoryliert. Durch einen letzten Phosphorylierungsschub durch
den Cdk2/E-Komplex verändert sich die pRb-Struktur so, dass es von E2F abfällt.
E2F aktiviert nun seine Zielgene:
-E2F
selbst (also sein eigenes Gen; als kurzfristige positive Rückkoppelung
)
-Cyclin E (Verstärkung
der positiven Rückkoppelung)
-Cdk2 (Verstärkung der
positiven Rückkoppelung)
-c-Myc, c-Myb (Transkriptionsfaktoren
für weitere Genpaletten)
-Cyclin A (Cdk2/A nötig
zum Abfeuern der DNA-Replikationsgabeln)
-DNA-Polymerase α
-PCNA (Gleitring, der
DNA-Polmerase an DNA hält)
-Thymidylatsynthase,
Thymidinkinase (für Thymidin-Neusynthese)
-Dihydrofolatreductase
(für Purin-, Thymidin-Neusynthese)
-Cdk1 (notwendig für
Mitose)
-Apaf1 (für Apoptose-Notausstieg
bei Problemen)
-Caspase3 (für Apoptose-Notausstieg
bei Problemen)
-p14ARF (Sensor für
unphysiologische Zelzyklusaktivierung, siehe p53!)
Die durch diese Zielgene kodierten Proteine haben wichtige Funktionen
für S- und M-Phase, wie z. B. die Synthese von Desoxynucleotidtriphosphaten
(dNTPs). Die Aktivierung dieser Zielgene trägt daher dazu bei, die Zelle
von der G1-Phase in den Zellteilungszyklus zu treiben; allerdings werden
auch für die Apoptose benötigte Faktoren in Form inaktiver Vorstufen
bereitgestellt für den Fall, dass während der kritischen Zellteilung
gravierende Probleme auftreten.
Das muss vor der Kondensation der Chromosomen geschehen, da die
Genexpression während der Mitose weitgehend stillgelegt ist.
Pharmakologische
Querverstrebung: oral verabreichbare Cdk-Inhibitoren wie Palbociclib hemmen die in der G1-Phase aktiven Komplexe mit Cdk4 und Cdk6
und bremsen damit die Zellproliferation. Sie wurden zur Behandlung von Östrogenrezeptor-positivem
Mammakarzinom zugelassen und werden daher mit Aromatasehemmern kombiniert. Es
ergeben sich die logischen Nebenwirkungen: Leukopenie mit Infektionsneigung,
Anämie, Thrombopenie, Diarrhoe, Erbrechen, Hautausschlag, Entzündungen im Mund
(dort höchste Konzentration!), Haarausfall.
Rb als Musterbeispiel eines Tumorsuppressorgens
Rb stellt das paradigmatische Tumorsupressorgen oder, synonym, Antionkogen
dar. Retinoblastoma-Protein wirkt wie eine "Bremse am Zellzyklus",
indem es in Abwesenheit von Wachstumssignalen E2F maskiert und die Zelle so in
der G1-Phase festhält. Wachstumssignale lösen diese Bremse über die Expression
von D- und E-Cyclinen und die dadurch ausgelöste Phosphorylierung und
Konformationsänderung von pRb. Viele Tumorsuppressoren können als Bremsen am Zellzyklus verstanden werden.
Mutationen im Rb-Gen führen häufig zu
einem Verlust der Bremsfunktion
Die pRb-Bremse kann physiologisch nur durch Wachstumssignale gelöst werden.
Was aber passiert, wenn das Rb-Gen durch Mutationen betroffen wird? Viele
Mutationen werden die Folge haben, dass pRb nicht mehr funktioniert.
Deletionen, vorzeitige Translationsstops, Leserasterverschiebungen und viele
Punktmutationen führen zu einem Verlust der Fähigkeit von pRb, E2F zu maskieren
und damit zu einem Verlust der Bremsfunktion. Damit
entsteht wieder die Situation, dass eine Mutation das Vorhandensein
von Wachstumssignalen "vortäuscht".
Tumorsuppressoren sind im Regelfall Zweikreisbremssysteme: erst
wenn beide Allele ausfallen, macht sich der Ausfall bemerkbar
Defekte führen in der Regel dazu, dass etwas nicht funktioniert
(tiefe Weisheit). Auf Mutationen übertragen bedeutet das, dass die meisten
Mutationen loss-of-function-Mutationen
sind. Durch eine solche Mutation geht also die Funktion eines Allels verloren.
Im menschlichen diploid organisierten Genom gibt es jedoch für jedes Gen zwei
Allele, und die Bremsfunktion des am zweiten Allel kodierten pRb ist
ausreichend, um die Zelle in G1 zu halten. Der Ausfall der Bremsfunktion ist
also, typisch für loss-of-function Mutationen, rezessiv. Erst wenn in derselben
Zelle auch das zweite Allel defekt wird, drängt die Zelle über E2F-Wirkung in
den Zellteilungszyklus.
Dieses Prinzip wurde durch Alfred G. Knudson erkannt, als er sich mit dem Augentumor Retinoblastom beschäftigte. Dieser von der Netzhaut ausgehende Tumor ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: er betrifft beinahe ausschließlich Kleinkinder, tritt häufig beidseitig und manchmal familiär gehäuft auf. Als er die Krankheitsgeschichten der betroffenen Kinder retrospektiv aufarbeitete, ordnete Knudson sie in zwei Gruppen ein:
-
Die Kinder mit mehr als einem Primärtumor bildeten die erste Gruppe (im Schnitt drei Primärtumoren pro Kind und meist beidseitig). Diese Kinder waren bei der Erstdiagnose jünger (Schnitt 14 Monate) und entwickelten später im Leben häufig Sekundärtumoren (z. B. Osteosarkome). In diese Gruppe fielen auch die Fälle mit familiärer Häufung.
-
Die zweite Gruppe war durch einen einzelnen Primärtumor charakterisiert, war bei der Diagnose älter (30 Monate) und zeigte weder eine Tendenz zu Sekundärtumoren noch zu familiärer Häufung.
Diese Daten interpretierte Knudson so: die erste Gruppe beginnt ihr Leben im Stadium einer befruchteten Eizelle bereits mit einem defekten, damals noch hypothetischen, "Retinoblastom"-Allel. Alle somatischen Zellen des sich entwickelnden Kindes enthalten dieses Allel. Im dauernden Mutationenregen kommt es mit der Zeit in einzelnen Zellen dazu, dass auch das zweite, bis dahin funktionelle Allel getroffen wird. Diese Zellen werden zum Ausgangspunkt eines Primärtumors; im Schnitt geschieht das dreimal pro betroffenem Kind. Wieso gerade in der Retina und nicht in anderen Geweben? Offensichtlich ist es so, dass in der Retina viele der Kontroll- und Ausgleichssysteme, die in Zellen unseres Körpers normalerweise agieren, inaktiv sind. Für die Entwicklung dieses spezifischen malignen Tumors genügt es anscheinend, wenn in einer wachsenden Retina die Funktion von pRb verloren geht. Wie sieht es in anderen Geweben aus? Dort sind die Sicherungsmechanismen offensichtlich besser ausgeprägt, sodass erst zusätzliche Mutationen in anderen Loci zur Bildung eines Malignoms führen. Das erklärt, warum Sekundärtumoren erst später auftreten. Wenn diese Kinder mit einem defekten Allel starten, warum sind dann, abgesehen von den gelegentlichen familiären Fällen, die Eltern sonst nicht betroffen? In den meisten Fällen entsteht die Mutation offensichtlich erst in den Keimzellen der Eltern; die Eltern selbst sind gesund. In der zweiten Gruppe von Kindern wird das Retinoblastom durch zwei sequentielle Mutationsereignisse in derselben Zelllinie ausgelöst. Das benötigt mehr Zeit, sodass die Kinder bei Diagnose älter sind. Alle anderen Zellen sind nicht betroffen; nach Entfernung des Retinoblastoms besteht damit kein erhöhtes Risiko für andere Tumoren. Gemeinsam ist den beiden Gruppen, dass die beiden Allele des Rb-Gens durch zwei unabhängige Mutationsereignisse inaktiviert wurden. Durch seine two-hit-Hypothese definierte Knudson das Konzept des Tumorsuppressors: ein Gen, das zur Tumorentwicklung beiträgt, wenn beide Allele inaktiviert werden.
In dieser Hinsicht sind die Bremssysteme der Zelle analog denen unserer
Autos. Beim Tritt auf das Bremspedal komprimiert man die Bremsflüssigkeit im
Hauptbremszylinder. Dieser Druck pflanzt sich hydraulisch über die
Bremsleitungen fort und bewegt so die Kolben der Radbremszylinder, die das
Anpressen der Bremsbeläge an die Bremsscheiben zur Folge haben. Das
hydraulische System ist jedoch anfällig für Lecks: Bremsflüssigkeit tritt aus,
Luftblasen entstehen. Sind Luftblasen im System, fällt das Bremspedal bei einem
Bremsversuch widerstandslos durch, da sich die Luftblasen leicht komprimieren
lassen: die Kraft pflanzt sich nicht mehr auf die Bremsen fort. Da dies zu
häufigen Unfällen führte, entwickelte die Autoindustrie das Zweikreisbremssystem:
das hydraulische System wird einfach in doppelter Ausführung eingebaut. Wird
eines der Systeme undicht, kann man mit dem anderen immer noch bremsen.
Da
der Phänotyp der Proliferationstendenz erst bei Ausfall beider Allele auftritt,
hat man Tumorsuppressorgene (Antionkogene) auch als "rezessive
Onkogene" bezeichnet. Viele Tumorsuppressorgene wurden, lange vor der
Sequenzierung des menschlichen Genoms, durch ein Phänomen namens "Verlust
der Heterozygotie" (loss of
heterozygosity) identifiziert. Wird das erste Allel durch ein
Mutationsereignis inaktiviert, ist die Zelle für den entsprechenden Locus
heterozygot. Bei Kindern aus der ersten Retinoblastomgruppe sind alle
somatischen Zellen heterozygot. Diagnostisch würde man zwei unterschiedliche
Allele "sehen", auch wenn man nicht weiß, welches das
"korrekte" ist. In Tumoren stellte man oft den Verlust des zweiten,
gesunden Allels fest. Das kann über mehrere Wege geschehen: über eine große
Deletion, die das gesamte zweite Allel eliminiert, über Genkonversion (die
"Reparatur" des gesunden Gens nach dem Muster des defekten), über
somatische uniparentale Disomie (Verlust des gesunden Chromosoms kompensiert
durch Verdoppelung des anderen). Die üblichen diagnostischen Verfahren, wie PCR
gefolgt von Sequenzierung, können diese Möglichkeiten nicht unterscheiden: sie
"sehen" einfach nur einen Typ, egal, ob es sich um ein einzelnes
Allel oder um zwei identische Allele handelt. Das ist der technische
Hintergrund des seltsamen Ausdrucks "Verlust der Heterozygotie".
Epigenetische
Inaktivierung von Tumorsuppressoren
Jede
individuelle Zelle exprimiert nur einen kleinen Ausschnitt des menschlichen Genoms,
das etwa 23.000 proteinkodierende Gene umfasst. In jedem Gewebe wird die
überwiegende Mehrheit von Genen durch epigenetische Modifikationen, die zur
Heterochromatinbildung führen, permanent inaktiviert. Dieser Prozess beginnt
durch CpG-Methylierung, die Methylierung jener Cytosine, die in der DNA
unmittelbar durch Guanin gefolgt werden (mit demselben Muster am Gegenstrang).
Dieser DNA-Methylierung folgt eine Histon-Deacetylierung und das dichte
Verpacken des betroffenen Genlocus unter Zuhilfenahme zusätzlicher Proteine.
Manchmal geht dieser Prozess "daneben" und schließt Gene, die
eigentlich aktiv hätten bleiben sollen. Die für diese Art von Fehler verantwortlichen
Umstände verstehen wir noch nicht ausreichend, doch stellen wir fest, dass
bestimmte Tumorsuppressoren besonders häufig betroffen sind. Dazu gehören
Cdk/Cyclin-Komplex-Inhibitoren p27 Kip1, p16 INK4a und p15 INK4b (siehe unten),
Mammakarzinom-Tumorsuppressor BRCA1 und die Komponente des mismatch repair-Systems MLH1. Die epigenetische Inaktivierung des
Tumorsuppressors wird von Zellgeneration zu Zellgeneration wie eine genetische
Eigenschaft weitergegeben. Zwar wird der Locus zur DNA-Replikation geöffnet,
doch wird der neusynthetisierte Strang rasch wieder durch DNA maintenance methylases modifiziert und der Locus wieder
weggesperrt.
Methylierungsmuster bestimmter Loci sind typisch für bestimmte maligne
Tumoren. Da einzelne Krebszellen nekrotisch werden und ihre DNA freisetzen,
können mit next generation sequencing-Verfahren
diese Methylierungmuster relativ früh in DNA, die aus Blut gewonnen wird,
detektiert werden. Dieses Verfahren befindet sich in klinischer Erprobung und
stellt eine Hoffnung für eine Frühdiagnose vieler Krebsarten aus einer
einzelnen Blutprobe dar.
Funktionell verwandte Tumorsuppressoren: Inhibitoren
der Cdk/Cyclin-Komplexe
Da Cdk/Cyclin-Komplexe zu einem Fortschreiten im Zellzyklus führen, wirken Hemmer dieser Komplexe
als Bremsen am Zellzyklus und damit als Tumorsuppressoren. Zwei Gruppen von
Inhibitoren wirken mechanistisch unterschiedlich:
1. Gruppe: bindet an Cdk/Cyclin-Komplexe; Cdk2-Komplexe werden gehemmt:
-p21 CIP1
-p27 Kip1
-p57 Kip2
2. Gruppe: bindet an Cdk4 und Cdk6 und verhindert deren Interaktion mit
Cyclin D:
-p16 INK4a
-p15 INK4b
-p18 INK4c
-p19 INK4d
3. 3. DER ZENTRALE TUMORSUPPRESSOR p53
Die zentrale Bedeutung von p53 für die Tumorentstehung ergibt sich daraus,
dass es nach gegenwärtigem Wissen das am häufigsten mutierte Gen in
malignen Tumoren ist.
Mäuse, die kein p53 besitzen (sogenannte p53-knockouts) kommen als normale, lebensfähige Mäuse zur Welt. Das
bedeutet, dass p53 nicht für die Entwicklung einer normalen Maus notwendig
ist. Allerdings bekommen diese Mäuse später häufig maligne Neoplasien.
Man kann p53 mit der Feuerwehr vergleichen: schafft man diese heute ab,
bedeutet das nicht, dass morgen die Katastrophe eintritt. Es ist allerdings
so gut wie sicher, dass früher oder später eine solche eintritt. P53
ist ein Transkriptionsfaktor, der der Zelle ermöglicht, sinnvoll auf
bestimmte Schädigungen zu reagieren, um negative Folgen zu minimieren.
Struktur
und Abbau von p53
P53 hat drei Domänen: eine N-terminale Abbau/Aktivierungsdomäne, eine
mittlere DNA-Bindungsdomäne und eine C-terminale Tetramerisierungsdomäne.
p53 wird in praktisch allen Zellen dauernd exprimiert. Solange in der
Zelle kein Problem auftritt, wird p53 postwendend über das Ubiquitin-Proteasom-System
wieder abgebaut. In gesunden Zellen ist der p53-Spiegel daher sehr niedrig.
Im Ubiquitin-System arbeiten drei Typen von "Enzymen" zusammen:
E1, E2 und E3. E1 ist das Ubiquitin-aktivierende Enzym: es bindet das
kleine, in allen Zellen exprimierte Protein Ubiquitin unter ATP-Verbrauch
an eine -SH-Gruppe. Dann gibt es das aktivierte Ubiquitin an ein E2,
ein Ubiquitin-konjugierendes Enzym, weiter. Das E2 bindet an eines der
zahlreichen E3-Proteine. E3-Proteine werden meist als "Ubiquitin-Ligasen"
bezeichnet, was nicht ganz korrekt ist, da sie selbst keine Enzymaktivität
besitzen; erst der Komplex aus E2 und E3 ermöglicht die Übertragung
des Ubiquitins auf ein Substratmolekül. Die E3-Moleküle stellen in der
Regel den Kontakt zu einer "schaltbaren" Domäne des Substratmoleküls
her. Im Fall von p53 ist dies die N-terminale Domäne, solange sie nicht
phosphoryliert ist.
Das für p53 zuständige E3-Protein heißt Mdm2 (Mouse double minute 2, ein historisch bedingter Name, der häufig durch
Hdm2 -Human double minute-
ersetzt wird, mit der Begründung, der Mensch könne kein Mausgen haben).
Solange die N-terminale Abbau/Aktivierungs-Domäne nicht phosphoryliert
ist, kann Mdm2 sie sehr effizient binden und p53 mit Hilfe seines E2-Partners
mehrfach ubiquitinieren. Polyubiquitinierung ist das Signal für den
Abbau im Proteasom. Phosphorylierung der N-terminalen Domäne führt dazu,
dass p53 durch Mdm2 viel schlechter gebunden und damit viel langsamer
abgebaut wird.
