Arno Helmberg's HOMEPAGE

SKRIPTEN:

-Immunologie
-Pathophysiologie d. Niere
-Herz-Kreislauf
-Ernährung & Verdauung
-Leberfunktionsstörungen
-Krebsentstehung
-Knochenstoffwechsel
-Gicht






INHALT:

1. Normale Muskelfunktion
 *Myasthenia gravis
 -Querbrückenzyklus
 -Energiequellen
 *Maligne Hyperthermie
 -Dosierung der Kraft
 -Muskelfasertypen
 -Intensität und Dauer
 -kon-/exzentrische Arbeit
2. Muskelerschöpfung
3. Muskelkater
4. Verletzungen
 -Risikomedikamente
5.  Muskelkrämpfe
 -mögliche Medikamente
6. Trainingseffekte
7. "Leistungsallele"
8.  Genet. Erkrankungen
 -Muskeldystrophien
 -Glykogen-speicher-Kh.
 -Mitochondriopathien
9.  Toxine
 -Botulinumtoxin
 -Tetanustoxin
 -Curare

 

MUSKEL-PATHOPHYSIOLOGIE

Dieses Skriptum ist eine Lernhilfe zu meiner Vorlesung im Modul "Bewegungsapparat" an der Medizinischen Universität Innsbruck. Ich möchte alle Studierenden ermutigen, sich eine gute Basis an medizinischem Englisch zu erarbeiten und stelle das Skriptum daher auch in einer Englischen Version  zur Verfügung. Zum Ausdruck eignet sich die pdf-Version.


Version 1.2                 ©Arno Helmberg 2014-2020
 

1. NORMALE MUSKELFUNKTION

Die kleinste funktionelle Einheit eines Skelettmuskels nennen wir motorische Einheit. Diese besteht aus einem Motoneuron und einer Gruppe abhängiger Muskelfasern oder Myozyten. Das Axon des Motoneurons verzweigt sich und innerviert jede Muskelfaser an einer einzigen Kontaktstelle, der neuromuskulären oder motorischen Endplatte. Präsynaptische Boutons setzten Acetylcholin (ACh) frei, das nikotinische ACh-Rezeptoren aktiviert, die sich in hoher Dichte auf postsynaptischen Einfaltungen der motorischen Endplatte befinden. Die Wirkung des freigesetzten ACh wird durch Acetylcholinesterase wieder beendet. Der nikotinische ACh-Rezeptor funktioniert als ACh-abhängiger unspezifischer Kationenkanal, der das lokale Membranpotential soweit anhebt, dass ein Aktionspotential entsteht.

*Myasthenia gravis. Myasthenia gravis ist eine erworbene Autoimmunerkrankung. Autoantikörper binden an den ACh-Rezeptor und bewirken dessen Internalisierung und Abbau. Die Patienten entwickeln ausgeprägte Muskelschwäche, speziell gegen Abend und bei Bewegungswiederholungen wie beim Stiegen steigen. Antikörperspiegel können durch Glucocorticoide oder Plasmapherese gesenkt werden; häufig hilft auch die chirurgische Entfernung des Thymus, der bei vielen Patienten Thymome enthält. Falls es nicht gelingt, die Antikörperbildung hinreichend zu senken, können die Symptome gebessert werden, indem man die Acetylcholinesterase vorsichtig antagonisiert, z. B. mit Pyridostigmin.*

Das von der motorischen Endplatte ausgehende Signal breitet sich entlang der Plasmamembran der Muskelzelle (Sarkolemm) bis in die Röhrensysteme der transversalen Tubuli, Einfaltungen des Sarkolemms, aus. Membrandepolarisation führt zur Öffnung spannungsabhängiger L‑Typ-Calciumkanäle, sodass extrazelluläres Ca2+ das Zytosol erreichen kann. Gleichzeitig bewirkt die mechanische Kopplung zwischen den im Sarkolemm angesiedelten L‑Typ-Calciumkanälen und den räumlich benachbart  im sarkoplasmatischen Reticulum platzierten Ryanodinrezeptoren eine Freisetzung großer Mengen an Calcium aus dem Reticulum ins Zytosol.

Zytosolisches Ca2+ interagiert mit Troponin C und verschiebt Tropomyosin von den Myosin-Bindungsstellen der Aktinfilamente. Das setzt den Myosin-Actin-Querbrückenzyklus in Gang, der so lange anhält, als Ca2+ vorhanden ist: die Muskelfaser kontrahiert. Um die Kontraktion zu beenden, muss Ca2+ wieder aus dem Zytoplasma entfernt werden. Der Großteil des Ca2+ wird durch die SERCA-Calciumpumpe ins sarkoplasmatische Reticulum zurückgepumpt. Während Muskelkontraktion ein aktiver Prozess ist, erfolgt Dehnung passiv durch eine entgegenwirkende Muskelgruppe.

Der Querbrückenzyklus verbraucht ATP. Um das Myosinköpfchen vom Aktinfilament zu lösen, ist die Bindung eines neuen ATP-Moleküls vonnöten. Das Myosinköpfchen spaltet das ATP und ändert dadurch seine Konformation so, dass es "den Kopf zurückwirft" und zwei Einheiten weiter am Aktinfilament wieder andockt. Sowohl ADP als auch das anorganische Phosphat bleiben beim Andocken an der neuen Position noch gebunden. Freisetzung des Phosphats führt dann zum Kraftschlag (power stroke) des Myosinköpfchens, in dem das Myosinköpfchen sich so beugt, dass eine relative Verschiebung zwischen Myosin und Aktin und damit Kontraktion bewirkt wird.

Energiequellen. Solange Ca2+ vorhanden bleibt, würde dieser Prozess weiterlaufen, bis alles ATP verbraucht wäre. Auch bei unangestrengter Muskeltätigkeit wäre das sehr rasch der Fall: innerhalb einzelner Sekunden. Es benötigt also mehrere Nachschublinien an Energiereserven:

  • Der erste Reservetank ist das Phosphokreatin. Sein energiereich gebundenes Phosphat wird leicht auf ADP übertragen. Der ATP-Pool kann dadurch mehrfach regeneriert werden, doch genügt das auch nur für etwa 10 Sekunden.
  • Den nächsten Energiespeicher innerhalb der Muskelzelle stellt das Glykogen dar. In den Skelettmuskeln kann insgesamt etwa viermal so viel Glykogen wie in der Leber gespeichert werden, etwa 400 g Trockengewicht. Wenn wir uns vor Augen halten, dass 1 g Glykogen 2.7 g Wasser bindet, bedeutet das, dass etwa 1,5 kg unseres Körpergewichtes vom Glykogenladezustand unserer Muskeln abhängig sind. Verstoffwechseln wir die Glucoseeinheiten aus dem Glykogen, können wir auf mehrere Arten Energie gewinnen. Abbau zu Pyruvat und weiter zu Laktat gewinnt ATP ohne Bedarf für Sauerstoff. Solange Glykogen im Myozyten vorhanden ist, würde dieser anaerobe Mechanismus es erlauben, ATP auch ohne Sauerstoff beinahe eine Minute lang wieder aufzufüllen, doch limitiert sich dieser Mechanismus selbst durch rasche Ansäuerung und Akkumulation von Laktat. Sauerstoff ist normalerweise aber auch bei intensiven Anstrengungen vorhanden, sodass der Muskel seinen Energiebedarf teils aus anaerobem, teils aus aerobem Metabolismus abdeckt.
  • Mit der Hilfe von Sauerstoff ist es möglich, Acetyl-CoA aus Pyruvat oder Fettsäuren über Zitratzyklus und mitochondriale Atmungskette zu verbrennen, wodurch große Mengen ATP gewonnen werden. Diese effizienteste Form der ATP-Produktion ist allerdings durch die Sauerstoff-Anlieferungskapazität zum Muskel und die Mitochondriendichte limitiert. Die Lipidvorräte des Körpers sind unerschöpflich und erlauben viele Stunden Muskelaktivität auf dem durch die oxidative ATP-Gewinnung limitierten niedrigeren Niveau.

Marathon: der Mann mit dem Hammer. Marathon-Teilnehmer laufen mit einem Mix aus aerober und anaerober Energiegewinnung. Zwar maximieren sie ihre muskulären Glykogenvorräte durch hohe Kohlenhydratzufuhr in den Tagen vor dem Lauf, doch sind diese bei Amateurläufern zwischen km 30 und km 35 erschöpft. An diesem Punkt reduziert sich die ATP-Produktionsrate auf jene der oxidativen Fettverbrennung. Die Läufer sind nicht mehr in der Lage, das bisherige Tempo durchzuhalten und erleben das als "den Mann mit dem Hammer".

Insulin-Sensitivität. Muskel ist mit etwa der vierfachen Kapazität der Leber unser bedeutendster Glykogenspeicher. Muskel ist der wichtigste Glucoseverbraucher unter Insulinwirkung. Unter aerober Belastung nimmt der Muskel außerdem große Mengen an Fettsäuren auf und metabolisiert diese. Er reduziert damit die wahrscheinlichen Verursacher von Insulinresistenz. Eine einzige intensive Trainingseinheit verbessert die Insulinsensitivität des Organismus bis zu 48 Stunden. Bewegung ist daher einer der besten Wege, metabolisches Syndrom und Typ 2-Diabetes zu verhindern.

*Maligne Hyperthermie.In genetisch prädisponierten Individuen die, z. B., bestimmte allelischen Varianten des Ryanodin-Rezeptors exprimieren, können Narkosegase oder Succinylcholin eine Erhöhung des zytosolischen Ca2+-Spiegels unter Anästhesie zur Folge haben. Wie wir vorher gesehen haben, läuft der Querbrückenzyklus ungebremst weiter, solange Ca2+ vorhanden ist, verbraucht dabei große Mengen ATP und generiert große Mengen Wärme. Mit der Zeit führt das zu Muskelstarre, Azidose und sehr hohen Körpertemperaturen. Herz- und Atemfrequenz sind stark erhöht, können jedoch trotzdem der verstärkten CO2-Produktion und dem stark gesteigerten O2-Bedarf nicht gerecht werden. Die einzig wirksame Behandlung dieser lebensbedrohlichen Komplikation besteht in der Verabreichung des Muskelrelaxans Dantrolen, das die Freisetzung von Ca2+ durch den übererregbaren Ryanodin-Rezeptor  beendet.*

Regulation der Muskelkraft. Ein einzelnes Aktionspotential in einer motorischen Einheit löst nur eine kaum wahrnehmbare Faserzuckung aus. Für eine Bewegung benötigt es mehr, und die meisten unserer Bewegungen benötigen immer noch nur einen Bruchteil der Kraft, die die beteiligten Muskeln aufbringen könnten. Wie erzeugen wir dieses Mehr an Muskelkraft? Zwei Mechanismen arbeiten hier zusammen:

  • durch rasche Wiederholung von Aktionspotentialen (Superposition)
  • durch Rekrutierung von immer mehr motorischen Einheiten

Es ist dabei wichtig, sich im Klaren zu sein, dass wir über verschiedene Arten von motorischen Einheiten verfügen.