Auffällig ist, dass unter den in Karzinomen gefundenen p53-Mutanten Punktmutationen
in sehr wenigen Kodons der DNA-Bindungsdomäne überwiegen. Das spricht
dafür, dass die dort kodierten Aminosäuren, meist Arginine (z. B. Arg248,
Arg249, Arg273, Arg282), von besonderer funktioneller Bedeutung sind bzw. dass
das Austauschen dieser Aminosäuren besonders malignitätsfördernd wirkt.
Die Röntgenstrukturanalyse der DNA-Bindungsdomäne zeigt, dass diese Aminosäuren
entweder direkten Kontakt zur DNA herstellen (Arg248, Arg273) oder Querverstrebungen
in unmittelbarer Nähe der DNA-Interaktionsoberfläche bilden (Arg249, Arg282). Der Austausch einer solchen
Aminosäure führt dazu, dass das p53–Molekül schlechter oder nicht mehr
an DNA binden und damit schlechter oder nicht mehr als Transkriptionsfaktor
wirken kann.
Aktivierung
von p53
Verschiedene Stress-Situationen der Zelle lösen die Aktivierung von p53
aus. Dazu gehören DNA-Schäden, Sauerstoffmangel und unphysiologische
Aktivierungsformen des Zellzyklus.
Betrachten wir als Musterbeispiel einen DNA-Doppelstrangbruch. Der Bruch
hat eine Änderung der Chromatinstruktur in der unmittelbaren Umgebung
zur Folge. So wird das normale Histon H2A durch das spezialisierte H2AX
ersetzt, und Dimere eines als "Ku" bezeichneten Proteins binden
direkt an die durch den Bruch entstandenen DNA-Enden. Diese Änderungen
führen zur Rekrutierung mehrerer Proteinkinasen, die p53, H2AX und weitere
Proteine phosphorylieren: DNA-abhängige Proteinkinase, ATM, sowie die
Checkpoint-Kinase Chk2.
[ATM steht für Ataxia Teleangiektasia
Mutated. Ein Defekt im Gen für diese Kinase führt zu einer Krankheit,
die extreme Strahlensensitivität mit einer Prädisposition für lymphoide
Malignome und Defekten in zellulärer und humoraler Immunität kombiniert.]
Phosphorylierung von p53 hat zwei Effekte:
·
Störung der Bindung an seine
E3-Ubiquitinligase Mdm2. Da das dauernd exprimierte p53 nun nicht mehr
so effizient abgebaut wird (Steigerung der Halbwertszeit) steigt der
p53-Spiegel in der Zelle dadurch stark an.
·
Umschaltung der N-terminalen
Domäne in eine Transkriptions-Aktivierungsdomäne. Die negativ geladenen
Phosphorsäurereste erleichtern die Interaktion des Transkriptionsfaktors
mit der RNA-Polymerase.
Zielgene
von p53
Von der großen Zahl von p53-induzierten Genen sollen hier nur wenige angeführt
werden:
·
Mdm2: Es wirkt zunächst eigenartig, dass
p53 seine eigene E3-Ubiquitinligase induziert. Das Ziel der p53-Aktivierung
ist jedoch, ein Zellproblem zu beheben. Sobald es behoben ist, muss
p53 wieder abgebaut werden. Daher ist es sinnvoll, Mdm2 vorzubereiten.
Solange p53 phosphoryliert ist, bleibt Mdm2 ohnehin nur schwach wirksam.
·
p21CIP1: Hemmer von Cdk4/D
und Cdk2/E und damit Instrument zum Auslösen einer G1-Arrests
·
14-3-3σ als Instrument
zum Auslösen eines G2-Arrests
·
verschiedene Gene für DNA-Reparaturproteine
·
Bax und weitere apoptosefördernde
Proteine der Bcl2-Familie wie PUMA und Noxa
Zellzyklusarrest
mit Reparatur oder Apoptose
Im Fall eines DNA-Doppelstrangbruchs induziert phosphoryliertes p53 sein
Zielgen p21, das seinerseits jene Cdk/Cyclin-Komplexe hemmt, die sonst
pRb phosphorylieren würden. E2F bleibt so maskiert und die Zelle bleibt
in der G1-Phase arretiert. Die Zelle erhält somit Gelegenheit, ihre
DNA zu reparieren; die Weitergabe unvollständiger Chromosomen an die
Tochterzellen wird damit verhindert. Nicht immer ist das Problem, das zur Aktivierung von p53 geführt hat, lösbar. Hält der G1-Arrest durch p53-Aktivierung über Wochen oder noch länger an, spricht man von Seneszenz. In manchen Fällen werden solche seneszente Zellen durch Makrophagen abgeräumt.
P53 ist also ein wesentliches Instrument im G1 DNA damage checkpoint. Dieser Mechanismus ist zielführend, beruht
jedoch auf der Funktionalität von p21 und pRb. Was geschieht, wenn eines
dieser Tumorsuppressorgene durch Mutationen inaktiviert wird?
Betrachten wir nun also einen anderen Notfall, nämlich den Verlust des
zweiten Rb-Allels einer Zelle durch ein Mutationsereignis. Wird Rb inaktiviert,
bleibt E2F aktiv. E2F wird natürlich bei jeder Zellteilung aktiviert,
im Normalfall jedoch bald wieder zurückgefahren. Nun bleibt es dauernd aktiv und schraubt die
Expression seiner Zielgene, darunter p14ARF, immer höher. P14ARF bindet
und inaktiviert Mdm2, die E3-Ubiquitinligase für p53. Da Mdm2 für den
proteolytischen Abbau von p53 notwendig ist, steigt dadurch die Konzentration
von p53 immer weiter an. Die Induktion von p21 ist in diesem Fall wirkungslos
(die Hemmung der Cdk/Cyclin-Komplexe bringt nichts, wenn Rb fehlt),
doch werden auch die Apoptose-fördernden p53-Zielgene Bax, PUMA, Noxa
immer stärker exprimiert. Dadurch wird die Zelle schließlich in Apoptose
getrieben. Für den Organismus ist das eine gute Lösung: die einzelne
Zelle, die verloren geht, ist leicht ersetzbar. Dafür wird die Gefahr
vermindert, dass es durch diese Zelle, die offensichtlich ein Zellzyklus-Steuerungsproblem
hat, zur Entwicklung einer malignen Neoplasie kommt.
Der Name p14ARF steht für alternative
reading frame. Im auf Chromosom 9 gelegenen Gen verwenden zwei völlig
verschiedene Proteine ein gemeinsames zweites Hauptexon, das sie allerdings in unterschiedlichen
Leserastern ablesen. Das eine Protein ist p16 INK4A, das andere p14ARF.
Beides sind kritische Tumorsuppressoren. Geht das gemeinsame Exon durch
Deletion verloren oder wird es mutiert, verliert die Zelle durch ein einzelnes
Ereignis zwei Tumorsuppressoren. Der Locus auf 9p21 stellt damit eine Art
Achillesferse dar und ist tatsächlich in vielen Tumoren mutiert.
Die
Folgen von Mutationen in p53
Einzelne p53-Mutationen haben unterschiedliche biologische Konsequenzen
und können zumindest vier Aspekte in unterschiedlichem Grad verändern:
DNA-Bindung, Tertiärstruktur des Proteins, zelluläre Lokalisation und
Tetramerbildung.
Wie bereits erwähnt, haben die häufigsten Punktmutationen in p53 zur Folge,
dass das Molekül nicht mehr an die DNA binden kann. Einzelne, seltenere
Mutationen im Inneren der normalerweise bereits dicht gepackten DNA-Bindungsdomäne
ziehen jedoch darüber hinaus eine massive Konformationsänderung ("Maiskorn
zu Popcorn") nach sich. Das hat in der Regel zwei Folgen: erstens
eine starke Steigerung der Halbwertszeit des mutierten Moleküls, zweitens
eine falsche Lokalisation: im Zytoplasma statt im Kern.
Die Tetramerisierungsdomäne bleibt jedoch von Mutationen in der DNA-Bindungsdomäne
in der Regel unberührt. Mutierte p53-Monomere, sogar "Popcorn-p53",
beteiligen sich weiterhin an der Tetramerbildung. Tetramere werden aus
mutierten und normalen Monomeren in allen Permutationen gebildet. Wie
viele mutierte Untereinheiten ein Tetramer verträgt, hängt von der individuellen
Mutation ab. Für viele Mutationen, speziell jene vom "Popcorn-Typ",
genügt eine defekte Untereinheit, um das ganze Tetramer zu inaktivieren.
Die einzigen funktionierenden Tetramere, jene aus vier gesunden Untereinheiten,
stellen nur mehr eine kleine Minderheit dar (ein Sechzehntel aller Tetramere,
wenn beide Monomertypen dieselbe Halbwertszeit haben und ein noch kleinerer
Anteil, wenn das mutierte Monomer langsamer abgebaut wird). Nur diese
können aber im Kern ihrer eigentlichen Aufgabe nachgehen. Eine solche
Mutation eines p53-Allels schaltet damit die Funktion von p53 in dieser
Zelle praktisch aus. Bei Mutationen, die nur die DNA-bindende Oberfläche
des Proteins betreffen, z. B. die häufige Arg273His-Mutation, ist dieser
Effekt weniger ausgeprägt.
Daher inaktivieren viele, aber nicht alle Mutationen nahezu das gesamte
p53 einer Zelle. p53 ist damit eine Ausnahme unter den Tumorsuppressoren:
während sich Mutationen in Tumorsuppressorgenen sonst rezessiv verhalten, kommt
es bei vielen Mutationen in p53 vor, dass eine Mutation in einem p53-Allel
über ein gleichzeitig in der Zelle vorhandenes gesundes Allel dominiert.
Man nennt dieses Verhalten "dominant negativ".
Chromosomale Instabilität (CIN)
Wenn in einer Zelle p53 funktionell nicht mehr vorhanden ist, haben auftretende
Doppelstrangbrüche fatale Folgen. Da der Zellzyklus nicht
angehalten wird, tritt die Zelle in die S-Phase ein. Auch die Teile eines
gebrochenen Chromosoms werden verdoppelt. Das periphere Fragment, das nicht
mehr am Zentromer hängt, geht während der nächsten Mitose wahrscheinlich
verloren. Durch die Verdoppelung des Fragments mit Zentromer kommen zwei "illegale"
DNA-Enden ("legale" DNA-enden sind durch Telomersequenzen gekennzeichnet)
direkt neben einander zu liegen. Die Zelle "repariert" diese
Situation, indem sie die beiden Schwesterchromatiden End-zu-End aneinanderhängt.
In der darauffolgenden Zellteilung werden die aneinanderhängenden Chromatiden
jedoch zum Objekt eines Tauziehens zwischen den entstehenden Tochterzellen, mit
drei möglichen Ausgängen: 1) Tochter A gewinnt beide Chromatiden, Tochter B
bekommt nichts, 2) der umgekehrte Fall tritt ein (Resultat jeweils:
Aneuploidie) oder 3) der DNA-Strang reißt irgendwo und ein neuer
Chromosomenbruch tritt auf: in diesem Fall beginnt die Geschichte wieder von
vorne (breakage-fusion-bridge cycle).
Die Fehler in Chromosomenzahl und ‑Struktur werden so von Zellgeneration
zu Zellgeneration größer, ein Phänomen, das wir chromosomale Instabilität
nennen. Funktionierendes p53 ist daher ein "Wächter über die Integrität
des Genoms". Geht er verloren, geht das Genom der betroffenen Zellen rasch
den Bach hinunter.
Li–Fraumeni-Syndrom
Wenn in einer Familie eine typische Austauschmutation, die den Verlust
eines DNA-Kontakt-Arginins bedeutet, in der Keimbahn weitergegeben wird,
erkranken Familienmitglieder schon jung an malignen Tumoren. Eine typische
Familiensituation: eine Patient, der in jungen Jahren an einem Sarkom
wie z. B. einem Osteosarkom erkrankt, mit zwei unmittelbaren Verwandten,
die ebenfalls jung einen malignen Tumor entwickelt haben, wie z. B.
ein Nebennierenrinden-Karzinom, ein Mammakarzinom oder einen Hirntumor.
Auswirkungen des p53-Status
auf die Behandelbarkeit von Tumoren
P53 ist auch für die Tumortherapie von großer Bedeutung. Viele therapeutische
Optionen, wie Bestrahlung oder zahlreiche Komponenten der Chemotherapie,
wirken, indem sie DNA-Schäden induzieren. Anscheinend sind diese Maßnahmen
um vieles effektiver, wenn der behandelte Tumor noch funktionstüchtiges
p53 hat: dieses leitet in den betroffenen Zellen den apoptotischen Prozess
ein. Tumorarten, bei denen p53 häufig intakt ist, wie Seminom, Wilms-Tumor
oder ALL bei Kindern, sprechen in der Regel gut auf Therapieversuche
an.
Bindung von pRb und p53
durch Virusproteine
Mehrere DNA-Virusarten haben unabhängig voneinander Proteine entwickelt,
die den Zweck haben, p53 und pRb in der virusbefallenen Zelle auszuschalten:
Virus
pRb p53
Adenovirus
E1A E1B-p55
humanes Papillomavirus
E7 E6
SV40 (Affenvirus)
T
T ("large T")
Ein DNA-Virus, das für seine Vermehrung auf das Vorhandensein von
reichlich Desoxyribonucleotiden, DNA-Polymerasen etc. angewiesen ist, genießt
offensichtlich einen Selektionsvorteil, wenn es ihm gelingt, die Zelle in die
DNA-Replikationsphase zu drängen. Das gelingt durch Ausschalten von pRb.
Allerdings haben wir gerade gesehen, dass der Komplettverlust von pRb zu einer
Notfallreaktion führt: p53 sendet die Zelle in Apoptose. Ein Virus, das nur pRb
inaktiviert, würde sich damit ein Eigentor schießen. Mit der pRb-Inaktivierungsstrategie
kann ein Virus nur dann erfolgreich sein, wenn es auch noch p53 inaktiviert.
Die große Zahl an Cervixkarzinomen entsteht also dadurch, dass eine
Infektion mit dem humanen Papillomavirus dazu führt, dass gleichzeitig die
beiden wichtigsten Tumorsuppressoren, pRb UND p53, inaktiviert werden.
Die Kombination eines genetischen und eines genderspezifischen hormonellen Effekts beeinflusst Mdm2- und p53-Spiegel
Single nucleotide polymorphism 309 (SNP309, offizielle Bezeichnung rs2279744) bezieht sich auf das Nukleotid 309 im ersten Intron des MDM2-Gens an einer Stelle, die als transkriptioneller enhancer wirkt. An dieser Position findet sich in der Regel ein T, mit einer Häufigkeit von 0,35 aber ein G. Bei Krebspatienten beobachtet man, dass ein Malignom im Schnitt früher auftritt, wenn sie an dieser Position homozygot für "G" sind. Wie kommt das zustande? Ein G erzeugt an dieser Stelle eine wacklige Bindungsstelle
für den Transkriptionsfaktor Sp1, sodass das Mdm2-Protein verstärkt exprimiert
wird; bei T kann Sp1 nicht binden. Wie wir vorher gesehen haben, bedeutet ein
Mehr an Mdm2 ein Weniger an p53. Menschen mit homozygotem G haben also eine
etwas schwächere DNA-Wächterfunktion.
Doch es gibt noch eine weitere Eigenheit. Gerade neben dieser nicht-optimalen Sp1-Bindungsstelle liegt eine Bindungsstelle für den Östrogenrezeptor. Exprimiert die betreffende Zelle den Östrogenrezeptor UND ist reichlich Östrogen vorhanden, ist diese Bindungsstelle dauernd durch den Rezeptor besetzt, der seinerseits den Sp1-Wackelkandidaten durch Protein-Protein-Interaktion auf seinem Platz festnagelt. Dieser Mechanismus führt dazu, dass der p53-senkende Effekt von "G" versus "T" bei Frauen wesentlich stärker ausgeprägt ist. So war in einem Kollektiv von 162 PatientInnen mit diffusem großzelligem B-Zell-Lymphom das G-Allel nur bei Frauen mit einem (um 13 Jahre) früheren Auftreten des Tumors assoziiert, nicht aber bei Männern.
3.
4. Weitere Tumorsuppressoren
Weitere Tumorsuppressoren werden in den Abschnitten über Kolonkarzinom
und Mammakarzinom besprochen:
Kolonkarzinom:
APC
"HNPCC"
(MLH1, MSH2,...)
Brustkrebs:
BRCA1
BRCA2
Sehr wesentlich für die Entwicklung einer malignen Zelle ist der Zustand
ihrer DNA-Reparaturmechanismen. p53, ATM, p21 lassen sich auch hier einordnen.
Jede Zelle verfügt über mehrere Reparaturmechanismen, die verhindern,
dass dauernd auftretende DNA-Schäden zu fixierten Mutationen werden.
Gene, die zur DNA-Reparatur notwendige Proteine kodieren, verhalten
sich in Bezug auf die Tumorentstehung in der Regel als Tumorsuppressorgene.
4.
Telomerase
Ist das ein erlaubtes Ende?
DNA ist, biologisch gesehen, ein "endloses" Molekül. Bei Bakterien
hat ein Genom konsequenterweise Kreisform. Bei Eukaryoten gibt es natürlich
Enden, da das Genom in Chromosomen aufgeteilt ist. Diese Enden sind
aber besonders gekennzeichnet, um sie als "erlaubte" Enden
auszuweisen. Diese Kennzeichnung basiert auf hunderten Wiederholungen
der Sequenz TTAGGG, an die wieder spezielle Proteine binden. Das Ende
des Chromosoms bildet eine Schlinge. Einer der beiden Stränge hängt
als Einzelstrang etwas über und verdrängt über eine gewisse Strecke
seinen eigenen Vorläufer (displacement loop) durch spezifische Basenpaarung.
Durch diese "Lassostruktur" wird für die Zelle gar kein Doppelstrang-Ende
sichtbar. In ihrer Gesamtheit wird diese Struktur Telomer genannt. Telomer-Strukturen
kennzeichnen "erlaubte" Enden; alle anderen DNA-Enden werden
als Doppelstrangbrüche interpretiert, welche repariert werden müssen.
Das Endreplikationsproblem
Die Aufteilung des Genoms in Chromosomen führt zu Problemen an diesen
Enden, sobald die DNA verdoppelt werden soll. In Richtung Chromosomenende
ist die Synthese kein Problem; sie wird einfach kontinuierlich bis zum
Ende durchgeführt. In die Gegenrichtung, also vom Ende her, wird der
Strang diskontinuierlich in Okazaki-Fragmenten synthetisiert. Dazu wird
jeweils zuerst ein kurzer RNA-Strang synthetisiert, da nur die RNA-Polymerase
einen Strang "von Null weg" starten kann. Anschließend verwendet
die DNA-Polymerase dieses RNA-Stück als Primer, um ein Okazaki-DNA–Fragment
zu synthetisieren. Um einen durchgehenden DNA-Strang zu erhalten, werden
anschließend die RNA-Stücke wieder herausgeschnitten und durch DNA ersetzt.
Das funktioniert für alle RNA-Fragmente bis auf das eine, das dem Chromosomenende
am nächsten liegt. Dieses kann zwar herausgeschnitten, aber nicht mehr
ersetzt werden, da kein 3´-Ende vorhanden ist, an den die DNA-Polymerase
etwas anhängen könnte. Der einzelsträngige Rest ist nicht stabil und
wird mit der Zeit abgebaut. Mit jedem Replikationszyklus verkürzt sich
das Telomer dadurch um etwa 50 bis 100 Basenpaare.
Telomerase
Im Lauf der Generationen wäre diese Entwicklung fatal. Zunächst würde
die Lassostruktur verloren gehen und mit sich immer weiter verkürzenden
Telomeren wäre irgendwann der Punkt erreicht, wo die ersten wichtigen
Gene angeknabbert werden. Aus diesem Grund hat die Evolution Telomerase
erfunden, einen Enzymkomplex, der Telomere mit einem Trick verlängern
kann. Telomerase verwendet eine eingebaute RNA als Matrize, um den "unproblematischen
Strang" um viele repetitive TTAGGG-Einheiten zu verlängern, damit
der problematische Strang bei der nächsten Replikation von vornherein
viel weiter draußen mit zusätzlichen Okazaki-Fragmenten beginnen kann.
Im Grunde entspricht die Enzymaktivität der Telomerase jener einer reversen
Trankriptase, da sie eine RNA-Matrize verwendet, um DNA zu synthetisieren.
Ihre katalytische Untereinheit wird daher als hTERT (human
telomerase reverse transcriptase) bezeichnet.
Replikative Seneszenz
Telomerase ist nur in Keimlinienzellen --nur diese werden "unendlich"
weitergegeben—sowie in einem Teil der Stammzellen und in klonal expandierenden
B- und T-Zellen aktiv. In den übrigen somatischen Zellen wird Telomerase
nicht mehr exprimiert. Das trägt zur eingeschränkten Teilungsfähigkeit
und Seneszenz somatischer Zellen bei. Sobald nach einigen Teilungen
das erste Telomer zu kurz wird, um die Lassostruktur noch ausbilden
zu können, nimmt die Zelle das DNA-Doppelstrang-Ende wahr und interpretiert
es als Doppelstrangbruch. Über Aktivierung von p53 und p21 wird die
Zelle in einen anhaltenden Zellzyklusarrest
versetzt, den wir als replikative Seneszenz bezeichnen. Dies ist ein wichtiger Schutzmechanismus
zur Verhinderung von Tumoren.
Krebszellen reaktivieren Telomerase
Verliert eine Zelle p53, verliert sie auch diesen Schutzmechanismus. Ohne
ihr molekulares Replikationszählwerk teilen sich die Zellen ungehemmt
weiter und verbrauchen ihr gesamtes Telomerkapital. Der Prozess mündet
in chromosomale Instabilität (CIN) mit Chromatid-Fusionierungen und
breakage-fusion-bridge-Zyklen. Viele Zellen verlieren lebenswichtige
Gene, sodass sie absterben. Mit der Zeit gelingt es einigen wenigen
Zellen, ihr hTERT-Gen und damit die Telomerase-Expression zu reaktivieren.
Mit Hilfe der Telomerase wird der gerade vorliegende, meist katastrophale
Zustand des Genoms stabilisiert, indem die gerade vorliegenden DNA-Enden
mit Telomeren versehen und so als "erlaubte" Enden getarnt
werden. Das beendet den Anarchismus des Bruch-Fusions-Brücken-Zyklus
und stabilisiert einen Zellklon mit grotesk verunstaltetem Genom. Dieser
Zellklon wird zum Ausgangspunkt des nächsten Stadiums der Tumorverbreitung.
In 85 bis 90% der malignen Neoplasien des Menschen ist Telomerase reaktiviert
(der Rest verfügt über einen alternativen, hier nicht besprochenen Mechanismus
zur Telomererhaltung). Reaktivierte hTERT verhält sich also wie ein
Onkogen, das zur unbegrenzten Teilungsfähigkeit der Tumorzellen beiträgt.
Die pharmazeutische Industrie arbeitet intensiv daran, Telomerasehemmer
zu entwickeln (das sage ich allerdings nun schon seit zwanzig Jahren). Da der Großteil der somatischen Zellen Telomerase nicht
exprimiert, besteht hier die Hoffnung auf eine neue Klasse von Krebsmedikamenten
mit niedrigerer Toxizität.
5.
Proto/-Onkogen-Aktivierung
Doppelnamen
erklären sich aus der Entdeckungsgeschichte der Moleküle
Verwirrung entsteht bei Molekülen der Protoonkogen/Onkogenfamilie leicht
dadurch, dass dieselben Moleküle im Lauf ihrer Entdeckungsgeschichte
verschiedene Namen erhielten. Viele Moleküle wurden zunächst in einer
onkogenen Form in tierpathogenen Retroviren entdeckt: ein Beispiel sind die beiden Onkogene des AEV (avian
erythroblastosis virus), erbA und erbB. erbA stellte sich später als
onkogene Form des Schilddrüsenhormonrezeptors heraus, erbB als jene
des epidermal growth factor (EGF)-Rezeptors.
Manche Proteine, wie Myc, haben ihre aus dem Virus stammende Bezeichnung
behalten. Um Unklarheiten zu vermeiden, wird in diesen Fällen die physiologische
Form mit dem Präfix c- (für cellular)
gekennzeichnet; die virale mit v- (z. B. c-Myc, v-Myc). In der Literatur
zu molekularen Aspekten der Krebsentstehung war es üblich, Gene klein
und kursiv zu schreiben (c-myc),
Proteine groß und normal (c-Myc). Heute kollidiert diese Schreibweise
mit einer jüngeren Konvention, in der menschliche Gene durchgehend mit
Großbuchstaben geschrieben werden (c-MYC statt c-myc).
Obwohl also c-ErbB ganz anders klingt als EGFR oder HER-1 (human EGF receptor-1), handelt es sich
immer um dasselbe Protein.
Der
EGF-Signaltransduktionsweg als Beispiel für normale Protoonkogen-"Arbeitsplätze"
Ein Signaltransduktionsweg, in den einige "klassische" Protoonkogene
eingebaut sind, ist der EGF/PDGF-Signaltransduktionsweg, der auch deshalb
von Bedeutung ist, da wir über mehrere Typen von Therapeutika verfügen,
um ihn zu blockieren. Viele Epithelzellen exprimieren EGF-Rezeptoren,
viele mesenchymale Zellen PDGF-Rezeptoren; nach dem jeweiligen Rezeptor
sind die zur Signalweiterleitung verwendete Proteine ident. Der Wachstumsfaktor
EGF quervernetzt zwei EGF-Rezeptoren, deren intrazelluläre Domäne
Tyrosinkinasen darstellen und einander auf Tyrosinen phosphorylieren.
An diese Phosphotyrosine bindet zunächst ein Adapter-Protein,
das dann einen Guaninnukleotid-Austauschfaktor (GEF, guanine exchange factor) an die Membran holt. GEF wiederum interagiert
mit dem Ras-Protein und tauscht
das daran gebundene GDP gegen GTP aus. In diesem Zustand ist Ras aktiv
und aktiviert mehrere Kinasekaskaden: eine besteht aus Raf, MEK und ERK, eine andere aus MEKK, SEK und Jun-K (Namen unwichtig).
Die jeweils letzte dieser Kinasen wechselt in den Kern und phosphoryliert
dort Transkriptionsfaktoren: Elk und Jun. Diese Transkriptionsfaktoren
schalten Gene an, die ihrerseits wieder für Transkriptionsfaktoren kodieren,
die früh nach einem Wachstumssignal exprimiert werden: Fos
und Jun. Jun führt also über eine positive Rückkoppelungsschleife kurzzeitig
zur Produktion von mehr Jun. Die Kombination von Elk, Fos und Jun (das
Heterodimer aus Fos und Jun wird als AP‑1, activating
protein‑1, bezeichnet) aktiviert viele andere Gene, die zur
Umsetzung des Wachstumssignals benötigt werden.
Alle im letzten Absatz fettgedruckten
Moleküle wurden auch schon in onkogener Form als Mitverursacher maligner
Neoplasien gefunden. In onkogener Form wird der Zelle also jeweils das
Vorhandensein des Wachstumssignals EGF vorgetäuscht- und die Zelle reagiert
entsprechend: durch Proliferation.
Beispiele für Protoonkogenaktivierung:
Klasse
I: Überexpression von Wachstumsfaktoren:
Wachstumsfaktoren –Protoonkogen-Produkte der Klasse I-- wirken onkogen
meist dadurch, dass durch ein Mutationsereignis das unveränderte Molekül
viel zu stark exprimiert wird, häufig autokrin durch dieselbe Zelle.
Das Onkogen eines Retrovirus, das beim Affen Sarkome auslöst, sis, entspricht dem Wachstumsfaktor platelet derived growth factor (PDGF).
PDGF wird von vielen Epithelzellen synthetisiert, während die benachbarten
Stromazellen den PDGF-Rezeptor exprimieren. Beim Menschen trägt Fehlexpression
von PDGF zur Entstehung einer Untergruppe der Ewing-Sarkome bei. Ewing-Sarkome
bestehen aus kleinen, runden, dedifferenzierten Zellen, die meist im
Knochen auftreten. Das primäre Mutationsereignis liegt dabei in einer
Translokation, die einen fehlerhaften Transkriptionsfaktor erzeugt,
der das PDGF-Gen übermäßig aktiviert.
Bei M. Hodgkin führt eine Überproduktion von Wachstumsfaktoren in den
wenigen Hodgkin- und Reed-Sternberg-Zellen zu einer starken Vermehrung
von eigentlich harmlosen Lymphozyten, Histiozyten und Granulozyten,
bis große Lymphome entstehen. Der spezifische Wachstumsfaktor-Cocktail
entscheidet dabei über die Ausformung des histologischen Typs (z. B.
nodulär sklerosierend bei kräftiger Beimischung des Fibroblastenstimulators
TGFβ; gemischtzelliger
Typ bei GM-CSF, das Makrophagen, und IL‑5, das Eosinophile stimuliert).
Hodgkin-Zellen sind ihrem Ursprung nach B-Zellen, die in einer Keimzentrumsreaktion
durch eine Phase der Hypermutation gegangen sind. Ihr B-Zell-Rezeptor hat dabei
seine Affinität für das Zielantigen allerdings verloren. Die Zelle hätte
daraufhin in Apoptose gehen sollen, doch ist dabei etwas schiefgegangen. Diese Hodgkin-Zellen
nehmen nicht überhand und verhalten sich auch nicht besonders aggressiv. Sie
haben aber eine unangenehme Eigenschaft: sie werfen mit Wachstumsfaktoren um
sich, sodass ein Lymphom aus normalen Zellen entsteht. Über 99% der Lymphomzellen
bei M. Hodgkin sind normale, nicht-maligne Zellen, die nur tun, was ihnen
gesagt wird.
Viele Epithelzellen exprimieren einen oder mehrere der vier Typen von
EGF-Rezeptoren: HER1 bis HER4 (Human
EGF Receptor). Diese Rezeptoren können durch eine ganze Reihe von
Wachstumsfaktoren der EGF-Familie aktiviert werden: z. B. EGF, TGFα,
Heregulin. Bronchialepithel exprimiert sowohl Heregulin, als auch alle
vier EGF-Rezeptoren. Ligand und Rezeptor treffen sich normalerweise
jedoch deshalb nicht, da die Rezeptoren ausschließlich nach basolateral
sortiert werden, Heregulin aber ausschließlich apikal sezerniert wird.
Die dichten Zellkontakte der tight
junctions verhindern eine autokrine Stimulation. Dies ändert sich,
sobald eine kleine Verletzung für eine Diskontinuität im Epithel sorgt:
Heregulin kann durch das "Loch" auf die basolaterale Seite
diffundieren und Zellen des Epithels zur Proliferation anregen, bis
der Epitheldefekt wieder geschlossen ist. Dieser sinnvolle Regulationsmechanismus
wirkt jedoch kontraproduktiv, wenn sich ein Bronchuskarzinom entwickelt
hat. Sobald sich Zellen aus dem Epithelverband lösen, wird die Situation
durch autokrine Stimulation des Zellklons verschlimmert, da Wachstumsfaktor
und Rezeptor nun ungehindert interagieren können.
Pharmakologische Querverstrebung: Medikamente
wie Cetuximab, Panitumumab (monoklonale Antikörper gegen HER1) werden z.
B. beim metastasierten Kolorektalkarzinom, Erlotinib und Osimertinib (niedermolekulare Hemmer der EGF-Rezeptor-Tyrosinkinase) beim metastasierten
nicht-kleinzelligen Bronchuskarzinom eingesetzt, um diese Stimulation zu
unterbinden.
Kinasen
der Klassen II und III
Eine Gruppe von Molekülen, die relativ leicht durch eine Mutation aktiviert
werden, stellen die Kinasen dar. Der Grund liegt darin, dass eine isolierte
Kinasedomäne in der Regel dauernd aktiv ist. Andere Teile des Moleküls
dienen dazu, die Kinasedomäne zu regulieren, das heißt, zeitweilig zu
bremsen. Dieses Prinzip kann gut am Beispiel des Signaltransduktionsmoleküls
c-Src illustriert werden. Die Kinasedomäne von Src wird abgeschaltet,
indem das ganze Molekül wie ein Taschenmesser zusammenklappt und die
Kinasedomäne dadurch unzugänglich macht: ein C-terminal liegendes Tyrosin
wird durch eine übergeordnete Kinase phosphoryliert und bindet dann
an die SH-2-Domäne des N-Terminus. Damit sind leicht Mutationen vorstellbar,
die zur Src-Aktivierung führen: am einfachsten ist eine Punktmutation
oder Deletion am C-Terminus, was jeweils zum Verlust des kritischen
Tyrosins führt; aber auch Mutationen, die die SH-2-Domäne am N-Terminus
betreffen, können funktionell dieselbe Wirkung haben. Generell führt
also der Verlust "bremsender" Molekülteile bei Kinasen leicht
zur Daueraktivierung.
Eine ähnliche Situation besteht beim EGF-Rezeptor. Sein extrazellulärer
Anteil wirkt zunächst bremsend auf die intrazellulär liegende Kinasedomäne.
Diese Hemmung wird physiologischerweise nur durch Bindung von EGF aufgehoben.
Eine Deletion der extrazellulären Domäne oder eine Punktmutation in
der kleinen Transmembranstrecke (bei einem zweiten EGF-Rezeptortyp namens
HER-2/neu) führen aber ebenso zu einer Enthemmung, sodass es für die
Zelle so aussieht, als wären extrazellulär große Mengen EGF vorhanden.
Nach grundsätzlich demselben Prinzip können zahlreiche Kinasen zu Onkogenen
aktiviert werden. Erwähnt seien hier noch c-Raf, B-Raf und c-Abl, wobei letzteres
beim Menschen häufig durch die Philadelphia-Translokation aktiviert
wird, die weiter unten besprochen wird.
Der EGF-Rezeptor HER2 kann jedoch auch durch reine Überexpression, also
ohne jede Veränderung des Moleküls, zur Krebsentstehung beitragen. Das
ist bei etwa einem Viertel der Mammakarzinome der Fall: wenn die Moleküle
dicht an dicht auf der Membran sitzen, phosphorylieren sie einander
auch in der Abwesenheit von Ligand. Dadurch erzeugt sich die Zelle selbst
ein dauerndes Proliferationssignal. Diese Form des Mammakarzinoms hatte
ursprünglich eine sehr schlechte Prognose, bis es möglich wurde,
dieses Signal durch den monoklonalen Antikörper Trastuzumab (Herceptin®)
zu unterbrechen und zugleich die HER2-überexprimierenden Zellen spezifisch
anzugreifen.