Typen motorischer Einheiten. Individuelle motorische Einheiten bestehen aus einer Gruppe von Muskelfasern desselben Typs. Das liegt daran, dass der Typ der Muskelfaser durch das Aktionspotentialmuster des Motoneurons bestimmt wird. Das zeitliche Muster an Aktionspotentialen löst in der Muskelzelle eine korrelierende Oszillation der Ca2+-Konzentration aus. Ca2+-sensitive Transkriptionsfaktoren setzen diese Oszillationen in die Expression spezifischer Myosingene um. Menschliche Skelettmuskeln bestehen aus drei verschiedenen Muskelfasertypen, die jeweils spezifische Isoformen der schweren Kette von Myosin exprimieren und sich in ihren kontraktilen und metabolischen Eigenschaften unterscheiden:

  • Typ I-Fasern exprimieren die schwere Myosinkette 1 und zeigen eine langsame Zuckungscharakteristik (slow twitch). Sie zeigen einen dichten Besatz mit Mitochondrien, sind rot gefärbt durch ihren hohen Myoglobingehalt, haben eine relativ moderate Myosin-ATPase-Aktivität und sind sehr ausdauernd. Sie Stellen etwas mehr als die Hälfte aller Muskelfasern, produzieren ATP hauptsächlich durch β-Oxidation von Fettsäuren und werden bei allen Bewegungsintensitäten eingesetzt.
  • Etwa 30-35% des typischen Muskels besteht aus Typ IIa-Fasern, die hauptsächlich die schwere Myosinkette 2A exprimieren, intermediäre Charakteristik zeigen und bei höheren Bewegungsintensitäten eingesetzt werden.
  • Die restlichen 10-20% sind Typ IIx-Fasern, die hauptsächlich die schwere Myosinkette 2X exprimieren und rasche Zuckungseigenschaften (fast twitch) aufweisen. Durch ihre hohe ATPase-Aktivität sind sie in der Lage, hohe Kraft zu entwickeln. Sie werden erst bei intensiven Anstrengungen, z. B. >75% VO2max (maximale Sauerstoffaufnahme) rekrutiert. Sie produzieren ATP hauptsächlich durch Glykolyse, haben eine niedrige Mitochondriendichte und sind wegen ihres geringen Myoglobingehalts blass; sie ermüden auch sehr rasch. (Nager haben statt dessen einen noch schnelleren Fasertyp, IIb.)

Kleinere motorische Einheiten werden durch Motoneuronen mit kleineren Zellkörpern gesteuert. Zentralnervöse Stimuli geringer Intensität gelingt es nur, diese kleinen Motorneuronen zu depolarisieren. Mit Hilfe dieser motorischen Einheiten, die ausschließlich aus Typ I-Fasern bestehen, werden exakt kontrollierte Bewegungen von geringer Kraft durchgeführt. Stärkere Stimuli depolarisieren immer größere Motoneuronen und rekrutieren damit immer größere Typ II-motorische Einheiten, sodass Kontraktionen mit großer Kraft ermöglicht werden.

Individuelle Unterschiede und Plastizität. Die Verteilung der Muskelfasertypen ist genetisch festgelegt und variiert zwischen Individuen. Trotzdem kann sich der Muskel durch Training stark an geänderte Anforderungen anpassen. Ein Umschalten von Typ I zu Typ II-Fasern oder umgekehrt erfolgt durch Training wohl nicht. Möglicherweise kann Training das Verhältnis innerhalb der Typ II-Fasern verschieben; der Haupteffekt besteht jedoch in einer Steigerung des Faserdurchmessers.

Der Verlust von Muskelmasse im Alter ist hauptsächlich auf eine Verkleinerung der Typ II-Fasern zurückzuführen, die zum Teil auf einer verringerten Inanspruchnahme beruht. Mit konsequentem Widerstandstraining kann auch bei alten Menschen ein Teil der verlorenen Muskelmasse wiedergewonnen werden.



Verwendung von Energieträgern in Abhängigkeit von Bewegungsintensität und –dauer. Welche Energieträger in Anspruch genommen werden, hängt von der Intensität der körperlichen Anstrengung ab, die am besten als Prozentsatz der maximalen Sauerstoffaufnahme (% VO2max) gemessen wird. Bei niedrigen Intensitäten stammt der Großteil der Energie aus der Oxidation von Lipiden, im Wesentlichen aus freien Fettsäuren aus dem Plasma. Steigerungen der Intensität werden hauptsächlich durch Kohlenhydrate abgedeckt, zunächst ebenfalls durch Oxidation, doch bei weiteren Steigerungen durch immer größeren Anteil von anaerober Glykolyse. Dies resultiert hauptsächlich aus der Rekrutierung zusätzlicher Muskelfasern. Bei niedrigen Intensitäten bis 50% VO2max werden nur "langsame" Typ I-Fasern mit ihrer hohen Lipidoxidationsfähigkeit verwendet. Bei höheren Intensitäten kommen progressiv "schnelle" IIa- und IIx-Fasern dazu, mit höheren ATP-Syntheseraten aber relativ niedrigerem Sauerstoffbedarf durch höhere Anteile  von Glykogenolyse und Glykolyse.