Pharmakologische Querverstrebung: Monoklonale Antikörper gegen HER2 wie Trastuzumab sind wirksam gegen
HER2-überexprimierendes Mammakarzinom, können aber Zellen nicht mehr erreichen,
die ins ZNS eingewandert sind, da die Antikörper die Blut-Hirn-Schranke nicht
passieren können. Um Mikrometastasen im ZNS zu erreichen eignen sich wiederum
kleine Moleküle wie der HER2/HER1-Hemmer Lapatinib.
Da Kinasen eine tragende Rolle in vielen Signaltransduktionswegen
spielen, sind sie ein logisches Ziel therpeutischer Hemmversuche. Beispiel: Sorafenib ist ein Multi-Kinase-Hemmer, der die Kinaseaktivitäten von Raf,
PDGF-Rezeptor und VEGF-Rezeptoren hemmt. Es wird gegen Nierenzellkarzinom,
Leberzellkarzinom und Schilddrüsenkarzinom eingesetzt. B-Raf-Hemmer wie Vemurafenib werden gezielt gegen maligne Melanome mit einer aktivierten Form von B-Raf verwendet (V600E-mutiertes B-Raf).
Klasse
III: Ras: die Aktivierung eines G-Proteins
Ras driftet, durch einen Farnesylrest verankert, der Plasmamenbran entlang.
An Ras gebunden ist immer ein Guanosinnukleotid: GDP in der abgeschalteten
Form und GTP in der angeschalteten Form. Trifft ein Wachstumssignal
ein, bewirkt ein Austauschfaktor (GEF) das Ersetzen des GDP durch ein
neues GTP. Damit ist Ras eine gewisse Zeit aktiv. Diese Zeit ist limitiert
durch eine in das Ras-Protein integrierte enzymatische Aktivität, eine
Art "Zange", die GTP spaltet, indem sie das letzte der drei
Phosphate "abzwickt". Diese GTPase-Aktivität ist ziemlich
ineffizient, verglichen mit typischen Enzymaktivitäten. Die Aktivität
dieser Zange kann von außen durch GTPase activating proteins (GAP) beschleunigt
werden, doch ist die Zange selbst integraler Bestandteil des Ras-Proteins.
Die zwei Schneideflächen der Zange sind Glycin 12 und Glutamin 61.
Wird eine dieser beiden Aminosäuren durch eine Punktmutation ausgetauscht,
funktioniert die GTPase nicht mehr, und das Ras-Protein wird unabschaltbar.
Die klassische Mutation mit diesem Effekt, die man z. B. häufig in Bronchuskarzinomen
beobachtet, ist der Austausch von Glycin 12 (Codon: GGC) durch
Valin (GTC) oder Cystein (TGC). In beiden Fällen wird also ein G durch
Mutation in ein T verwandelt, ein Austausch, der bei Rauchern durch
Benzpyren-Adduktbildung an Guanin mit Fehleinbau von dATP am gegenüberliegenden
Strang erklärt werden kann (siehe Abschnitt "Mutationen").
Bei Rauchern werden über denselben Mechanismus häufig auch die G in den
Codons 248 und 273 des Tumorsuppressors p53 zu T mutiert. Das führt zum
Austausch der dort kodierten Arginine. Wie wir gesehen haben, kontaktieren
diese beiden p53-Arginine direkt die DNA. Ihr Austausch führt damit zum
Funktionsverlust von p53. Rauchen führt also über denselben Mechanismus häufig
zur Aktivierung von Ras sowie zum Verlust von p53. Kein Wunder, dass Rauchen
das Risiko für ein Bronchialkarzinom verzwanzigfacht.
Eine Anwendung von personalized
medicine liegt darin, zu bestimmen, ob bei einem Individuum mit
z. B. Bronchuskarzinom die Karzinomzellen aktiviertes Ras aufweisen.
Ist Ras, und damit der gesamte EGF-Signaltransduktionsweg "hinter" Ras aktiviert,
hat es keinen Sinn, teure, "vorne" wirkende anti-EGF-Medikamente wie Antikörper oder EGF-Rezeptor-Kinasehemmer
einzusetzen.
Klasse
IV: Myc: Möglichkeiten der Aktivierung eines Transkriptionsfaktors
c-Myc ist ein Transkriptionsfaktor, der immer aktiviert wird, wenn eine
Zelle in die S-Phase eintreten soll. Durch Mutation kann Myc auf zwei
klassische Arten aktiviert werden:
Amplifikation
Amplifikation bedeutet die Vervielfältigung eines Gens. Amplifikation tritt in zwei Formen auf, die durch FISH (fluorescent in-situ hybridization) dargestellt werden können:
1. Homogeneous staining regions:
In einem Chromosom tritt ein Genabschnitt auf, der ausschließlich aus
aneinandergereihten Kopien des fraglichen Gens, in unserem Beispiel
des c-MYC-Gens, besteht.
2. Double minute chromosomes
(doppelte winzige Chromosomen): Viele neue, unabhängig Neben den normalen
Chromosomen treten zahlreiche zusätzliche, sehr kleine Chromosomen auf,
die viele Kopien des fraglichen Gens enthalten. [Mdm2, mouse double minute 2, bekam diesen Namen, weil es in dieser Form
amplifiziert in einer Maustumorzelle identifiziert wurde. Eine Amplifikation
der E3-Ubiquitin-Ligase für p53 ist biologisch gleichbedeutend mit dem
Verlust von p53. Mdm2 ist daher ebenfalls ein Protoonkogen, das durch
Amplifikation aktiviert werden kann.]
Wie entstehen diese eigenartigen Chromosomenveränderungen? Einen Schlüssel ergab die Beobachtung, dass einzelne "nachhinkende" Chromosomen in der Mitose manchmal dazu führten, dass daraus zusätzliche Mikronuclei entstanden, wenn sich die Kernmembran wieder bildete. Diese Mikronuclei weisen häufig eine niedrige Anzahl von Kernporen auf, sodass nur langsamMaterial für die nächste DNA-Replikation importiert werden kann. Die Replikation verläuft dadurch im Verhältnis zum Hauptkern verzögert. Beim Eintritt der Zelle in die nächste Mitose führt die Chromosomenkondensation bei noch zahlreichen offenen Replikationsgabeln zum Zertrümmern des Chromosoms (Chromothripsis). Die Bruchteile werden später durch den Reparaturmechanismus des non-homologous end joining (NHEJ) irgendwie zusammengestückelt, was zu absurd rearrangierten Einzelchromosomen und/oder kleinen zirkulären double minutes führen kann. Schon vorher können "verhaltensoriginelle" Versuche, hängengebliebene Replikationsgabeln wieder flottzubekommen, zur Vermehrfachung von DNA-Abschnitten führen. Dabei wird wiederholt versucht, lose Enden an über kurze Strecken halbwegs ähnliche Matrizen anzulagern und fortzusetzen (fork stalling and template switching, microhomology-mediated priming).
Die in einer dieser Formen amplifizierten c-MYC -Gene sind an sich normal
aufgebaut; doch gibt es so viele davon, dass, wenn jedes "normal"
funktioniert, insgesamt viel zu viel "normales" Myc-Protein
entsteht, das die Zelle in die S-Phase treibt.
Translokation
Bei der klinischen Form des Burkitt-Lymphoms, eines B-Zelltumors, finden
sich häufig Translokationen, die einerseits das c-MYC -Gen auf Chromosom
8, andererseits einen der drei Immunglobulinloci (Schwere Ketten auf
Chromosom 14, leichte Ketten auf Chromosom 2 oder 22) betreffen. Diese
Form der Translokation wird in B-Zellen dadurch erleichtert, dass die
DNA an den entsprechenden Stellen im Rahmen des Rearrangements geschnitten
wird. Das normale c-MYC -Gen gerät dadurch unter den Einfluss eines
enhancers, der eigentlich dazu da ist, eine sehr starke Expression
der Immunglobulinketten zu bewirken. Resultat: normales c-Myc-Protein
wird in viel zu großen Mengen produziert.
Was für Myc gilt, gilt
auch für viele andere Transkriptionsfaktoren: deren Aktivierung bedeutet
meist, dass ein mehr oder weniger normal funktionierendes Protein in
viel zu großen Mengen exprimiert wird.
Klasse
V: Überexpression von Cyclin D
Translokationen geschehen immer wieder an typischen Stellen: die Kartierung
der Translokationsorte hat manchen Genen, wie bcr (breakpoint cluster region),
den Namen gegeben. Ein anderes Beispiel ist bcl-1 (B-cell leukemia-1),
identifiziert aus der häufig beim Mantelzelllymphom auftretenden Translokation
t(11;14), das sich als Cyclin D herausgestellt hat. Durch die Translokation
kommt es auch in Abwesenheit eines Wachstumssignals zur Expression von
Cyclin D und damit zu einer Proliferationstendenz.
Andere
typische Translokationen
Bcl-2 (B-cell leukemia-2),
identifiziert aus der Translokation t(14;18), hat diesen Namen behalten. Es hat
sich später als ein Apoptose-verhinderndes Protein auf der äußeren Mitochondrienmembran
herausgestellt. Diese Translokation bewirkt kein rascheres Wachstum, sondern
verhindert, dass die Zellen sterben- das daraus resultierende follikuläre
Lymphom ist hochdifferenziert und wächst langsam, mit einem natürlichen Verlauf
von vielen Jahren. Dem steht gegenüber, dass es in der Regel nicht heilbar ist,
da unsere Therapiemöglichkeiten wesentlich besser gegen rasch proliferierende
Zellen wirken.
t(9; 22)- Philadelphia-Translokation: Beteiligt sind die Tyrosinkinase c-Abl (Chromosom 9) und ein Gen,
dessen Namen BCR (breakpoint cluster
region) einfach aus der Tatsache stammt, dass das Chromosom 22 häufig innerhalb
dieses Gens bricht (es handelt sich in diesem Fall nicht um den
Leichtkettenlokus). Diese Translokation unterscheidet sich von der eben
besprochenen Burkitt-Translokation in einem wichtigen Punkt: die genaue
Lokalisation der Translokation ist innerhalb der beiden betroffenen Gene. Das bedeutet, dass Fusionsgene entstehen, die
"vorn" dem einen, aber "hinten" dem anderen Gen
entsprechen. Von den beiden entstehenden Fusionsgenen macht sich nur das
funktionell bemerkbar, das "vorn" BCR und "hinten" ABL entspricht,
BCR-ABL. Es entsteht dadurch eine Abl-Kinase, deren normale Regulationsdomäne
durch irgendeinen Unsinn aus dem BCR-Gen ersetzt wurde. Durch Transkription
dieses Fusionsgens entsteht eine Fusions-mRNA; weiter durch Translation ein
Fusionsprotein Bcr-Abl: ein Protein also, dass in dieser Form normalerweise
beim Menschen nicht existiert und eine dauernd aktive Tyrosinkinase darstellt.
Pharmakologische
Querverstrebung: Ein spezifischer Hemmer gegen dieses Protein, Imatinib (Glivec®),
hat die Therapie der chronischen myeloischen Leukämie (CML) und anderer Ph+ -Leukämien um Wesentliches verbessert.
Mutationen mit Fernwirkungen
Die bisher beschriebenen Mutationstypen haben den Vorteil, pädagogisch wertvoll zu sein, da sie in nachvollziehbarer Weise die Entstehung eines anarchistischen Zellklons fördern. Der Großteil der einen individuellen Tumor verursachenden Mutationen verhält sich leider nicht pädagogisch wertvoll. Viele Mutationen in den Weiten der DNA betreffen Bindungsstellen für transkriptionsfördernde oder –hemmende Proteine, die sich durch DNA-Schleifenbildung auf Gene auswirken, die weit entfernt liegen. Das Ergebnis ist ein überexprimiertes Onkogen oder ein unterexprimierter Tumorsuppressor, die wir diagnostizieren können, ohne dass wir eine Chance hätten, die verantwortliche Punktmutation 27 Gene weiter zu identifizieren. Auch Mutationen, die non-coding RNAs betreffen, sind in der Lage, die Expression weit entfernter Gene zu verändern.
6.
Mutationsarten bei der menschlichen Krebsentstehung: Zusammenfassung
nach formalen Kriterien
Formal lassen sich drei große Gruppen von Mutationsarten unterscheiden:
1. Punktmutationen, Deletionen, Insertionen
Beispiele:
Proto/-Onkogene: EGF-Rezeptor, Src, Ras: nicht abschaltbare Proteine
Tumorsuppressorgene: Rb, p53: inaktive Proteine
2. Amplifikationen
Beispiele: Myc, Mdm2: normales Protein stark überexprimiert
3. Translokationen
Beispiele:
Burkitt-Typ: Myc, normales Protein
stark überexprimiert
Philadelphia-Typ: Bcr-Abl, Fusionsprotein nicht abschaltbar oder überexprimiert
7.
Viren
Beitrag von Viren zur
Krebsentstehung beim Menschen
Manche Viren fördern die Entstehung spezifischer Neoplasien:
HPV Zervixkarzinom
EBV Burkitt-Lymphom,
M. Hodgkin, nasopharyngeales Karzinom
HBV, HCV Hepatozelluläres
Karzinom
HHV-8 Kaposi-Sarkom
MCV Merkelzell-Karzinom
HTLV-1 adulte
T-Zell-Leukämie
Dies geschieht nicht nach einem einheitlichen Mechanismus. Unter den beim
Menschen Tumoren fördernden Viren überwiegen DNA-Viren. DNA-Viren profitieren
davon, Zellen in S-Phase zu treiben, da dann das Material –Nukleotide,
Polymerasen— für die Replikation ihres Genoms reichlich zur Verfügung
steht. Die Mechanismen, über die dieser Effekt erreicht wird, sind verschieden.
Für das humane
Papillomavirus (HPV) wurde er bereits im Abschnitt über pRb und p53
erwähnt: spezielle Proteine, E7 und E6, führen zur Inaktivierung dieser
beiden zentralen Tumorsuppressoren. "E" steht dabei für "early",
die Gruppe von Proteinen, die früh nach Infektion einer Zelle exprimiert
werden. Papillomviren infizieren Plattenepithelzellen und führen meist
zu gutartigen Warzen; etwa ein drittel der ca. 100 Typen wird sexuell
übertragen. Nur wenige Serotypen, wie 16, 18, 31, 33, 35, 45 verursachen den Großteil aller Zervixkarzinome.
Der Prozess beginnt mit einer chronischen Infektion des Zervix-Plattenepithels,
die die Zellproliferation antreibt. Während das Virus normalerweise episomal,
d.h. außerhalb der Wirts-DNA, bleibt, findet man es bei Zervixkarzinomen ins
Genom integriert. Dies ist anscheinend eher ein Unfall als ein typischer Teil
der Virusfunktion wie bei Retroviren oder Hepetitis B Virus. Jedenfalls führt
die Integration zu den höchsten E7-Spiegeln, da das Gen des Gegenspielers E2
dabei häufig inaktiviert wird. Impfung gegen die häufigsten
Hochrisiko-HPV-Typen verhindert die chronische Infektion und sollte daher die
Entstehung eines Zervixkarzinoms verhindern, wenn Mädchen vor dem Beginn
sexueller Beziehungen immunisiert werden. Der Impfstoff besteht aus dem
rekombinant hergestellten Kapsidprotein des L1-Gens (late), das spontan so genannte virus
like particles bildet. Papanicolaou-Abstriche bzw. PCR-Überprüfungen auf
eine Infektion müssen trotzdem gemacht werden, da die gegenwärtigen Impfpräparate (z. B. Gardasil®, Cervarix®) nicht alle relevanten Virustypen abdecken.
Die Erstinfektion mit dem der Herpesgruppe angehörenden
Epstein-Barr-Virus (EBV, versursacht infektiöse Mononukleose oder Pfeiffersches
Drüsenfieber) betrifft meist Jugendliche, da es mit dem Speichel übertragen
wird (kissing disease). Das Virus befällt zunächst
die Epithelien von Mundhöhle und Rachen, danach die unter den Schleimhäuten
befindlichen B-Lymphozyten. B-Zellen werden durch den Virusbefall aktiviert
und beginnen zu proliferieren. Ein System von mehreren viralen Proteinen
fixiert die Zellen in diesem expandierenden Zustand; die Zellen reifen
nicht aus und gehen auch von sich aus nicht mehr in Apoptose. Gewöhnlich
werden Viruserkrankungen über zytotoxische T-Zellen kontrolliert, die
mit ihrem T-Zellrezeptor virusbefallene Zellen an den auf MHC-I präsentierten
Fremd(Virus-)peptiden erkennen und abtöten. Auf diese Weise wird über
Wochen auch die infektiöse Mononukleose bekämpft, so dass die Lymphknotenschwellungen
allmählich zurückgehen. Das EBV-Virus wird allerdings nicht mehr komplett
eliminiert. Restliche infizierte Zellen können nach Jahren zum Ausgangspunkt
für Burkitt-Lymhom, Mb. Hodgkin oder nasopharyngeale Karzinome werden.