Auch die Dauer der Anstrengung bei einer gleichbleibenden, mittleren Intensität hat einen Einfluss auf die Energiesubstratverwendung. Während der ersten halben Stunde stammen etwa zwei Drittel der Energie aus der Oxidation von Kohlenhydraten, doch sinkt dieser Anteil mit zunehmender Dauer immer weiter ab. Sind die Glykogenspeicher nach etwa drei Stunden erschöpft, arbeitet der Muskel überwiegend auf der Basis von Lipidoxidation.

Nach Beendigung der Anstrengung fällt der Energieumsatz unseres Körpers langsam wieder ab, bleibt aber bis zu 24 Stunden leicht erhöht. Bewegung ermöglicht uns also tatsächlich, mehr Kalorien im Schlaf zu verbrennen!

Konzentrische und exzentrische Muskelarbeit. In Abhängigkeit von der Längenänderung eines Muskels während seiner Aktivität ergeben sich drei Möglichkeiten:

  • konzentrische Muskelarbeit: der triviale Fall, in dem sich der Muskel durch Anspannung verkürzt.
  • isometrische Muskelanspannung: der Muskel spannt sich an, ohne sich zu verkürzen, um eine entgegengesetzte Kraft zu neutralisieren (Beispiel: Bizeps einer Kellnerin, die am Münchner Oktoberfest Bierkrüge trägt). Widerstandstraining bei oder nahe der isometrischen Kontraktion ist die effizienteste Art, Muskelhypertrophie zu induzieren.
  • exzentrische Muskelarbeit: der Muskel spannt sich an, während er gleichzeitig passiv gedehnt wird. Dadurch wird eine Bewegung kontrolliert oder gebremst, z. B. durch den Quadrizeps beim Stiegen hinunter steigen. Das ist nur möglich, indem sich manche Fasern kontrahieren während sich gleichzeitig andere entspannen; dies verursacht starke, entgegengesetzte Kräfte innerhalb des Muskels, die zu strukturellen Schäden führen können.

Muskelkater und Muskelverletzungen sind meist durch ausgeprägte exzentrische Muskelanspannung bedingt.


2. MUSKELERSCHÖPFUNG UND ANSTRENGUNGSSCHMERZ

Mit zunehmender Anstrengung säuert der Muskel an; es akkumulieren Protonen, Laktat und extrazelluläres ATP. Alle drei werden durch Sensoren gemessen, die als Rezeptoren in der Plasmamembran von Dendriten afferenter Neuronen sitzen. Die Protonenkonzentration wird durch ASIC (acid sensing ion current)-Rezeptoren gemessen, Laktat via TRPV1 (transient receptor potential cation channel  V1)-Rezeptoren und ATP via P2X (purinergic)-Rezeptoren. Diese Rezeptoren finden sich dicht gepackt nahe Blutgefäßen unter den Muskelfaszien auf afferenten Neuronen, welche die Messwerte frequenzkodiert an das Hirn weiteleiten. Erhöhte Werte dieser Metaboliten rufen die Empfindung von Muskelermüdung hervor (z. B. pH 7.3 + 400 nM ATP + 1 mM Laktat), hohe Konzentrationen jene des Schmerzes (z. B. pH 7.2 + 500 nM ATP + 10 mM Laktat). Nur die Kombination von Metaboliten erzeugt eine Empfindung, injiziert man experimentell nur einzelne Stimuli, entsteht keinerlei Sinneseindruck. Tatsächlich ist "Muskel"-Ermüdung also eine Funktion des ZNS. Ein Blockieren der afferenten Signale würde dem Muskel ermöglichen, weiterzumachen, ein Vorgang, der wohl mit ernsthaften Schäden enden würde.


3. MUSKELKATER

Während unmittelbar unter Belastung entstehender Muskelschmerz Folge der Akkumulation von Metaboliten ist, hat Muskelkater am darauffolgenden Tag einen anderen Entstehungsmechanismus. Die Datenlage zur Entstehung des Muskelkaters ist spärlich, doch sind wahrscheinlich durch exzentrische Belastung entstehende Mikrotraumen im Muskelgewebe verantwortlich. In einem Teil der Fasern wird eine Störung der normalen Myofilamentstruktur beobachtet, im Speziellen eine Verbreiterung, Verschmierung oder sogar Auflösung der Z-Scheiben. Außerdem treten intrazelluläre, zytosolische Proteine wie Kreatinkinase oder Myoglobin ins Blut aus, was auf eine Schädigung der Zellmembran hinweist. Ein solche Schädigung führt auch zu erhöhten zytoplasmatischen Ca2+-Spiegeln, die Ca2+-abhängige proteolytische Enzyme aktivieren und mit der normalen mitochondrialen ATP-Produktion interferieren könnten. In einer zweiten Phase treten Makrophagen und neutrophile Granulozyten auf den Plan um geschädigte Strukturen abzuräumen, ein Prozess, der mit leichter Entzündung und Ödem einhergeht. Die Schmerzhaftigkeit des Muskelkaters ist wahrscheinlich ein Kombinationseffekt von entzündlichem Bradykinin, lokal erhöhtem extrazellulärem Kalium, Prostaglandin E2 aus Makrophagen und ödematösem Gewebsdruck. Die Schmerzhaftigkeit erhöht sich bei Bewegungen, wenn mechanische Belastung die schon sensibilisierten Nervenendigungen sensorischer Aδ- und C‑Fasern (LLoyd/Hunt-Nomenklatur: Typ III und IV) stimuliert, besonders an der Übergangszone Muskel-Sehne. Versuche, Muskelkater zu behandeln waren wenig erfolgreich. Am ehesten hilft erneute längerdauernde Belastung, doch ist dieser Effekt nur temporär und die Schmerzhaftigkeit kehrt zurück, sobald die Aktivität eingestellt wird. Doch bessert sich Muskelkater nach einigen Tagen, mit oder ohne Behandlung.


4. MUSKEL- UND SEHNENVERLETZUNGEN

Mit zunehmender Kraftanstrengung können weitergehende strukturelle Schäden bis zur akuten Ruptur gehen. Das betrifft nicht mehr nur die Muskelfasern, sondern auch die extrazelluläre Matrix und hier im Besonderen die Kollagenfasern. Kollagenfasern finden sich überall im Muskel um die Muskelfasern herum und stellen einen immer größeren Prozentsatz des Muskelquerschnitts gegen Ursprung und Ansatz des Muskels am Knochen dar. Risse in diesem Aufbau führen auch zum Zerreißen von Blutgefäßen, zu Einblutungen und plötzlichem, unmittelbaren Schmerz. Rupturen, die in der Regel ebenfalls durch exzentrische Überlastung ausgelöst werden, können einzelne Faserbündel, größere Muskelanteile oder den gesamten Muskel-oder Sehnenquerschnitt betreffen. Studien haben ergeben, dass die Heilung von partiellen Muskelrupturen durch gezielte, vorsichtig dosierte exzentrische Belastungen erstaunlicherweise wesentlich gefördert werden kann. Relativ häufig von Rupturen betroffen ist die ischiocrurale Muskulatur am hinteren Oberschenkel, vor allem bei TänzerInnen und bei Sportarten, die Sprints erfordern, wie Fußball. Sehnen sind durch die hohe lokale Gewebsspannung schwer mit Blut zu versorgen und reißen besonders dann, wenn sie vorgeschädigt sind. Betroffen sind die Achillessehne, am Knie Quadrizepssehne und Patellarsehne, am Ellbogen die Bizepssehne und an der Schulter die Rotatorenmanschette, speziell die Sehne des M. supraspinatus. Die Achillessehne rupturiert im typischen Fall mit einem peitschenden Geräusch während einer explosiven Beschleunigung beim Laufen oder Springen.

Pharmakologische Querverstrebung: Das Risiko einer Sehnenruptur ist bei Patienten erhöht, die mit Antibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone (Gyrasehemmer wie Ciprofloxazin) behandelt wurden. Ebenso ist das Risiko unter Glucocorticoiden erhöht, speziell, wenn diese direkt in die Sehne injiziert wurden, um eine Sehnenentzündung zu behandeln. Entzündungsmediatoren wie TNFα induzieren Matrixmetalloproteasen wie Kollagenase, und Glucocorticoide haben einen hemmenden Effekt auf die Transkription des Kollagen Typ I-Gens. In diesem Fall addieren sich also die negativen Effekte des Entzündungsprozesses und seiner Behandlung auf die Zugfestigkeit der Sehne. Das Risiko von Muskelrupturen ist unter Statintherapie vergrößert.


5. MUSKELKRÄMPFE

Muskelkrämpfe sind plötzliche, ungewollte Kontraktionen, die unerträglich schmerzhaft sein können. Jede(r) von uns erlebt ab und zu einen Krampf, doch sind Krämpfe in bestimmten Konstellationen typisch. Ein Krampf kann relativ leicht induziert werden, indem man einen bereits verkürzten Muskel maximal kontrahiert. Manche Personen neigen zu nächtlichen Wadenkrämpfen, besonders in fortgeschrittenem Alter. Krämpfe treten häufig im dritten Trimenon der Schwangerschaft auf sowie nach längeren intensiven körperlichen Anstrengungen, speziell, wenn heiße und feuchte äußere Bedingungen zu Verschiebungen im Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt geführt haben. Generell fördern Umstände, die das Extrazellulärvolumen akut verringern, die Bereitschaft zu Krämpfen: intensive Perspiration, Diarrhoe, Erbrechen, Diuretikatherapie oder Dialyse. Zusätzlich können Krämpfe durch neurologische Erkrankungen, die die Motoneuronen betreffen, ausgelöst werden sowie durch Grunderkrankungen wie Leberzirrhose oder Hypothyroidismus.

Die Pathophysiologie von Krämpfen ist unzureichend geklärt. Es herrscht breite Übereinstimmung, dass die Übererregbarkeit nicht in den Muskelzellen selbst liegt, sondern in den Motoneuronen, die elektromyographisch messbare Aktionspotentialfrequenzen bis zu 150 Hz auslösen, doch hier endet der Konsensus bereits wieder. Die "zentralen Hypothese" lokalisiert die Ursache am Zellkörper des Motoneurons im Vorderhorn des Rückenmarks, während die "periphere Hypothese" den Auslöser entlang des peripheren Nervs, am Wahrscheinlichsten in den intramuskulären Anteilen, sieht.

Was können wir gegen Krämpfe tun? Im Augenblick hilft es in der Regel, den betroffenen Muskel passiv zu dehnen. Nächtliche Wadenkrämpfe treten seltener auf, wenn man vor dem Zubettgehen die Waden passiv dehnt. Im Sport ist es wichtig, Dehydrierung und Hyponatriämie zu vermeiden, und gegen Krämpfe in der Schwangerschaft zeigen regelmäßige Magnesiumgaben eine präventive Wirkung.