Im Afrika südlich der Sahara ist das Burkitt-Lymphom wesentlich häufiger,
die Beziehung zwischen EBV-Virus und Burkitt-Lymphom wesentlich ausgeprägter
als in Europa. Ein Erklärungsversuch sieht die Ursache dafür in einem
Kombinationseffekt zwischen der EBV-Infektion und der verbreiteten Malaria,
welche die zytotoxische T-Zellantwort bremst und die B-Zellstimulation
weiter steigert. Diese verstärkte, chronische Stimulation wäre der Nährboden
für die durch Fehlrearrangement entstandenen, für das Burkitt-Lymphom
typischen Translokationen, die zur Überexpression des c-MYC-Gens führen.
Über die Mechanismen der Förderung der Entstehung von
Leberzellkarzinomen durch Hepatitis B und –C Viren
besteht noch keine endgültige Klarheit. Da in der Mehrheit der Fälle
chronische Hepatitis und Zirrhose um Jahre vorausgehen, dürften reaktive
Verbindungen, die in Zusammenhang mit der chronischen Entzündung entstehen,
vermehrt Mutationen auslösen. Die Auswirkungen dieser Mutationen werden
verstärkt durch den Tumorpromoter-Effekt chronischer Regenerationsversuche.
Im Fall des HBV, dessen Genom zwar aus DNA besteht, das dem Lebenszyklus
nach allerdings eher ein Retrovirus darstellt, werden noch zwei weitere
Mechanismen diskutiert: eine Rolle der Integration des Virus in das
Genom der Wirtszelle (z. B. durch Inaktivierung eines Tumorsuppressors)
sowie eine Rolle des X-Proteins. Das X-Protein ist das Produkt des vierten
Gens des winzigen HBV. Sein Name rührt daher, dass seine Funktion im
Gegensatz zu den drei anderen Genen (für HBs-Antigen, HBc-Antigen und
Polymerase) unklar war. Diese Unklarheit hält an: zahlreiche Arbeiten
haben verschiedenen Mechanismen vorgeschlagen, mittels derer das X-Protein
vermeintlich die Entstehung von Leberzellkarzinom begünstigt; eine allgemein
akzeptierte Lösung zeichnet sich allerdings noch nicht ab.
Das bei AIDS-Patienten häufiger, sonst sehr selten auftretende
Kaposi-Sarkom wird eigentlich durch das humane Herpesvirus Typ
8 (HHV-8) ausgelöst. Allerdings ist dieses Virus bei normaler
Immunabwehr nicht pathogen; erst bei massiv kompromittiertem Immunstatus
wie eben in Kombination mit dem HIV-Virus wirkt es auf Endothelzellen
onkogen. Wahrscheinlich tragen mehrere Gene des Virus zu diesem Effekt
bei; darunter zwei, die für Homologe zu humanem Bcl-2 und Cyclin D kodieren.
Das Merkelzell-Karzinom ist ein seltener neuroektodermaler
Hauttumor, der vom sensorischen Merkelzell-Organ ausgeht und offenbar
häufig durch das Merkel cell polyoma virus (MCV)
ausgelöst wird. Ähnlich SV40 exprimiert es ein large T-Protein, von dem man annehmen kann, dass es pRb und p53 inaktiviert.
In den Tumorzellen findet man in der Regel eine Helicase-defiziente,
ins Wirtsgenom integrierte Kopie des Virus. Auch dieses häufige Virus
wird gewöhnlich durch das Immunsystem unter Kontrolle gehalten.
HTLV-1 (human
T-cell leukemia virus oder human
T-lymphotropic virus) ist ein Retrovirus, das in Südwestjapan, der
Karibik, Teilen Südamerikas und Zentralafrikas endemisch ist und sexuell
sowie mit der Muttermilch übertragen wird. Es trägt zur Entstehung der
adulten T-Zelleukämie bei, indem es die Population von T-Zellen expandiert
und damit die Wahrscheinlichkeit des Auftretens weiterer Mutationen
in T-Zellen erhöht.
Die
klassischen tumorauslösenden (Tier-) Retroviren
Die klassischen Retroviren spielen zwar keine direkte Rolle für die Entstehung
maligner Neoplasien beim Menschen, hatten aber außerordentliche Bedeutung
für die Identifikation zahlreicher für die menschliche Krebsentstehung
relevanter Moleküle. Retroviren sind RNA-Viren, die nach Infektion einer
Zelle ihr eigenes Genom mit Hilfe einer reversen Transkriptase in DNA
umschreiben. Nach Vervollständigung des zweiten Stranges durch DNA-Polymerase
der Wirtszelle inseriert diese provirale Genomform in das Wirtsgenom.
Durch Transkription dieser Einheit entstehen einerseits die mRNAs für
die benötigten Virusproteine, andererseits genomische RNAs zur Bildung
neuer Viren. Die Transkription dieser proviralen Einheit wird aktiviert
durch eine an beiden Enden gelegene regulatorische Sequenz, die als
LTR (long terminal repeat) bezeichnet wird.
Die dazwischen gelegenen Strukturgene werden in die Gruppen gag, pol
und env gegliedert. Gag (group-specific antigen) kodiert die Proteinbestandteile des Nukleokapsids,
pol die Polymerase/ reverse
Transkriptase, env die Hüllproteine
(envelope) des Virus.
Retroviren können die Tumorentstehung durch zwei prinzipielle Mechanismen
fördern: durch insertionale Mutagenese oder durch die Aufnahme eines
Onkogens.
Insertionale Mutagenese bedeutet eine genetische Veränderung durch
den Zufallsprozess der Virusinsertion. Inseriert das Virus z. B. in
der Nähe eines Gens für einen Wachstumsfaktor oder einen Transkriptionsfaktor,
wirken die LTRs des Virus auch auf dieses Gen transkriptionsverstärkend.
Das Mäuse befallende Mouse Mammary Tumor Virus (MMTV) enthält kein Onkogen.
Es führt aber zur Überexpression des Wachstumsfaktors Wnt, wenn es nahe
des Wnt-Gens in das Chromosom inseriert. Diese autoendokrine Form der
Aktivierung des Wnt-Signaltranduktionweges trägt bei Mäusen zur Mammakarzinom-Entstehung
bei.
Die zweite Art, wie Retroviren zur Tumorentstehung beitragen können, ist
durch Aufnahme eines Onkogens
in das Virusgenom. Dieses Ereignis ist selten; die bekannten Viren dieses
Typs sind nur durch mehrere unabhängige Rekombinationsereignisse inklusive
einer reversen Transkription der mRNA des wachstumsfördernden Gens zu
erklären. Ist jedoch einmal ein replikationsfähiges Virus dieses Typs
entstanden, überexprimieren alle virusinfizierten Zellen dieses Gen.
Wegen ihrer tumorfördernden Wirkung wurden solche "Virusgene"
zu einer Zeit, als noch wenig über die Wachstumsregulation in Wirbeltierzellen
bekannt war, "Onkogene" genannt. Erst später erkannte man
die Beziehung dieser viralen Onkogene zu normalen, in die Wachstumsregulation von Wirbeltieren eingebundenen Genen, die man
deswegen als "Protoonkogene" bezeichnete. Die in Tumor-Retroviren
aufgenommenen Onkogene liegen in der Regel in einer mutierten Form vor,
so dass sie nicht abschaltbare, daueraktive Proteine kodieren.
8.
HYPOXIE UND Tumor-Angiogenese
Die
bisher besprochenen genetischen Veränderungen beziehen sich auf die
Entwicklung bis zur "ersten" malignen Zelle. Diese stellt
jedoch keinen Endpunkt dar. Eine kritische Bedingung für die weitere
Tumorentwicklung ist die Versorgung der proliferierenden Zellen mit
Energieträgern und Sauerstoff. Mit dem autonomen Wachstum der Tumorzellen
wird bald der Punkt erreicht, an dem die Diffusionsstrecken zu lange
sind, um zentral lokalisierte Zellen hinreichend zu versorgen. Der so
entstehende Sauerstoffmangel setzt zwei für die weitere Entwicklung
des Tumors bedeutsame Mechanismen in Gang.
Die
erste Folge der Hypoxie stellt die Induktion von p53 dar. Falls der
betroffene Zellklon bezüglich p53 noch intakt ist, führt dieser normale
Regulationsmechanismus zum G1-Arrest, bei längerem Einwirken zur Apoptose
der Zellen im zentralen, unterversorgten Gebiet des Tumors. Das bedeutet,
dass in diesem Gebiet ein starker Selektionsdruck gegen funktionelles
p53 entsteht: eine Zelle, die p53 verliert, kann sich als einzige gegen
die stillgelegten Konkurrenten behaupten und einen neuen, nunmehr um
den Verlust von p53 maligneren Zellklon bilden. Die entsprechenden Zellen
haben damit den DNA-damage-checkpoint
verloren, zeigen chromosomale Instabilität und akkumulieren wesentlich
rascher weitere kritische Mutationen. Dieser Mechanismus, durch den
Hypoxie den Verlust von p53 begünstigt, könnte die Ursache dafür sein,
dass p53 das am häufigsten mutierte Gen in der Krebsentstehung ist.
Der
zweite Mechanismus wird über die bereits am Beginn dieses Skriptums
besprochene sauerstoffabhängige Hydroxylierung, Ubiquitinierung und
Degradation des Transkriptionsfaktors HIF-1 vermittelt. HIF-1 wirkt
in allen Zellen bei Sauerstoffmangel als Transkriptionsfaktor. Während
es nur in der Niere nennenswert Erythropoetin induziert, induziert es
in vielen Geweben eine Reihe anderer Gene, die der Zelle
in Summe eine sinnvolle Antwort auf die Hypoxie-Situation ermöglichen.
Induktion von NO-Synthase führt über Stickstoff-Monoxid-Produktion zu
einer maximalen Weitstellung der vorhandenen Blutgefäße. Anaerobe Glykolyse wird
durch Induktion der Glucose-Transporter GLUT1 und GLUT3 sowie der Enzyme
Hexokinase und Lactat-dehydrogenase (LDH) gefördert. Bei Sauerstoffmangel
im zentralen Tumorgebiet führt die Akkumulation von HIF-1 zur Induktion
des Signalmoleküls VEGF (Vascular
Endothelial Growth Factor). Sezerniertes VEGF diffundiert entlang
der extrazellulären Matrix radial in alle Richtungen, erreicht das Endothel
der nächstgelegenen Blutgefäße und regt dieses zur Sprossung an, so
dass neue Gefäßabzweigungen in Richtung des VEGF-Konzentrationsgradienten
und damit in Richtung des unterversorgten Gebiets entstehen. Was bei gesunden Zellen sinnvoll ist, wird bei malignen Zellen zum Problem: Die einwachsenden
Gefäße erreichen so das zentrale Tumorareal und verbessern die Versorgung
dieser Zellen, die inzwischen eventuell p53 verloren haben. Sie erfüllen
damit eine notwendige Bedingung für den nächsten Schritt in der Entwicklung
eines malignen Tumors: nur, wenn der Tumor mit Gefäßen versorgt ist,
kann er auf dem Blutweg metastasieren.
Pharmakologische Querverstrebung: Die
Überlegung, diesen Weg der Tumorprogression zu blockieren, führte zur
Entwicklung des humanisierten monoklonalen anti-VEGF-Antikörpers Bevacizumab (Avastin®), der z. B. zur Therapie des metastasierenden kolorektalen
Karzinoms und nicht-kleinzelligen Bronchuskarzinoms eingesetzt wird.
Zu erwartende Nebenwirkungen der Interferenz mit der Gefäßneubildung
sind notwendigerweise Wundheilungsstörungen –kritisch bei Tumorpatienten,
die oft unvorhergesehen operiert werden müssen--, Blutungen und Teratogenität. Lenvatinib ist
ein Multi-Kinase-Inhibitor, der die drei Rezeptoren für VEGF hemmt.
9.
Infiltration und Metastasierung
Die
bisher besprochenen Veränderungen des Zellgenoms durch Mutationen konzentrierten
sich auf Gene, die das Proliferationsverhalten der Zellen beeinflussen.
Verstärkte Proliferation bedeutet aber noch nicht Malignität oder Metastasierung,
sondern nur benigne lokale Ausbreitung und Tumorbildung. Allerdings
wirken dieselben Mutationsarten, die für wachstumsrelevante Gene bereits
besprochen wurden, auch auf Gene, die für die Verankerung, die Migrationsfähigkeit
sowie die Überlebensfähigkeit von Zellen wichtig sind. Diese Veränderungen
verschieben die Charakteristik eines Tumors z. B. vom Carcinoma
in situ über ein lokal infiltrierendes und destruierendes Stadium
zur Fernmetastasierung.
Infiltration
und Metastasierung wird durch folgende Veränderungen von Zellen gefördert:
·
Verminderte Expression oder
direkte Mutation von Adhäsionsmolekülen wie E-Cadherin oder N-CAM, sowie
von β-Catenin, das E-Cadherin am Zytoskelett verankert, ermöglichen
das Ablösen von Einzelzellen aus einem Zellverband.
·
Verlust der Zellpolarität und
veränderte Affinität zu Komponenten der extrazellulären Matrix. Normale Epithelzellen sind polarisiert: sie haben nur basal Rezeptoren
für Laminin und Fibronektin, mit denen sie an die extrazelluläre Matrix in Form
der Basalmembran binden. Wie ein Boot auf dem Wasser, "schwimmen" die
Zellen auf der Oberfläche der extrazellulären Matrix; sie haben keine Tendenz,
in diese "einzutauchen". Diese ungleiche Verteilung der Rezeptoren
wird durch Sortierungs- und Transportproteine im Inneren der Zelle
aufrechterhalten. Änderungen in der Expression dieser Sortierungs- und
Transportproteine können dazu führen, dass die Polarisierung verloren geht und
die Rezeptoren gleichmäßig über die gesamte Zelloberfläche verteilt werden; die
Zelle taucht damit in das subepitheliale Bindegewebe ein.
·
Aktivierung der Fähigkeit zum
Abbau extrazellulärer Matrix. Invasion der extrazellulären Matrix wird
erleichtert durch vorherigen lokalen Abbau. Dieser wird durch verschiedene
Familien von Proteasen bewirkt, unter denen die Matrix-Metalloproteinasen
wie Kollagenase oder Stromelysin von besonderer Bedeutung sind. MT1-MMP (membrane-type
matrix metalloproteinase) wird z. B. sekundär durch Verlust des Tumorsuppressors
APC oder durch Überexpression von β-Catenin hochgefahren (siehe Abschnitt
Kolonkarzinom), da die Transkription dieses Gens, wie jene von c-Myc, durch den
β-Catenin/Tcf4-Komplex aktiviert wird.
·
Verstärkte Tendenz zur Lokomotion.
So, wie es extrazelluläre Signalmoleküle gibt, die das Wachstum von
Zellen fördern, existieren auch Signalmoleküle, die die Wandertendenz
von Zellen beeinflussen. Einer von diesen isthepatocyte growth factor (auch "scatter factor" genannt), dessen Rezeptor
durch das c-Met–Protoonkogen kodiert wird. Tumorzellen, die c-Met überexprimieren,
zeigen verstärkte Beweglichkeit.
·
Autonomie von den sonst für
das Überleben einer Zelle notwendigen Gewebssignalen. Die molekulare
Basis dieser Autonomie wird noch nicht hinreichend verstanden, doch
ist klar, dass Zellen nicht nur für ihre Proliferation, sondern auch
für ihr bloßes Überleben auf extrazelluläre Information angewiesen ist,
die den weiter bestehenden Bedarf nach dieser Zelle signalisiert. Dieses
Signal ist im Ursprungsgewebe normalerweise vorhanden, fehlt aber, sobald
die Zelle dieses verlässt (anoikis),
so dass die auswandernde Zelle automatisch z. B. durch Induktion eines
ähnlich wie Bax wirkenden Proteins, Bmf, in Apoptose geht. Aus experimentellen
Befunden ist bekannt, dass für jede Zelle, der es gelingt, in einem
Fremdgewebe eine Metastase zu etablieren, tausende im Blutstrom verschleppte
Zellen zugrunde gehen. Neben dem Verlust Apoptose-induzierender Proteine
findet man auch zu hohen Prozentsätzen Überexpression des Apoptose-hemmenden
Proteins Bcl-2, z. B., wie erwähnt, beim follikulären Lymphom, beim
hormonrefraktären Prostatakarzinom (90-100%), beim malignen Melanom
(90%), oder beim Östrogenrezeptor-positiven Mammakarzinom (80-90%).
Diese Liste an Veränderungen bedeutet nicht, dass
für jede einzelne Veränderung eine eigene Mutation benötigt wird. Das
Auswandern von Zellen aus einem epithelialen Verband ist ein in bestimmten
Situationen notwendiger, physiologischer Vorgang. So lösen sich in der
Embryonalentwicklung Vorläufer von Melanozyten und peripheren Neuronen
aus dem epithelialen Neuralrohr und wandern in die Peripherie. Diese
so genannte Epithelial-Mesenchymale Transition (EMT) wird auch beim
Erwachsenen zur Wundheilung verwendet. Bei einer Verletzung wird beispielsweise
ein kleiner Schnitt der Haut zunächst durch einen Fibrinpfropf verschlossen.
Aus dem Epithelverband der benachbarten Epidermis lösen sich dann Zellen
per EMT, wandern als morphologisch mesenchymale Zellen im Bindegewebe
unter den Fibrinpfropf ein und verwandeln sich dort zurück in eine epitheliale
Zellschicht. Die Rückverwandlung bezeichnet man als Mesenchymal-Epitheliale
Transition (MET). Mit anderen Worten: von einem epithelialen Gewebe
ausgehende lokale Infiltration ist am richtigen Ort und zur richtigen
Zeit ein komplexes physiologisches Programm, das ein- und ausschaltbar
ist. Ein "Hauptschalter" in diesem Programm ist beispielsweise
der Transkriptionsfaktor Twist, der im Experiment epitheliale Zellen
in mesenchymale Zellen umprogrammieren kann. Bei der lokalen Infiltration
eines Karzinoms wird dieses Programm zur Unzeit aktiviert.
Die Ursachen
dieser Aktivierung sind noch nicht ausreichend klar, doch
beginnen wir, manche Beispiele zu verstehen. So besteht bei Adipositas für
Brustkrebs eine Tendenz, aggressiver zu wachsen und häufiger zu rezidivieren. Das
von Fettzellen produzierte Leptin könnte dafür verantwortlich sein: über einen
definierten Signaltransduktionsweg verstärkt es in Mammakarzinomzellen EMT.
10. Immunantworten gegen Tumoren
Erfolgreiches
Bekämpfen eines Tumors mittels einer Immunantwort ist möglich
Zu dieser Aussage führt folgendes experimentelle
System: Zellen aus dem Tumor einer Maus werden in ein anderes Individuum
desselben Mausstamms übertragen. Wenn die zweite Maus vorher mit bestrahlten
Tumorzellen der ersten Maus geimpft wurde, ist sie in der Lage, eine
Dosis injizierter Tumorzellen niederzukämpfen, die für nicht vorbehandelte
Mäuse letal wäre.
Dieser Schutz
ist T-Zell-abhängig: er existiert nicht in T-Zell-defizienten Mäusen,
kann aber durch adoptive transfer
von T-Zellen übertragen werden.
Dieser Schutz
ist auch Antigen-abhängig, da er nicht gegen einen anderen Tumortyp
desselben Mausstamms wirkt. Tumoren exprimieren also antigene Peptide,
die zum Ziel einer Tumor-spezifischen T-Zellantwort werden können. Solche
Peptide werden auf MHC-I päsentiert und werden als tumor
rejection antigens bezeichnet.
Solche tumor rejection antigens wurden auch für menschliche Tumoren definiert:
als Peptide in MHC-I, die von aus Patienten isolierten T-Zellen erkannt
werden. Für jedes tumor rejection antigen gibt es eine Erklärung dafür, dass die
entsprechenden T-Zellklone nicht schon ausgeschaltet (im Thymus eliminiert oder
tolerisiert) wurden:
1.
Neoantigen: mutiertes, damit dem
Immunsystem vorher unbekanntes Peptid.
2.
Ektopisch exprimierte Antigene aus
der Fetalperiode oder aus immunologisch privilegierten Zonen (z. b. Hoden).
Diese Antigene wurden dem Immunsystem nie zur Kenntis gebracht.
3.
Zell-spezifische Differenzierungsantigene, die im Thymus unzureichend "gezeigt"
wurden (z. B. Melanozyten: Enzyme für Melaninproduktion).
4.
Stark überexprimierte Proteine (z. B.
HER-2/neu im Mammakarzinom). Auf normalem Expressionsniveau werden
zuwenige Rezeptoren einer kontrollierenden T-Zelle quervernetzt, um die
T-Zelle zu aktivieren.
5.
Proteine mit abnormalen posttranslationalen Modifikationen (z. B. hypoglykosyliertes
Mucin).
6.
Virusproteine (z. B. HPV E6 und E7).
Obwohl solche
Immunantworten gegen Tumoren nicht selten gefunden werden, führen sie nur in
seltenen Ausnahmefällen zur Elimination des Tumors, zumindest, wenn der Tumor
bereits diagnostiziert wurde (seltene spontane Remissionen von malignen
Melanomen treten auf). Es ist allerdings möglich, dass solche Eliminationen in
einem frühen Stadium häufig stattfinden, allerdings wird der Tumor dann nicht
bemerkbar. Daher die Frage: wie wirksam ist das Immunsystem gegen maligne Zellen?
Immune surveillance gegen neoplastische Zellen
Der Ausdruck "immune surveillance" wurde von Frank
MacFarlane Burnet (1899-1985, Selektionshypothese) in den frühen Tagen
der Immunologie (1967) geprägt und drückte die Erwartung/Hoffnung aus,
dass das Immunsystem in der Lage sei, neu entstehende entartete Zellen
zu erkennen und zu eliminieren. Andererseits ist es vollkommen klar, dass maligne Tumoren die
zweithäufigste Todesursache darstellen; die Wirkung einer solchen immune surveillance hat offensichtlich
Grenzen. In den letzten Jahren haben wir gelernt, dass vielfach starke
Immunreaktionen bestehen, die allerdings durch Gegenmaßnahmen der Tumorzellen
"eingefroren" werden. Es wurden therapeutische monoklonale Antikörper, "immune checkpoint blockers"
entwickelt, die diese Immunreaktionen entfesseln, wodurch allerdings oft auch
Immunreaktionen entfesselt werden, die zu Recht eingefroren sind, da sie sich
gegen gesundes eigenes Gewebe richten.
Zahlreiche
Beobachtungen sprechen dafür, dass das Immunsystem auch gegen natürlich
entstehende Tumoren beim Menschen wirksam ist, zumindest gegen manche
Tumortypen. Einige Beispiele:
- Am überzeugendsten zeigt der eindrucksvolle Erfolg der immune checkpoint blockers in der Behandlung vieler Tumortypen, dass das Immunsystem in der Lage ist, maligne Zellen auch in vivo erfolgreich zu bekämpfen. Gleichzeitig zeigt dieses Beispiel allerdings auch, dass maligne Zellen regelmäßig in der Lage sind, diese Immunantwort zu unterdrücken.
- In Patienten mit Organtransplantaten, im Speziellen Lebertransplantaten, die über lange Zeit immunsupprimiert werden, treten Hauttumoren im Lauf der Jahre häufiger auf. Das betrifft in erster Linie Plattenepithelkarzinome, aber auch Basaliome und Maligne Melanome.
- In einer retrospektiven Untersuchung der Krankheitsverläufe von Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom ergab sich ein wesentlicher Einfluss von Tumor-infiltrierenden T-Lymphozyten. Patientinnen mit zahlreichen Tumor-infiltrierenden Lymphozyten hatten einen wesentlich günstigeren Krankheitsverlauf.
Kein valides Argument gegen
eine effiziente
immune surveillance
ist die Tatsache, dass überhaupt Tumoren auftreten, und dass bei bestehenden
Tumoren histologisch meist keine Immunreaktion zu beobachten ist. Auch
bei einer funktionierenden
immune
surveillance wären beobachtbare Tumoren solche, die eben dadurch
selektioniert sind, dieser Überwachung entkommen zu sein.
Wenn wir von einem
effizienten immune surveillance-Mechanismus
gegen maligne Zellen ausgehen, existieren mehrere Möglichkeiten, diesem zu entkommen:
- Voraussetzung, eine effiziente zytotoxische T-Zellantwort in Gang zu bringen, ist die Präsentation von non-self-Peptiden in MHC-I auf der Tumorzelle, in Kombination mit kostimulatorischen Molekülen, wie B7, die notwendig sind, um naive T-Zellen zu stimulieren. Ohne Kostimulation bewirkt das präsentierte Peptid periphere Anergie, also eine Tolerisierung, in naiven T-Zellen. Die T-Zell-stimulatorische Kombination ist selten gegeben, da die überwiegende Mehrzahl der Peptide self repräsentiert und Tumorzellen in der Regel nicht über kostimulatorische Moleküle verfügen.
- Sollte eine vollständige Konstellation einmal eine T-Zellantwort in Gang bringen, haben im Tumor jene Zellen einen Selektionsvorteil, die durch Mutation einen wesentlichen Teil dieser Konstellation (z. B. das spezifische MHC-I-Molekül, das das kritische Peptid bindet) verlieren.
- Auch wenn bereits Anti-Tumor-T-Zellen vorhanden sind, gibt es für den Tumor noch Auswege. Manchmal produzieren Tumorzellen immunsuppressive Zytokine, z. B. TGF-β oder IL‑10, die T-Zellen direkt hemmen.
- Eine häufige und erfolgreiche Strategie für Tumorzellen besteht darin, hemmende Transmembran-Proteine auf aktivierten infiltrierenden T-Zellen zu betätigen ("der T-Zelle auf den off-button zu hauen"). Darunter fallen die als immune checkpoints bezeichneten PD‑1 und CTLA‑4, die beide strukturell mit CD28 verwandt sind (Achtung: ein solcher immune checkpoint hat nichts mit einem Zellzyklus-Checkpoint zu tun). Wird PD‑1 durch seinen Ligand PD‑1L aktiviert, unterbindet PD-1 die Signalübertragung durch den T-Zell-Rezeptor. Viele Zelltypen exprimieren PD‑1L konstitutiv, ebenso viele Tumorzellen. Durch Betätigung von PD‑1 kann sich die Tumorzelle also im letzten Augenblick vor der zytotoxischen T-Zelle schützen, auch wenn diese einen passenden Rezeptor hat.
Ein zusätzliches,
experimentell intensiv untersuchtes, aber in seiner Bedeutung für die
in vivo-Situation unklares Modell für eine mögliche frühzeitige Elimination
von Tumorzellen ist die Aktivierung von NK-Zellen. Eine solche Aktivierung
kann einerseits durch das Fehlen von NK-hemmenden MHC-I-Molekülen ausgelöst
werden, andererseits auch durch Stress-induzierte Liganden wie MICA, die nach
Zellstress-Situationen (z. B. durch Polyploidie) auf der Oberfläche von Zellen exprimiert werden
und direkt NK-aktivierende Funktion haben.
Exkurs: Regelmäßiges Training reduziert das Krebsrisiko, aber wieso?
Zahlreiche Studien
legen nahe, dass Menschen, die sich regelmäßig sportlich bewegen, eine
geringere Inzidenz von malignen Tumoren aufweisen. Das gilt z.B. für
Blasenkarzinom, Mammakarzinom, Kolonkarzinom, Endometriumkarzinom,
Adenokarzinom des Ösophagus, Nieren- und Magenkarzinom. Die relative
Risikoreduktion bewegt sich dabei im Bereich von 10 bis 20%. Nun ist
anzunehmen, dass Menschen, die regelmäßig Sport betreiben, sich auch in anderen
Bereichen des Lebens gesünder verhalten; vermutlich ernähren sie sich bewusster
und schlafen mehr. Die Studien versuchen, diese Effekte herauszurechnen; wie
gut das gelingt, ist schwer zu bestimmen. Was ist der Mechanismus? Das bleibt
unklar. Diskutiert wird z. B. ein Effekt auf Telomere. Ein anderer
vorgeschlagener Mechanismus betrifft die Immunüberwachung: Eine kleine Studie mit 21 Teilnehmern mit dem
Krebsprädispositions-syndrom HNPCC (siehe Abschnitt über Kolonkarzinom)
verglich eine Kontrollgruppe mit einer Trainingsgruppe, die dreimal pro Woche
für 45 Minuten am Fahrrad trainierte. Nach Ablauf des Jahres wiesen die
Personen in der Trainingsgruppe erhöhte Zahlen von CD8+ Lymphozyten
und NK-Zellen im Kolon auf. Es ist vorstellbar, dass dieser Effekt zu einer
besseren immune surveillance beiträgt. Ob sich das tatsächlich auf die Malignitätsinzidenz auswirkt, muss
erst untersucht werden.
Das maligne Melanom
als Modell für erfolgreiche Immunintervention
Im Jahr 2003 (New Engl. J. Med. 348: 567) wurde ein spektakulärer Fall berichtet: zwei Nierentransplantatempfänger
entwickelten ein sekundäres malignes Melanom, das offensichtlich mit dem
Transplantat übertragen worden war. Der Spenderin war 16 Jahre vor ihrem Tod
aus anderen Ursachen ein Melanom entfernt worden. Offensichtlich war ihr
Immunsystem über all diese Jahre in der Lage gewesen, die über ihren Körper
verteilten Mikrometastasen unter Kontrolle zu halten. In
den Transplantatempfängern fiel diese Kontrolle weg, sodass sich der
anarchistische Zellklon ausbreiten konnte.
Intervention
zur Enthemmung einer bestehenden Anti-Tumor-Immunantwort:
Ebenfalls am Modell
Melanom erwiesen sich Versuche als außerordentlich erfolgreich, Tumorzellen
daran zu hindern, die "immune
checkpoints" PD‑1 und CTLA‑4 zu betätigen, wenn
cytotoxische Antitumor-T-Zellen bereits vorhanden sind. Das Konzept hat response rates bis zu 60% bei Melanom
und ist seither auf viele andere Tumoren ausgedehnt worden. Dass gerade das
maligne Melanom das Paradebeispiel für eine Antitumorwirkung des Immunsystems
ist, liegt auch daran, dass es jener Tumortyp ist, der die höchste
Mutationsrate aufweist, wodurch eine große Zahl von Neoantigenen entsteht.
Neoantigene sind durch Mutation veränderte Selbstpeptide, die dem Immunsystem
noch nicht bekannt sind. Zur Gruppe der Tumoren mit hoher Mutationsrate, den hot tumors, gehört auch das
Bronchuskarzinom. Dagegen haben Mamma- und Prostatakarzinome im Schnitt
niedrigere Mutationsraten, sodass eine Immuntherapie weniger Angriffspunkte
vorfindet.
Pharmakologische Querverstrebung: Zu den immune checkpoint blockers gehören die folgenden Antikörper, die zuerst gegen malignes Melanom zugelassen wurden und sich besonders gegen Tumorarten als
wirksam erweisen, die eine hohe Mutationsrate und damit viele Neoantigene
aufweisen:
- Pembrolizumab bindet an PD‑1 und verhindert so dessen Aktivierung durch Tumor-exprimierten PD-1L.
- Nivolumab blockiert PD‑1 in gleicher Weise.
- Atezolizumab bindet dagegen direkt seinen Liganden PD-L1
- Ipilimumab bindet an CTLA‑4 und blockiert so dessen Interaktion mit B7.
Die Strategie kann
offensichtlich nur dann Erfolg haben, wenn bereits eine T-Zell-Antwort
vorhanden ist. Ist das nicht der Fall, kann man versuchen, eine solche zu
induzieren:
Intervention
zur Induktion einer Anti-Tumor-Immunantwort:
Beim Melanom wurde
eine Reihe von tumor rejection antigens definiert:
- MAGE-Antigene (Melanoma AntiGen Encoding gene- nicht exprimiert in normalen adulten Geweben außer dem Hoden)
- Peptide des Enzyms Tyrosinase (1. Schritt der Melaninproduktion)
- gp100 (Differenzierungsantigen von Melanozyten)
- MART1 (Melanoma Antigen Recognized by T cells; Differenzierungsantigen von Melanozyten)
- gp75 (Differenzierungsantigen von Melanozyten)
Melanompatienten wurden
mit diesen Antigenen in vielen verschiedenen Spielarten immunisiert.
Ein
Protokolltyp beruht darauf, dass dendritische Zellen aus dem Blut des Patienten
gewonnen, in vitro ausgereift und mit diesen Antigenen beladen werden:
Kostimulatorisch wirkende Moleküle wie B7 helfen so, naive T-Zellen zu
stimulieren.
Eine kritische
Möglichkeit für Nebenwirkungen, die im Auge behalten werden muss, ist
das Auslösen einer Autoimmunreaktion gegen das Ursprungsgewebe des Tumors.
Am Beispiel Melanom wird dies illustriert durch in einigen Fällen auftretende
Vitiligo.
Pharmakologische Querverstrebung: In den USA ist mit Sipuleucel-T eine analoge Therapie gegen Prostatakarzinom zugelassen, in der EU wurde sie wieder zurückgezogen. Antigenpräsentierende Zellen werden vom Patienten entnommen und mit einem Fusionsprotein aus GM-CSF und prostataspezifischer saurer Phosphatase stimuliert/beladen. Die APC, welche Peptide der aufgenommenen Phosphatase auf ihren MHC-Molekülen präsentieren, werden dem Patienten wieder infundiert und regen eine prostatazellspezifische Immunantwort an.
CAR-T-Zell-Therapie: dem Patienten entnommene T-Zellen werden gentechnisch mit einem künstlichen Antigenrezeptor (CAR= chimaeric antigen receptor) gegen ein vom Tumor exprimiertes Antigen ausgerüstet. Der gentechnisch hergestellte CAR hat als extrazelluläre
Domäne den variablen Anteil eines Antikörpers in single-chain-Form, in der intrazellulären Domäne einen Teil der
CD3-ζ-Kette sowie Teile von kostimulatorischen Proteinen wie CD28. Man
produziert also künstlich einen massiv autoreaktiven zytotoxischen T-Zell-Klon.