Pharmakologische Querverstrebung: Medikamente gegen Krämpfe sind wirksam, doch erscheint das Nebenwirkungsprofil angesichts des benignen Charakters von Krämpfen als schwer vertretbar. Chininsulfat ist das klassische Medikament zur Verringerung der Krampfhäufigkeit, hat aber manchmal Hör- und Sehprobleme zur Folge. Antikonvulsiva dämpfen die Erregbarkeit von Motoneuronen, lösen jedoch schwerwiegende Nebenwirkungen aus. Eine gewisse Wirksamkeit wurde überdies für Kreatin und den Calciumkanalblocker Verapamil gezeigt.


6. ANPASSUNGVORGÄNGE DURCH TRAINING

Akute Trainingsbelastungen führen zu Änderungen in der Konzentration von Metaboliten, die durch molekulare Sensoren gemessen werden und zu Änderungen in der Genexpression führen. Greifen wir zur Illustration drei der vielen bekannten Sensortypen heraus:

  • Messung eines Sauerstoffdefizits: intensive Muskelbetätigung verbraucht große Mengen Sauerstoff und reduziert damit den Sauerstoffpartialdruck in den Muskelfasern. Das stabilisiert HIF‑1 (hypoxia-induced factor 1), einen Transkriptionsfaktor, der z. B. die Expression von Enzymen der anaeroben Glykolyse verstärkt. Dieser Mechanismus ist wahrscheinlich für die positiven Effekte des Höhentrainings verantwortlich.
  • Messung eines Energiedefizits: Muskelbetätigung verbrennt ATP; erhöhte AMP-Spiegel führen zur allosterischen Aktivierung von AMP-aktivierter Proteinkinase (AMPK), die unmittelbar Glykogensynthese und Proteinsynthese hemmt, aber Glucosetransport und Lipidverbrennung fördert. Regelmäßige Aktivierung von AMPK induziert die Neubildung von Mitochondrien über den transkriptionellen Koaktivator PGC-1α (PPAR‑γ-Coactivator-1α), der die verstärkte Transkription zahlreicher mitochondrialer Proteine fördert.
  • Messung einer Kraftüberlastung: Muskelkontraktionen gegen starken Widerstand aktivieren über einen noch nicht ausreichend geklärt Mechanismus Phospholipase D. Das Enzym setzt aus Lipiden des Sarkolemms Phosphatidsäure frei. Phosphatidsäure aktiviert mTOR (mammalian target of rapamycin). Auf diese Weise wird die Synthese von Muskelproteinen angekurbelt, da mTOR über verschiedene Wege die ribosomale Kapazität und die Translation von mRNA steigert. In Kombination mit ausreichender Proteinzufuhr induziert dieser Mechanismus die Muskelhypertrophie, die bei Anhängern von Waschbrettbauch und schwellendem Bizeps gewünscht wird.

Die ersten beiden Mechanismen machen klar, dass für optimales Training Episoden hoher Intensität notwendig sind: die tiefsten intrazellulären Sauerstoffkonzentrationen und die höchsten AMP-Konzentrationen werden bei den höchsten Intensitäten der Muskelaktivität erreicht. Diese hohen Intensitäten können natürlich nur kurze Zeit durchgehalten werden. Wollen wir diesen Effekt maximieren, bleibt nichts anderes übrig, als mehrere Episoden hoher Intensität, getrennt durch kurze Erholungsphasen, aneinander zu reihen. Damit sind wir beim Intervalltraining (high-intensity interval training, HIIT), einem notwendigen Trainingsbestandteil auch für Ausdauersportarten.

Jede Trainingseinheit belastet also den Bewegungsapparat und verursacht darin unter Umständen auch kleinere Schäden, löst jedoch eine kurzzeitige Antwort regenerativ wirkender Genexpression aus. Gemessen in mRNA-Spiegeln ist diese Antwort zwar kurzlebig, resultiert aber in der Synthese zusätzlicher Muskelprotein- und Enzymeinheiten. Die meisten dieser Proteine haben eine wesentlich längere Halbwertszeit als ihre mRNAs und beginnen so zu akkumulieren. Anders ausgedrückt: unmittelbar nach einer Trainingseinheit ist der Muskel in seiner Funktion zwar geschwächt, doch wird diese Phase von einer Welle regenerativer Überkompensation gefolgt. Durch zweckmäßige zeitliche Anordnung von Trainingseinheiten können auf diese Weise funktionell wichtige Proteine wie Myosin, Aktin, Enzyme oder mitochondriale Proteine auf höhere Niveaus geschraubt werden. Mit der Zeit führt das zu einem Anstieg der muskulären Stoffwechselkapazität und der sportlichen Leistung.

Aus diesen Überlegungen wird klar, dass Dosierung und zeitliche Anordnung der Trainingseinheiten entscheidend sind. Sind die Einheiten zu intensiv und/oder liegen sie zu nahe beisammen, gibt es zu wenig Gelegenheit für regenerative Überkompensation und die Leistungsfähigkeit wird zunehmend geschwächt: Übertraining oder eigentlich "Abtraining". Werden Trainingseinheiten in zu weiten Abständen durchgeführt, ist die Phase der regenerativen Überkompensation schon wieder vorbei und das System ist wieder im Ausgangszustand: wir werden nie besser. Der Trick besteht darin, die nächste Belastung genau auf den Hügel der Überkompensation zu platzieren. Wir benötigen die Belastungen, um die Kompensationsantwort auszulösen, aber tatsächlich besser werden wir während der darauffolgenden Ruhephasen.