Es ist natürlich notwendig, das erkannte Antigen klug auszuwählen: Im Idealfall
ist dieses nur auf den malignen Zellen, nicht aber auf anderen Zellen
exprimiert. Ein Beispiel wäre CD19. Dieses wird nur auf B-Zellen und damit auf
den meisten Non-Hodgkin-Lymphomen inklusive B-Zell-Leukämien exprimiert. Die
Therapie eines solchen Patienten beginnt, indem man am Blutzellseparator
Lymphozyten abnimmt und zytotoxische T-Zellen durch einen retroviralen Vektor
mit dem Gen für den anti-CD19-CAR ausstattet und vermehrt. Nach 3-4 Wochen
werden die anti-CD19-CAR-T-Zellen dem Patienten infundiert. Diese killen alle
Zellen, die CD19 tragen; also Tumor- aber auch normale B-Zellen. Ein solches
Verfahren ist zugelassen unter dem Namen Tisagenlecleucel (Kymriah®).
Hoffnungsgebiet: Individueller mRNA-Impfstoff gegen
Neoantigene. Da jeder individuelle maligne Tumor eine
einzigartige Sammlung von Mutationen darstellt, ist es im Prinzip möglich,
diese zu identifizieren, indem man das gesamte Genom des Tumors sequenziert und
mit dem normalen Genom vergleicht. Ein technisch aufwendiger Ansatz filtert mit
bioinformatischen Methoden aus diesen Mutationen 10 oder 20 heraus, die z. B.
gut in die MHC-Bindungstaschen des Patienten passen und weitere Kriterien für
einen "Tumorimpfstoff" erfüllen. Die kodierende Information für diese
10 oder 20 Peptide wird dann in einer im Labor hergestellten mRNA
aneinandergehängt. Diese mRNA wird in einen Lymphknoten des Patienten
gespritzt. Dort nehmen dendritische Zellen die mRNA durch Makropinozytose auf;
ein Teil gelangt ins Zytosol und wird dort durch Ribosomen in ein langes
Protein übersetzt, aus dem die Tumor-spezifischen Peptide herausgeschnitten und
auf MHC-Proteinen präsentiert werden. So werden speziell T-Zellen gegen diese
Neoantigene stimuliert, die in der Folge die Tumorzellen bekämpfen können. Eine Phase 1-Studie bei reseziertem Pankreaskarzinom zeigte nach 3 Jahren Beobachtungszeit ermutigende Ergebnisse.
Hoffnungsgebiet: Onkolytische Viren. Für mehrere Viren ist etabliert, dass sie sich in bestimmten
Tumorzellen leichter vermehren könne als in gesunden Zellen. Warum das so ist,
ist nur in einem Teil der Fälle geklärt: entweder sind zelluläre
Virusabwehrsysteme wie die Interferonantwort in Tumorzellen beeinträchtigt oder
es sind in Tumorzellen bestimmte Faktoren besser verfügbar, die für die
Virusvermehrung notwendig sind.
Erstes
zugelassenes Beispiel ist
T-Vec, ein
modifiziertes Herpes Simplex Virus Typ 1, gegen Melanom. Deletion des
Virusproteins ICP47, das als "Stopsel" am TAP-Transporter wirkt,
führt zu vermehrter Antigenpräsentation auf MHC-I, sodass die Melanomzellen von
zytotoxischen T-Zellen angegriffen werden. Zusätzlich kommt es zu starker
Virusvermehrung in den Melanomzellen und dadurch zu einer Zellyse, die
Entzündung auslöst und die Immunantwort gegen Tumorantigene verstärkt.
11.
Resistenzmechanismen: genetische Plastizität von Tumoren unter Therapie
Dieselben Mutationsmechanismen, die zur Entstehung der ersten malignen
Zelle geführt haben, wirken unverändert in der weiteren Entwicklung
der Neoplasie. Sie sind bestimmend für die Fähigkeit bestimmter Subklone
des Tumors, Resistenz gegen Chemotherapie zu entwickeln.
Eine in der Chemotherapie häufig eingesetzte Substanzklasse
stellen die Alkylantien dar. Musterbeispiel ist Cyclophosphamid (Endoxan®).
Das Prinzip ihrer Wirksamkeit liegt in ihrer Fähigkeit, kovalente Bindungen
mit Atomen in Makromolekülen einzugehen, die über freie Elektronenpaare
verfügen. Sehr ähnlich der schon besprochenen Wirkung von Aflatoxin,
binden sie z. B. an das O6 oder
N7-Atom von Guanin. Einer der möglichen Mechanismen der Resistenzentwicklung
gegen Alkylantien beruht darauf, dass Zellen sich zu einem gewissen
Grad vor dieser Art von Molekülen schützen, indem sie ein Abwehrmolekül
produzieren, Glutathion, das ein Schwefelatom mit vielen freien Elektronenpaaren
beinhaltet. Jedes Alkylantienmolekül, das durch ein Glutathionmolekül
abgefangen wird, steht nicht mehr zur Schädigung der DNA zur Verfügung.
Glutathion wird durch Glutathion-S-transferase an das alkylierende Molekül
gekoppelt. Ein Mechanismus, mit dem Tumorzellen Resistenz gegen Alkylantien
erreichen können, besteht darin, dieses Enzym überzuexprimieren.
Methotrexat, aus der Substanzklasse der "Antimetaboliten",
entfaltet seine Antitumorwirkung durch Hemmung der Nukleotidsynthese.
In der Purinsynthese, sowie bei der Synthese von Thymin aus Uracil,
ist die Übertragung einzelner Kohlenstoffatome notwendig. Für diese
C1-Gruppenübertragungen ist als Kofaktor Tetrahydrofolsäure notwendig,
das sich bei der Reaktion zu Dihydrofolsäure verbraucht. Um dieses wieder
zu Tetrahydrofolsäure zu regenerieren dient das Enzym Dihydrofolatreductase
(DHFR, bereits als E2F-Zielgen erwähnt). Methotrexat ist ein Folsäureanalogon,
das sich an das Enzym bindet und es blockiert. Tumorzellen können resistent
gegen Methotrexat werden, wenn es ihnen gelingt, die Zahl an DHFR-Molekülen
so weit zu steigern, dass die in der Zelle befindlichen Methotrexat-Moleküle
nicht mehr jedes DHFR-Molekül blockieren können. Dies gelingt ihnen
durch Amplifikation des DHFR-Gens.
Vinca-Alkaloide wie Vincristin (Oncovin®) sind pflanzliche
Produkte aus der rosafarbenen Catharanthe (Catharanthus roseus,
früher Vinca rosea). Vincristin bindet an Tubulin-Monomere
und verhindert damit dessen Polymerisierung zu den Microtubuli der mitotischen
Spindel. Eine Möglichkeit der Resistenzentwicklung besteht darin, Tubulin
durch Austauschmutation so zu modifizieren, dass es einerseits immer
noch funktioniert, andererseits aber nicht mehr Vincristin bindet. Eine
andere Möglichkeit der Resistenzentwicklung ist äußerst negativ für
die Behandlungsaussichten: Amplifikation des MDR1-Gens (multi-drug
resistance). Das MDR1-Gen kodiert ein Membranprotein, P-Glykoprotein,
das als unspezifische Pumpe fungiert, die Fremdmoleküle aus der Zelle
hinauspumpt. Eine diese Pumpe überexprimierende Tumorzelle ist nicht
nur gegen Vincristin resistent, sonder auch gegen z. B. das Streptomyces-Produkt
Doxorubicin (Adriamycin®) und mehrere andere Chemotherapeutika.
Ein wichtiger Bestandteil von Chemotherapien gegen Lymphome
und lymphatische Leukämien sind Glucocorticoide, die in diesen Zellen
Apoptose induzieren. Zellen werden gegen Glucocorticoide resistent,
indem der Glucocorticoid-Rezeptor durch Mutationen seine Funktion verliert
oder kaum mehr exprimiert wird.
Diese Beispiele sollen folgende Prinzipien illustrieren:
• Der Prozess von Mutation
und Selektion, der ursprünglich zur Entstehung der malignen Neoplasie
geführt hat, dauert unter chemotherapeutischer Behandlung an und führt
zur Resistenzentwicklung des Tumors.
• Polychemotherapie ist
eine unbedingte Notwendigkeit. Da Zellen durch Mutation grundsätzlich
gegen jede einzelne Substanz Gegenmittel "erfinden" können,
senkt die Kombination von chemotherapeutischen Prinzipien die Wahrscheinlichkeit,
dass der Tumor resistent wird. Nur eine Zelle, der es gelingt, gleichzeitig
Glutathion-S-transferase zu amplifizieren, MDR zu amplifizieren und
den Glucocorticoid-Rezeptor zu inaktivieren, überlebt eine Kombinationstherapie
mit Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednisolon (das klassische
CHOP-Protokoll gegen Lymphome). Dies ist wesentlich weniger wahrscheinlich
als die Entwicklung einer Resistenz gegen eine Monotherapie.
• Gleichzeitig bedeutet
das, dass der Tumor im Fall eines Rezidivs genetisch vollkommen andere
Eigenschaften hat als sein ursprünglich diagnostizierter Vorläufer.
Insbesondere sind die Behandlungsaussichten besonders schlecht, da das
Rezidiv bereits gegen die meisten gängigen Chemotherapieklassen Resistenzen entwickelt hat.
12.
Kolon-Karzinom: Molekulare Besonderheiten
Der
Tumorsuppressor APC
APC
steht für Adenomatöse Polyposis Coli. Mitglieder von Familien mit dieser
erblichen Erkrankung entwickeln hunderte Kolonpolypen, von denen einzelne
nach Jahren schließlich in Malignität münden. Das Genotyp/Phänotyp-Muster
ist eine Parallele zu erblichem Retinoblastom und Li-Fraumeni-Syndrom:
betroffene Patienten erben ein defektes APC-Allel. APC spielt jedoch
nicht nur bei dieser relativ seltenen genetischen Erkrankung eine Rolle:
in etwa 60% aller Fälle von Kolonkarzinom ist die APC-Funktion durch
Mutation verloren gegangen.
[Achtung: Die Abkürzung APC wird auch für anaphase promoting complex - den durch
den Spindel-Checkpoint inhibierten Ubiquitinligasekomplex - und für antigen presenting cells verwendet.]
Der
Ausfall von APC fördert die Entstehung einer malignen Neoplasie durch
verschiedene Mechanismen, die auf mehrere getrennte biologische Funktionen
des Moleküls zurückzuführen sind.
In
seiner ersten Funktion wirkt APC antagonistisch auf das Molekül b-Catenin in einem Signaltransduktionsweg,
der wesentlich für die Aufrechterhaltung der Population der Kolonepithelzellen
ist und durch den Wachstumsfaktor Wnt
aktiviert wird. b-Catenin
"kettet" das Adhäsionsmolekül E-Cadherin, das Zell-Zellkontakte
vermittelt, an das Zytoskelett. Überschüssiges b-Catenin, das für diese mechanische
Aufgabe nicht gebraucht wird, wird in Abwesenheit von Wnt durch eine an APC gebundene Kinase
(Glykogen Synthase Kinase 3b; GSK-3b) phosphoryliert und damit zum Abbau über den Ubiquitin-Proteasomweg
markiert. Bindet Wnt an seinen Rezeptor, führt das zur Inaktivierung
des APC–Proteinkomplexes, und das überschüssige b-Catenin
akkumuliert, wechselt in den Zellkern und entfernt dort einen Hemmer
von Transkriptionsfaktor Tcf4 (T-cell
factor 4). Das führt zur Expression mehrerer proliferationsfördernder
Gene wie Cyclin D, c-MYC oder Telomerase. Die physiologische Bedeutung dieses Signaltransduktionsweges
zeigt sich daran, dass Tcf4-knockout-Mäuse kurz nach der Geburt an einem Mangel an Darmepithelzellen
sterben.
Wnt wird von Paneth-Zellen an
der Basis der Darmkrypten produziert und treibt die Proliferation von
Epithelzellen in der Krypte an. Je weiter sich die Enterozyten aus der Krypte herausbewegen,
desto weniger Wnt sehen sie, bis sie schließlich zu proliferieren aufhören.
Zusammengefasst: In Gegenwart von Wnt proliferieren Darmepithelzellen. Dies
wird durch eine transkriptionsfördernde Funktion von stabilisiertem
β-Catenin vermittelt. In
Abwesenheit von Wnt hören die Zellen auf, sich zu vermehren. Dies erfordert den
Abbau von überschüssigem β-Catenin mit Hilfe von APC.
Im
Fall einer mutationsbedingten Inaktivierung beider APC-Allele führt
der Wegfall der Möglichkeit, b-Catenin
zu phosphorylieren auch in Abwesenheit des Wachstumsfaktors Wnt zu einer Dauerakkumulation von b-Catenin
und damit zu einer Dauerexpression von Cyclin D, c-Myc und Telomerase. Mit anderen
Worten: der Verlust von APC führt zu einem vorgetäuschten Wnt-Wachstumssignal.
Das
Vortäuschen eines Wnt-Wachstumssignals wäre bei intaktem APC auch durch
eine Überexpression oder mutationsbedingte Stabilisierung von b-Catenin denkbar. Tatsächlich
findet man eine solche in etwa 10% aller Kolonkarzinome. b-Catenin
hat in diesen Fällen also Onkogen-Funktion.
Dieses
Beispiel zeigt, dass eine wesentliche Tumor-fördernde Veränderung in
der Aktivierung eines für die Proliferation der spezifischen Zellart
ausschlaggebenden Signalwegs liegt. Dies ist sowohl über den Verlust
von bremsenden Elementen (Inaktivierung von Tumorsuppressoren) als auch
über die Aktivierung Signal-fördernder Elemente (Aktivierung von Protoonkogenen
zu Onkogenen) möglich
APC
hat noch eine weitere zelluläre Funktion in der Metaphase der Zellteilung:
es koppelt die Enden der Microtubuli der entstehenden Spindel auf der
einen Seite an die Kinetochoren der Chromosomen, auf der anderen Seite
des Spindelpols an eine definierte Stelle der Zellmembran. Bei einem
Ausfall von APC verringert sich die Präzision des Auseinanderziehens
und Verteilens der Chromosomen auf die entstehenden Tochterzellen. Die
Folge ist, wie beim Ausfall von p53, chromosomale Instabilität (CIN),
die den Grundstein für einen raschen Verfall der Genomqualität bildet.
Außerdem
gibt es Hinweise dafür, dass APC über die Anheftung der Spindel an der
Zellmembran die Zellteilungsachse einstellt, die wesentlich für die
asymmetrische ("heteromorphe") Charakteristik der Stammzellteilung
ist. Fehlt APC in einer Stammzelle, verläuft die Teilung symmetrisch
und resultiert in zwei Zellen mit uneingeschränktem Teilungspotential.
Die Fehleinstellung der Zellachse könnte so eine Ursache für die Differenzierungsstörung
des Zellklons sein. Diese Anheftungsfunktion von APC mag der Grund sein,
warum der Verlust von APC-Aktivität häufig der erste Schritt in der
multi-step-Entwicklung des Kolonkarzinoms ist.
HNPCC-Antionkogene
Neben
der Adenomatösen Polyposis Coli gibt es eine zweite, häufigere Form
der genetisch bedingten Prädisposition für Kolonkarzinom, die morphologisch
nicht mit der Ausbildung von Schleimhautpolypen einhergeht: hereditary
non-polyposis colorectal cancer oder HNPCC. Die klinischen Kriterien
für eine HNPCC sind das Auftreten von Kolonkarzinom bei drei Mitgliedern
einer Familie, wobei zwei Generationen betroffen sind und zumindest
einer der Tumoren vor dem 50 Lebensjahr auftritt. Von der Entartungsneigung
sind auch andere Gewebe betroffen, speziell das Endometrium: in manchen
Familien steht das gehäufte Auftreten von Endometriumskarzinom im Vordergrund.
Etwa 5% der Gesamtheit der Fälle von Kolonkarzinom gehen auf HNPCC zurück.
Diese entwickeln sich häufig im Colon
ascendens, während Kolonkarzinome sonst eher im Sigmoid und Rectum
auftreten. Im Gegensatz zu Familiärer Polyposis Coli entwickeln nicht
100% der Betroffenen einen malignen Tumor, jedoch immer noch 80%. Ist
das Prädispositionssyndrom einmal diagnostiziert, ist es daher nötig,
engmaschige Kontrollen von Kolon und Uterus vorzunehmen.
Auf der
Suche nach "dem" HNPCC-Gen kam man zunächst einmal ins Stolpern: in
manchen der betroffenen Familien segregierte die Karzinomneigung mit dem
Chromosom 2, bei anderen mit Chromosom 3, manchmal auch mit
Chromosom 7. Zur Lösung des Rätsels verhalf die Beobachtung, dass Tumoren dieser
Familien das Phänomen der Mikrosatelliten-Instabilität (MIN) zeigten. Dieses
Phänomen kannte man bereits von Bakterien und Hefen: man wusste, dass es dort
nicht auf den Defekt eines einzelnen definierten Gens, sondern auf einen Defekt
im komplexen mismatch repair-System zurückzuführen
war. So auch beim Menschen, wurde dann klar: Die am häufigsten betroffenen Gene
sind MLH1 und MSH2, doch können auch die anderen Komponenten betroffen sein.