Systematische körperliche Anstrengung bewegt sich im Kontinuum zwischen den beiden Extremen aerobes (Ausdauer-) und Widerstands- (Kraft)-Training. Die beiden Formen verursachen unterschiedliche Anpassungsreaktionen:

  • Widerstandstraining induziert Muskelhypertrophie, bei der verstärkte Synthese myofibrillärer Proteine zur Vergrößerung der Muskelfaser führt. Die betroffenen Muskeln gewinnen an Volumen und an Kraft. Diese Anpassung betrifft hauptsächlich Typ II-Fasern und geht entsprechend mit einer Erhöhung der anaeroben Leistungsfähigkeit einher.
  • Aerobes Training erhöht die Ausdauerleistung durch vermehrte Synthese mitochondrialer Proteine, Vermehrung der Mitochondrien, erhöhte oxidative Enzymleistung und Laktattoleranz sowie verbesserte Kapillarisierung. Nach sechs Wochen aeroben Trainings erhöht sich die muskuläre Mitochondriendichte um 50‑100%. Systemische Effekte beinhalten eine wesentliche Steigerung des kardialen Schlagvolumens mit erniedrigtem Ruhepuls und eine Verbesserung des kardiovaskulären Risikoprofils.
    Einer der am Klarsten mit der mitochondrialen Biogenese in Zusammenhang stehenden Genregulatoren ist PGC‑1α (peroxisome proliferator-activated receptor gamma coactivator 1α). PGC‑1α ist ein Transkriptions-Koaktivator, der viele Gene im Energiestoffwechsel reguliert. Experimentelle PGC‑1α-Überexpression steigert die mitochondriale Biogenese, die Zellatmung, die ATP-Syntheserate sowie die Ausdauerleistungsfähigkeit. Außerdem ist PGC‑1α notwendig für trainingsinduzierte Angiogenese.

7. GENETISCHE EINFLÜSSE AUF DIE MUSKELFUNKTION

Polymorphismen in Genen, die Proteine mit Bedeutung für die Muskelaktivität kodieren, beeinflussen die sportliche Leistung. Betrachten wir eines aus zahlreichen bekannten Beispielen: ein SNP (single nucleotide polymorphism) in α‑actinin‑3, ein Protein, das daran beteiligt ist, Aktinfilamente in Typ II-Fasern querzuvernetzen. Zwei Allele finden sich mit etwa gleicher Häufigkeit in der humanen Population: das R‑Allel wird nach dem Arginin in Position 577 bezeichnet, während das X‑Allel dort die Nonsense-Mutation R577X, also ein Stop-Codon enthält. Das durch das X‑Allel kodierte Protein ist instabil und wird rasch abgebaut. In Europa sind etwa 18% der Population XX homozygot, sodass kein funktionelles  α‑actinin‑3 vorhanden ist. Dieser Mangel hat keinerlei Krankheitswert; die Funktion wird vom ähnlichen Protein α‑actinin‑2 übernommen. Elite-Sprinter und –Kraftsportler weisen das  R‑Allel wesentlich häufiger auf als Kontrollpersonen, während Elite-Ausdauerathleten eine Tendenz zu häufigerem X‑Allel zeigen. Rufen wir uns ins Gedächtnis, dass Ausdauerleistungen hauptsächlich durch Typ‑I-Fasern erbracht werden, in denen α‑actinin‑3 keine Rolle spielt.

Ein weiteres Beispiel: Androgene fördern den Muskelaufbau sowie andere für athletische Leistung relevante Parameter. Eine Reihe von Genen beeinflusst die Konzentration von Testosteron, das auch bei Frauen vorhanden und funktionell bedeutsam ist (ohne jegliches Doping), wenn auch in weit niedrigeren Konzentrationen als bei Männern. Bezogen auf freies Testosteron hatten Spitzenathletinnen im oberen Drittel der Streuung, verglichen mit Konkurrentinnen im unteren Drittel, einen signifikanten Leistungsvorsprung über z. B. 400 und 800 m oder im Hammerwerfen. Über 400 und 800 m lag dieser Vorteil im Bereich um 2%; beim Hammerwerfen betrug er sogar 4,5%.

Nachwuchsförderung im Sport beruht zurzeit noch auf einer Phänotyp-Selektion auf breiter Basis, um Kinder mit günstigen Kombinationen "athletischer" Allele zu identifizieren. Es ist zu erwarten, dass genetische Untersuchungen diesen Prozess bald komplementieren. Sportliche Topresultate werden nur dann erzielt, wenn optimale Trainingspläne und optimale genetische Eignung zusammentreffen.


8. GENETISCHE ERKRANKUNGEN

Viele genetische Erkrankungen berühren die Funktion von Skelettmuskeln. Einige Beispiele:

Muskeldystrophien sind durch eine progressive Schwächung von Muskelgruppen durch den schleichenden Verlust von Skelettmuskelzellen charakterisiert. Ursache ist jeweils die Defizienz eines Proteins, wobei eine Reihe von Proteinen in Frage kommt. Eines dieser Proteine ist Dystrophin, das in den Dystrophien vom Typ Duchenne und Becker betroffen ist. Dystrophin ist Bestandteil eines großen, die Zellmembran überspannenden Proteinkomplexes, der die intrazellulären Myofilamente an extrazelluläre Matrixfasern koppelt. Dystrophin fungiert dabei als stoßdämpfende Federung. Fehlt es, löst die Kraft der Kontraktion immer wieder Läsionen der Zellmembran und damit auf Dauer den Untergang der Muskelzelle aus, die durch Fettzellen ersetzt wird. Das Dystrophingen stellt unser größtes Einzelgen dar. Es repräsentiert 0,08% des menschlichen Genoms und liegt auf Chromosom X. Es benötigt volle 16 Stunden, um das gewaltige primäre Transkript herzustellen und in seine aus 79 Exons bestehende mRNA zu splicen. Häufig entstehen darin sporadische Mutationen, die etwa ein Drittel der Erkrankungen verursachen. Der X-chromosomale Erbgang bedeutet, dass die Erkrankung in erster Linie Jungen betrifft. Abhängig von der individuellen Mutation bestimmt die Restmenge an Dystrophin die Schwere der Erkrankung. Bei der Muskeldystrophie Typ Becker behält eine verkürzte Dystrophinvariante einen Teil seiner Funktion und ermöglicht so ein Überleben bis ins Alter.

Glykogenspeicherkrankheiten: angesichts der Bedeutung von Glykogen für die Energieversorgung des Muskels verwundert es nicht, dass viele der bekannten Defekte in Glykogensynthese oder –metabolismus einen negativen Effekt auf die Muskelfunktion haben.

Mitochondriopathien: dieselbe Logik lässt sich auf Mitochondrien, unsere effizientesten ATP-Generatoren, anwenden. Die Subklasse mitochondrialer Erkrankungen, die neuromuskuläre Funktionen negativ beeinflussen, nennen wir mitochondriale Myopathien. Der zugrunde liegende Defekt kann sowohl die mitochondriale DNA oder ein nukleäres Gen betreffen, dessen kodiertes Makromolekül ins Mitochondrium importiert wird.


9. TOXINE

Botulinumtoxin ist ein durch Clostridium botulinum synthetisiertes Protein-Neurotoxin. Das hitzelabile Toxin löst manchmal Lebensmittelvergiftung aus, wenn Sporen des anaerob wachsenden Bakteriums Konserven kontaminieren. Es ist eines der wirksamsten bekannten Gifte, mit einer letalen Dosis (LD50) von 1-2ng/kg durch Injektion bzw. etwa zehnmal so viel bei Aufnahme über die Lunge. Das Toxin wird in Axonendigungen aufgenommen und baut proteolytisch eines von drei Proteinen ab: SNP25, VAMP/Synaptobrevin und Syntaxin. Zusammen sind diese drei verantwortlich, um ACh-enthaltende Vesikel mit der präsynaptischem Membran der motorischen Endplatte zu verschmelzen. Die Freisetzung von ACh wird damit reduziert, was zu schlaffen Lähmungen führt. Respiratorische Insuffizienz kann zum Tod führen.

Pharmakologische Querverstrebung: verdünntes Botulinumtoxin wurde zunächst zur Behandlung des Schielens verwendet, was Injektionen in einzelne äußere Augenmuskeln im Sechsmonatsabstand erforderte. Außerdem wird es in Situationen verwendet, in denen eine Relaxation spezifischer Muskeln vorteilhaft erscheint, z. B. in verschiedenen Formen der Dystonie. Kosmetisch wird es zur Prävention oder Verminderung von Falten verwendet, indem die betreffenden Gesichtsmuskeln gelähmt werden. Nebenwirkung ist unweigerlich eine Verminderung der Mimik.

Tetanustoxin ist ein weiteres Protein-Neurotoxin, das durch Clostridium tetani synthetisiert wird. Das anaerob wachsende Bakterium wird bei Wundinfektionen gefürchtet. Wie Botulinumtoxin wird auch Tetanustoxin in Axonendigungen aufgenommen, doch in diesem Fall hauptsächlich in hemmende glycinerge und GABAerge Interneurone im Rückenmark. Proteolytischer Abbau von VAMP/Synaptobrevin in diesen Renshaw-Zellen, die in der fein abgestimmten Muskeltonus-Rückkoppelungsschleife eine relaxierende Wirkung haben, führt beim geringsten Stimulus auf das Motoneuron zu einem langanhaltenden Spasmus. Klinisch beginnt Tetanus bei den kürzesten Nerven, was zu den charakteristischen Symptomen risus sardonicus und Kiefersperre führt. Atmungsprobleme durch die spastische Lähmung können zum Tod führen. Wie bei Botulismus ist die Aufnahme des Toxins irreversibel, sodass wochen- oder monatelange Intensivpflege erforderlich ist, bis neue Axonendigungen nachgesprosst sind. Tetanus kann leicht durch Impfung mit einer inaktivierten Form des Toxins, Tetanustoxoid, vermieden werden, das die Bildung neutralisierender Antikörper induziert.

Curare ist ein Überbegriff für Pflanzenextraktgifte, die von indigenen Völkern Südamerikas für Pfeile und Blasrohrpfeile benützt wurden. Die Alkaloide lösen schlaffe Lähmung aus, indem sie den ACh-Rezeptor der motorischen Endplatte kompetitiv und reversibel hemmen.

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QUELLEN UND WEITERFÜHRENDE LITERATUR:

Schwarz et al. (Hrsg.): Pathophysiologie, Maudrich, Wien, 2007

Siegenthaler W. und Blum H. E.(Hrsg.):
Klinische Pathophysiologie, 9. Auflage, Thieme, Stuttgart, 2006

Böcker W. et al. (Hrsg.): Pathologie, 4. Auflage, Urban und Fischer, 2008

auf Englisch:

Kumar V. et al. (eds.): Robbins and Cotran Pathologic Basis of Disease, 10th Edition, Saunders, Philadelphia, 2020

Boron W. F. and Boulpaep E. L. (eds.): Medical Physiology, 3rd Edition, Elsevier, Philadelphia, 2016