Wie bei APC haben die Defekte nicht nur für die hereditäre Form des
Kolonkarzinoms Bedeutung, sondern werden auch als somatische Mutationen in
sporadischen Fällen von Kolonkarzinom, Endometriumkarzinom und Magenkarzinom gefunden.
Defekte
im mismatch repair-System kann man an einer
Sonderform der genetischen Instabilität erkennen: microsatellite instability (MIN). Wiederholungen von einzelnen oder
wenigen Basen, wie z. B. TTTTTTTT oder ATATATATATATATATAT, so genannte
Mikrosatelliten, sind offensichtlich besonders schwierig in gleich bleibender
Anzahl zu replizieren. Bei Defekten im mismatch
repair-System findet man von Zellgeneration zu Zellgeneration häufig
Veränderungen in der Zahl solcher Wiederholungen: man spricht deshalb
von microsatellite instability. Der Begriff
hat deshalb Bedeutung, weil es technisch wesentlich leichter ist, MIN zu diagnostizieren als alle in Frage
kommenden Gene des komplexen Reparatursystems auf Mutationen abzusuchen.
Alkylantienresistenz durch MMR-Defekte. Überexpression von Glutathion-S-Transferase als Resistenzmechanismus
gegen Alkylantien wurde bereits dargestellt. Auch Defekte im MMR-System können
zu Resistenz gegen in der Chemotherapie eingesetzte Alkylantien führen.
Alkylantien führen zur Methylierung oder Chloroethylierung von Guanin auf dem
Sauerstoff O6, was, wie erwähnt (siehe Abschnitt 2, "Mutationen",
Methylierung), in der nächsten DNA-Replikation einen Fehleinbau von T am
Gegenstrang zur Folge hat. Es existiert im Prinzip ein spezielles Protein, um
die auch unter physiologischen Umständen auftretende O6-Methylierung wieder zu
beseitigen: O6-Methyl-Guanin-Methyltransferase (MGMT). Mit der kovalenten Aufnahme
der Methylgruppe inaktiviert sich dieses "Einmal-Enzym" allerdings
selbst; unter den Bedingungen einer Chemotherapie ist dieser Mechanismus sofort
überlastet, so dass der Großteil der O6-Methylguanine oder Chloroethylguanine
bestehen bleibt. Nach der nächsten DNA-Replikation erkennt das MMR-System diese
durch den entstandenen G•T-mismatch. Das
MMR-System beginnt mit Reparaturen; bei der anhaltenden Anwesenheit von
Alkylantien bleiben diese aber ineffizient und aus Gründen, die noch nicht ganz
klar sind (anhaltende Checkpoint-Signale, die schließlich zu Apoptose führen?),
sind Zellen sogar schlechter dran, als wenn sie die Reparatur gar nicht erst versuchen
würden. Jedenfalls führt der Eingriff des MMR-Systems zum Tod der Zelle. Anders ausgedrückt: die erwünschte Wirkung von
Alkylantien setzt ein intaktes MMR-System voraus. Zellen entkommen dieser
Wirkung, wenn Mutationen frühzeitig das MMR-System lahm legen; ab diesem
Zeitpunkt ignorieren die Zellen souverän die entstehenden G•T-mismatches. Weiter entwickelt sich ein hypermutierender,
MMR-defekter Zellklon, der resistent gegen Alkylantien ist.
13.
Mamma-Karzinom: Molekulare Besonderheiten
Defekte
der Tumorsuppressoren BRCA-1 und -2 tragen wesentlich zur Entstehung
von Mamma- und Ovarialkarzinomen bei. Sie sind notwendige Bestandteile
mehrerer DNA-Reparaturmechanismen, z. B. eines Systems zur Reparatur
von Doppelstrangbrüchen. Menschliche Zellen haben zwei Systeme zur Wiederherstellung
der Kontinuität nach einem Doppelstrangbruch: non-homologous end joining (NHEJ) und homologe
Rekombination (HR). Der Unterschied zwischen diesen beiden Systemen
besteht darin, dass NHEJ nicht zur vollständigen Wiederherstellung des
ursprünglichen Zustands führt, die eigentlich "bessere" HR
jedoch nur möglich ist, wenn die DNA bereits repliziert wurde.
Non-Homologous End Joining
Bei NHEJ werden
zunächst die Enden der Chromosomen/DNA-Fragmente erkannt und anschließend
als Voraussetzung zur Wiedervereinigung prozessiert: das den Strangbruch
auslösende Ereignis —z. B. die Energie ionisierender Strahlung— hat
die betroffenen Nukleotide in der Regel chemisch verändert. Durch das
"Zurechtstutzen" der Enden gehen zwangsläufig einige Nukleotide
verloren: dieser Reparaturmechanismus ist ein wesentlicher Verursacher
kleiner Deletionen. Da der Großteil des menschlichen Genoms nicht kodiert,
ist die Wahrscheinlichkeit, funktionelle Schäden zu erzeugen, trotzdem
um vieles geringer als wenn der Bruch unrepariert bliebe.
Der
zu NHEJ führende Signaltransduktionsweg wurde im Prinzip bereits bei
p53 besprochen. Durch den Strangbruch werden Chromatinänderungen ausgelöst,
die die katalytische Untereinheit der DNA-abhängigen Proteinkinase aktivieren.
In der Folge werden einige Proteine des Reparatursystems, wie XRCC4,
direkt, andere, wie p53, die checkpoint-Kinase CHK-2 und NBS1 indirekt
über die verwandten Kinasen ATM und ATR phosphoryliert. (XRCC steht
für X-ray Repair Complementing
defective repair in Chinese hamster cells; NBS für Nijmegen breakage syndrome.) Damit wird einerseits, wie im Abschnitt
über p53 ausgeführt, die Zelle in G1 arretiert, andererseits der Reparaturapparat
aktiviert. Zur "Glättung" der Enden dient ein Komplex aus
den Proteinen MRE11-RAD50-NBS1, der Endo- und Exonucleaseaktivität besitzt.
(Bezeichnungen für Moleküle aus Reparatursystemen stammen vielfach aus
dem Hefesystem, in dem Mutanten mit auffälligen Defekten isoliert wurden,
wie z. B. radiation-sensitive-RAD
oder Meiotic REcombination deficient- MRE.)
Der
letzte Schritt im NHEJ-Reparaturprozess wird durch eine DNA-Ligase katalysiert,
die durch das Adapterprotein XRCC4 an
den Ku-Komplex bindet und die Kontinuität des DNA-Strangs wieder herstellt.
Auf diese Weise können die meisten Doppelstrangbrüche unter Hinterlassung
einer kleinen Deletion repariert werden.
Homologe
Rekombination
Es
gibt jedoch Situationen, in denen NHEJ
nicht ausreicht, DNA-Strangbrüche zu reparieren. Das stärkste Argument
für diese Aussage stammt von Experimenten mit einem Protein, RAD51,
das eine zentrale Rolle im Prozess der homologen Rekombination spielt.
Zellen, in denen das NHEJ-System intakt ist, RAD51 jedoch experimentell
ausgeschaltet wurde, sind nicht mehr viabel: beim Versuch, ihre DNA
zu replizieren, entstehen so viele Fehler, dass die Zellen absterben.
Man schließt daraus, dass homologe Rekombination ein notwendiger "Nachbesserungsmechanismus"
des DNA-Replikationssystems ist. Im Fall der DNA-Replikation treten
Doppelstrangbrüche häufig im lagging strand der Replikationsgabel auf; wenn die diskontinuierlichen
Okazaki-Fragmente z. B. auf einen Einzelstrangbruch im Gegenstrang stoßen: die Gabel zerfällt.
Diese Situation ist günstig für homologe Rekombination, da ein identischer
Strang —das gerade entstandene Schwesterchromatid— räumlich unmittelbar
benachbart ist. Homologe Rekombination (HR) beruht darauf, dass sich ein
überhängendes Einzelstrang-Ende des gebrochenen Doppelstrangs an einen
identischen, intakten Doppelstrang anlagert und sich mit Hilfe von spezialisierten
Proteinen wie RAD51 an die Stelle seiner Kopie setzt. Mit der neu gefundenen
Matrize kann der gebrochene Strang nun elongiert bzw. repariert werden.
Diese Form der Reparatur behebt Doppelstrangbrüche, ohne Deletionen
zu generieren.
Nach
einem Strangbruch in der Nähe einer Replikationsgabel beginnt der Prozess
der HR mit einer Verkürzung des Strangs mit dem 5´-Phosphat-Ende durch
5´->3´-Exonukleaseaktivität des bereits erwähnten MRE11-RAD50-NBS1-Komplexes.
Das 3´-Ende des anderen Strangs gewinnt damit die Bewegungsfreiheit
zur sogenannten strand-invasion,
für die es die Proteine RAD51 und RAD52, die Tumorsuppressoren BRCA (breast cancer)‑1 und BRCA‑2
sowie noch einige andere Moleküle benötigt. Das 3´-Ende des invadierenden
Strangs wird nun unter fortschreitender Verdrängung des autochthonen
Strangs durch eine DNA-Polymerase verlängert. Die beiden ineinander
verwobenen Doppelstränge können schließlich entweder durch Voneinanderlösen
oder durch Schneiden getrennt werden; die restlichen Lücken werden durch
DNA-Ligase I geschlossen. Damit kann die Replikationsgabel weiterlaufen.
Verlust
von BRCA1- oder-2-Funktion verhindert eine effiziente HR-Reparatur. Bestehende
Replikationsprobleme werden in dieser Situation notdürftig mit anderen, weniger
geeigneten Mechanismen behoben (z. B. NHEJ oder error-prone repair), die Chromosomenveränderungen oder Mutationen
nach sich ziehen. So werden Bruchstücke verschiedener Chromosomen mit NHEJ
aneinander gehängt (scrambled chromosomes). Mit der Entwicklung eines Organismus ist das jedoch
offensichtlich nicht vereinbar: knock-out von BRCA‑1 oder BRCA‑2 in Mäusen wirkt bereits im Embryonalstadium letal.
Pharmakologische Querverstrebung: Eine Strategie, Karzinome zu behandeln, bei denen die BRCA-Funktion,
und damit HR, verloren gegangen ist, besteht darin, zusätzlich das Einzelstrangbruch-Reparatursystem
lahmzulegen. In normalen Zellen werden die wenigen nicht rechtzeitig reparierten Einzelstrangbrüche
während der nächsten DNA-Replikation zu Doppelstrangbrüchen an der
Replikationsgabel, die anschließend durch HR behoben werden. Funktionieren
weder die Reparatur von Einzelstrangbrüchen, noch HR, kumulieren Doppelstrangbrüche während der DNA-Replikation so
massiv, dass die Zellen das nicht überleben ("synthetic lethality"). PARP-Inhibitoren wie Olaparib hemmen das Enzym PARP (Poly-ADP‑Ribose Polymerase), das hilft, DNA-Einzelstrangbrüche
an das Reparatursystem zu melden: Polymerisierte ADP-Riboseketten rekrutieren
die Einzelstrangbruch-Reparaturenzyme an die von PARP gebundene Bruchstelle. PARP-Inhibitoren
werden für die Therapie des rezidivierenden Ovarialkarzinoms auf Grund des
Verlusts von BRCA1- oder BRCA2-Funktion verwendet, wenn konventionelle
Chemotherapie erfolglos bleibt.
Die
Bedeutung von Defekten in der Reparatur von Doppelstrangbrüchen für
die Krebsentstehung zeigt sich darin, dass viele Tumoren, besonders
Kolonkarzinom, Mammakarzinom, Prostatakarzinom und Pankreaskarzinom,
ausgeprägte chromosomale Instabilität mit loss
of heterozygosity auf zahlreichen Allelen zeigen. Ursache für diese
Instabilität sind häufig solche Reparaturdefekte, jedoch nicht ausschließlich:
Mutationen in Genen, deren Produkte eine Rolle in Zellzyklus-Checkpoints
und Chromosomen-Organisation und ‑Transport haben, führen zum
selben Phänotyp.
Tumorsuppressoren
BRCA-1 und BRCA-2
BRCA-1
und -2 sind nicht nur an homologer Rekombination, sondern auch noch
an anderen Reparaturmechanismen beteiligt. Die beiden Moleküle waren
schon vor dieser Erkenntnis durch ihre Rolle in der Entstehung des Mammakarzinoms
entdeckt und benannt worden.
Betrachtet
man die Altersverteilung der Inzidenz von Mammakarzinomen, fällt auf,
dass diese nicht, wie jene vieler anderer Tumoren, einer einfachen exponentiellen
Funktion entspricht. Es gibt "zu viele" früh auftretende Fälle.
Diese untypische Inzidenzverteilung hat zu einer Einteilung in early-onset und late-onset-Formen
von Brustkrebs geführt. Man schätzt, dass genetische Faktoren nur zu
etwa 5% aller Brustkrebsfälle beitragen, jedoch zu etwa 25% der vor
dem Alter von 30 Jahren auftretenden Fälle. Segregationsanalysen in
gehäuft von Brustkrebs betroffenen Familien führten zur Identifikation
der beiden Tumorsuppressorgene BRCA1 und BRCA2, für deren Funktion man zunächst
keinerlei Anhaltspunkte hatte. Analog der Situation beim erblichen Retinoblastom
weisen die betroffenen Frauen in allen Körperzellen ein loss-of-function-Allel
auf; in den entstehenden malignen Tumoren ist zusätzlich meist das zweite,
gesunde Allel verloren gegangen (Verlust der Heterozygotie). So erklärt
sich auch das erhöhte Risiko dieser Patientinnen, in der zweiten Brust
ein weiteres Mammakarzinom zu entwickeln. Beide, BRCA-1 wie BRCA-2, verhalten
sich also wie typische Tumorsuppressorgene. Das Vorhandensein eines loss-of-function-Allels in Mitgliedern einer betroffenen Familie ist
diagnostizierbar und stellt die Frauen vor die schwierige Entscheidung,
sich einer prophylaktischen Mastektomie zu unterziehen oder anderen
prophylaktischen Maßnahmen, wie Ovariektomie, Tamoxifen und engmaschigen
Kontrollen zu vertrauen.
Vererbte
Mutationen in BRCA1 fördern nicht nur die Entstehung des Mammakarzinoms,
sondern auch des Ovarialkarzinoms. Auch Männer mit einem defekten BRCA-1-Allel
haben ein etwas erhöhtes Risiko für Brustkrebs, sowie eine mäßige Erhöhung
des Risikos für Prostatakarzinom, Pankreaskarzinom und Melanom. Da die
Risikoerhöhung eines heterozygoten Mannes wesentlich geringer ist als
jene einer heterozygoten Frau, wird nach einem Mechanismus gesucht,
der diese Geschlechtsspezifität erklären könnte. Es gibt Hinweise, dass
BRCA1 eine Rolle bei der Inaktivierung des zweiten X-Chromosoms der
Frau spielt. Neben der Beeinträchtigung der DNA-Reparatur hätte ein
Verlust der BRCA1-Funktion damit —nur bei der Frau und nicht beim Mann!—
die Verdoppelung der Aktivität aller X-kodierten Gene zur Folge. Es
ist noch nicht klar, welche dieser Gene die Entstehung eines Mamma-
oder Ovarialkarzinoms fördern. Ein weiteres Modell ergibt sich aus der
neuen Erkenntnis, dass BRCA1 auch eine Rolle als E3-Ubiquitin-Ligase
für den Östrogenrezeptor α hat. Fehlende ERα-Inaktivierung
könnte erklären, warum der Effekt besonders Frauen betrifft und hier
wieder besonders Gewebe, die Östrogen-abhängig proliferieren.
Genetische
BRCA2-Defekte kommen sowohl im hetero- als auch im homozygoten Zustand
vor und bringen in beiden Fällen eine erhöhtes Tumorrisiko mit sich.
Heterozygot besteht ein erhöhtes Mammakarzinomrisiko sowie ein moderat
erhöhtes Risiko für die Ausbildung eines Ovarialkarzinoms. Homozygote
BRCA2-Defekte sind eine der möglichen Ursachen der Fanconi-Anämie.
Fanconi-Anämie
ist eine rezessiv vererbte Erkrankung, die auf den Verlust der Funktion
von einem aus einer Gruppe von mindestens zwölf verschiedenen Genen
zurückgeführt werden kann. Die Erkrankung manifestiert sich meist im
Kindesalter und beinhaltet ein variables Spektrum an Fehlbildungen,
die Entwicklung einer Panzytopenie und häufig die Entwicklung einer
AML oder eines Plattenepithelkarzinoms im Kopf/Hals-Bereich. Auch dieses
Neoplasie-Prädispositionssyndrom ist auf genetische Instabilität zurückzuführen.
Eines der zwölf die Erkrankung verursachenden Gene stellte sich
als BRCA2 heraus. Dies scheint ein Widerspruch zur Situation in der
Maus zu sein, die ohne BRCA2 nicht lebensfähig ist. Die bei Patienten mit
Fanconi-Anämie gefundenen Mutationen haben jedoch zur Folge, dass noch ein Teil
des Proteins gebildet wird. Die Expression dieses Teils könnte also das
Überleben ermöglichen.
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